Offene strategische Autonomie – Fragen an die französische Ratspräsidentschaft

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Beitragsfoto: Französische Flagge | © Pixabay

Schon seit einiger Zeit zieht sich eine neuartige Idee durch Mitteilungen der Kommission. Die „offene strategische Autonomie“ Europas ist in der Brüsseler Blase in aller Munde. Während die Bürgerinnen und Bürger damit vermutlich wenig anfangen können, elektrisiert der Begriff die Brüsseler Expertenwelt. Besonders Frankreich scheint das Konzept der offenen strategischen Autonomie mit großem Interesse zu verfolgen. Was genau verbirgt sich dahinter?

Das Grundproblem ist, dass niemand genau weiß, was mit offener strategischer Autonomie gemeint ist. Diejenigen, die den Begriff gebrauchen, mögen ihn auf mehr oder minder befriedigende Weise definieren. Sie teilen aber keine einheitliche Vorstellung. Für die einen bedeutet offene strategische Autonomie, dass Europa Lehren aus der Pandemie ziehen, seine Marktzugänge diversifizieren und, wo einseitige Abhängigkeiten bestehen, auch Produktion nach Europa rückverlagern muss. Andere verbinden damit mehr europäische Selbstbestimmung und die Freiheit der Wahl außereuropäischer Partnerschaften.

Merkwürdig ist letzteres insofern, als Europa in Bezug auf seine Handelspolitik frei und selbstbestimmt ist und dies auch niemand in Frage stellt. Ausnahmen wie etwa US-Sanktionen gegen den Iran und gegen europäische Unternehmen, die Handel mit dem Iran treiben, bestätigen die Regel. Sollten etwa diese signifikanten Ausnahmen gemeint sein? Geht es auch um die USA, Europas wichtigsten Handelspartner und bedeutendsten Verbündeten?

Verfechter der offenen strategischen Autonomie scheinen Europa wie eine Insel zu betrachten und es immunisieren zu wollen gegen andere Mächte. China ist der Elefant im Raum, und gewiss ist der chinesische Einfluss in Europa, gestützt auf Handel, Investitionen und Kredite, sehr groß geworden. Die Übergänge von einer rein handels- und wirtschaftspolitischen Dimension der offenen europäischen Strategie zu einer außen- und sicherheitspolitischen, geopolitischen sind fließend.

Die französische Ratspräsidentschaft pusht das Thema. Es stellt sich auch hier die Frage, warum Paris das tut. Die Globalisierung, so viel ist gewiss, ist in eine kritische Phase geraten. Autoritäre Mächte fordern einen Multilateralismus, der die Geltung von grundlegenden Werten, die fast ausnahmslos international verbindlich vereinbarte Normen sind, zurückweist. Wandel durch Handel ist nicht erwünscht. Macht nun auch Europa die Schotten dicht? Es wäre fatal für die freie Weltordnung und langfristig nicht in europäischem Interesse, wenn offene strategische Autonomie eine schillernde Formel für Protektionismus wäre, wenn Autonomie an die Stelle von Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit träte. Letztere sind auch für die freiheitliche Demokratie überlebenswichtig.


Christian Moos ist gebürtiger Wuppertaler, nach eigenem Bekunden trotz Brexit in einer europäischen Ehe und Vater von zwei bilingual aufwachsenden deutsch-britischen Teenagern. Der studierte Historiker und Politologe gehörte zu den frühen Erasmus-Jahrgängen, hat enge Verbindungen nach Frankreich. 

2011 wurde er erstmals in das Amt des Generalsekretärs der EUROPA-UNION Deutschland gewählt. Er gehörte zu den Gründern der EUROPA-UNION Hauptstadtgruppe Europa-Professionell. Hauptamtlich leitet er die Bereiche Bildung, Europa und Internationales im Strategischen Planungsstab des dbb beamtenbund und tarifunion. 

Ich freue mich sehr, ihn nun auch als Gastblogger begrüßen zu können.

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