Der Eintänzer

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Bevor jemand gleich etwas in den falschen Hals bekommt, es geht hier nicht um die Hafenstraße und auch nicht um ein paar bekannte oder weniger bekannte Etablissements, sondern einzig und alleine um die jüngste Aufführung des Theaterschiffs Heilbronn.

Das Theaterschiff lädt seit dem 24. September 2022 zu einer musikalischen Zeitreise in die „Goldenen Zwanziger“ ein — welche nun auch schon wieder einhundert Jahre zurückliegen. Vom damaligen Gassenhauer bis zum Charleston ist alles dabei, und ich bin mir ziemlich sicher, dass alle, die etwas älter als ich sind, die meisten dieser Lieder ohne große Probleme mitträllern könnten.

Ich hatte das große Vergnügen und konnte bereits die Generalprobe am 17. September 2022 miterleben und war sofort von dieser Eigenproduktion des Theaterschiffs begeistert. Deshalb ließ ich es mir auch nicht nehmen und besuchte sogleich die Aufführung am 30. September 2022. Und weil es so schön war, haben wir uns zudem Karten für die Galavorstellung „Der Eintänzer“ am 29. Oktober 2022 gekauft. Zumindest bis dahin muss es meine bessere Hälfte ertragen, wenn von mir Songs wie „Was kann der Siegesmund dafür …“ oder „Ich bin von Kopf bis Fuß …“ durch die Wohnung hallen.

Das große Thema dieses Theaterstücks ist das Bedürfnis nach Vergnügen und Unterhaltung in der für die meisten damaligen Menschen sehr schweren Zeit der heute so genannten Goldenen Zwanziger — im Nachhinein betrachtet, kann man auch der größten Strapaze etwas Positives abgewinnen.

In diesen Jahren suchten die Frauen verstärkt ihre Position in der Gesellschaft und kämpfen um die Gleichberechtigung (nicht um Gender-Sternchen), welche sie sich selbst in den bereits zurückliegenden Kriegsjahren mehr als erarbeitet hatten, und alle, ob Mann oder Frau versuchten zwischen zwei Weltkriegen schlicht und einfach nur am Leben zu bleiben. Und jene, die sich nicht einfach nur mit Alkohol und Drogen betäubten, auch ein kleines Stück Sonnenschein zu ergattern.

Und so dürfen im „Der Eintänzer“ heute noch bekannte Lieder wie „Kann denn Liebe Sünde sein“, „Wir sind von Kopf bis Fuß“, „Wochenend und Sonnenschein“, oder gar „Die Männer sind alle Verbrecher“ nicht fehlen. Mein ganz persönliche Favorit des Abends ist das Lied „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, welches 1930 von Friedrich Hollaender für den Film „Der blaue Engel“ komponiert wurde. Im Film wurde das Lied von Marlene Dietrich in ihrer Rolle der Lola Lola gesungen. Gleich hinter der Interpretation von Marlene Dietrich dürfte nun die Interpretation der drei Schauspielerinnen des Theaterschiffs Agnieszka Bonomi, Cosima Greeven und Beatrice Kaps-Zurmahr kommen.

Aber auch der Mann in der Runde, Markus Streubel, überzeugt das Publikum auf ganzer Linie. Seine Aufführung von „So ein Regenwurm hat’s gut“, ein Lied, welches die meisten noch von Heinz Rühmann kennen, will mir einfach nicht mehr aus dem Kopf.

Agnieszka Bonomi, Cosima Greeven, Beatrice Kaps-Zurmahr und Markus Streubel | © Theaterschiff Heilbronn


Im Schiffsbauch des Theaterschiffs, welcher übrigens Platz für 123 zahlende Zuschauer hat, wird das Publikum in ein kleines Café der 1920er-Jahre entführt. Cosima Greeven als Josephine hat das Lokal aufgebaut und ihr Personal sind zugleich die Künstler; da sind Agnieszka Bonomi als Mizzi, der „Augenschmaus für die Herren“, welche aber allesamt bei ihr auf die Taschenuhr achtgeben sollten, und die Zigarettenverkäuferin Beatrice Kaps-Zurmahr als Anneliese mit leicht krimineller Vergangenheit und natürlich Markus Streubel als Max, der Eintänzer, der für die Damen dienstbar auf dem Tanzpodium steht.

Die Spanne der Lieder reicht von Walter Kollo, Leo Fall und Ralph Benatzkx über Kurt Weil, Mischa Spolianski, Friedrich Hollaender, Rudolph Nelson bis hin zu Hanns Eisler mit Texten von u. a. Kurt Tucholsky und Bertolt Brecht.

Das Stück wurde von Christian Marten-Molnár inszeniert, der es sich u. a. auch nicht nehmen ließ, um dem Gassenhauer „Wochenend und Sonnenschein“ eine ganz neue Wendung zu geben. Die musikalische Leitung hat Andreas Benz.

Für die Kostüme übernimmt Katharina Flubacher die Verantwortung, und ich finde, sie hat ihren Job richtig gut gemacht. Bleibt noch anzumerken, dass das gesamte Stück nicht nur mit wunderbaren Liedern, sondern auch noch mit rasanten Kostümwechseln aufzuwarten hat. Und wer das Glück hat, dieses Stück mehr als einmal zu sehen, dem fällt auch auf, dass es dabei — gewollt oder ungewollt — zu Verwechslungen kommt.

Last but not least möchte ich noch das Team um Jochen Wieland erwähnen, das die gastronomische Betreuung des Abends vorzüglich und sehr professionell übernimmt.

Wie schon gesagt, ich habe die ersten beiden Aufführung des Stücks in vollen Zügen genossen und freue mich schon jetzt auf die Galavorstellung mit Life-Musik. Ich kann allen meinen Lesern dieses Theaterstück nur wärmstens empfehlen und fände es wirklich mehr als schade, wenn bei den kommenden Aufführungen auch nur ein einziger Stuhl unbesetzt bleibt!

Deshalb finden Sie hier gleich den aktuellen Spielplan und ich rege zudem an, dass Sie sich sogleich auch eine Karte für eine der Aufführungen sichern — Sie werden es nicht bereuen!

Spielplan des Theaterschiffs Heilbronn

„Die Männer sind alle Verbrecher
ihr Herz ist ein finsteres Loch
hat tausend verschied’ne Gemächer
aber lieb, aber lieb sind sie doch“

Rudolf Bernauer & Rudolph Schanzer, aus der Operette „Wie einst im Mai“ (4.10.1913)

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  • Die 1920er waren so fortschrittlich, dass wir das kulturelle und gesellschaftliche Niveau in den 2020ern noch nicht wieder erreicht haben. Und dazwischen ist viel passiert, an das sich keiner erinnert.