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Eine amerikanische Tragödie – Teil 4 – Und plötzlich wurde es wieder spannend.
Zitat von Hans Müller am 27. Oktober 2024, 1:49 UhrInhaltsübersicht
Einleitung – Bidens miserabler Debattenauftritt
Was wäre wenn? Trump und Europa
Ratschläge and Mahnungen an Biden von Freunden
Bidens Ablösung verläuft respektvoll
Die unsichere Zwischenphase für Donald Trump
Noch ein Blick zurück: Bis Milwaukee schien vieles gut für Trump
Running Mate JD Vance – Trumps Ebenbild
Am 21.7.2024 der Paukenschlag: Biden zieht zurück
Wie die Entscheidung reifte – Stimmen danach
Der rasche Aufstieg der Kamala Harris
Die große Parteitags-Show der Demokraten in Chicago
Coach Tim Walz von Minnesota soll Vizepräsident werden
Kamala Harris’ Acceptance Speech
Trump wurde auf dem falschen Fuß erwischt – Ein schmutziger Wahlkampf steht bevor
Ein weiterer Attentatsversuch und die Folgen
Der schmutzige Wahlkampf – Vor allem Trump ist verantwortlich
Narzissmus oder was?
Zwei Debatten und eine Wahlempfehlung
„Wer zur Hölle möchte Fragen hören?“ – Medienberichte über Trumps Wahlkampfauftritte
Hoffen und Bangen in Europa
Einleitung – Bidens miserabler Debattenauftritt
Am 28.6.2024 – einen Tag nach der TV-Debatte zwischen Joe Biden und Donald Trump, veröffentlichte CNN erste Zahlen zu der Frage: Wer hat die Debatte gewonnen? Das Ergebnis war für Biden und die Demokraten niederschmetternd: Trump 67 %, Biden 33 %. Die Überschrift der Debattenberichte in der New York Times spiegelten diese erste Einschätzung der TV-Zuseherinnen und Zuseher wider: „Eine ungeschickte Vorstellung und eine panische Partei“ (nytimes.com, 27./28.6.2024: „A Fumbling Performance, and a Panicking Party“). Der erfahrene NYT-Jorunalist Peter Baker schrieb, dass Biden zu der Debatte angetreten war, um die Bedenken zu seinem Alter von 81 Jahren zu zerstreuen. „Doch Mr. Biden machte es zum zentralen Punkt: Über 90 Minuten kämpfte er mit rauher Stimme damit, seine Vorstellungen zu vermitteln und den früheren Präsidenten Donald J. Trump und seine scharfen aber zutiefst unehrlichen Aussagen zu kontern.“ Baker bezweifelte in seinem Bericht, dass Biden in der Lage ist, den heftigen Wahlkampf über vier Monate durchzustehen. Biden wirkte unsicher, unkonzentriert und verhaspelte sich des Öfteren. Er sagte nach der Debatte, er habe mit einer Erkältung zu kämpfen gehabt. Im übrigen sei es schwierig, mit einem Lügner zu debattieren.
Die NYT-Überschrift zum Auftritt Donald Trumps lautete: „Trumps Debatten-Auftritt: Anhaltende Angriffe und Unwahrheiten“ (nytimes.com, 28.6.2024: Trump’s Debate Performance: Relentless Attacks and Falsehoods“). Trump griff Biden persönlich an, und bezeichnete ihn als „schwach“. Er finde wenig Respekt bei Staatsmännern der Welt; diese „lachten“ über ihn. Ferner warf Trump Biden fälschlicherweise vor, er habe Putin ermuntert, die Ukraine anzugreifen.
Aus der Demokratischen Partei kamen erste Rufe, Joe Biden solle seine Kandidatur aufgeben. Peter Burghardt schreib in der Süddeutschen Zeitung: „… der Showdown bei CNN vor Millionen Wählerinnen und Wählern ging für den US-Präsidenten so katastrophal daneben, dass sich kaum mehr jemand vorstellen kann, dass eine Kandidatur ans Ziel führt“ (sueddeutsche.de, 28.6.2024: „Bidens Partei zweifelt an seiner Kandidatur“).
Nachdem ich längere Ausschnitte der Debatte vom 27.6.2024 gesehen hatte, war ich sehr enttäuscht über Bidens schwachen Auftritt. Es war ihm in der Tat nicht gelungen, die Bedenken über sein Alter zu zerstreuen. In der Folge wurden immer wieder Zweifel darüber geäußert, ob Biden im Falle seiner Wahl in der Lage sei, die Amtszeit von vier Jahren durchzustehen. Die nächsten Wochen seiner Kampagne wurden für ihn zu einer „Uphill Battle“, denn zu allem Übel testete er am 17.7.2024 positiv auf Corona und musste sich in die Isolation begeben (sueddeutsche.de, 18.7.2024: „Biden erkrankt vor Vorentscheidung an Covid“). Nach all dem war eine erneute Präsidentschaft Donald Trumps in gefährliche Nähe gerückt. Ob Biden all die Zweifel bei der für den 10.9. 2024 geplanten zweiten TV-Debatte würde ausräumen können, war offen.
Viele andere Aspekte des Wahlkampfes waren nun in den Hintergrund getreten, etwa die Frage, ob es sich die Vereinigten Staaten leisten können, einen Schwerverbrecher ins Weiße Haus zu wählen. Die New York Times warf einen Blick über die Grenzen und schrieb: „In Asien und Europa wird weniger über den Gewinner (der Debatte) geredet sondern mehr über die Stabilität in Amerika – sowohl im Inneren und vor allem bei entscheidenden außenpolitischen Fragen“ (nytimes.com, 28.6.2024: „U.S. Allies Watch the Debate with Shaking Heads and a Question: What Now?“). Die Europäer müssen sich – sollte Trump gewählt werden – ernsthafte Sorgen um die künftige Außenpolitik des Bündnispartners USA machen.
Fabian Fellmann, der Washington Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, fasste das Ergebnis der Debatte so zusammen: „Zurück bleibt das Bild zweier unbeliebter Politiker – die Amerikaner haben nur die Wahl des kleineren Übels. Keiner der beiden hat eine überzeugende Vision davon präsentiert, wie sie als Präsidenten die USA vorwärts bringen wollen. Das ist umso bedenklicher, als angesichts der Kriege im Osten Europas und im Nahen Osten sowie der sich zuspitzenden Konfrontation mit China eine klare Führung im Weißen Haus dringend nötig wäre.“ Fellmann stellt fest: Die Amerikaner waren die Verlierer des Abends. Ich will diese Feststellung ergänzen: Sollte Bidens schwache Vorstellung am 27.6.2024 dazu führen, das Trump ins Weiße Haus einzieht, wären auch die Europäer und vor allem die geschundenen Einwohnerinnen und Einwohner der Ukraine die Verlierer (sueddeutsche.de, 28.6.2024: „Die wichtigsten Erkenntnisse aus der TV-Debatte“).
Was wäre wenn? -- Trump und Europa
Schon lange vor der Biden-Trump-Debatte mögen Politikerinnen und Politiker in Europa hinter verschlossenen Türen über die Gefahren einer möglichen Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus gesprochen haben. Doch erst seit kurzem berichten die Medien über diese Sorgen bei der NATO und der EU. Einen Bericht über den G7-Gipfel vom 13. – 15.6.2024 in Italien überschrieb die Süddeutsche Zeitung mit „Schnell noch Fakten schaffen“. Es geht dabei darum, die militärischen und sonstigen Hilfen für die Ukraine so abzusichern und dauerhaft zu machen, dass sie bei einer Wahl von Trump durch diesen nicht einfach reduziert oder ganz eingestellt werden können. „Die Versammelten wissen, dass Putin auf den Ausgang der US-Wahlen lauert“, steht im Bericht (sueddeutsche.de, 14.6.2024: „Schnell noch Fakten schaffen“).
Katrin Pribyl, die Brüssel-Korrespondentin der Heilbronner Stimme fragt in ihrem Bericht sehr treffend: Wie ist es möglich, die Hilfen für die Ukraine „Trump-sicher“ zu machen? Die Sorgen um eine zweite Amtszeit des NATO-Kritikers seien groß, schreibt Katrin Pribyl, und um es noch drastischer zu formulieren: Die Verbündeten der USA äußern öffentlich ihre Zweifel in die Bündnistreue einer Trump-Administration. Zweifel auch in die Verlässlichkeit der amerikanischen Wählerinnen und Wähler in Sachen Europäische Sicherheit (Heilbronner Stimme, 15.6.2024: „Deutsche Schlüsselrolle“).
In einem weiteren Bericht vom G7-Gipfel schreibt die Süddeutsche Zeitung von der Rückkehr des NATO-Verächters Donald Trump, die am Horizont dräut. Deshalb soll künftig ein Teil der Aufgaben der Ramstein-Gruppe bei der Koordinierung der Ukraine-Hilfe unmittelbar auf die NATO übertragen werden, um sie „wenigstens logistisch“ von den politischen Verhältnissen in Washington abzukoppeln“ (sueddeutsche.de, 14.6.2024; „Vorbereitung auf einen Albtraum“). Das Trump’sche U-Boot innerhalb der EU steht schon bereit. Ab 1.7.2024 übernahm Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft und hat dafür ein ganz besonderes Motto ausgesucht: „Make Europe Great Again“. Es klingt für europäische Ohren wie Hohn, dürfte aber Donald Trump gefallen. Cathrin Kahlweit kommentiert dazu in der Süddeutschen Zeitung, diese Variation des Slogans von Donald Trump – „mag pompös und lächerlich klingen in ihrer Anbiederung an den Amerikaner. Aber Viktor Orban geht es immer um Wirkungsmacht, um Effekte, und dass er sich Trump zurückwünscht als US-Präsident, hat er längst ausreichend klargemacht. MEGA statt MAGA, das ist eine Provokation, es regt auf, und Orban steht gern im Mittelpunkt der Erregung – das haben er und Trump gemeinsam“ (sueddeutsche.de, 19.6.2024: „Der vermeintlich starke Mann aus Budapest ist angezählt“; Kommentar von Cathrin Kahlweit).
Doch die Amerikaner beschäftigen sich gegenwärtig mit anderen Fragen: Ist es denkbar, dass ein verurteilter Verbrecher (Felon) ins Weiße Haus gewählt wird? Oder: Wie wird sich das „Hush Money Urteil“ auf das Wahlergebnis auswirken? Thomas B. Edsall zitiert dazu in einem Kommentar der New York Times die auf den ersten Blick sonderbar erscheinenden Erkenntnisse der Wahlforscher und Wahlbeobachter: „Die Wähler wissen zwar, Trump ist ein korrupter Lügner, ein Narzisst und käuflich. Seine Unterstützer finden aber immer wieder einen Weg, ihn dafür nicht verantwortlich zu machen“.
Im April 2024 – noch ehe eine Jury in New York den früheren Präsidenten in 34 Anklagepunkten für schuldig befunden hatte – stellte YouGov den Wählerinnen und Wählern folgende Frage: „Glauben sie, dass jemand, der für eine Straftat verurteilt wurde, nicht Präsident werden sollte?“ Noch vor der Verurteilung Trumps sprachen sich viele Republikaner gegen einen Präsidenten aus, der als Verbrecher verurteilt wurde: 58 % stimmten gegen eine solchen Präsidenten, 17 % akzeptierten ihn und 25 % waren unentschieden. Nach Trumps Verurteilung war das Ergebnis völlig anders: 58 % akzeptierten einen verurteilten Präsident, 23 % akzeptierten ihn nicht und 23 % waren unentschieden.
Ein ähnliches Ergebnis gab es unter Republikanern zu der Frage: „Halten sie die Fälschung von Geschäftsunterlagen, um damit die Zahlung von Schweigegeld an eine Porno-Darstellerin zu verschleiern, für ein ernsthaftes Verbrechen?“ Im Juni 2023 und auch im April 2024 – vor der Jury-Entscheidung in New York – bezeichneten jeweils etwa 28 % der Republikaner dies als ein ernsthaftes Verbrechen. Im Juni 2024 – nach der Verurteilung Trumps – gaben nur noch 9 % der Republikaner diese Antwort. Thomas B. Edsall bezeichnete dies „als das übliche Verhalten der Trump-Unterstützer.“ Die Spenden-Einnahmen der Trump-Kampagne schossen nach der Verurteilung in die Höhe. Edsall zitierte dazu eine Frage des Politik-Analysten und Autors John Ganz: „Donald Trump ist nun ein verurteilter Verbrecher. Werden sich die Wähler darum scheren?“ Ganz bezweifelt dies und schreibt: „Vielleicht werden sich sogar diejenigen, die nicht zu den MAGA-Getreuen zählen und die Trump ambivalent betrachten, sich wenig darum scheren, dass Trump nun offiziell ein Krimineller ist. Und manche werden dies sogar attraktiv finden.“ Ganz hatte diese Gedanken bereits in den 1990er-Jahren in einem Essay mit dem Titel „Im Schatten des Mobs: Trumps Gangster-Gemeinschaft“ geäußert. „Wählerinnen und Wähler, die sich von Trump angesprochen fühlen glauben, dass das System – Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, politische Gleichheit – gescheitert sei … Trump spricht und handelt wie ein Mafiosi und versucht nicht einmal, dies zu verschleiern. Er hat sich immer wieder mit Al Capone verglichen“; und dazu schrieb die New York Times: „Nachdem sein Gerichtsverfahren zu Ende geht, hat sich Trump das Image eine Gesetzlosen zugelegt.“
Und nochmals John Ganz: „Trump bedeutet einen Systemschock. Seine Unterstützer erwarten von ihm nicht die gleichen ethischen Standards (wie von anderen). Er ist der Anti-Held, der Soprano, der „zerbrochene schlechte Kerl“, der schlechte Dinge tut, der all dies aber für sie tut, für die, die er vertritt.“ (Was für ein miserables Zeugnis für den Präsidentschaftskandidaten der GOP und für die Trump- Wählerinnen und Wähler!).
Im Bericht von Thomas B. Edsall vertieft Kabir Khanna, ein Analyst für CBS News dieses schlechte Urteil über die Trump-Unterstützer: Ihnen gefällt nicht, wie sich Trump benimmt aber sie geben ihm hohe Noten bei den Eigenschaften „hart“, „effektiv“, „energisch“, „konzentriert“ und „fachkundig“: Jeweils mit der Note „acht“ aus „zehn“. Lediglich bei „mitfühlend“ geben sie eine unterdurchschnittliche Benotung. „Acht von zehn“ sind der Meinung, er kämpfe für Leute wie sie“ (nytimes.com, 12.6.2024: „Trump Would Be Long Gone if Only We Could …“; Gastbeitrag von Thomas B. Edsall).
Ratschläge und Mahnungen an Biden – von Freunden
Nach Bidens verkorkstem Debatten-Auftritt am 27.6.2024 war die Wahlkampfsituation unübersichtlich. Die Frage, ob Joe Biden mit 81 Jahren eine weitere vierjährige Amtszeit als Präsident würde durchhalten können, wurde zum alles beherrschenden Medienthema. Beispielhaft will ich zwei Beiträge der New York Times darstellen:
Das Editorial vom 28.6.2024
Der NYT-Editorial Board kommt nach einer ausführlichen Betrachtung der Lage zu folgendem Schluss: „Der größte Dienst, den Mr. Biden leisten könnte, wäre anzukündigen, dass er seine Kampagne zur Wiederwahl nicht fortsetzen wird.“ Die Verfasser des Editorials beschreiben die Gefahren, die eine Wahl Donald Trumps für Amerika bedeuten würde: „Donald Trump hat sich als signifikante Gefahr für die Demokratie (Amerikas) erwiesen – eine sprunghafte, nur an sich selbst interessierte Figur, die das Vertrauen der Öffentlichkeit nicht verdient.“ Verwiesen wird auf das „Project 2025“, das ihn als Präsident ermächtigen würde, seine angekündigten extremen Vorstellungen und Bedrohungen zu realisieren. Sollte er ins Amt zurückkehren, würde er ein anderer Präsident sein, nicht gezügelt durch die Begrenzungen der Macht, die im amerikanischen System verankert sind.
Das Editorial greift die Aussage Bidens auf, er habe Trump 2020 schon einmal geschlagen und vermerkt dazu: „Mr. Biden ist nicht der gleiche Mann, der er vor vier Jahren war.“ Er habe bei der Debatte mit Trump am 27.6.2024 wie ein Schatten seiner Selbst gewirkt: „Selbst als er versuchte, seine politischen Vorstellungen zu erklären, stolperte er“ (nytimes.com, 28.6.2024; Editorial: „To Serve His Country, President Biden Should Leave the Race“).
Thomas L. Friedmans Bitte an den Freund
Auch der New York Times Journalist und Pulitzer-Preisträger Thomas L. Friedman – mit Joe Biden seit langem freundschaftlich verbunden – rät dem Präsidenten nach dem deprimierenden Debatten-Auftritt aus dem Rennen auszusteigen. Friedman bezeichnet diesen als einen „Herz zerbrechenden Moment in der Geschichte amerikanischer Wahlkämpfe um die Präsidentschaft.“
In Friedmans Meinungsbeitrag in der New York Times wird besonders deutlich, um was es den Freunden Bidens geht, die ihn zum Ausstieg bewegen wollen: Sie setzen ihn nicht aus biederen politischen Gründen unter Druck, etwa weil man einen Wahlkampf gewinnen will oder weil man an der Macht bleiben will. Ihnen geht es um die ernste Sorge um ihr Land; es sind die Befürchtungen, was mit der amerikanischen Gesellschaft und der amerikanischen Demokratie geschehen würde, sollte Donald Trump die Möglichkeit erhalten, auch nur einen Teil der angekündigten Dinge umzusetzen: Rache an den politischen Opponenten, Umbau der staatlichen Machtstrukturen, Schwächung des Systems von Checks and Balance und damit die Aushöhlung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Friedman nennt Trump einen böswilligen Mann und engstirnigen Präsidenten, der nichts gelernt und nichts vergessen hat. Er ist die gleiche Feuerspritze voll Lügen, die er immer war, besessen von seinem Groll – ohne die geringste Ahnung, was es braucht, um Amerika in das 21. Jahrhundert zu führen.“ Friedman stellt fest, dass Biden durch seinen Wahlsieg 2020 Amerika vor einer zweiten Amtszeit Trumps bewahrt hat und allein schon dafür die Medal of Freedom verdient hat. „Ein jüngerer Biden wäre die Führungspersönlichkeit gewesen in dieser Zeit großer Gefahren und Herausforderungen. „Aber die Zeit hat ihn eingeholt und dies wurde am Donnerstag (dem Tag der TV-Debatte) schmerzlich und unweigerlich klar…“. Er sollte seine Würde bewahren und die Bühne am Ende dieser Amtszeit verlassen“ (nytimes.com, 28.6.2024: „Joe Biden Is a Good Man and a Good President. He Must Bow Out of the Race“).
In Deutschland zitiert Der Spiegel diesen und weitere Beiträge amerikanischer Zeitungen, zum Beispiel die Zeitschrift Atlantic mit der Überschrift: „Time to Go Joe“. Seit Monaten, so der Spiegel sei Bidens Alter ein Thema, doch „seit Monaten werden alle Bedenken als Majestätsbeleidigung abgeschmettert. Neunzig Minuten reichten aus, um die gnadenlose Realität zu offenbaren: „Es ist höchste Zeit, dass der geliebte Opa den Führerschein abgibt. Doch wie sagt man ihm das?“ (Der Spiegel, Nr. 28 / 6.7.2024: „Die Biden-Dämmerung“).
Bidens Ablösung verläuft respektvoll
Die Situation war zu diesem Zeitpunkt für die Demokratische Partei total verfahren und Trumps Wahlsieg erschien nicht mehr aufhaltbar. Dies zeigten auch die Umfrageergebnisse vor und nach der TV-Debatte. Biden hatte zwar nach seiner gelungenen State of the Union Address am 7.3.2024 und nach der „Hush Money“ Entscheidung gegen Trump landesweit wieder gleichgezogen, doch Trump lag in den entscheidenden Swing States noch immer vor Biden.
Umfragezahlen zum 24.6.2024 (vor der TV-Debatte)
Trump Biden Kennedy
Wisconsin 42% 41% 9%
Michigan 42% 41% 8%
Pennsylvania 43% 41% 7%
Nevada 42% 37% 9%
Arizona 43% 38% 10%
Georgia 44% 37% 8%
North Carolina 44% 37% 8%
(Quelle: New York Times / The Morning nytdirect@nytimes.com, 25.6.2024: “Trump’s narrow lead”).
Bemerkenswert war, dass in der Führungsspitze der Demokratischen Partei keine große öffentliche Kandidatendebatte aufflammte. Es gab zwar Rückzugsempfehlungen verschiedener Kongressabgeordneter, auch verklausulierte Andeutungen, etwa von Nancy Pelosi, der früheren Sprecherin des Repräsentantenhauses. Doch erst nach dem Rückzug Bidens und dem raschen Aufstieg von Kamala Harris wurde klar, was intern bei den Demokraten abgelaufen war – eine strategische Meisterleistung.
So testete die Biden-Kampagne in aller Stille die Stärke der Vizepräsidentin im Vergleich zum früheren Präsidenten Trump. Die New York Times berichtete darüber am 11./25.7.2024 und bezog sich auf drei Mitarbeiter der Kampagne, die wegen der sensiblen Natur der Sache anonym bleiben wollten. Den tatsächlichen Grund für den Test teilten sie der NYT jedoch nicht mit. Die Zeitung vermutete zweierlei Gründe: Entweder um Biden darzulegen, dass die Weiterverfolgung der Kandidatur wenig Sinn macht oder aber, um zu belegen, dass Biden noch immer der stärkste Bannerträger der Partei ist. Die New York Times schrieb in ihrem Bericht über die internen Tests, es sei zwar die Rede von einer gewissen Erosion der Unterstützung für Biden aber auch, dass für das Rennen keine grundlegenden Notwendigkeiten für Veränderungen erkennbar wurden (nytimes.com, 11.7./25.7.2024: „The Embattled Biden Campaign Tests Kamala Harris Strength vs. Trump“).
Aus dem NYT-Berich war zweierlei zu schließen: Innerhalb der Biden-Kampagne herrschte im Vorfeld des Rückzugs große Unsicherheit. Man versuchte jedoch, alle Aspekte der zu treffenden Entscheidung professionell auszuleuchten.
Am Sonntag, 21.7.2024 gab Joe Biden den Rückzug von der Kandidatur bekannt und empfahl, Kamala Harris solle die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten werden.
Der Zeitraum zwischen der für Biden so misslungenen Debatte am 27.6.2024, der Aufgabe am 21.7. 2024 und bis nach dem Parteitag der Republikaner vom 15.- 18.7.2024 in Milwaukee erschien zunächst wie eine Wahlkampf-Hochphase für Donald Trump. Alles schien klar für seinen Wahlsieg am 5.11.2024. Doch bereits in dieser vermeintlichen Hochphase deutete sich Unheil für Trump an.
Die unsichere Zwischenphase für Donald Trump
In einem Bericht der Heilbronner Stimme wurde die Wahlkampf-Situation nach Bidens Rückzug zusammenfassend so beschrieben: „Donald Trump spottet nach dem Ausscheiden von Joe Biden über seinen demokratischen Konkurrenten – Republikaner strotzt vor Kraft.“ Trump verunglimpfte Biden als „schwachen alten Mann“ und „dummen Menschen“ … Es habe noch nie einen Präsidenten gegeben, der dem Land so viel Schaden zugefügt habe (Heilbronner ‚Stimme, 22.7.2024: „Ein gefundenes Fressen“).
Für manche Beobachter und wohl auch für Trump unerwartet war, dass es nach Bidens Rückzug bei den Demokraten keine chaotischen Diskussionen gab. Dafür wurde Trump auf einmal mit einer Frage konfrontiert, die bisher stets dem Konkurrenten gestellt worden war: Ist er fitt genug, um vier Jahre lang den härtesten Job der Welt durchzustehen?
Peter Baker, der erfahrene und für das Weiße Haus zuständige Chefkorrespondent der New York Times beschreibt diese Veränderung im Wahlkampf wie folgt: „Nachdem Mr. Biden aus dem Rennen ist, wurde die Altersfrage auf den Kopf gestellt. Mr. Trump ist nun die älteste Person, die sich je als Kandidat einer großen Partei für die Präsidentschaft beworben hat und – falls er gewinnt – wäre er mit 82 Jahren am Ende seiner Amtszeit der älteste Präsident in der Geschichte.“ Baker vermerkt, dass Trump – solange Biden der Konkurrent war – etwaigen Fragen nach seinen eigenen Fähigkeiten ausweichen konnte. Jedoch auch bei Trump macht sich das Alter bemerkbar. Er hat Nikki Haley und Nancy Pelosi verwechselt und hat mehrmals erklärt, er habe Barack Obama und nicht Hillary Clinton geschlagen.
Peter Baker erklärt, dass sich die Wählerinnen und Wähler zwar auch bisher mit dem Alter von Donald Trump beschäftigt haben, Umfragen hätten jedoch ergeben, dass sich bis dato die meisten um Biden Sorgen machten. Vor dessen Ausscheiden gaben 44 Prozent der registrierten Wähler an, Trump sei zu alt für die Präsidentschaft. Nach einer Umfrage von Morning Consult stieg dieser Prozentsatz im August auf 51 Prozent. Die Marquette Law School nannte hierzu sogar 57 Prozent (nytimes.com, 9.9./12.9.2024: „As Debate Looms, Trump Is Now the One Facing Questions About Age and Capacity“).
Donald Trump kannte zweifellos diese Entwicklung nach dem Ausscheiden Bidens, war jedoch über Wochen unsicher, wie er darauf reagieren sollte. Er testete längere Zeit, welchen abwertenden Spott- oder Schimpfnamen er Kamala Harris anhängen sollte. Inzwischen bezeichnet er sie als Kommunistin und Marxistin und nennt sie „Genossin Harris“. Ob er mit diesen alten Hüten noch Eindruck machen kann, ist offen. Der „Kommunistenjäger“ und Senator Joseph McCarthy aus Wisconsin war bereits in den 1950er-Jahren mit solchen Schlagworten unterwegs.
Die Trump’sch Hochphase und seine unsichere Zwischenphase überschneiden sich. Deshalb soll im Folgenden noch ein Blick auf diesen besonderen Zeitraum des Wahlkampfes geworfen werden.
Noch ein Blick zurück: Bis Milwaukee schien vieles gut für Trump
Die konservative Mehrheit des Supreme Court hat am 1.7.2024 eine Entscheidung verkündet, deren langfristige Auswirkungen nicht absehbar sind, jedoch Donald Trump frohlocken liessen: Der Präsident der Vereinigten Staaten genießt Immunität – kann daher strafrechtlich nicht verfolgt werden – wenn er im Kernbereich der Präsidentschaft (also im öffentlichen Bereich) tätig ist. Bei privaten Handlungen hat der Präsident keine Immunität. Geradezu makaber erscheint, dass das der Entscheidung zugrunde liegende Verfahren von einem früheren Präsident angestrengt wurde, der eine ganze Reihe von Strafverfahren, unter anderem im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Kapitol am 6.1.2021, am Hals hat. Sollte Donald Trump am 6.11.2024 zum Präsident gewählt werden, hätte er durch dieses Urteil des Supreme Court nicht nur einen Freibrief für bisher unvorstellbare Handlungen erhalten. Die zur Minderheit der Richter des Supreme Court zählende Richterin Sonia Sotomayor stellte zur Entscheidung ihrer konservativen Kollegin und Kollegen fest: Indem der Supreme Court dem Präsidenten weit reichende Straffreiheit zugesteht, sei dieser fortan „ein König, der über dem Gesetz steht.“ Sotomayor nennt Beispiele, für die der Präsident künftig Straffreiheit genießt: „Er befiehlt dem Seal Team 6 der Navy, einen politischen Rivalen umzubringen? Immun. Er organisiert einen Militärcoup, um an der Macht zu bleiben? Immun. Er nimmt Bestechungsgeld an im Tausch gegen eine Begnadigung? Immun“ (sueddeutsche.de, 2.7.2024: „Weg frei für King Trump?“)-
Diese Entscheidung des Supreme Court wurde in Fachkreisen heftig diskutiert und kritisiert. Zweifelhaft ist bei all dem, dass es in der breiten Öffentlichkeit in Amerika keine große Beachtung findet und damit auch die kommenden Wahlen nicht entscheiden wird, so wie etwa das Urteil des Supreme Court vom 24.6.2022, mit dem das Recht auf Abtreibung aufgehoben wurde. Jenes Urteil trug dazu bei, dass die Demokraten 2022 die Mehrheit im Senat gewinnen konnten. Das Immunitätsurteil entfaltete bisher keine öffentliche Wirkung.
Ein Attentatsversuch auf Donald Trump
Am 13.7.2024 verübte ein 20 Jahre alter Mann in der Kleinstadt Butler in Pennsylvania einen Mordanschlag auf Donald Trump. Dieser wurde am rechten Ohr verletzt. Das Foto – Trump mit blutverschmiertem Gesicht und erhobener Faust – wird eines Tages in den Geschichtsbüchern der USA zu finden sein (Heilbronner Stimme, 15.7.2024: „Acht Kugeln, eine Faust nach oben“).
„Während Amerika und die Welt noch immer entsetzt sind über den versuchten Mordanschlag auf den früheren US-Präsidenten Donald Trump, sind sich die politischen Beobachter weitgehend einig: Trump dürfte gestärkt aus den Ereignissen des Wochenendes hervorgehen“ (Heilbronner Stimme, 16.7.2024: „Ein Attentat, das alles verändert“).
Präsident Biden erklärte nach dem Attentatsversuch, der Angriff sei „krank“. So etwas dürfe „keinen Platz in Amerika“ haben. Biden rief Trump an und sprach ihm seine Anteilnahme aus. Die Biden-Kampagne zog alle TV-Spots zurück, die zu dem am 15.7.2024 beginnenden Parteitag der Republikaner in Milwaukee geplant waren (Heilbronner Stimme, 15.7.2024: „Acht Kugeln, eine Faust nach oben“).
Auch Donald Trump schien dieses lebensbedrohliche Erlebnis zum Nachdenken über die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft veranlasst haben. Zu Beginn seiner Parteitagsrede am 18.7.2024 sprach er staatsmännisch und mahnend: „Die Zwietracht und Spaltung in unserer Gesellschaft muss geheilt werden. Wir müssen sie rasch heilen. Als Amerikaner sind wir verbunden durch eine einmalige Bestimmung und ein gemeinsames Schicksal. Wir steigen zusammen auf . Oder wir fallen auseinander. Ich kandidiere um die Präsidentschaft für ganz Amerika, nicht nur für die Präsidentschaft für das halbe Amerika, denn es wäre kein Sieg nur das halbe Amerika zu gewinnen…“ (nytimes.com, 19.7.2024: „Read the Transcript of Donald J. Trump’s Convention Speech“).
Diese Worte klangen nicht nach Donald Trump. Das Beraterteam hatte sie ihm wahrscheinlich ins Manuskript geschrieben: Staatsmännisch formuliert für den Kandidaten um die Präsidentschaft für das ganz Amerika. Doch Trump hielt dieses staatsmännische Versprechen nicht einmal bis zum Schluss seiner Rede an die Delegierten in Milwaukee durch. Thomas Spang beschreibt den Rückfall in die gewohnte Rolle des aggressiven Wahlkämpfers so: „Er wich immer wieder vom Teleprompter ab um ein „Best-Off“ aus seinen gewöhnlich polternden Wahlkampfreden einzubauen“… Etwa als er sich Joe Biden mit der Aussage vorknöpfte: Wenn man die zehn schlechtesten Präsidenten in der Geschichte zusammennähme, „haben die nicht soviel Schaden angerichtet, wie Biden.“
Thomas Spang fasst den 91 Minuten dauernden Auftritt Trumps am 18.7.2024 in Milwaukee so zusammen: „Und es drängt sich der Eindruck auf, dass sich trotz der dramatischen Ereignisse der vergangenen Wochen nicht viel verändert hat. Statt eines Heilers erlebte die Welt die politische Heiligsprechung eines Hetzers“ (Heilbronner Stimme, 20.7.2024: „Die Wandlung entpuppt sich als Show“).
Auch im Bericht der New York Times wird Trumps Versuch, staatsmännisch aufzutreten, angezweifelt: „Selbst diese Rede, die den Beginn einer neuen Botschaft aufzeigen sollte, zeigte Trumps Probleme mit der Disziplin. Er hielt sich zunächst an das Manuskript. Aber mit fortschreitender Zeit und nach mehr als einer Stunde konnte er sich nicht mehr zügeln und verfiel wieder in die unzusammenhängenden Hetzreden, die er seit langem praktizierte. Nancy Pelosi war wieder die „crazy Nancy“, Amerika beschrieb er als „Nation im Niedergang“, die von der „größten Invasion in der Geschichte“ bedroht wird.
In der New York Times wird die „Trump-Wende“ bezweifelt, denn dazu bedürfe es mehr als eine 90 Minuten dauernde Rede (nytimes.com, 19.7.2024: „Trump Struggles to Turn the Page on ‚American Carnage’“).
Die Zweifel waren berechtigt. Bei seiner ersten Kundgebung nach dem Attentatsversuch – am 20.7.2024 in Grand Rapids, Michigan – war Trump wieder voll und ganz im alten Fahrwasser: Er bezweifelte die Intelligenz von Präsident Biden und bezeichnete ihn mehrmals als „dumm“, beschrieb Kamala Harris als „verrückt“ und freute sich diebisch über die Diskussion der Demokraten über Bidens politische Zukunft. Die New York Times beschrieb die Rede Trumps in Grand Rapids als letzten Beweis dafür, dass der Attentatsversuch wenig zur Änderung seiner Aussagen beigetragen hat. Nach dem einmaligen Ruf nach Einheit bei seiner Parteitagsrede sei er zum Standardrepertoire seiner Kundgebungen zurückgekehrt (nytimes.com, 20.7.2024: „A Week After Shooting, Trump Leaves Unity Behind and Returns to Insult and Election Denial“)..
„Nationale Einheit“ wollte oder konnte Trump nicht leisten, doch die Instrumentalisierung des Attentatsversuchs gelang ihm großartig. Im Rahmen seiner Parteitagsrede sagte er, dass ihn viele Leute gefragt hätten, was da passiert sei. „Und deshalb will ich genau schildern, was geschehen ist und ihr werdet die Geschichte von mir kein zweites Mal hören, weil sie zu schmerzlich ist um erzählt zu werden.“ Und dann folgte in der Rede Trumps, die eigentlich dazu bestimmt war, die ihm übertragene Nominierung zum Präsidentschaftskandidat anzunehmen, eine Reportage mit vielen Details des Attentatsversuchs samt der Erklärung, warum es so stark blutet, wenn man am Ohr verletzt wird. „Kugeln flogen über uns aber ich war gelassen. Aber dann begaben sich die Beamten des Secret Service in Lebensgefahr. Sie standen in sehr gefährlichem Territorium. Kugeln flogen über sie hinweg und verfehlten sie um Bruchteile eines Inch. Und dann hörte alles auf. Aus großer Entfernung und mit nur einer Kugel beendete der Scharfschütze des Secret Service das Leben des Attentäters. Schaltete ihn aus“ (nytimes.com, 19.7.2024: „Read the Transcript of Donald J. Trump’s Convention Speech“; (Auszüge aus Trumps Schilderung des Attentatsversuche). Staatsmännisch war diese Rede nicht, doch die Delegierten der Party Convention in Milwaukee erlebten ganz großes Theater. Dazu sagte der Psychotherapeut und Bestseller-Autor Reinhard Haller: Donald Trump zelebriert den Narzissmus in einer geradezu lehrbuchartigen Weise. Nun wird dieses Bild noch um eine Facette erweitert: Trump wird als Überlebender dieses Attentats von seinen Anhängern als Unverwundbarer gefeiert, als einer, der von Gott berufen sein muss“ (sueddeutsche.de, 18.7.2024: „Trump zelebriert den Narzissmus in einer geradezu lehrbuchartigen Weise“; Interview von Christian Mayer und Katharina Riehl mit dem Psychiater Reinhard Haller).
Auf seiner Website postete Trump, wie er das Attentat interpretiert haben will: „Es war allein Gott, der verhinderte, dass das Undenkbare geschah.“ Die New York Times vermerkt zu diesem Post: „Nicht alle Trump-Unterstützer fühlten sich bei dieser spirituellen Erzählung wohl. Doch viele sahen in diesem Geschehen den Beweis, dass eine höhere Macht über Trump wacht. Der Pfarrer Nathaniel Thomas, ein Delegierter auf dem Parteitag und Pfarrer aus der Gegend von Washington D.C. sagte: „Dies war nicht nur bloßes Glück. Ich sehe darin den Schutz Gottes“ (nytimes.com, 16.7.2024: „After Saturday, Trump’s Devotees See ‚God’s Protection’“).
In einem Bericht der Heilbronner Stimme werden Parteifreunde Trumps zitiert, die ihm früher kritisch bis ablehnend gegenüberstanden, ihm inzwischen jedoch treu ergeben sind:
Ted Cruz, Senator aus Texas, der 2016 mit Trump um die republikanische Präsidentschaftskandidatur heftig stritt, sagte in seiner Ansprache in Milwaukee: „Lasst mich damit beginnen, Gott dem Allmächtigen zu danken, dass er Präsident Trump geschützt hat.“ Ron DeSantis, der Gouverneur von Florida, den Trump im Vorwahlkampf „Ron den Scheinheiligen“ genannt hatte, sagte: „Er ist angeklagt worden. Er ist verfolgt worden. Und er hat beinahe sein Leben verloren. Wir können ihn nicht im Stich lassen.“ Und auch Nikki Haley, die letzte Widersacherin im Vorwahlkampf – Trump hatte sie als „Spatzenhirn“ verhöhnt – schwor ihm in Milwaukee noch einmal die Treue und sagte volle Unterstützung zu (Heilbronner Stimme, 18.7.2024: „Alle huldigen Trump“). Allerdings klang die Botschaft Haleys an ihre früheren Unterstützer nicht gerade begeistert: „Meine Botschaft an Sie ist einfach. Ihr müsst nicht 100 Prozent mit Trump übereinstimmen, um ihn zu wählen.“ In der Süddeutschen Zeitung wird erklärt, warum die früheren Kombattanten, wie etwa Haley und DeSantis, nun vor Trump auf die Knie gehen: „Wollen sie eine politische Zukunft, müssen sie sich jetzt mit Donald Trump gut stellen“ (sueddeutsche.de, 17.7.2024: „Die letzten Abweichler küssen Trumps Ring“).
Thomas Spang überschrieb seinen Kommentar in der Heilbronner Stimme mit einem einzigen Wort: „Heiligsprechung“ und schrieb unter anderem: „Konservativ ist an den Republikanern fast nichts mehr. Ihr neues Programm heißt Donald Trump“ … Seit dem gescheiterten Attentat auf Trump kennt der Personenkult um ihn kein Halten mehr“ Heilbronner Stimme, 18.7.2024: „Heiligsprechung“; Kommentar von Thomas Spang).
In diesen Tagen – während die Republikaner in Milwaukee in Hochstimmung ihrem Kandidaten Donald Trump zujubelten und sich vollkommen sicher waren, das dieser der nächste Präsident sein werde – sank die Stimmung bei den Demokraten und der Biden-Kampagne auf einen Tiefpunkt. Bereits am 4.7.2024 hatte die New York Times berichtet, dass Bidens Umfragewerte gegenüber Trump seit der verkorksten Debatte am 27.6.2024 um 6 Punkte gefallen waren (New York Times – The Morning – nytdirect@nytimes.com, 4.7.2024: „Bad to worse“). Hinzu kam, dass Biden – geradezu zur Unzeit – an Covid erkrankte (sueddeutsche.de, 18.7.2204: „Biden erkrankt vor Vorentscheidung an Covid“).
Rückblickend wird klar, wie sehr Joe Biden in diesen Tagen intern gedrängt wurde, das Feld zu räumen. In einem Interview deutete er erstmals die Möglichkeit seines Rückzugs an: Wenn die Ärzte sagen „Sie haben dieses oder jenes Problem“, sei er offen, aus dem Rennen zu scheiden (Heilbronner Stimme, 19.7.2024: Donald Trump triumphiert, Joe Biden steht vor dem Aus“)
Running Mate JD Vance – Trumps Ebenbild
Vom republikanischen Parteitag in Milwaukee ist noch zu berichten, dass Donald Trump den Senator aus Ohio, JD Vance, am 15.7.2024 als sein Running Mate – Kandidat für die Vizepräsidentschaft – bekannt gegeben hat. Bei der Auswahl für dieses Mandat spielt in der Regel eine wesentliche Rolle, mit diesem Kandidaten Wählergruppen anzusprechen, die der Präsidentschaftskandidat selbst nicht oder nur schwer erreicht. Bei der Auswahl von Mike Pence zielte Trump 2016 auf die evangelikalen Christen im Land. Außerdem brachte Pence als früherer Kongressabgeordneter und als Gouverneur von Indiana Insider-Erfahrungen aus Washington und Regierungspraxis mit, die dem unerfahrenen Trump seinerzeit völlig fehlten.
Solche wahltaktischen Gründe spielten bei der Auswahl von Vance offenbar keine entscheidende Rolle. Bei dessen Auswahl – Vance ist 40 Jahre alt – ging es Trump um die Bewahrung seines politischen Erbes und um die künftige MAGA-Ausrichtung der Republikanischen Partei. „Sollte Trump gewinnen, wäre Vance aufgrund seiner „Jugendlichkeit“ und seiner kurzen Amtszeit in Washington – er ist erst sei 2 Jahren Mitglied des Senats – Kamala Harris ähnlicher als allen anderen Vizepräsidenten der letzten Zeit. Trump würde als der erfahrene Mentor auftreten. Vance als der junge Lehrling“, schreibt Matthew Continettu, Journalist, Autor und Fellow am American Enterprise Institute (JPG, 18.7.2024: „Vanci, Vidi, Vici“).
Wie manch anderer heutiger Trump-Fan stand JD Vance seinem heutigen Chef vor noch nicht allzu langer Zeit sehr kritisch gegenüber. Er nannte Trump einen „Idioten“ und „gefährlich“ (sueddeutsche.de, 16.7.24: „Der Hillbilly an Trumps Seite“). In der Heilbronner Stimme wird der frühere Vance mit der Aussage zitiert: „Ich kann Trump nicht ausstehen“ und in einer Facebook-Nachricht wunderte er sich darüber, „ob Trump bloß ein zynisches Arschloch oder Amerikas Hitler ist“ (Heilbronner Stimme, 17.7.2024: „Bedingungslos loyal“). Die Metamorphose von JD Vance zum absoluten Trump-Fan ist inzwischen abgeschlossen. Er legte eine Totalwende hin und entschuldigte sich öffentlich bei Trump.
Continetti vermerkt dazu: „Trump scheint Vances persönliche Entwicklung vom einstigen Gegner zum loyalen Partner zu schätzen. Vance zeigt den Eifer eines zum Trumpismus Bekehrten, und es ist unwahrscheinlich, dass sein Posten als Vizepräsident zukünftig als Einfallstor für einwanderungsfreundlichere oder interventionistische Republikaner dienen kann. Er verteidigte Trumps Verhalten nach der Wahl 2020 und sieht inzwischen die Feinde des Ex-Präsidenten als seine eigenen an.“
In einem Interview für die New York Times stellte die Journalistin Lulu Garcia-Navarro JD Vance fünfmal die Frage, ob Donald Trump die Wahl 2020 verloren hat. Vance hat fünfmal hintereinander ausweichend geantwortet. (nytimes.com, 11.10.2024: „Vance, Given 5 Chances to Say Trump Lost in 2020, Takes None“). Die gleiche Frage hat bei der TV-Debatte der beiden Running Mates – Walz und Vance – ebenfalls eine Rolle gespielt. Darüber soll an anderer Stellt berichtet werden.
Nach Dutzenden Veranstaltungen und mehr als 70 Interviews als Trumps „Wadenbeißer“ ist JD Vance seinem Boss inzwischen lieb und teuer geworden und dies, obwohl die Amerikaner insgesamt weniger begeistert sind, beschreibt die New York Times das Verhältnis von Trump zu seinem Vize-Kandidaten. Mit giftigen Aussagen hat Vance versucht, sich politisch noch weiter rechts als Trump zu positionieren. Er darf aussprechen, was Trump (noch) nicht sagt. Wenig Beifall erhielt er von den Wählerinnen in Amerika, als ein Interview auftauchte, das er 2021 Fox News, dem „Haussender“ der Republikaner gegeben hatte und er sich über die vielen „kinderlosen Katzen-Ladys“ („childless cat ladies“) in den amerikanischen Führungseliten beklagte – Kamala Harris mit eingeschlossen (nytimes.com, „JD Vance’s Combative Style Confounds Democrats but Pleases Trump“).
In einem ausführlichen Bericht des „Spiegel“ wird das politische Weltbild von Vance näher beschrieben; „Faschist ist der maximale Vorwurf in diesen Tagen. Aber es gibt keinen Zweifel daran, dass sich Vance in der Vorstellung eines Kampfes zwischen Gut und Böse eingerichtet hat, der kein Pardon mit dem politischen Gegner erlaubt. Vance sagte, es gebe eine wachsende Bewegung innerhalb des konservativen Lagers, der es nicht genüge, die Partei der Demokraten in den USA einfach nur zu bekämpfen. „Wir wollen vielmehr eine alternative Vision entwickeln.“ Diese sei „pro demokratisch aber antiliberal“ („Der Spiegel“, Nr. 33/10.8.2024: „Der Systemsprenger“).
All dies klingt wie Viktor Orbans Vorstellung von der „illiberalen Demokratie“. Der amerikanische Weg dahin wird in dem umfangreichen „Project 2025“ beschrieben, über das Trump in letzter Zeit nur wenig spricht. Sollte er am 5.11.2024 gewählt werden, wäre JD Vance wohl einer der ständigen Pendler zwischen Washington und Budapest mit dem Ziel, die Umgestaltung, wenn nicht gar die Schleifung von NATO und EU auszutüfteln.
Am 21.7.2024 der Paukenschlag: Biden zieht zurück
Am Sonntag, 21.7.2024 teilte Präsident Joe Biden der amerikanischen Öffentlichkeit mit, dass er aus dem Rennen um die Präsidentschaft aussteigt: „Es war die größte Ehre meines Lebens, Ihr Präsident gewesen zu sein. Und obwohl es meine Absicht war, mich wieder wählen zu lassen, glaube ich, dass es im besten Interesse meiner Partei und des Landes ist, mich zurückzuziehen und für den Rest der Amtszeit voll auf meine Aufgaben als Präsident zu konzentrieren“ (sueddeutsche.de, 21.7.2024: „Bidens Erklärung im Wortlaut“).
In einer 11-minütigen Erklärung am 24.7.2024 aus dem Oval Office begründete Biden seine Entscheidung. Er beschrieb die Herausforderungen und Gefahren, vor denen das Land steht, nicht zuletzt zum Schutz der Demokratie: „Wir müssen zusammenstehen, um sie zu schützen.“ Ein Kernsatz der Erklärung lautete: „Ich habe beschlossen, dass es der beste Weg vorwärts ist, die Fackel an eine neue Generation zu übergeben. Dies ist der beste Weg, unsere Nation zu einen.“
Teile von Bidens Erklärung klangen wie eine vorgezogene Abschiedsrede. Er nannte eine Reihe von Gesetzen und Regelungen, die während seiner Amtszeit verabschiedet wurden. So etwa das Klimaschutzgesetz und das erste wesentliche Waffenkontrollgesetz der letzten 30 Jahre. „Wir sind heute die stärkste Wirtschaft der Welt; 16 Millionen neue Jobs wurden geschaffen … Die Zahlen bei den schweren Verbrechen liegen auf einem 50-jährigen Tiefpunkt …“.
Seine körperliche und geistige Fittness sprach der Präsident nicht an, erklärte aber, seinen Job als Präsident zu Ende zu führen. Er dankte ausdrücklich der „großartigen Vizepräsidentin Kamala Harris“ und sprach sich nochmals für deren Präsidentschaftskandidatur aus: „Sie hat Erfahrung. Sie ist stark, sie ist fähig. Sie war mir eine unglaubliche Partnerin und eine Führungspersönlichkeit für unser Land.“
Abschließend sprach Biden voll Stolz über das Land. Ohne Trumps Namen zu erwähnen war durchaus zu erkennen, an wen er dabei ganz besonders dachte: „Das Großartige an Amerika ist, hier regieren keine Könige und Diktatoren – hier regiert das Volk. Die Geschichte liegt in euren Händen. Die Macht liegt in euren Händen. Ihr müsst weiter daran glauben – haltet daran fest – und denkt daran wer wir sind. Wir sind die Vereinigten Staaten von Amerika..“.
(Quellen: nytimes.com, 24.7.2024: „Full Transcript of Biden’s Speech on Ending His Run for Re-election”; nytimes.com, 24.7.2024: Biden Says It Is Time to Step Aside for a Fresh, Younger Voice”).
Wie die Entscheidung reifte – Stimmen danach
In einem umfangreichen Bericht beschreiben mehrere Journalisten der New York Times, wie im engen Umfeld von Joe Biden die Entscheidung zum Ausstieg reifte. Es würde den Rahmen dieser Darstellung sprengen, alle Details dieses Prozesses darzustellen. Rückblickend kann man sagen: Es war eine politisch-taktische Meisterleistung, das dieser Prozess weitgehend intern ablief. Dicht gehalten hat sowohl der engste Beraterkreis um Biden als auch das Führungspersonal der Demokratischen Partei bis Biden selbst die Entscheidung getroffen hatte. Forderungen nach Aufgabe der Kandidatur wurden zwar auf unteren Parteiebenen öffentlich diskutiert. Es gab jedoch keine Schlammschlacht und keine tiefen Verletzungen. Dadurch konnten die Demokraten auf ihrem Parteitag in Chicago Joe Biden einen großartigen und respektvollen Abschied bereiten.
Die New York Times beschreibt den Entscheidungsprozess so: „Über Wochen zeigten die Umfragen, dass die Mehrheit der Wähler dringend nach einer anderen Wahlmöglichkeit verlangten. Tag um Tag riefen ihn demokratische Abgeordnete auf, zur Seite zu treten mit der Begründung, er könne nicht gewinnen. Spender stoppten das Einsammeln von Geld und hörten auf, Geld zu spenden. Hollywood-Berühmtheiten und liberale TV-Größen widerriefen ihre Wahlempfehlungen …“.
Menschen im engen Umfeld von Biden berichten, er habe (lange) geglaubt, er könne die zweite Amtszeit gewinnen. „Doch schließlich kam er zu der Erkenntnis, dass dieser Kampf die Demokratische Partei zerreißen würde; die Partei, der er sein ganzes Leben gedient hat.... Über mehr als drei Wochen beharrte Mr. Biden darauf, im Rennen zu bleiben.“ Er sagte, nur „Gott der Allmächtige“ könnte ihn zur Aufgabe bewegen.
Am Samstag Abend, (20.7.2024) gab es eine Überraschung: Er glaubte noch immer an einen Sieg, erkannte aber, was der Demokratischen Partei geschehen würde, falls er weiterkämpft. An diesem Samstag stellte Biden seinen Beratern die Frage: „Falls wir es tun, wie würden wir es begründen?“ (nytimes.com, 15.8.2024: „Inside Biden’s Decision to Drop Out of the 2024 Election”). „Am Schluss war er allein”, steht im Bericht der New York Times.
Nachdem er am 21.7.2024 seine Entscheidung öffentlich gemacht hatte, ging neben überwiegender Zustimmung so etwas wie Erleichterung durchs Land. Die vorherrschende und überwiegend pessimistische Grundstimmung verflog und es keimte so etwas wie neue Zukunftshoffnung. Dies zeigte sich nicht zuletzt an den der Höhe der Spendeneingänge für die Harris-Kampagne. Sie hat innerhalb einer Woche 200 Mio. Dollar eingesammelt (nytimes.com, 28.7.2024: „Harris-Campaigne Says It Raised $ 200 Million Since Biden Dropped out“).
Sowohl in den USA als auch darüber hinaus wurde Bidens Entscheidung mit Anerkennung und Respekt kommentiert. Die New York Times bezeichnete die Entscheidung in einem Editorial als mutig. „Mr. Biden hat getan, was Mr. Trump nie tun würde; Er stellte die Interessen der Nation über den eigenen Stolz und Ehrgeiz.“ Dazu wurden die Verdienste Bidens für das Land herausgestellt: Mr. Biden hat der Nation als Präsident gut gedient. Mit der Entscheidung, am Ende seiner Amtszeit abzutreten, erhöht er die Chancen seiner Partei, die Nation vor der Gefahr einer Rückkehr Trumps in die Präsidentschaft zu bewahren“ (nytimes.com, 21.7.2024; Editorial: „Biden Made a Courageous Choice. Democrats Must Seize the Opportunity“).
Verständlicherweise zollten auch die Demokraten Joe Biden großen Respekt. Hakeem Jeffries, der Vorsitzende der Demokraten im Repräsentantenhaus, schrieb auf „X“, die USA seien ein besserer Ort, „weil Präsident Joe Biden uns mit Intelligenz, Anmut und Würde geführt hat. Wir sind ihm ewig dankbar.“ Barack Obama bezeichnete den Rückzug als eine der schwierigsten Entscheidungen in Bidens Leben. „Aber ich weiß, dass er diese Entscheidung nicht treffen würde, wenn er nicht glauben würde, dass sie für Amerika richtig ist.“ Obama nannte Biden einen „Patriot von höchstem Rang“ (sueddeutsche.de, 22.7.2024: „Scholz: „Biden verdient „Anerkennung“).
Einen würdigen Abschiedskommentar für Joe Biden schrieb Hubert Wetzel in der Süddeutschen Zeitung:
„Hier geht ein Mann, der vermutlich der letzte überzeugte Transatlantiker war, den es in Washington noch gab. Die Ära, in der die Europäer sich darauf verlassen konnten, dass in Washington jemand regiert, der bei allem gelegentlichen Streit den Wert des transatlantischen Bündnisses kennt und es nicht in Gefahr bringt ist vorbei.“
Im Kontrast dazu beschreibt Wetzel das Trump’sche Katastrophenprogramm und macht damit deutlich, was auf Europa mit einem Präsidenten Donald Trump zukommen könnte: „Seine Sicht auf Europa und das transatlantische Bündnis sei bekanntermaßen in etwa so hell und freundlich, wie das Innere eines Sacks Grillkohle. Ihn interessiert Europa nur insoweit, als dass er in Schottland einen echten Golfplatz besitzt und zudem die NATO für eine Art Golfclub hält, der ihm auch gehört, bei dem die Mitglieder aber ihre Beiträge nicht bezahlen. Die Opfer, die seine Landsleute einst dafür gebracht haben dass die Europäer in Freiheit und Frieden leben können, sind Trump egal …“ (sueddeutsche.de, 26.7.2024: „Einen wie Joe Biden wird es wohl nicht noch einmal geben“).
Der rasche Aufstieg der Kamala Harris
Am 21.7.2024 gab Joe Biden auf und empfahl Kamala Harris, die bisherige Vizepräsidentin, als Kandidatin der Demokraten für die Präsidentschaft. Am 24.7.2024 erklärte er die Gründe für diesen Schritt. Entscheidend für den raschen Aufstieg von Harris war, dass niemand aus der Partei den Hut in den Ring warf. Die New York Times beschreibt, wie Harris die Initiative übernahm. Sie führte am Sonntag, 21.7. 2024 mehr als 100 Telefongespräche mit Persönlichkeiten der Demokratischen Partei, mit Führungskräften der Gewerkschaften und nahe stehenden Organisationen, mit Führungsleuten im Kongress und in den Bundesstaaten und warb um Unterstützung. Die bisherige Biden-Kampagne nannte sich fortan „Harris for President“und ermöglichte den sofortigen Zugriff auf den Account, der Ende Juni 2024 96 Mio. Dollar betrug. Die Führung der bisherigen Biden-Kampagne informierten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass sie nun für Mrs. Harris arbeiten würden. Joe Biden sprach am Sonntag, 21.7.2024 sein Endorsement für Harris aus. Bill und Hillary Clinton und andere Persönlichkeiten folgten. Diese rasche Akzeptanz trug zweifellos dazu bei, dass sich keine weiteren Bewerber meldeten. „Viele Demokraten empfanden ein deutliches Gefühl von Enthusiasmus und Erleichterung.“ Donald Trump – 78 Jahre alt – stand nun gegen eine Kandidatin, die Jahrzehnte jünger war als er (nytimes.com, 21./23.7.2024: „Kamala Harris Rapidly Picks Up Democratic Support as 2024 Race Is Reborn“).
Bis zum Beginn des Parteitags der Demokraten am 19.8.2024 in Chicago war alles in trockenen Tüchern. So blieb Harris eine womöglich kontroverse Kandidatendiskussion erspart, die im schlimmsten Fall den Parteitag ins Chaos hätte stürzen können. Die Demokraten führten eine Online-Abstimmung durch, die bis 22.7.2024 lief und bereits nach wenigen Tagen hatte Harris die erforderliche Stimmenzahl für die Kandidatur erreicht. Es kamen Wahlempfehlungen für Harris aus der gesamten Führungsriege, zum Beispiel von Barack und Michelle Obama und anderen. Obama sah seine Rolle darin, die Partei rasch zu einen, sobald die Kandidatur klar war. Er war 2008 zum ersten schwarzen Präsident der Vereinigten Staaten gewählt worden. Ähnlich wie er hatte auch Kamala Harris Barrieren überwunden. Sie war in Kalifornien die erste schwarze Frau im Amt der Justizministerin und später die zweite schwarze Senatorin. Sollte sie zur Präsidentin gewählt werden, wäre sie die erste schwarze Präsidentin und die erste Person mit Wurzeln in Süd-Asien im Weißen Haus (nytimes.com, 26.7.2024: „Election Live Updates: Obama Endorses Harris, as Trump Prepares to Meet With Natanyahu“).
Lydia Polgreen, eine schwarze Meinungskolumnistin bei der New York Times, beschreibt Harris’ multi-talentierte Identitäten – schwarz, indisch, jamaikanisch, weiblich, amerikanisch – als eine Quelle ungewöhnlicher Stärke. Sie hatte 2020, bei ihrem ersten Versuch die Kandidatin der Demokraten zu werden noch nicht die volle Sympathie von Lydia Polgreen gewonnen. Inzwischen hat diese die Auftritte und Aussagen von Harris genauer verfolgt und am Morgen nach dem furchtbaren Debatten-Auftritt von Biden kam Polgreen zu dem Schluss: Harris sollte an der Spitz der Liste der Demokraten stehen; sie könnte Trump schlagen (nytimes.com, 27.7.2024: „I Was a Kamala Harris Skeptic, Here’s How I Got Coconut-Pilled“). Ähnlich muss es vielen anderen Leuten in Amerika gegangen sein.
Nach der Nominierung von Kamala Harris gab es nicht nur innerhalb der Demokratischen Partei große Erleichterung im Land wich die Lethargie, die sich zuvor ausgebreitet hatte. Den Wählerinnen und Wählern wird nun eine echte Alternative geboten: Nun steht er Donald Trump als alter, weißer Mann allein auf weiter Flur“, konstatierte Thomas Spang in der Heilbronner Stimme und fügte an: „Das lässt die Strategie von Donald Trump, Biden als verwirrten Tattergreis zu karikieren, implodieren. Mit der zwanzig Jahre jüngeren Harris geht das nicht. Im Gegenteil sagen laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos sechs von zehn Amerikaner, der „America First“- Kandidat sei zu alt“ (Heilbronner Stimme, 24.7.2024: „Wahl der Kontraste“). Die Demoskopen sehen zwar noch immer ein äußerst enges Rennen, doch das Momentum hat sich zu Gunsten von Harris gedreht. Der Spiegel hatte zunächst bei Harris eine „Euphorie des Anfangs“ gesehen, doch die scheint sich verfestigt zu haben (Spiegel Nr. 31 / 27.7.2024: „Euphorie des Anfangs“).
Donald Trump ist unsicher geworden und zieht mit wüsten persönlichen Angriffen auf Harris durchs Land. Am 19.9.2024 meldete CNN, dass die Mehrheit der Wähler in den Swing States zwar Trump mehr Kompetenz beim Thema Migration zuschreibt, dass Harris jedoch insgesamt in Michigan und Pennsylvania vorn liegt. Im Wahlkampf geht es inzwischen vor allem darum, die Wählerinnen und Wähler in die Wahllokale zu bringen. Donald Trump nutzt dazu die ihm eigene Sprache: „Hebt euren A…. hoch und geht wählen!“
Ich will ein Beispiel der Harris-Euphorie aus Deutschland zitieren, wo man weiß, dass bei der US-Wahl auch über die Zukunft Europas entschieden wird und wo vor allem die Sprüche Trumps über die NATO und die EU registriert werden, die erkennen lassen, was bei der Wahl am 5.11.2024 – außer der Zukunft der USA – noch auf dem Spiel steht. Peter Burkhardt beschreibt die neue Situation in Amerika in der Süddeutschen Zeitung ausführlich und treffend:
„Auf einmal stehen die Demokraten alle hinter einer Frau, die als Vizepräsidentin fast vergessen worden war. Der Stimmungswandel zeigt, wie unglücklich die Partei mit dem Bewerber Biden war. Allerdings lugt hinter der Showbühne die Frage hervor, was Kamala Harris und ihr Begleiter Tim Walz zu bieten haben …
„Fürs erste haben die Demokraten nicht nur ihren Optimismus wieder belebt, sondern den aller Menschen, die Trumps Comeback und das Ende der amerikanischen Demokratie fürchten. Mitte Juli trat der Mann wie der sichere Sieger auf, er hatte soeben sogar ein Attentat überlebt. Nun löst die Demokratin Harris weithin Euphorie aus, auch wenn ihre Schlussrede am Tag vier des Kongresses nicht annähernd so brillant war, wie an Tag zwei die von Michelle Obama …
„Change, Freedom, Hope, Joy – Wandel, Freiheit Hoffnung, Freude. Das klingt nach Obama, es klingt wunderbar, es soll besonders Unentschlossene überzeugen. Influencer sind massenweise für Kamala Harris am Start. Aber die muss sich im Finale der Wahlschlacht seriös um Themen wie Abtreibung, Inflation und Einwanderung kümmern. Vor allem Trumps Hetze gegen Immigranten zieht, wie Umfragen belegen; Harris sollte als Kind einer Einwandererfamilie klug dagegen halten“ (sueddeutsche.de, 23.8.2024: „Kamala Harris hat die Demokraten entfesselt und den USA einen Thriller beschert“).
Die große Parteitags-Show der Demokraten in Chicago
Am 19.8.2024 begann in Chicago der viertägige Parteitag der Demokraten. Alles war „geregelt“: „Die Demokraten ordnen sich bedingungslos dem Ziel unter, Kamala Harris ins Weiße Haus zu tragen“, schreibt der Spiegel. „Es ist eine Meisterleistung der Choreographie, die ihre Wirkung nicht verfehlt. Jene Partei, die den eigenen Präsidenten eben noch mit der Kraft der Panik zur Seite gedrängt hat, wirft diesen nun in ein emotionales Schaumbad. Biden wird jene Zuneigung zuteil, mit der schon vielen Verlierern die Niederlage versüßt wurde“ (Der Spiegel, Nr. 35 / 24.8.2024: „Masse und Macht“).
Nachfolgend will ich über drei Höhepunkte des Parteitags berichten:
- Die ehrenvolle und emotionale Verabschiedung von Joe Biden
- Die Vorstellung von Tim Walz als Running Mate
- Den Acceptance Speech von Kamala Harris.
Der erste Tag des Parteitags war der ehrenvollen und würdigen Verabschiedung Joe Bidens gewidmet. Ein Tag voll gemischter Gefühle. Biden hatte über Jahrzehnte dem Land und seiner Partei gedient. Dafür spendete ihm der Parteitag minutenlang dankbaren Beifall. Sein Rückzug ermöglichte den Generationenwechsel und den Schritt in eine neue programmatische Zukunft. Doch im Beifall im United Center in Chicago steckte auch Erleichterung darüber, dass dieser Schritt ohne öffentliche Streitereien und ohne persönliche Blessuren möglich war. „Thank you Joe! Danke Joe!“ skandierte die Menge am Abend des 19.8.2024 nach seiner knapp einstündigen Rede. Biden hatte Tränen in den Augen und im Saal wurden Poster mit der Aufschrift „We love Joe“ gezeigt.
Bidens Rede war Rückblick und Ausblick zugleich. „Ich gab Herz und Seele für unsere Nation und ich wurde dafür millionenfach belohnt.“ Er gelobte, für das demokratische Ticket Harris/Walz zu arbeiten und rief die Amerikaner zu deren Wahl auf. „Kamala und Tim verstehen, dass diese Nation weiterhin ein Platz der Möglichkeiten sein muss, nicht nur für ein paar, sonder für uns alle.“ Als Kamala Harris Joe Biden nach dessen Ansprache umarmte, konnte man von ihren Lippen die Worte „Ich liebe Dich so sehr“ ablesen.
(Quellen: nytimes.com, 19./29.8.2024: Biden Defends His Record and Endorses Harris: ‚America, I Gave My Best to You’“; nytimes.com, 20.8.2024: “The Speech Biden Never Wanted to Give”).
Dieser Auftritt war eine Inszenierung von Politik, wie sie wohl nur die Amerikaner gestalten können. Den Kontrapunkt dazu setzten die Republikaner. Am selben Tag leiteten sie im Repräsentantenhaus formell ein Impeachment-Verfahren gegen Joe Biden ein. Sie beschuldigen ihn der Korruption und des Versuches, für seine Familie Vorteile aus dem Präsidentenamt zu ziehen. Die Republikaner gestehen dabei ein, dass sie keine Beweise vorlegen können, dass Biden dem Justizministerium zu den Ermittlungen gegen seinen Sohn Hunter irgendwelche Anweisungen erteilt hat (nytimes.com, 19.8.2024: „House G.O.P. Makes Impeachment Case Against Biden Without Proof of Crime“).
Doch wie hat Joe Biden den Rückzug überstanden und verarbeitet? Gab und gibt es Enttäuschungen oder gar Wunden? Sein Auftritt in der renommierten Talkshow „The View“ des Senders ABC gibt Aufschlüsse: Zunächst übermittele er seinem früheren Kontrahenten Trump ein paar „Freundlichkeiten“: Er bringt keinen großen Gegenwert … Ja, ich war zuversichtlich, Trump zu schlagen. Er ist ein Loser (Verlierer).“
Dann folgt eine lobende Empfehlung an Kamala Harris: „Sie ist höllisch smart, eine Nr. 1. Sie ist zäh, sie ist ehrenhaft, und da ist etwas, das ich an ihr mag – etwas das wir gemeinsam haben: Wir haben einen optimistischen Blick in die Zukunft.“ Und schließlich die Antwort auf die zu erwartenden Fragen: „Ich bin at peace – im Frieden – mit der Entscheidung, nicht zu kandidieren“ (nytimes.com, 25.9.2024: „Biden on ‚The View,’ Calls Trump a ‚Loser’ Who Lacks ‚Redeeming Value““).
Coach Tim Walz von Minnesota soll Vizepräsident werden
Im Vorfeld der jeweiligen Parteitage beobachten die Medien alles, was Rückschlüsse darauf zulassen kann, wen die Kandidatin oder der Kandidat als Running Mate benennen wird. Bei Kamala Harris standen am Ende die Gouverneure von Pennsylvania, California und Minnesota in der engeren Wahl. Am 6.8.2024 gab sie bekannt, dass Tim Walz, der demokratische Gouverneur von Minnesota ihr Kandidat für die Vizepräsidentschaft sein wird. Walz war bis dato auf Bundesebene unbekannt; und doch zeigte sich nach kurzer Zeit – nicht zuletzt nach verkorksten Auftritten von Trumps Running Mate JD Vance – dass sie eine gute Wahl getroffen hat.
Walz hatte vor ein paar Wochen bei einem Interview Trump und Vance als „weird“ (unheimlich, seltsam, verrückt, aus dem Mainstream gefallen) bezeichnet und damit einen Volltreffer im Wahlkampf der Demokraten gelandet gegen den Trump und seine Kampagne kein Gegenmittel fanden.
Der Gouverneur von Minnesota wird als volkstümlich, bodenständig und pragmatisch beschrieben. Ein Politiker, der seine Vorstellungen auf verständliche Art und Weise vorträgt und gewöhnliche Leute ansprechen kann. Die Heilbronner Stimme bezeichnete ihn als den „fröhlichen Krieger“, der die Freude in die Politik zurückbringt. Ein „Mann mit der volkstümlichen Ausstrahlung eines Dads aus dem Mittleren Westen, dem Bundesstaat Minnesota, dessen Einwohner sich zu den glücklichsten in den USA zählen. Eine Lehrerin aus Mankato, Minnesota, wo Walz selbst als Lehrer tätig war, bezeichnete ihn als ein „sehr normales menschliches Wesen“. Die Persönlichkeit und auch den Politiker Tim Walz kann man als das absolute Gegenmodell von JD Vance bezeichnen.
Geboren und aufgewachsen ist er in Nebraska, einem Bundesstaat im früheren Wilden Westen, heute einer der „fly-over“ Staaten, den die meisten Amerikaner nur aus 10 000 Meter Höhe kenne, wenn sie mit dem Flugzeug an die Westküste und zurück unterwegs sind. Walz war Lehrer für Gemeinschaftskunde und Geographie, zunächst in Alliance, Nebraska und später in Mankato, Minnesota. Im Jahr 1988 war er über ein Programm der Harvard University als Englischlehrer ein Jahr in China. Er diente 24 Jahre – mit Auszeichnungen – in der National Guard und vertrat ab 2010 über mehrere Legislaturperioden einen ländlich-konservativen Wahlkreis Minnesotas im Repräsentantenhaus. Im Kongress war er als Demokrat aus dem ländlichen Mittelwesten ein „seltsames Gewächs“. Seit 2019 ist Tim Walz der Gouverneur von Minnesota. Würden die Demokraten am 5.11.2024 die Wahl gewinnen, wäre er nach Hubert Humphrey und Walter Mondale der dritte Vizepräsident aus Minnesota.
Auf dem Parteitag der Demokraten in Chicago nannte Kamala Harris Tim Walz mehrmals „Coach“ Walz. Er war als Lehrer an der West High School in Mankato, MN Coach des Football Teams und hat die Mannschaft 1999 zur Meisterschaft von Minnesota geführt. Mankato, eine Mittelstadt im Süden von Minnesota hatte laut Census von 2000 damals rd. 32 400 Einwohner; 2022 lebten dort rd. 45 000 Menschen. Seine Tätigkeit als Coach war wohl einer der Gründe dafür, dass sich Harris für Walz als Running Mate entschieden hat. „Tim Walz gehörte zu der Sorte Lehrer und Mentoren, das sich jedes Kind in Amerika erträumt und das jedes Kind verdient. Er ist die Sorte Coach – weil er zu den Menschen gehört – die den Leuten das Gefühl geben, dazugehören und sie zu großen Träumen anregen. Und er wird die Sorte Vizepräsident sein, die Amerika verdient.“
In der engeren Wahl bei Harris stand auch Josh Shapiro, der Gouverneur von Pennsylvania. Für ihn sprach vor allem sein Beliebtheit in diesem Swing State. „Aber nur einer ist ein früherer High School Coach: Mr. Walz. Dies ist eine Identität, die ihm über die Jahre anhaftet“, schreibt die New York Times.
Dazu muss man wissen, welche Bedeutung der Schulsport in Amerika hat und welche Rolle die Trainer der jeweiligen Teams – weit über den Sport hinaus – spielen. Im Grunde gibt es mehrere Coach-Typen: Zum einen den patriarchalischen Befehlsgeber, dem man gehorchen muss oder man fliegt aus der Mannschaft. Dann gibt es den Coach, der zur Ikone geworden ist, den die Fans mit führenden Politikern gleichsetzen oder gar noch höher. Doch dabei ist weniger an die Trainer an einer High School sondern eher an die an Universitäten oder im Profisport zu denken. Auch Donald Trump weiß um die Bedeutung solcher Trainer. Beim republikanischen Parteitag 2020 sprach Lou Holtz, der frühere Football Coach der University of Notre Dame. Doch es gibt auch den Coach als Fürsorger, als Mentor, als Charakter Builder, als Ersatzvater für die Mitglieder einer Schulmannschaft. Dieser Beschreibung passte auf Coach Walz.
Ich erinnere mich an mein Jahr als Austauschschüler an der Marshall High School in Minneapolis, Minnesota vor über 60 Jahren. Howie Straiton war Lehrer für Amerikanische Geschichte und er war der Coach des Football Teams und der Leichtathletik-Mannschaft, der ich angehörte. Das war kein übliches Lehrer-Schüler-Verhältnis. Dem Coach war man auf ganz besondere Art verbunden. Amerikanische Schüler erinnern sich an den Coach ein Leben lang. Dies wurde deutlich, als beim Parteitag in Chicago eine Gruppe früherer Schüler von Coach Walz auf die Bühne kamen. Er hatte sie vor Jahren zur Meisterschaft geführt. So etwas bleibt ganz tief und emotional im Gedächtnis haften.
Als Kongressabgeordneter zählt Walz zum liberalen Flügel der Demokraten, hielt jedoch stets gute Verbindungen zum linken Flügel und auch zur LGBTQ-Community. Als Gouverneur von Minnesota unterschrieb er eine Verordnung, durch die die Menschen aus der Community geschützt werden, die ärztliche Behandlung zur Geschlechtsumwandlung suchen. Bekannt wurde er in Minnesota, als er die kostenlose Schulspeisung, Waffenkontrollgesetze und das Recht auf Abtreibung durchsetzte.
In einer kurzen Ansprache beim Parteitag stellte er sich als „Mann von nebenan“ vor, der aus einer Kleinstadt kommt, wo man sich kennt und gegenseitig akzeptiert. „Die Familie am Ende der Straße denkt vielleicht nicht so wie Sie, sie betet vielleicht nicht so wie Sie, sie liebt vielleicht nicht so wie Sie.“ Aber es seien Nachbarn und deshalb kümmere man sich um einander.
(Quellen: nytimes.com, 6.8.2024: „Tim Walz Is Kamala Harris Choice for Vice President: Live Election Updates“; nytimes.com, 6.8.2024: “Tim Walz Could Take It to the House”; Gastbeitrag von Howard Wolfson; nytimes.com, 6.8.2024: “Walz Throwing Punches at Republicans, Makes His Big Entrance With Harris”; nytimes.com, 6.8.2024: “What Minnesota Voters Thin of Tim Walz”; Heilbronner Stimme, 7.8.2024: “Der fröhliche Krieger”; nytimes.com, 9.8.2024: „Tim Walz Was a Clear Eyes Full Hearts Kind of Coach“; nytimes.com, 22.8.2024: “’Coach Walz’ Leads a Democratic Pap Rally”; Heilbronner Stimme, 23.8.2024: “Harris-Vize wirbt für Einheit und warnt vor Trump”)
Kamala Harris’ Acceptance Speech
In einer Dokumentation des ZDF wurde Kamala Harris das Stichwort „Zukunftsorientierung“ zugeordnet (ZDF, 27.8.2024: „Kamala Harris, die erste Frau im Weißen Haus?“). Bereits dieser eine Begriff zeigt ihre völlig andere Sichtweise auf das Land. Stefan Kornelius schreibt dazu: „Kamala Harris kann gewinnen, weil sie den Aufbruch verkörpert – und nicht die Vergangenheit“ (sueddeutsche.de, 7.8.2024: Kommentar von Stefan Kornelius mit der zitierten Überschrift).
Im Gegensatz dazu , in der Vorstellungswelt von Donald Trump, sind die Vereinigten Staaten eine Nation im Niedergang. Er verkündet auf seinen Kundgebungen, dass Amerika vor einer Wirtschaftskrise stehe, „weit schlimmer als 1929“ und dass die Führung des Landes schwach sei und auf der Welt nicht ernst genommen werde. Und er zieht daraus den (überheblichen) Schluss: Nur er, Trump, kann das Land retten.
In ihrer 40-minütigen Rede am 22.8.2024 in Chicago präsentierte sich die jetzige US-Vizepräsidentin als „pragmatische Führungspersönlichkeit, die alle Amerikaner auf einem neuen Pfad nach vorn (a new way forward) vereinen will. „Bei dieser Wahl hat unsere Nation eine kostbare aber flüchtige Möglichkeit, die Verbitterung, den Zynismus und die trennenden Schlachten der Vergangenheit hinter sich zu lassen. Eine Chance, einen neuen Pfad nach vorn zu entwerfen. Nicht als Mitglieder einer einzigen Partei oder Gruppe sondern als Amerikaner.“ Harris beschreibt ihren Opponenten als einen gefährlichen und unseriösen Mann, dessen Wahl die Grundlagen der amerikanischen Demokratie verändern würde. Ich will im folgenden weniger die innenpolitischen Schwerpunkte des US-Wahlkampfes ansprechen, wie etwa
- die Wirtschaftsentwicklung und die Inflation,
- Abtreibung und das Selbstbestimmungsrecht der Frauen,
- Migration und Grenzsicherung und
- den Schutz der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Vielmehr sei hier aus dem außenpolitischen Teil der Harris-Rede zitiert. Im Vordergrund für sie steht (natürlich) die Situation im Mittleren Osten und der Gaza-Krieg. Harris verurteilte den Hamas-Angriff vom 7.10.2023 und sagte zur Situation in Gaza: „Der Umfang des Leidens ist herzzerreißend.“ (Inzwischen steht sie vor dem gleichen Dilemma wie Joe Biden: Beide sehen eine diplomatische Lösung des Konflikts als den einzigen sinnvollen Ausweg und müssen jedoch immer wieder mit ansehen, wie womöglich zielführende Schritte der Diplomatie von der einen oder der anderen Seite unterlaufen werden und die Gefahr eines „echten“ Krieges zunimmt.
Wichtig ist für Europa: Harris erklärte sich als machtvolle Unterstützerin traditioneller Allianzen. Sie sprach die Drohungen Trumps, die NATO aufzugeben, ausdrücklich an und erwähnt seine Ermunterung an Putin, „zu tun was zur Hölle er immer mag.“ Dem stellt Harris ausdrücklich entgegen: „Als Präsidentin werde ich mit ganzer Kraft hinter der Ukraine und unseren NATO-Verbündeten stehen … Amerika, nicht China, wird den Konkurrenzkampf um das 21. Jahrhundert gewinnen, unsere globale Führungsrolle stärken und uns nicht zurückziehen.“ Harris erwähnt in diesem Zusammenhang Trumps oft geäußerte Bewunderung für Autokraten und Diktatoren, wie etwa Kim- Jong un, die zur Wahl am 5.11.2024 für Trump die Daumen drücken. „Sie (die Autokraten) wissen, wie leicht er durch Schmeicheleien und Gunstbezeugungen manipuliert werden kann. Sie wissen, dass Trump die Autokraten nicht zur Verantwortung zieht, weil er selbst ein Autokrat sein möchte“ Daniel Brössler verwendet zur Beschreibung der zu erwartenden Außenpolitik einer Präsidentin Kamala Harris den Begriff „Kontinuität“ – vermutlich auch personell“ (sueddeutsche.de, 25.7.2024: „Mit Harris wird alles gut – oder?“).
Einen Unterschied bei der Außenpolitik zwischen Biden und Harris wird es geben. Er betrifft den atmosphärischen wenn nicht gar emotionalen Teil ihres Handelns. Bei den Ehrungen für Joe Biden am 18.10.2024 in Berlin wurde immer wieder vermerkt, dass mit ihm der letzte Transatlantiker aus dem Weißen Haus scheidet. Biden hat den Kalten Krieg „live“ erlebt und verinnerlicht, was Bündnistreue bedeutet. Harris erkennt die Notwendigkeit der NATO rational, formuliert ähnlich wie Biden, doch eine Aussage wie etwa Kennedys „Ich bin ein Berliner“ könnte sie nicht machen. Vielleicht setzte Brössler deshalb hinter seine zuvor zitierte Kommentarüberschrift ein Fragezeichen.
Und Donald Trump? Ich bezweifle, ob dieser Teil der jüngsten Geschichte in seiner Vorstellungswelt überhaupt eine Rolle spielt.
Kamala Harris beschrieb in ihrer Rede ausführlich ihren Lebenslauf und die dabei gesammelten Lebenserfahrungen. Ihr Vater kam als schwarzer Student aus Jamaika und ihre Mutter kam aus Indien zum Studium in die Vereinigten Staaten. Als sie nach dem Abschluss in eine traditionell arrangierte Ehe hätte nach Indien zurückkehren sollen, trifft sie Kamalas Vater Donald Harris. Sie verlieben sich, heiraten „und aus diesem Akt der Selbstbestimmung entstammen meine Schwester Maya und ich.“
Nach der Trennung ihrer Eltern wachsen sie und ihre Schwester in einer Single Mom Familie und in der Tagesbetreuung von Mrs. Shelton auf, die ihr zur zweiten Mutter wurde. Zusammen mit vielen anderen waren sie „eine große Familie, die uns liebte, an uns glaubte und uns sagte, wir könnten alles tun und alles erreichen …“. Es muss eine aufregende und lebhafte Welt gewesen sein.
Kamala Harris erzählte all dies nicht ohne Stolz von der großen Bühne des United Center in Chicago und damit der ganzen Welt. Sie dankt von der Bühne herab ihrem Gatten Doug Emhoff, einen jüdischen Rechtsanwalt, der zwei Töchter in die spätere Ehe brachte. Es ist die Lebensgeschichte einer multi-ethnischen, diversen, bunten Patchwork-Familie, wie es sie häufig im Einwanderungsland Amerika gibt.
Trump hat versucht, aus der Hautfarbe und der „gemischten“ Herkunft von Kamala Harris im Wahlkampf negative Funken zu schlagen als er fragte ob sie letztlich schwarz oder indisch sei. Er versuchte damit, das vermeintlich traditionelle Amerika anzusprechen, den weißen, christlichen, von Männern regierten Teil der USA. Ob es gelang ist zweifelhaft.
(Quellen – soweit nicht bereits bekannt: nytimes.com, 23.8.2024: „Read Kamala Harris’ speech at the Democratic National Convention” (Transcript of Speech); nytimes.com, 22./23.8.2024: “Harris Promises to Chart ‘New Way Forward’ as She Accepts Nomination”).
Mit ihrem optimistischen, manchmal geradezu fröhlichen und so ganz anderen Wahlkampfstil hat Kamala Harris zusammen mit Tim Walz offenbar einen vernachlässigten Nerv der Amerikanerinnen und Amerikaner getroffen. Beeindruckend für uns Europäer ist die ganz andere Art der Reden, in denen immer wieder aus dem eigenen, persönlichen Leben berichtet wird. Die Süddeutsche Zeitung hat dieser Art des Wahlkampfes einen ausführlichen Report gewidmet. „Tim Walz berichtet von der künstlichen Befruchtung, mithilfe derer er und seine Frau Kinder bekommen haben“, steht im Bericht der SZ und zeigt den Unterschied zu „unseren“ Wahlkämpfen auf: „Kein deutsche Politiker würde vom eigenen Gang in die Kinderwunschklinik berichten“ (sueddeutsche.de, 25.8.2024: „Warum reden die so gut?“).
Doch die Harris-Kandidatur ist auch für Amerika eine besondere Sache; es gibt viele „Firsts“, vieles passiert zum ersten Mal. In einem umfangreichen Artikel erläutern die erfahrenen Journalistinnen Lisa Lerer und Erica L. Green in der NYT, welche Bedeutung die Kandidatur von Kamala Harris für Amerika hat: „In der bedeutendsten Ansprache ihrer Karriere bat Kamala Harris die Amerikaner, sie als die Verkörperung der traditionellen Werte des Landes zu akzeptieren und nicht als die Negierung dieser Werte. Es ging ihr bei dieser Botschaft darum, den Wählern zu vermitteln, dass – so sehr ihr Hintergrund und ihre Identität auch den Wandel andeuten mögen – durch sie eine direkte Verbindungslinie zu den Gründeridealen der Nation gezogen wird. „Ich weiß, dass heute Abend manche mit sehr unterschiedlichen politischen Vorstellung zusehen. Deshalb sollen sie wissen und ich verspreche, die Präsidentin für alle Amerikaner zu sein.“ Das Land soll sich nach vorn und nicht zurückentwickeln, war eine ihrer Kernbotschaften.
Kurz nachdem Harris die Bühne in Chicago verlassen hatte, telefonierte Trump mit Fox News und widersprach den aktuellen Umfragen wonach Harris bei Frauen, Hispanics und schwarzen Wählern punktet. „Sie wird keinen Erfolg haben, ich bin erfolgreich“, erklärte er in einem sprunghaften Gespräch mit der Moderatorin. „Bei mir läuft’s großartig bei den Hispanic-Wählern, großartig bei schwarzen Wählern und ich punkte großartig bei Frauen“ (nytimes.com, 23.8.2024: „Harris Wants America to Se Itself in Her“).
Der Parteitag und die Harris-Rede gaben der Kampagne weiteres Momentum. Schon zuvor war ein Ruck durch die Demokratische Partei gegangen, der in der New York Times so beschrieben wird: „Eine Kampagne, die sich zuvor wie ein Trauerzug angefühlt hat, wurde für die Demokraten zu einer Tanzparty. Zehntausende strömen zu den Kundgebungen in den Battleground States, und die Geldkoffer der Harris-Kampagne fließen über mit Spenden von Gruppierungen, die sich „White Dudes“ und „Cat Ladies“ nennen.“ Sogar Spenden von Risiko-Kapitalanlegern seien dabei. Präsident Bidens dunkle Warnungen, es gehe um eine „Schlacht um die Seele Amerikas“ wurden verdrängt von „görenhaften“ Freudenklängen. Die NYT schreibt von einem „brat-influenced pursuit of „the joy“ (nytdirect@nytimes.com – The Morning, 9.8.2024: Race reset”). “Harris ist voller Energie und Freude – full of energy and joy” stellten die Demokraten erfreut fest.
Doch nicht nur diese völlig veränderte Stimmung im Wahlkampf der Demokraten und der außergewöhnliche Spendenfluss machte Donald Trump ratlos. Auch die Umfragezahlen, die sich lange Zeit zu seinen Gunsten entwickelt hatten, kamen in Bewegung. Bei den Durchschnittswerten für das gesamt Land lag Harris inzwischen mit 3 Prozentpunkten vorn. Harris 49 %; Trump 46%).
In den wichtigen Swing States hatte Harris ebenfalls Boden gutgemacht. Ende September war das Rennen völlig offen.
Umfragezahlen: The NYT / Siena College Polls
Bundesstaat Trump Harris
(1) Erhebungszeitraum 9.8.2024
Michigan 46% 50%
Pennsylvania 46% 50%
Wisconsin 46% 50%
(2) Erhebungszeitraum 21. - 26.8.2024
Michigan 47% 49%
Pennsylvania 48% 49%
Wisconsin 48% 50%
Im Mai 2024 lagen Biden und Trump in den Swing States Michigan, Pennsylvania und Wisconsin praktisch gleichauf, mit leichten Vorteilen für Trump. Nach Bidens Ausstieg gab es einen deutlichen Push für die Demokraten. Im Erhebungszeitraum 5.8. - 9.8.2024 lag Harris in allen drei Staaten jeweils 4 Prozentpunkte vor Trump. Diese Aufwind für Harris wurde aus zwei Quellen gespeist: Zum einen konnte sie Wechselwähler (Unabhängige und Arbeiter), die 2020 Trump gewählt hatten, zu sich herüberziehen, zum andern – und dieser Effekt ist besonders wichtig – hat sie Teile der eigenen Basis der Demokraten (Jungwähler, College-Absolventen und Stadtbewohner), die Biden den Rücken gekehrt hatten, wieder ins Boot geholt (nytdirect@nytimes.com – The Morning, „U.S.A.! U.S.A.!“).
Beide Kampagnen werden bis zum Wahltag die Swing States heftig bewerben. Dabei geht es weniger um die eventuellen Wechselwähler; mit größeren Wählerwanderungen ist nicht mehr zu rechnen. Entscheidend wird vielmehr sein, das eigene Reservoir zu mobilisieren. Harris hat vor überschäumender Zuversicht gewarnt: „Wir haben noch nicht gewonnen!“ Dies zeigen auch die ständigen Verschiebungen bei den Umfragen.
(Quellen – soweit nicht bereits genannt: nytimes.com, 10.8.2024: „Harris Leads Trump in Three Key States, Times/Siena Polls Find“; nytimes.com, 28.9.2024: “Harris and rump Are Neck and Neck in Michigan and Wisconsin, Polls Find”; nytimes.com, updated 30.9.2024: “Election 2024 Polls: Harris vs. Trump”).
Trump wurde auf dem falschen Fuß erwischt – Ein schmutziger Wahlkampf steht bevor
Als die Republikaner am 18.7. 2024 in Milwaukee auseinander gingen, konnten sie davon ausgehen, mit Donald Trump den nächsten Präsidenten auf den Schild gehoben zu haben. Trump selbst sah sich als unschlagbar. Nicht zuletzt nach dem gescheiterten Attentatsversuch am 13.7.2024 in Butler, Pennsylvania. Er hatte – bis auf wenige Ausnahmen – die gesamte GOP hinter sich versammelt. Etwaige Zweifler waren entweder abgestraft (wie etwa Liz Cheney), eingeknickt (wie Ron DeSantis und Nikki Haley) oder schwiegen. Als Joe Biden die Kandidatur am 21.7. 2024 aufgab, schickte ihm – wie nicht anders zu erwarten – Donald Trump ihm einen geringschätzigen Abschiedsgruß hinterher: Biden sei der „mit Abstand schlechteste Präsident in der Geschichte unseres Landes“ (sueddeutsche.de, 22.7.2024: „Scholz; Biden verdient „Anerkennung“).
Diese Siegesgewissheit hatten die Republikaner seit langem verinnerlicht. Schon im Herbst 2023 – noch ehe feststand, dass es ein Rennen Biden ./. Trump geben würde – erklärte Steven Cheung, der Sprecher Trumps und spätere Chef der Trump-Kampagne: Präsident Trump dominiert weiterhin die Primary, weil die Wähler wissen, er ist der Einzige, der Biden schlagen wird und das Weiße Haus zurückerobert.“ Dies ergänzte Cheung mit der üblichen Herabwürdigung Bidens: „Joe Biden ist eine schmerzliche Katastrophe. Seine Politik hat Amerika verletzt und das Land geschwächt“ (nytimes.com, 23.9.23: „Biden, Warning Trump Could ‚Destroy Democracy, Moves Past G.O.P. Primary“).
Die taz beschreibt Trumps neue und veränderte Lage wie folgt: „Donald Trump hat vermutlich die für ihn schlimmsten zwei Wochen des Jahres hinter sich. Natürlich hatte er darauf gehofft, dass Joe Biden an der Kandidatur festhält. Sein gesamter Wahlkampf war auf ihn als Gegner eingestellt, und Trump hatte das Gefühl, nicht viel tun zu müssen“ (taz.de, 10.8.2024: „Wird Trump jetzt plattgewalzt?“).
Trump und seine Kampagne wurden auf dem falschen Fuß erwischt und hatten Mühe, die neue Entwicklung zu deuten oder gar zu ihren Gunsten zu nutzen. Manche sprachen von einem Coup, einem Staatsstreich der Demokraten, und Trump verkündete zunächst, Harris sei noch leichter zu schlagen als Biden. Doch in Wirklichkeit versuchte er mit allen Mitteln wieder in die Offensive zu gelangen. Die Demokraten hatten mit Harris und Walz den Wahlkampf völlig auf den Kopf gestellt und die Umfragezahlen gaben ihnen recht. Trump wirkte lange Zeit ratlos und – wie immer, wenn er unsicher ist – griff er in die unterste Schublade. Ratlos und unsicher machte ihn vor allem, was nach dem Rücktritt Bidens geschah, bzw. was nicht geschah, nämlich ein offener Streit der Demokraten um die Nachfolge Bidens und um das Verfahren für die Suche des Nachfolgers. Im Land gab es viele positive Reaktionen auf den Rückzug Bidens. Auf einmal hatten die Wählerinnen und Wähler eine echte Alternative. Die Demokraten standen geschlossen hinter Kamala Harris, ihre Spendeneinnahmen sprudelten und die Umfragezahlen bewegten sich in Richtung Harris. All dem galt die mediale Aufmerksamkeit und Trump befand sich plötzlich im ungewohnten medialen Funkschatten. Er suchte nach einem „Plan B“ und all dies machte ihn fies und aggressiv.
Spätestens seit der TV-Debatte mit Kamala Harris am 10.9.2024 war Donald Trump in der Defensive. Dies bedeutete nicht zuletzt: Die USA würden in den letzten Wochen einen schmutzigen Wahlkampf erleben. Es hat eine heftige Schlacht um die unentschlossenen Wähler begonnen und dabei setzten die beiden Kampagnen auf sehr unterschiedliche Strategien. Im Grunde geht es um rd. 3 Millionen Menschen in 7 Bundesstaaten. Inhaltlich wäre viel zu berichten über die wesentlichen Schwerpunkte des Wahlkampfes: Wirtschaft, Finanzen, Inflation, Abtreibung und Selbstbestimmungsrecht von Frauen, Migration und Grenzsicherung – Trump schwafelt von Massendeportationen; Experten verweisen auf rechtliche Hindernisse – ferner Absicherung der Demokratie und des Rechtsstaats, Klimawandel und nicht zuletzt die Stellung der USA in der Weltpolitik. Doch ich will hier vor allem über den – nicht nur für europäische Beobachter – ungewohnten und aggressiven Wahlkampf schreiben.
In seiner wöchentlichen Meinungskolumne in der New York Times lässt Thomas B. Edsall jeweils zu einem speziellen Thema Wissenschaftler aus Universitäten und sonstige Experten zu Wort kommen. Am 25.9.2024 ging es um eine Charakterisierung der Wählerinnen und Wähler Trumps: Wie ist es möglich, dass Donald Trump die Chance hat, Präsident zu werden, obwohl die Wähler inzwischen so vieles über ihn wissen? Warum zeigt sich keine entscheidende Mehrheit, die diesem Mann eine zweite Amtszeit verweigert, der als der schlechteste Präsident der amerikanischen Geschichte beurteilt wird? Diese Fragen sowie eine Vielzahl Erklärungen, werden bei Edsall umfänglich untersucht. Ich will hier nur einige Punkte aufgreifen, die Schlüsse auf den (schmutzigen) Wahlkampf zulassen.
Edsall zitiert die lange Litanei Trump’scher Neigungen, man könnte auch Untugenden sagen, die dem Wahlvolk gut bekannt sind: Seine Verlogenheit, Doppelzüngigkeit, Verderbtheit, Heuchelei und Käuflichkeit – all dies hat sich in die Psyche der amerikanischen Wähler unwiderruflich eingeprägt (nytimes.com, 25.9.2024: „The Real Trump Mystery“). Und trotzdem ist die Gefahr groß, dass dieser Mann der nächste Präsident sein wird; sei es weil sich die Wähler an die Trump’schen Untugenden gewöhnt haben, weil ihnen sein vereinfachende Darstellung der Wirklichkeit zusagt, weil sie die Gegenseite so sehr hassen, dass alle „Kampfmittel“ o.k. sind oder weil sie die Lügen nicht durchschauen können, und, und, und … Zur Beantwortung all dieser Fragen wäre über die Auflistung der Untugenden hinaus auch zu untersuchen, was die Begeisterung für Trump auch über Teile des amerikanischen Wahlvolks aussagt.
Zwei Beispiele für Trumps Neigung, den Wahlkampf auch mit Lügen zu führen, seien hier beschrieben:
Lüge Nr. 1: „Harris will die Droge Fentanyl legalisieren.“ – Zum Hintergrund:
Am 27.9.2024 besuchte die Vizepräsidentin die Südgrenze der USA um sich vor Ort ein Bild über die aktuelle Lage zu machen. Flüchtlinge und illegale Einwanderung sind im Wahlkampf ein gewichtiges Thema, mit dem Trump immer wieder versucht, den Untergang des Landes zu beschwören: Die Vereinigten Staaten seien einer Invasion tausender und abertausender Terroristen ausgesetzt (nytimes.com, 18.9.2024: „Trump Tries to Close Off a Chief Line of Attack: That He’s a Danger to Democracy“). Vor einiger Zeit hatte er gesagt, die Einwanderer vergifteten das Blut des Landes.
Harris und die Demokraten treten Trumps Angriffen mit zwei Punkten entgegen:
- dass Trump Anfang 2024 einer im Senat über Parteigrenzen hinweg ausgearbeiteten Gesetzesinitiative torpediert hat, um das Thema Migration im Wahlkampf ausschlachten zu können. Der Entwurf enthielt u. a. Bestimmungen zur Begrenzung von illegaler Einwanderung und Asylsuche.
- dass seit einer Verordnung des Präsidenten vom 4.6.2024 die Zahl unerlaubter und undokumentierter Einwanderung wesentlich zurückgegangen ist. Das Weiße Haus ist gerade dabei, die Verlängerung dieser Verordnung umzusetzen.
Die New York Times beschreibt ausführlich das Einschwenken der Demokraten auf eine härtere Einwanderungspolitik - Inschrift am Sockel der Freiheitsstatue im Hafen von New York:
„Gebt mir eure Müden, eure Armen, eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren. Die bemitleidenswerten Abgelehnten eurer gedrängten Küsten; Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen, Hoch halt’ ich mein Licht am gold’nen Tore! Sende sie, die Heimatlosen, vom Sturm Gestoßenen zu mir. Hoch halte ich meine Fackel am Goldenen Tor.“
Die ist keine Gesetzestext, zeugt aber vom hohen moralischen Anspruch des Einwanderungslandes Amerika. Kamala Harris hat diesen Anspruch in einer Ansprache in der Grenzstadt Douglas, Arizona auf den aktuellen Stand gebracht: „Die Vereinigten Staaten sind eine souveräne Nation, und ich glaube, wir haben die Pflicht, Regeln für unsere Grenzen zu setzen und sie durchzusetzen.“
(Quellen: nytimes.com, 4.6.2024: „In Shift, Biden Issues Order Allowing Temporary Border Closure to Migrants“; nytimes.com, 26.9.2024: “Biden Administration Set to Make Asylum Limits More Permanent”; nytimes.com, 27.9.2024: “Harris, st the Border, Schows Democrats’ Hard-Line Evolution on Immigration”).
Hier nun die Lügengeschichte Nr.1 Donald Trumps:
Am Rand ihres Grenzbesuchs erwähnt Harris das wachsende Problem mit der Droge Fentanyl, die in großen Mengen über die Grenze zu Mexiko ins Land geschmuggelt wird. Harris versprach, sie werde als Präsidentin den Kampf gegen den Schmuggel von Fentanyl zu einer ihrer Top-Prioritäten machen und höhere Mittel für mehr Personal an der Grenze bereitstellen Es gehe darum, die „globale Fentanyl Supply Chain“ zu bekämpfen.
Daraus machte Trump bei einer Wahlkampf-Veranstaltung am 28.9.2024 in Wisconsin die Aussage: „Harris will Fentanyl legalisieren“. Tags darauf hat er diese Lüge in Pennsylvania wiederholt (nytimes.com, 29./30.9.2024: „After Harris Calls for a Crackdown on Fentanyl, Trump Twists Her Position“).
Trump spekuliert bei dieser Lüge, dass die Durchschnittswähler den Wahrheitsgehalt seiner Wahlkampf-Aussage nicht überprüfen können. Er verkündete auf zwei Veranstaltungen fälschlicherweise: „Harris will Fentanyl legalisieren.“ Wer weiß auf diesen zwei Veranstaltungen, dass Harris genau das Gegenteil gesagt hat?
Lüge Nr. 2: „Biden und Harris kümmern sich nicht um die Opfer des Hurrikan „Helene“
Diese Lügengeschichte ist ein Beispiel dafür, wie Trump selbst Naturkatastrophen, die viele Todesopfer forderten, für seine Zwecke zu nutzen versucht. Es geht um den Hurrikan „Helene“, der am 26.9.2024 in Florida auf Land traf und fünf weitere Bundesstaaten überrollte. Lt. Wikipedia sind in den USA zum Stand 18.10.2024 mindesten 225 Todesopfer zu beklagen. „Helene“ gilt damit als der tödlichste Tropensturm seit 2005. Damals starben durch den Hurrikan „Katrina“ nahezu 1 400 Menschen. In New Orleans standen ganze Stadtviertel unter Wasser.
Zum Thema „Helene“ sagte Trump, dass er jetzt zwar nicht über Politik reden wolle: „Wenn eine Krise auftritt, wenn unsere Mitbürger in Not aufschreien, spielt das keine Rolle. Jetzt reden wir nicht über Politik.“ Doch ähnlich wie nach dem ersten Attentatsversuch, als er sich für kurze Zeit staatsmännisch gab und versprach, falls er gewählt werde, der Präsident für alle Amerikaner werden zu wollen, konnte er auch dieses Mal seine guten Vorsätze nicht lange durchhalten. Am 30.9.2024 besuchte er eine schlimm heimgesuchte Gegend in Georgia und erklärte, der Gouverneur Brian Kemp (ein Republikaner) mache einen sehr guten Job, das Problem sei aber, dass Kemp große Schwierigkeiten haben, den Präsidenten telefonisch zu erreichen.
Doch dieser Vorwurf an Präsident Biden war absolut falsch und frei erfunden. Am selben Tag erklärte Gouverneur Kemp, dass er und Biden in der vorherigen Nacht telefoniert haben. Kemp lobte ausdrücklich, wie leicht ansprechbar der Präsident war. Er habe gefragt: „Hey, was braucht ihr?“ und er habe geantwortet: „Wir haben was wir brauchen. Wir werden es (den Antrag auf Katastrophenhilfe) nach dem üblichen Verfahren abwickeln.“ Im übrigen, so der Gouverneur, habe Biden angeboten, falls es Probleme gäbe, solle er direkt bei ihm anrufen.
Erneut hat Trump eine Lügengeschichte erfunden, die der Normalbürger nicht überprüfen kann, denn niemand weiß, wie und was Gouverneur Kemp und Präsident Biden am Telefon besprochen haben. Die New York Times stellt dazu fest, diese Geschichte sage weniger aus über Trumps Unehrlichkeit als vielmehr darüber, wie er die Katastrophenhilfe stets betrachtet hat: „Als Präsident sah er die Bundeshilfe durch das Prisma seiner persönlichen Interessen. Er drohte den Gouverneuren der „blauen“ Staaten (blau = demokratisch regiert), die er als Feinde betrachtete, die Hilfe zurückzuhalten und versprach seinen Verbündeten eine „A-Plus“ Behandlung.“
(Quellen: nytimes.com, 29.9./2.10.2024: „What We Know About Hurricane Helene’s Destruction So far“; nytimes.com, 30.9.2024: “Trump, No Stranger to Playing Storm Politikcs, Visits a Battered Georgia”).
Am 3.10.2024 machte Trump Wahlkampf im Saginaw County im Battle Ground State Michigan und erzählte neue Katastrophengeschichten: Die Biden-Regierung habe Gelder des Katastrophenschutzes gestohlen und sie zur Unterbringung undokumentierter Einwanderer verwendet damit diese für die Demokraten stimmten. Dazu erzählte er eine ganze Litanei von Unwahrheiten: Dass er 2020 gewonnen habe, dass er in sämtlichen Swing States vor Harris liege und dass E-Autos eine Bedrohung für die Autoindustrie seien. Gleichzeitig lobte er den E-Auto-Hersteller Elon Musk, der für ihn eine Wahlempfehlung ausgesprochen hat.
Der Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugman fragte in seiner Kolumne in der New York Times, warum Trump immer wieder solche Lügen erzählt: „Er scheint tatsächlich zu glauben, dass er neues Material braucht, weil das alte seine Wirksamkeit verliert.“
(Quellen: nytimes.com, 3.10.2024; Paul Krugman: „Why Trump Is Lying About Disaster Relief“; nytimes.com, 3.10.2024: “Trump Rally in Michigan Dominated by More False Statements”).
Und tatsächlich spinnen Trump und seine Truppe die Lügengeschichten und Verschwörungstheorien zum Thema „Katastrophenhilfe” immer weiter. Den Vogel schoss dabei seine Ikone Marjorie Taylor Greene, die republikanische Kongressabgeordnete aus Georgia ab. Sie verkündete auf „X“, die staatlichen Stellen – und damit Biden und Harris – könnten das Wetter manipulieren. Sie hätten den Hurrikan „Helene“ bewusst gesteuert und über die republikanischen Gebiete der Swing States gelenkt. „Es ist lächerlich zu behaupten, das sei nicht möglich“, bekräftigte Greene ihre Erkenntnisse (Heilbronner Stimme,9.10.2024: „Auf den Hurrikan folgt ein Sturm an Desinformation“).
Das Stichwort „weird“ (seltsam, sonderbar) fällt mir dazu ein, mit dem Tim Walz die Aussagen und das Gebaren von Trump und Vance beschrieben hat. Doch nicht alle Republikaner sind auf diesem sonderbaren Trip. Der republikanische Senator Kevin Corbin aus North Carolina, das auch von „Helene“ getroffen wurde, rief seine Parteifreunde auf: „Könnten Sie bitte dabei helfen, die Verbreitung dieser Verschwörungstheorien über die Überschwemmungen im westlichen North Carolina auf Facebook und im Internet zu stoppen.“ (Heilbronner Stimme, 9.10.2024; wie oben).
Mitt Romney, der Senator aus Utah und frühere Präsidentschaftskandidat gehört ebenfalls zu den „anderen Republikanern“. Lange hatten die Demokraten gehofft, dass auch Romney – so wie zum Beispiel Liz Cheney aus Wyoming – eine Wahlempfehlung für Kamala Harris aussprechen würde. Am 8.10.2024 erklärte Romney, er werde dies nicht tun; mit folgender Begründung: „Ich möchte weiterhin nach dieser Wahl eine Stimme in der Republikanischen Partei haben. Die Aussicht besteht, dass die Partei Bedarf an einem Wiederaufbau oder einer Neuorientierung haben wird.“ (nytimes.com, 8.10.2024: „Romney Won’t Endorse Harris, Saying He Wants to Keep His Voice in the Party“). Romney und die Republikaner, die ähnlich denken, werden in der Nach-Trump Zeit eine große Aufgabe vor sich haben.
Ein weiterer Attentatsversuch und die Folgen
Am 15.9.2024 gab es einen zweiten Attentatsversuch auf Donald Trump auf seiner Golfanlage in der Nähe von Mar-a-Lago in Florida. Erneut, wie nach dem ersten Attentat in Butler, Pennsylvania am 13.7.2024 hielt Amerika den Atem an und wartete angesichts der Spaltung in Politik und Gesellschaft auf richtungweisende Aussagen aus den politischen Führungsriegen. Nach dem ersten Attentat hatte Präsident Biden dazu aufgerufen, „die Temperatur in unserer Politik“ zu senken. Auch Trump hatte in seiner Parteitagsrede am 19.7.2024 in Milwaukee versucht, staatsmännisch zu klingen und rief dazu auf, die Spaltung der Gesellschaft zu überbrücken. Doch er hatte die guten Vorsätze nicht lange durchgehalten und es nach dem zweiten Attentat gar nicht erst versucht.
Noch ehe näheres über den Täter und seine Motive bekannt wurde, gab Trump Joe Biden und Kamala Harris die Schuld am Mordversuch. Am 16.9.2024 sagte er bei Fox News, die Rhetorik des Präsidenten und der Kandidatin Harris seien für den versuchten Angriff auf ihn verantwortlich. „Wegen dieser kommunistisch-linken Rhetorik fliegen die Kugeln, und es wird noch schlimmer werden.“ Offenbar habe der Täter der Rhetorik von Biden und Harris geglaubt und gehandelt.
Trump bezog sich bei diesen Anschuldigungen an die Adresse der Demokraten auf deren Vorwürfe, Trump sei – und dies zeige der Sturm auf das Kapitol am 6.1.2021 – eine Gefahr für die Demokratie und den Rechtsstaat in Amerika. Es klingt makaber, wenn ausgerechnet er, der den Sturm auf das Kapitol angestiftet hat, nun die Verantwortung für das Attentat den politischen Gegnern und deren „aufrührerischen Reden“ zuschieben will. Er, Trump, könne genauso aufrührerisch reden – weit besser als sie – aber er tue dies nicht, fügte er an.
Dazu schrieb die New York Times: „Mr. Trump sagt, seine politischen Gegner seien die wahre Gefahr für die Demokratie und behauptet – ohne Beweise – dass Mr. Biden die vier Strafverfahren gegen ihn koordiniert habe und dass die Auswechselung mit Ms. Harris gleichbedeutend mit einem Staatsstreich war.“
Auch Trumps Running Mate JD Vance blies in dieses Horn. Er warf den Demokraten vor, sie gingen zu weit, wenn sie die Wiederwahl Trumps als mögliches Ende der Demokratie in Amerika beschrieben. „Ich sage nicht, dass Konservative immer alles richtig machen. Aber niemand hat in den letzten Monaten versucht, Kamala Harris zu töten. Ich denke, dies beweist ausreichend, dass die Linke ihre Rhetorik abschwächen sollte, sonst wird jemand verletzt.“
(Vance macht hier den dialektischen Versuch, von Trumps Verantwortung für den Sturm auf das Kapitol abzulenken und die Schuld für die Folgen des 6.1.2021 anderen zuzuschieben. Trump ist wegen des Sturms auf das Kapitol angeklagt und ruft, um sich zu verteidigen: Haltet den Dieb).
Amerika steht in den Wochen vor dem Wahltag am 5.11.2024 vor einem schmutzigen Wahlkampf. Vier Minuten nach der ersten Meldung des Attentats am 15.7.2024 postete ein anonymer Account auf „X“: „Joe Bidens Antifa schoss auf Präsident Trump.“ Und das Internet war in der Folge voll von ähnlichen Aussagen. In einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung schreibt Stefan Kornelius: „Es ist erschreckend, wie selbstverständlich aus theoretischer Gewalt inzwischen physische wird. Auch für die Stabilität des Landes ist dies hochgefährlich.
(Quellen: nytimes.com, 16.7.2024: „The Gunshots Rang out. Then the Conspiracy Theories Erupted Online”: nytimes.com, 17.7.2024: “’Our Nation Is Not Well’: Voters Fear What Could Happen Next”; nytimes.com, 16.9.2024: “Trump, Using Harsh Language, Urges Democrats to Tone Down Theirs” nytimes.com, 16.9.2024: “Vance says, the left is to blame for the attempts on Trump’s life”; sueddeutsche.de, 16.9.2024; Stefan Kornelius: “Der neue Attentatsversuch auf Trump zeigt: Brutalität beherrscht den Wahlkampf”; sueddeutsche.de, 17.9.2024: „Trump gibt Harris und Biden die Schuld für mutmaßlichen Attentatsversuch“).
Der schmutzige Wahlkampf – Vor allem Trump ist verantwortlich
Die New York Times hat eine lange Liste von Schand- und Schimpfnamen veröffentlicht, die Donald Trump innerhalb weniger Wochen seinen politischen Kontrahenten angehängt hat. Anfangs, nachdem klar wurde, dass Kamala Harris die Kandidatin der Demokraten sein wird, gingen Trumps Schimpfereien bunt durcheinander. Sie sei „dumm wie ein Stein“, eine „total gescheiterte und unbedeutende Vizepräsidentin“, eine „Lügnerin“, eine „radikale linke Marxistin und schlimmeres“, und über längere Zeit nannte er sie die „verrückte Kamala“. Es schien als teste er aus, welche wüsten Worte ihm am leichtesten über die Lippen kommen oder bei seinen Fans am besten wirken. „Crazy Kamala“ war längere Zeit sein „Lieblings-Schimpfwort“. Am 10.8.2024 verwendete er erstmals die Bezeichnung „Genossin Harris“ („Comrade Harris“) und es schien als habe Trump damit die ihm am besten gefallende Bezeichnung gefunden nytimes.com, 9.9.2024: „What Harris and Trump Say About Each Other on Social Media“).
Kamala Harris eine Kommunistin oder Marxistin? Solche Aussagen klingen für den europäischen Wahlbeobachter widersinnig. Und auch aus den eigenen Reihen gab und gibt es Empfehlungen an Trump, den Wahlkampf mit Sachargumenten und nicht mit Beleidigungen zu führen. Tatsächlich hat Trump auch am 19. und 20.8.2024 versucht, dem Rat seines Teams zu folgen und las vor weniger großen Besucherzahlen vom vorbereiteten Manuskript. Tags darauf, am 21.8.2024 kehrte er in Asheboro, North Carolina zur gewohnten Vortragsart zurück. Er machte sich über Bidens körperliches Erscheinen lustig, nannte Nancy Pelosi, die frühere Sprecherin des Repräsentantenhauses „verrückt“ und bezeichnete Kamala Harris als „dumm“ und als „Marxistin und Kommunistin“. Auch Barack Obama war an der Reihe. Trump bezeichnete ihn als „abscheulich“.
Und dann tat Trump etwas, das seinen Beratern wohl die Haare zu Berg stehen ließ: Er wandte sich unmittelbar an die Fans und machte sich über sein Team lustig: „Sie sagen mir immer, Sir, bleiben Sie bitte bei der Politik, werden Sie nicht persönlich! Und dies, obwohl diese Leute (die politischen Opponenten) die ganze Nacht persönlich werden.“ Und dann fragte Trump die Menge: „Soll ich weiterhin bei der Politik bleiben?“ Und die Menge antwortete mit einem schallenden „Nein!“ Und Trump, nun gepuscht durch sein Publikum, setzte noch einen drauf: „Kamala und Biden haben uns an den Rand des Dritten Weltkriegs geführt.“ Seit dieser Veranstaltung fühlte sich Trump offenbar in der aggressiven, persönlichen und schmutzigen Art seines Auftretens bestätigt. Es nützte auch nichts, dass Senator Lindsey Graham, ein enger Trump-Verbündeter Trump empfahl, es sei besser nicht persönlich zu werden sondern ihre Politik für „verrückt“ zu erklären. Auch der republikanische Abgeordnete Tom Emmer aus Minnesota mahnte, es sei besser, dass wir (die Republikaner) bei den Streitpunkten bleiben. Noch direkter formulierte Larry Hogan, der frühere republikanische Gouverneur von Maryland: „Ich sage seit Jahren, dass die spalterische Rhetorik etwas ist, auf das wir verzichten können.“
(Quellen: nytimes.com, 21./22.8.2024: „Trump Attacks Harris at N.C. Rally, Asking the Crowd to Back Him Up“; nytimes.com, 29.9.2024: “Republicans Criticize Trump Over His Insults of Harris”).
In jüngster Zeit berichten die Medien immer öfter über persönliche Angriffe Trumps auf die politischen Opponenten. Dies gibt Anlass zur Sorge darüber, was passieren könnte, sollte er die Wahl verlieren. Am 15.10.2024 verweigerte Trump bei einem Interview in Chicago die Aussage zum Thema „friedliche Machtübergabe.“ Am 13.10. 2024 beschrieb er bei Fox News die Demokraten als schädliche „Feinde im Innern“, die am Wahltag ein Chaos auslösen würden. Dazu spekulierte Trump, dass dann die Nationalgarde eingesetzt werden könnte. Dazu schrieb die New York Times: „Nie zuvor hat ein Präsidentschaftskandidat – ganz zu schweigen von einem früheren Präsidenten – offen davon gesprochen, das Militär gegen amerikanische Bürger einzusetzen, nur weil sie gegen seine Kandidatur sind.“ Die Drohung, „Retribution“ (Vergeltung) zu üben an seinen politischen Gegnern taucht immer wieder in Trumps Reden auf (nytimes.com, 15.10.2024: „Trump Escalates Threats to Political Opponents He Deems the ‚Enemy’“).
Berichtet wird auch, dass Trumps Rhetorik immer wirrer wird: „Lügen, Hetze und Beleidigungen zählten schon immer zu Donald Trumps Repertoire, doch die letzten Wochen zeigen, dass Steigerungen jederzeit möglich sind. Seine Ankündigungen werden bedrohlicher, seine Worte noch dunkler“ (sueddeutsche.de, 15.10.2024: „Wie Trumps Rhetorik immer wirrer wird“). Die New York Times schreibt über Trumps „mäandernde Ansprachen“, bei denen er vom Hundertsten ins Tausendste kommt und man am Anfang nicht einmal ahnen kann, wo er am Ende landen wird. Das Stichwort „irrlichternd“ fällt mir dazu ein.
(Quellen: nytimes.com, 17.10.2024: „Trump’s Meandering Speeches Motivate His Critics and Worry His Allies“; nytimes.com, 20.10.2024: “Four of Trump’s Most Meandering Remarks This Week”).
Einen rhetorischen Tiefpunkt hat Trump bei einer Kundgebung am 19.10.2024 in Latrobe, Pennsylvania erreicht. Zur Einleitung redete er 12 Minuten über den Golfer Arnold Palmer, nach dem der Flugplatz der Stadt benannt ist. Trump verirrte sich dabei unter anderem in die Beschreibung der Länge des Penis des Golfers. Als die Menge reagierte, kicherte Trump und sagte: „Ich musste euch den Teil der Geschichte in der Dusche erzählen weil der wahr ist. Was soll ich sagen? Wir müssen ehrlich sein.“
Bei der gleichen Veranstaltung in Latrobe hielt Trump erneut Zwiesprache mit der Menge und forderte das Publikum auf, das Wort „Shit“ in seine Beschreibung der Regierungszeit von Biden und Harris einzufügen. Dazu die New York Times: „Es war nicht klar, ob die Ausbrüche und Beleidigungen der Frustration über den langen Wahlkampf geschuldet sind oder seinem reflexartigen Streben, die Menge zu unterhalten.“ Als Kamala Harris auf Trumps vulgäre Aussagen angesprochen wurde, sagte sie: „Das amerikanische Volk verdient Besseres. US-Präsidenten müssen schließlich weltweit Räume betreten, in denen Anstand und Einhaltung von Regeln und Normen gefordert sind.“
(Quellen: nytimes.com, 19.10.2024: „At a Pennsylvania Rally, Trump Descends to New Level of Vulgarity“; sueddeutsche.de, 21.10.2024; Kommentar von Boris Herrmann: “Trump erreicht einen neuen Tiefpunkt auf seiner Sexismus-Skala”; sueddeutsche.de, 21.10.2024: „Harris: Trump wird wegen fehlenden Anstands verlieren“).
Narzissmus oder was?
Warum verirrt sich Donald Trump immer wieder in diese dunkle Vorstellungswelt? Warum hat er sich auf diesen schmutzigen Wahlkampfstil spezialisiert? Klar ist, er experimentiert mit Vulgärem nicht erst seit 2024. Er hat dies bereits 2016 und 2020 getan. Kreide hat er nie gefressen; er hat diesen Wahlkampfstil in Amerika längst „eingeführt.“ Zumindest seine Fans sind damit voll einverstanden. Sie hassen die Demokraten und lieben Trumps Show. Trump und seine hard-core Fans ergänzen sich perfekt. Das Ergebnis ist ein des Landes unwürdiger und schmutziger Wahlkampf.
Ein Gesichtspunkt zur Beantwortung der Frage „Warum verhält sich Trump so? sei noch erwähnt: Es geht um Trumps mentale Verfassung. Im Jahr 2020 brachte der Verlag Simon & Schuster in New York ein Buch der Psychologin Mary Trump (Jahrgang 1965) heraus mit dem Titel „Too Much and Never Enough: How My Family Created the World’s Most Dangerous Man“. Die Verfasserin ist nicht Irgendwer; sie ist eine Nichte von Donald Trump und sie schrieb über ihren Onkel, dass er alle charakteristischen Merkmale eines Narzissten zeige: Donald ist nicht nur schwach, sein Ego ist ein schwaches Ding, das immer unterstützt werden muss, denn er weiß im tiefen Inneren, dass er nicht das ist, was er vorgibt zu sein.“
In einem Bericht, der bei ardalpha.de veröffentlicht wurde, wird Narzissmus wie folgt beschrieben: „Im Unterschied zu selbstbewussten Menschen, die an ihre Fähigkeiten glauben, kennzeichnen Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung vor allem folgende Wesensmerkmale: Sie finden sich selbst grandios, leiden unter Selbstüberschätzung, mangelnder Empathie sowie Egozentrismus …“… „Im Hintergrund leiden Narzissten unter einem niedrigen Selbstwertgefühl, einer ausgeprägten Kritikempfindlichkeit und Versagensängsten …“.
(Quellen: bbc.com, 14.7.2020: „Five shocking passages in Mary Trump’s tell-all book“; ardalpha.de, 12.9.2024: “Narzissmus – Wie verhält sich ein Narzisst?“).
Im Deutschlandfunk wurde die Frage, ob Donald Trump ein Narzisst sei, bereits 2017 erörtert: „Leidet der (damalige) Präsident etwa unter einer Persönlichkeitsstörung? Einer narzisstischen Störung – verbunden mit der Unfähigkeit, sich in andere einzufühlen, statt dessen Machtfantasien und Prunk?“ Die New Yorker Psychologie-Professorin Diana Diamond sah dafür Anzeigen, schloss sich jedoch ihren 33 Berufskollegen nicht an, die in einem offenen Brief an die New York Times gewarnt hatten, Trump sei emotional zu instabil, um die Rolle als Präsident sicher auszuführen. Diana Diamond hielt sich dabei streng an die Regeln ihrer Zunft, dass es unethisch sei, Fremddiagnosen über Personen des öffentlichen Lebens abzugeben und diese ohne dessen Einwilligung publik zu machen. „Ich bin vorsichtig in der Frage, ob Trump wirklich geeignet ist. Ich ziehe es vor, dass die Öffentlichkeit ihre eigenen Schlussfolgerungen zieht.“ Zu einer anderen Frage, nämlich: „Was hat die Menschen dazu gebracht, diese Person zu wählen?“, machte Diana Diamond jedoch eine eindeutige Anmerkung: „Ich glaube, das hat auch etwas mit narzisstischen Problemen zu tun. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Menschen sich narzisstisch beschädigt fühlen – und verletzlich.“
Ohne sich zur Frage zu äußern, ob Trump ein Narzisst sei, schreibt Maggie Haberman, die Starjournalistin der New York Times in ihrem Buch „Täuschung – Der Aufstieg Donald Trumps und der Untergang Amerikas“ (Deutsche Fassung 2022 bei Siedler) über Donald Trump: „Aber die Wahrheit ist, dass ihn letztlich fast niemand wirklich kennt. Einige kennen ihn besser als andere, aber er ist schlichtweg undurchschaubar, das erlaubt Menschen, Bedeutung und Tiefe aus jeder seiner Aktionen herauszulesen, wie hohl diese auch sein mögen.“ Tim Walz, der demokratische Kandidat für die Vizepräsidentschaft beschreibt Donald Trump ganz einfach als „weird“ – unheimlich, sonderbar, verrückt, aus dem Mainstream gefallen.“ Das klingt zwar wenig wissenschaftlich, wird jedoch vom Durchschnittsamerikaner sofort verstanden.
(Quellen: deutschlandfunk.de, 22.3.2017; „Psychologen zweifeln an Trumps geistiger Gesundheit“; sueddeutsche.de, 12.10.2022: „Die Wahrheit ist, dass ihn letztlich fast niemand wirklich kennt“).
Zwei TV-Debatten und eine gewichtige Wahlempfehlung
Am 10.9.2024 gab es auf ABC die große TV-Debatte und rd. 67 Millionen Menschen sahen zu. Eine Blitzumfrage brachte das Ergebnis: Harris hat mit 63 % zu 37 % gewonnen. Trumps Auftritt war dürftig. Die Süddeutsche Zeitung schrieb: „In Harris hat Trump seine Meisterin gefunden.“ Eine weitere TV-Debatte lehnte er ab. Schon beim Start brachte Harris ihren Kontrahenten in Verlegenheit als mit ausgestreckter Hand auf ihn zuging und laut und deutlich „Kamala Harris“ sagte. Ein Harris-Berater sagte später bei CNN, dieser Auftritt sei präzise einstudiert gewesen nachdem Trump in seinen Kundgebungen immer wieder absichtlich ihren Namen falsch ausgesprochen habe.
Bemerkenswert war im Verlauf der Debatte, wie Harris Trump immer wieder Köder zuwarf und dieser zuschnappte und sich auf Nebenthemen führen ließ. So etwa, als Harris anmerkte, Trumps Kundgebungen seien so langweilig, dass die Leute scharenweise weggingen. Trump schnappte zu und sprach nicht über die Bedürfnisse des Landes und seiner Menschen sonder über seine Kundgebungen. „Die Menschen verlassen meine Kundgebungen nicht!“ Dazu die CNN-Moderatorin Kasi Hunt am 13.9.2024: „Es gibt Themen, bei denen er offenbar reagieren muss und Kamala Harris war geschickt, diese Knöpfe zu drücken.“
Ein Musterbeispiel für das Wörtlichen „weird“ lieferte Trump, als er beim Thema Migration vortrug, die Migranten kämen aus 180 Ländern der Welt – darunter Verbrecher und Geisteskranke – und überschwemmten Amerika. Dann sein Höhepunkt: In Springfield, Ohio würden die Haitianer die Hunde und Katzen der Einwohner einfangen und essen; „die Haustiere der Leute … Es ist eine Schande!“ Diese Szene wurde im Fernsehen über mehrere Tage immer wieder eingespielt, wenn über die Debatte berichtet wurde.
Trump hatte die Springfield-Story schon mehrmals zuvor auf Kundgebungen erzählt. So konnte ABC den Wahrheitsgehalt der Geschichte vor der Debatte prüfen. Bei der Stadtverwaltung in Springfield war darüber nichts bekannt und Kamala Harris zeigte ihr breites Lachen; lachte Trump auf offener Bühne vor 67 Millionen Zusehern einfach aus. Er wird ihr dies nicht vergessen, denn dies war kein fröhliches Erlebnis für den vermeintlichen Alleskönner. Er erklärte zwar später, er habe die Debatte gewonnen, doch selbst die eigenen Leute waren anderer Meinung. Am 23.7. 2024 hatte er noch erklärt, er sei „absolut“ bereit, mit Harris mehrmals zu debattieren. Am 12.9.2024 zog er diese Ankündigung zurück. Die Harris-Kampagne gab bekannt, innerhalb von 24 Stunden nach der Debatte 47 Millionen Dollar eingenommen zu haben.
Fabian Fellmann beschrieb in der SZ, wie gut sich Harris offenbar auf die Debatte vorbereitet hatte: „In die Kamera schaute sie nur, wenn sie an der Reihe war. Sobald aber Trump zu reden begann und der Sender ABC das Gesicht von Harris neben seinem einblendete, drehte sie den Kopf zu ihm. Das erlaubte ihr, seine Behauptungen, Übertreibungen und Verschwörungsthesen mit einer Mimik zu kommentieren, die sich im tödlichen Dreieck zwischen Ungläubigkeit, Belustigung und Mitleid bewegte. Trump ist „weird“, merkwürdig, sagten ihre Blicke, einstudiert nach dem Vorbild der Memes, die in den sozialen Medien kursieren. So werden die merkwürdigen Momente dieser Debatte die Mobiltelefone in den letzten Ecken des Landes erreichen. Jener, in dem Trump behauptete, er hätte von China Milliardenbeträge an Zöllen eingenommen, In West Virginia würden Babys nach der Geburt getötet. Immigranten in Ohio würden die Hunde der Amerikaner aufessen.“
(Quellen: nytimes.com, 11.9.2024: „Harris Deminates as Trump Gets Defensive: 6 Takeaways From the Debate“; nytimes.com, 11.9.2024: “Donald Trump Made a Raving, Rambling Fool of Himself in That Debate”; sueddeutsche.de, 11.9.2024: “In Harris hat Trump seine Meisterin gefunden. Aber das Rennen bleibt knapp“; Kommentar von Fabian Fellmann; Heilbronner Stimme, 12.9.2024: „Harris dreht den Spieß um“; nytimes.com, 23.7.2024: „Trump Says He Is Willing to Debate Harris Multiple Times“; nytimes.com, 12./13.9.2024: Trump Says, He Won’t Do Another Debate as Harris Announces Cash Haul: Sept. 2 Campaign News”).
Der von Trump erzählten Springfield-Story gab sein Vize-Kandidat JP Vance ein paar Tage später den „super-weird Touch“. Am 15.9.2024 griff die CNN-Moderatorin Dana Bash die Story in der Sendung „State of the Union“ noch einmal auf. Sie hatte JD Vance zu Gast und befragte ihn zu den Dementis des republikanischen Gouverneurs von Ohio, Mike DeVine und des Bürgermeisters von Springfield, Rob Rue. Beide hatten die Geschichte als Verleumdung der Immigranten aus Haiti bezeichnet, die seit Jahrzehnten legal in Springfield leben. Der Gouverneur nannte die von Trump und anderen Republikanern kolportierte Story als „ein Stück Abfall“; sie sei ganz einfach nicht wahr. Bürgermeister Rue warf den Politikern vor, sie hätten die Stadt in ein negatives Licht gebracht. „Sie sollten wissen, dass sie mit ihren Aussagen die Stadt schädigen.“
JD Vance reagierte auf diese Vorwürfe und auf die Fragen von Dana Bash recht merkwürdig. Er sagte, er stehe zu der widerlegten Geschichte, die er und Donald Trump verbreitet haben. Es sei ihm dabei darum gegangen, „Geschichten zu ‚kreieren’ (englisch: ‚to create’), damit die amerikanischen Medien aufmerksam würden. Vance reagierte entrüstet, als ihn Dana Bash auf die Bombendrohungen ansprach, die in Springfield zur Schließung des Rathauses und mehrerer Schulen sowie zur Einschaltung des FBI geführt hatten. Er habe seit Monaten versucht, über die Probleme in Springfield zu reden. (Vance bezieht sich dabei auf Engpässe in Schulen und im Gesundheitsdienst, die durch die verstärkte Zuwanderung von Haitianern nach Springfield entstanden sind). Nun warf er den amerikanischen Medien vor, sie hätten all dies ignoriert, „bis Donald Trump und ich über die Katzen-Memes gesprochen haben. Wenn ich Geschichten kreieren muss, damit die Medien endlich auf das Leiden der Amerikaner aufmerksam werden, dann mache ich das.“
Dana Bash hakte zu dem von Vance verwendeten Begriff „kreieren“ nach und Vance antwortete: „Ich sagte, wir kreieren eine Geschichte und meine damit, wir kreieren die Aufmerksamkeit der amerikanischen Medien.“ Daraus kann geschlossen werden, dass Trumps Running Mate JD Vance der ursprüngliche Verbreiter, wenn nicht gar der ‚Kreierer’ der Springfield-Story ist. Damit hat er erneut – wie schon mit dem Stichwort „kinderlose Katzen-Frauen“ seinem Chef einen Bärendienst erwiesen. Doch Trump strickte an der Geschichte trotzdem weiter. Am 13.9.2024 erklärte er bei einem Pressegespräch in seinem Golfclub Rondo Palos Verdes in Kalifornien, falls er gewählt wird werde er mit den angekündigten Massendeportationen von Migranten in zwei Städten in Ohio und Kalifornien beginnen, in Springfield und in Aurora.
(Quellen: nytimes.com, 13.9.2024: „Trump Pledges to Start Migrant Deportation in Ohio and Colorado“; nytimes.com, 13.9.2024: “Bomb Threats and the F.B.I.: Springfield Disrupted by Trump’s False Migrant Claim”; nytimes.com, 15.9.2024: “Vance Sticks By Pet-Eating Claims and Says He’s Willing to ‘Create Stories’”).
Von den Demokraten erhofft und von anderen bekrittelt kam unmittelbar nach dem Ende der Harris-Trump- Debatte am 10.9.2024 auf Instagram das Endorsement des Mega-Stars Taylor Swift: „Ich werde meine Stimme für Kamala Harris und Tim Walz abgeben .“ Unterzeichnet hat sie ihre Wahlempfehlung mit : „Taylor Swift – Childless Cat Lady“. Ein Rempler für Trumps Running Mate JD Vance und seine abfälligen Bemerkungen über Frauen in der Politik.
Am 3.10.2024 empfahl auch der Rock Star Bruce Springsteen mit einem 3-minütigen Video in den Sozialen Medien die Wahl von Harris und Walz. Welche Wirkungen solche Celebrity Endorsements haben, lässt sich nicht abschätzen. „Wahlkampagnen brauchen Bewegung und das ist nicht immer ohne weiteres messbar“, schreibt die New York Times, gibt aber den Hinweis, was das Swift-Endorsement noch in der Nacht des 10.9.2024 ausgelöst hat: Die Harris-Kampagne hatte – in Anlehnung an die bei den Swifties beliebten Freundschafts-Armbändchen – solche Bändchen auf ihrer Website angeboten. Sie waren nach knapp 24 Stunden ausverkauft.
Donald Trump und seine Leute waren von den beiden Endorsements für Harris und Walz nicht begeistert und schalteten – wie üblich – auf Angriff: „Ich hasse Taylor Swift!“ postete er am 15.9.2024 in Großbuchstaben auf „Truth Social“. Bruce Springsteen hatte er bereits im August mit den Worten gegrüßt: „Ich bin keine großer Fan. Ich habe eine schlechte Eigenschaft: Ich mag nur Leute, die mich mögen.“
(Quellen: nytimes.com, 10./11.9.2024: „Taylor Swift Endorses Kamala Harris“; nytimes.com, 12.9.2024: “Will Taylor Swift’s Endorsement Actually Affect the Election?”; n-tv.de, 15.9.2024: “Trump postet: “ICH HASSE TAYLOR SWIFT”; nytimes.com, 2.10.2024: "Bruce Springsteen Endorses Kamala Harris for President”).
Über die TV-Debatte der beiden Running Mates Walz und Vance am 1.10.2024 auf CBS soll hier nur kurz berichtet werden. „Duell ohne K.o.-Schlag“ überschrieb die Heilbronner Stimme ihren Bericht. „Vance ist für Walz nur schwer zu greifen“, schrieb die Süddeutsche Zeitung. Eine Blitzumfrage von CBS und CNN ergab ein „Unentschieden“. Die New York Times stellte fest, das die beiden Vize-Kandidaten meist nicht auf den Gegenüber zielten sonder über ihre Running Mates, die Chefin und den Chef diskutierten. „Die Aufgaben von Vance bestand offenbar darin, in Worte zu fassen, was der 78-jährige Donald Trump nicht mehr kohärent vermitteln kann“ (Heilbronner Stimme, 4.10.2024).
Der einzige Höhepunkt dieser Debatte war, als JD Vance das Verhalten Donald Trumps nach der Niederlage 2020 nicht erklären konnte oder wollte. Auf die direkte Frage von Wals: Hat er (Trump) die Wahl 2020 verloren?“, wich Vance aus und lenkte ab. Er argumentierte, die Demokraten seien die wirkliche Gefahr für die Demokratie. Die gestellte Frage beantwortete er nicht. Dazu die NYT: „Dieser Wortwechsel zeigt sowohl die Grenzen als auch die Anforderungen an Trumps Running Mate.“ Mit anderen Worten: JD Vance konnte und durfte nicht einmal andeutungsweise zum Wahlausgang 2020 etwas anderes sagen als sein „Meister“, denn Trump schwört noch immer Stein und Bein, er habe gewonnen und die Wahl sei ihm „gestohlen“ worden.
(Quellen: nytimes.com, 1./2.10.2024: „Civilty and Then a Clash Over Jan. 6: Seven Takeaways From the Debate”; sueddeutsche.de, 2.10.2024: “Vance ist für Walz nur schwer zu greifen”; Heilbronner Stimme, 4.10.2024: „Duell ohne K.-O.-Schlag“),
„Wer zur Hölle möchte Fragen hören?“ – Medienberichte über Trumps Wahlkampfauftritte
Das Thema der geistigen Fitness von Donald Trump habe ich bereits angesprochen. Als Joe Biden noch im Rennen war, war eines der Lieblingsthemen Trumps das Alter des Präsidenten: „Ist Biden fit genug, eine weitere Amtszeit von vier Jahren durchzustehen?“ Trump hat seinen Kontrahenten immer wieder verspottet und persönlich beleidigt. Das Blatt hat sich jedoch entscheidend gewendet; Nach dem Rückzug von Biden wird nun der 78-jährige Trump mit dieser Frage konfrontiert. Barack Obama und Tim Walz haben Trump bei Veranstaltungen in Madison und Racine, Wisconsin am 22.10.2024 aufs Korn genommen. Sie sprachen über seine unkonzentrierten und weitschweifigen Wahlreden. Mit denen er in letzter Zeit immer wieder auffällt. r scheint müde zu sein und das Stehvermögen zu verlieren. „Seine Reden werden immer wieder zum Wortsalat“, sagte Obama und spottet: „Würde sich der Opa so verhalten, würdet ihr euch sorgen“ (nytimes.com, 22.10.2024: „Walz Rallies Supporters on Wisconsin’s First Day of Voting, Alongside Obama“).
Auffällig ist, dass die Medien immer öfter über Trumps ausufernde Reden berichten, die häufig in einer unverstehbaren Endlosschleife enden. Dies gibt Anlass zu Fragen nach Trumps Alter, Fitness und Konzentrationsfähigkeit. Bei einer Kundgebung am 22.10.2024 in Greensboro, North Carolina redete er fast zwei Stunden lang und fiel sehr ausgiebig über Kamala Harris her. Sie sei ein „Individuum mit niedrigem I.Q“ und fabulierte weiter, sie sei „erstarrt wie ein Hund“, als ihr Teleprompter ausfiel. Dann deutete er an – ohne dies zu belegen – sie habe wahrscheinlich ein Alkoholproblem, sei vielleicht drogenabhängig und „mental und physisch nicht fähig, Präsidentin zu werden“, um schließlich über den eigenen Redefluss zu stolpern weil er sich nicht an den Anfang seiner Worte erinnern konnte.
Hier ein weiterer Bericht über den sonderbaren Verlauf einer Veranstaltung am 14.10.2024 in Oaks, Pennsylvania. Ursprünglich geplant als Town Hall Meeting sollte Trump unter Mithilfe von Kristi Noem, der Gouverneurin von South Dakota Fragen aus der Mitte des Publikums beantworten. Doch nach etwa 30 Minuten nahm die Veranstaltung einen so nicht geplanten Verlauf. In kurzer Folge gab es im Publikum zwei medizinische Notfälle, die zur Unterbrechung des Frage und Antwortspiels führten. Nach der zweiten Unterbrechung schien Trump genug zu haben. „Lasst uns keine weiteren Fragen stellen, lasst uns einfach Musik hören. Lasst uns eine Musik (Veranstaltung) daraus machen. Wer zur Hölle möchte Fragen hören, was?“
Die New York Times schilderte den weiter Verlauf: „Die Menge jubelte in Zustimmung, ein Anzeichen dafür, warum seine Unterstützer zu seinen Kundgebungen strömen, zum einen um mit ihm zusammen zu sein, zum andern um ihm bei seine politischen Aussagen zuzuhören, die ihnen längst vertraut sind.“ In der Folge betätigte sich Donald Trump im Greater Philadelphia Expo Center als D.J., so wie er es in privater Runde in Mar-a-Lago des Öfteren tut. Mehr als eine halbe Stunde lang stand Trump auf der Bühne, bewegte sich zur Musik, während die Menge langsam kleiner wurde. Er wiegte den Kopf zu „Y.M.C.A.“, bewegte sich beschwingt durch Rufus Weinrights Version von „Halleluja“, rockte mit Elvis und verließ Hände schüttelnd die Bühne während des letzten Liedes … (nytimes.com, 14.10.2024: „Trump Bobs His Head to Music for 30 Minutes in Odd Town Hall Detour“).
Ich will diese “sonderbare”, “seltsame”, “weird” Wahlkampfveranstaltung nicht ausdeuten sondern einen weiteren NYT-Bericht zitieren, in dem die Sorgen seiner Berater über das Durcheinander in Trumps Reden beschrieben werden, die vor allem größer werden, wenn er vom Manuskript abweicht. Im Bericht wird dafür das Wort „Gießkannen-Prinzip“ verwendet. Kamala Harris bezeichnet Trump daher als instabil und fahrig; seine Berater empfehlen ihm, sich am Zügel zu nehmen.
Am 15.10.2024 wurde er beim Economic Club of Chicago gefragt, ob er Google aufspalten würde. Er antwortete darauf mit Kritik am Justizministerium, weil dieses gegen Wahlbehörden in Virginia eine Klage eingereicht hat. Nochmals zu Google gefragt sagte er, er habe dieser Tage den Chef von Google angerufen und sich darüber beschwert, das es so schwierig sei, in den Suchmaschinen von Google positive Nachrichten über seine Kampagne zu finden.
Harris verwendet in ihrer Wahlwerbung gegen Trump Videoclips wie etwa diesen Auftritt beim Economic Club of Chicago und beschreibt Trump als „instabil“, „böse“, „unkonzentriert und weitschweifig“ und „nicht fit um das Land zu führen.“ Mit Hinweis auf seine Lügengeschichte über die Haitianer in Springfield, Ohio sagte Harris: „Dieser Mann ist gefährlich.“
Schließlich beschrieb die New York Times, wie Trump versuchte, bei einem Auftritt in Arizona eine Rede zu beenden: „Zum Schluss will ich nur sagen dass Kamala Harris eine radikale linke Marxistin ist, viel schlimmer als Bernie Sanders und Pocahontas“ (sein Schimpfname für die demokratische Senatorin Elisabeth Warren). Danach, so der Bericht, „redete er weitere 17 Minuten“ (nytimes.com, 17.10.2024: „Trump’s Meandering Speeches Motivate His Critics and Worry His Allies“).
(Doch vielen seiner Fans scheint dieser „mäandernde“ und offenbar unterhaltsame Redestil zu gefallen. Allerdings ist zu fragen: Wählen die Amerikaner am 5.11.2024 einen Präsidenten oder einen TV-Unterhalter?).
Hoffen und Bangen in Europa
Nach monatelanger Beobachtung des Wahlkampfes in den USA und dem Versuch, die Entwicklungen wenigstens teilweise zu beschreiben, komme ich zu dem Fazit: Europa blickt mit Hoffen und Bangen auf den 5.11.2024. Hoffend, dass der Republikaner Donald Trump nicht der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sein wird. Hoffend, auf den politischen Realitätssinn der amerikanischen Wählerinnen und Wähler, dass sie keinen notorischen Lügner, Aufrührer und verurteilten Straftäter ins Weiße Haus wählen werden.
Der Rückzug von Joe Biden und die Kandidatur von Kamala Harris haben der Kampagne der Demokraten eine neue Dynamik gebracht. Bei den Umfragen zum 25.10.2024 liegt sie landesweit mit 1 Prozentpunkt vor Trump; allerdings sagt dies wenig darüber aus, wie das Ergebnis tatsächlich aussehen wird. In vier der so genannten Battleground States liegt sie entweder gleichauf oder mit 1 Prozentpunkt vor Trump; in drei dieser Staaten liegt Trump knapp vorn. Das Rennen ist praktisch unentschieden (nytimes.com, 25.10.2024: „Election 2024 Polls: Harris vs. Trump“).
Der künftige US-Präsident bzw. die Präsidentin wird sich unmittelbar nach dem Amtsantritt mit zwei Kriegen beschäftigen müssen: Mit dem Ukraine-Krieg und mit dem im Mittleren Osten. Den Krieg zwischen Israel und den das Land bedrohenden Terrorgruppen betrachtet Europa mit Sorge und tut das Wenige, das es kann, die Ausweitung in einen großen Feuerbrand zu verhindern. Sollte Trump der nächste US-Präsident sein, würde er unvorhersehbare Entscheidungen treffen. Dazu ein Beispiel, wie er komplexe Probleme anpackt: Trump hat sich Anfang Oktober in die Diskussion um die mögliche Reaktion Israels auf die Raketenangriffe des Iran eingeschaltet. Er hat empfohlen, Israel solle die Atomanlagen des Iran angreifen. Präsident Biden hatte davor gewarnt.
Die Begründung Trumps für seine Empfehlung zeigt, wie er mit so komplexe Fragen umgeht. Er kommentierte Bidens Warnung vor einem Angriff auf die Atomanlagen des Iran mit den Worten: „Seine Antwort hätte sein sollen: Zielt zuerst auf die Atomanlagen und macht euch über den Rest später Gedanken“ (sueddeutsche.de, 5.10.2024: „Trump spricht sich für israelische Attacke auf iranische Atomanlagen aus“).
Vom Ukraine-Krieg ist Europa – sind die NATO und die EU – unmittelbar betroffen. Trumps Unstetigkeit und Sprunghaftigkeit geben Anlass zu großer Sorge. Nach seinen immer wieder schwankenden Erklärungen er würde den Krieg in einem Tag beenden, müsste bei einer Wahl Trumps mit einem gefährlichen Lösungsansatz gerechnet werden: Er würde den Aggressor Putin vom Haken lassen und der Ukraine einen „Frieden“ aufzwingen, der Russland belohnt und Putin zur Fortsetzung seiner aggressiven Politik ermuntert.
In einem Interview wurde Trumps Running Mate JD Vance nach Trumps Plan zur Beendigung des Ukraine-Krieges gefragt, Die am 12.9.2024 veröffentlichten Aussage – und diese entsprach sicher den Vorstellungen seines Chefs: „Mr. Trump würde sich mit den Russen, Ukrainern und Europäern zusammensetzen und ihnen sagen: „Ihr müsst nun herausfinden, wie ein Friedensschluss aussehen soll.“ Dazu skizzierte Vance, was seiner Meinung nach ein Vertrag enthalten könnte:
- Die Russen sollen das Land behalten, das sie eingenommen haben;
- Eine entmilitarisierte Zone sollte entlang den gegenwärtigen Kampflinien eingerichtet werden, die auf ukrainische Seite stark befestigt wird um eine weitere russische Invasion zu verhindern;
- Der Rest der Ukraine solle ein souveräner Staat werden und
- Russland solle eine „Zusage der Neutralität“ von der Ukraine erhalten.
Vance erklärte dazu, dass sie (die Ukraine) weder der NATO oder einem ähnlichen Bündniszusammenschluss beitritt. „Ich denke, so sollte es letztlich aussehen“, sage er.
Dazu zitierte die New York Times Victoria J. Nuland, eine frühere leitende Mitarbeiterin des US-Außenministeriums, die an der Ausarbeitung von Bidens Ukraine-Politik beteiligt war, mit dem Hinweis, dass der Vance-Plan dem sehr ähnlich sei, was Putin immer wieder als Bedingung für einen Friedensschluss vorgetragen hat. „Er ist letztlich ein großes Geschenk an ihn (Putin).“
Victoria Nuland hinterfragte, wie die entmilitarisierte Zone durchzusetzen sei angesichts der Tatsache, dass es wenig Bereitschaft für eine große internationale Friedenstruppe gibt. Ohne diese oder andere robust Sicherheitsgarantien würde Putin einfach abwarten und dann den Krieg erneut beginnen (nytimes.com, 13.9.2024: „Vance Describes Plan to End Ukraine War That Sounds a Lot Like Putins“).
Kein Wunder, dass der ukrainische Präsident die Pläne Trumps und Vance’s umgehend kritisierte. In einem Interview mit der Zeitschrift „The New Yorker“ sagte er am 22.9.2024: „Mein Eindruck ist, dass Trump in Wirklichkeit nicht weiß, wie der Krieg zu beenden ist selbst wenn er denkt, er wisse es. Bei diesem Krieg ist es oft so: Je mehr man hinschaut, desto weniger versteht man. Ich habe viele Staatsmänner erlebt, die überzeugt waren zu wissen, wie man ihn morgen beenden kann, und als sie sich tiefer damit beschäftigt haben erkennen mussten, dass dies nicht so einfach ist.“ Selenskyj betonte in dem New Yorker-Interview, dass die Ukraine keine Schachfigur sei und ihre Interessen berücksichtigt werden müssten (nytimes.com, 23.9.2024: „Ukraine’s president criticizes Trump and Vance over remarks on his country’s war with Russia“).
Man braucht keine diplomatischen Erfahrungen haben um zu erkennen, wie dilettantisch die Vorstellung ist, Trump könne Russland, die Ukraine und die Europäer einfach an einen Tisch rufen und anordnen: „Ihr müsst nun herausfinden, wie ein Friedensschluss aussehen soll.“ Dass jedoch Trump und Vance durchs Land ziehen und im Wahlkampf über ihren „Friedensplan“ fabulieren, kann die Sorgen der Europäer über einen Wahlsieg Trumps am 5.11. 2024 nur verstärken. Trumps Empfehlung zu ihrem eventuellen Vergeltungsschlag gegen den Iran kommt in den Sinn: „Zielt erst auf die Atomanlagen und macht euch über den Rest später Gedanken.“ Solche Vorstellungen sind nicht nur dilettantisch, sie sind gefährlich.
Und die europäischen Sorgen dürften nach der jüngsten Veröffentlichung des Buches des erfahrenen Journalisten der Washington Post, Bob Woodward mit dem Titel „War“ („Krieg“) nicht kleiner geworden sein. Woodward ist nicht Irgendwer. Zusammen mit seinem Kollegen Carl Bernstein deckte er vor Jahren den „Watergate Skandal“ auf, der letztlich Präsident Richard Nixon zum Rücktritt zwang. In seinem Buch „War“ schreibt Woodward, das Donald Trump nach dem Ende seiner Präsidentschaft mit Putin Kontakt hatte und heimlich sieben Mal mit ihm telefoniert habe. Über den Inhalt dieser Gespräche berichtet Woodward nicht. Doch sie werden nicht nur über das Wetter gesprochen haben. Im Bericht über das Woodward Buch erinnert die New York Times daran, dass Trump Putin wiederholt gelobt hat und ihn als „Genius“ bezeichnete, als Russland 2022 die Ukraine überfiel.
Vermerkt wird im NYT-Bericht, dass Präsidenten auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt Kontakte mit früheren Kollegen pflegen. So hat Donald Trump beispielsweise Benjamin Netanjahu, Victor Orban und andere in Mar-a-Lago empfangen. Doch diese Treffen wurden öffentlich bekannt gegeben. „Es wäre aber für einen früheren Präsidenten höchst ungewöhnlich, privat mit einem speziellen Gegner wie Mr. Putin zu sprechen ohne dies mit der gegenwärtigen Administration abzustimmen – insbesondere zu einer Zeit, in der die Vereinigten Staaten und Russland auf der jeweils anderen Seite eines Krieges in Europa stehen,“ schreibt die NYT. „Präsident Biden hat mit Mr. Putin seit der Invasion der Ukraine nicht gesprochen.“
Donald Trump und sein Team reagierten auf die Buchveröffentlichung mit wüsten Beschimpfungen. „Keine dieser erfundenen Geschichten von Bob Woodward sind wahr. Sie sind das Werk eines wirklich dementen und geistesgestörten Mannes, der an dem den Verstand schwächenden Trump’schen Geisteskrankheitssyndrom (Trump Derangement Syndrome) leidet“, erklärte Steven Cheung, der Sprecher der Trump Kampagne. Trump wurde am 15.10.2024 auf die Kontakte zu Putin direkt angesprochen: „Können Sie mit „Ja“ oder „Nein“ antworten, ob Sie nach dem Ende Ihrer Präsidentschaft mit Vladimir Putin gesprochen haben?“, fragte John Micklethwait von Bloomberg News. Trump antwortete ausweichend: „Ich kommentiere das nicht aber ich kann sagen, sollte ich es getan haben, ist dies eine sinnvolle Sache. Wenn ich zu Leuten freundlich bin, und wenn ich die Verbindung mit Leuten pflege, ist das eine gute Sache und nicht schlecht für das Land. Er hat 2 000 Atomwaffen und wir haben das auch.“ Der Journalist stellte dazu fest: „Das klingt sehr danach, dass Sie mit ihm gesprochen haben.“
(Quellen: nytimes.com, 8.10.2024: „Trump Secretly Stayed in Touch With Putin After Leaving Office, Book Says”; sueddeutsche.de, 9.10.2024: “Trump soll angeblich heimlich mit Putin telefoniert haben – Kreml widerspricht“; nytimes.com, 15.10.2024: “Asked About Conversations With Putin, Trump ‘Dodges: ‘I Don’t Talk About That’”).
Inhaltsübersicht
Einleitung – Bidens miserabler Debattenauftritt
Was wäre wenn? Trump und Europa
Ratschläge and Mahnungen an Biden von Freunden
Bidens Ablösung verläuft respektvoll
Die unsichere Zwischenphase für Donald Trump
Noch ein Blick zurück: Bis Milwaukee schien vieles gut für Trump
Running Mate JD Vance – Trumps Ebenbild
Am 21.7.2024 der Paukenschlag: Biden zieht zurück
Wie die Entscheidung reifte – Stimmen danach
Der rasche Aufstieg der Kamala Harris
Die große Parteitags-Show der Demokraten in Chicago
Coach Tim Walz von Minnesota soll Vizepräsident werden
Kamala Harris’ Acceptance Speech
Trump wurde auf dem falschen Fuß erwischt – Ein schmutziger Wahlkampf steht bevor
Ein weiterer Attentatsversuch und die Folgen
Der schmutzige Wahlkampf – Vor allem Trump ist verantwortlich
Narzissmus oder was?
Zwei Debatten und eine Wahlempfehlung
„Wer zur Hölle möchte Fragen hören?“ – Medienberichte über Trumps Wahlkampfauftritte
Hoffen und Bangen in Europa
Einleitung – Bidens miserabler Debattenauftritt
Am 28.6.2024 – einen Tag nach der TV-Debatte zwischen Joe Biden und Donald Trump, veröffentlichte CNN erste Zahlen zu der Frage: Wer hat die Debatte gewonnen? Das Ergebnis war für Biden und die Demokraten niederschmetternd: Trump 67 %, Biden 33 %. Die Überschrift der Debattenberichte in der New York Times spiegelten diese erste Einschätzung der TV-Zuseherinnen und Zuseher wider: „Eine ungeschickte Vorstellung und eine panische Partei“ (nytimes.com, 27./28.6.2024: „A Fumbling Performance, and a Panicking Party“). Der erfahrene NYT-Jorunalist Peter Baker schrieb, dass Biden zu der Debatte angetreten war, um die Bedenken zu seinem Alter von 81 Jahren zu zerstreuen. „Doch Mr. Biden machte es zum zentralen Punkt: Über 90 Minuten kämpfte er mit rauher Stimme damit, seine Vorstellungen zu vermitteln und den früheren Präsidenten Donald J. Trump und seine scharfen aber zutiefst unehrlichen Aussagen zu kontern.“ Baker bezweifelte in seinem Bericht, dass Biden in der Lage ist, den heftigen Wahlkampf über vier Monate durchzustehen. Biden wirkte unsicher, unkonzentriert und verhaspelte sich des Öfteren. Er sagte nach der Debatte, er habe mit einer Erkältung zu kämpfen gehabt. Im übrigen sei es schwierig, mit einem Lügner zu debattieren.
Die NYT-Überschrift zum Auftritt Donald Trumps lautete: „Trumps Debatten-Auftritt: Anhaltende Angriffe und Unwahrheiten“ (nytimes.com, 28.6.2024: Trump’s Debate Performance: Relentless Attacks and Falsehoods“). Trump griff Biden persönlich an, und bezeichnete ihn als „schwach“. Er finde wenig Respekt bei Staatsmännern der Welt; diese „lachten“ über ihn. Ferner warf Trump Biden fälschlicherweise vor, er habe Putin ermuntert, die Ukraine anzugreifen.
Aus der Demokratischen Partei kamen erste Rufe, Joe Biden solle seine Kandidatur aufgeben. Peter Burghardt schreib in der Süddeutschen Zeitung: „… der Showdown bei CNN vor Millionen Wählerinnen und Wählern ging für den US-Präsidenten so katastrophal daneben, dass sich kaum mehr jemand vorstellen kann, dass eine Kandidatur ans Ziel führt“ (sueddeutsche.de, 28.6.2024: „Bidens Partei zweifelt an seiner Kandidatur“).
Nachdem ich längere Ausschnitte der Debatte vom 27.6.2024 gesehen hatte, war ich sehr enttäuscht über Bidens schwachen Auftritt. Es war ihm in der Tat nicht gelungen, die Bedenken über sein Alter zu zerstreuen. In der Folge wurden immer wieder Zweifel darüber geäußert, ob Biden im Falle seiner Wahl in der Lage sei, die Amtszeit von vier Jahren durchzustehen. Die nächsten Wochen seiner Kampagne wurden für ihn zu einer „Uphill Battle“, denn zu allem Übel testete er am 17.7.2024 positiv auf Corona und musste sich in die Isolation begeben (sueddeutsche.de, 18.7.2024: „Biden erkrankt vor Vorentscheidung an Covid“). Nach all dem war eine erneute Präsidentschaft Donald Trumps in gefährliche Nähe gerückt. Ob Biden all die Zweifel bei der für den 10.9. 2024 geplanten zweiten TV-Debatte würde ausräumen können, war offen.
Viele andere Aspekte des Wahlkampfes waren nun in den Hintergrund getreten, etwa die Frage, ob es sich die Vereinigten Staaten leisten können, einen Schwerverbrecher ins Weiße Haus zu wählen. Die New York Times warf einen Blick über die Grenzen und schrieb: „In Asien und Europa wird weniger über den Gewinner (der Debatte) geredet sondern mehr über die Stabilität in Amerika – sowohl im Inneren und vor allem bei entscheidenden außenpolitischen Fragen“ (nytimes.com, 28.6.2024: „U.S. Allies Watch the Debate with Shaking Heads and a Question: What Now?“). Die Europäer müssen sich – sollte Trump gewählt werden – ernsthafte Sorgen um die künftige Außenpolitik des Bündnispartners USA machen.
Fabian Fellmann, der Washington Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, fasste das Ergebnis der Debatte so zusammen: „Zurück bleibt das Bild zweier unbeliebter Politiker – die Amerikaner haben nur die Wahl des kleineren Übels. Keiner der beiden hat eine überzeugende Vision davon präsentiert, wie sie als Präsidenten die USA vorwärts bringen wollen. Das ist umso bedenklicher, als angesichts der Kriege im Osten Europas und im Nahen Osten sowie der sich zuspitzenden Konfrontation mit China eine klare Führung im Weißen Haus dringend nötig wäre.“ Fellmann stellt fest: Die Amerikaner waren die Verlierer des Abends. Ich will diese Feststellung ergänzen: Sollte Bidens schwache Vorstellung am 27.6.2024 dazu führen, das Trump ins Weiße Haus einzieht, wären auch die Europäer und vor allem die geschundenen Einwohnerinnen und Einwohner der Ukraine die Verlierer (sueddeutsche.de, 28.6.2024: „Die wichtigsten Erkenntnisse aus der TV-Debatte“).
Was wäre wenn? -- Trump und Europa
Schon lange vor der Biden-Trump-Debatte mögen Politikerinnen und Politiker in Europa hinter verschlossenen Türen über die Gefahren einer möglichen Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus gesprochen haben. Doch erst seit kurzem berichten die Medien über diese Sorgen bei der NATO und der EU. Einen Bericht über den G7-Gipfel vom 13. – 15.6.2024 in Italien überschrieb die Süddeutsche Zeitung mit „Schnell noch Fakten schaffen“. Es geht dabei darum, die militärischen und sonstigen Hilfen für die Ukraine so abzusichern und dauerhaft zu machen, dass sie bei einer Wahl von Trump durch diesen nicht einfach reduziert oder ganz eingestellt werden können. „Die Versammelten wissen, dass Putin auf den Ausgang der US-Wahlen lauert“, steht im Bericht (sueddeutsche.de, 14.6.2024: „Schnell noch Fakten schaffen“).
Katrin Pribyl, die Brüssel-Korrespondentin der Heilbronner Stimme fragt in ihrem Bericht sehr treffend: Wie ist es möglich, die Hilfen für die Ukraine „Trump-sicher“ zu machen? Die Sorgen um eine zweite Amtszeit des NATO-Kritikers seien groß, schreibt Katrin Pribyl, und um es noch drastischer zu formulieren: Die Verbündeten der USA äußern öffentlich ihre Zweifel in die Bündnistreue einer Trump-Administration. Zweifel auch in die Verlässlichkeit der amerikanischen Wählerinnen und Wähler in Sachen Europäische Sicherheit (Heilbronner Stimme, 15.6.2024: „Deutsche Schlüsselrolle“).
In einem weiteren Bericht vom G7-Gipfel schreibt die Süddeutsche Zeitung von der Rückkehr des NATO-Verächters Donald Trump, die am Horizont dräut. Deshalb soll künftig ein Teil der Aufgaben der Ramstein-Gruppe bei der Koordinierung der Ukraine-Hilfe unmittelbar auf die NATO übertragen werden, um sie „wenigstens logistisch“ von den politischen Verhältnissen in Washington abzukoppeln“ (sueddeutsche.de, 14.6.2024; „Vorbereitung auf einen Albtraum“). Das Trump’sche U-Boot innerhalb der EU steht schon bereit. Ab 1.7.2024 übernahm Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft und hat dafür ein ganz besonderes Motto ausgesucht: „Make Europe Great Again“. Es klingt für europäische Ohren wie Hohn, dürfte aber Donald Trump gefallen. Cathrin Kahlweit kommentiert dazu in der Süddeutschen Zeitung, diese Variation des Slogans von Donald Trump – „mag pompös und lächerlich klingen in ihrer Anbiederung an den Amerikaner. Aber Viktor Orban geht es immer um Wirkungsmacht, um Effekte, und dass er sich Trump zurückwünscht als US-Präsident, hat er längst ausreichend klargemacht. MEGA statt MAGA, das ist eine Provokation, es regt auf, und Orban steht gern im Mittelpunkt der Erregung – das haben er und Trump gemeinsam“ (sueddeutsche.de, 19.6.2024: „Der vermeintlich starke Mann aus Budapest ist angezählt“; Kommentar von Cathrin Kahlweit).
Doch die Amerikaner beschäftigen sich gegenwärtig mit anderen Fragen: Ist es denkbar, dass ein verurteilter Verbrecher (Felon) ins Weiße Haus gewählt wird? Oder: Wie wird sich das „Hush Money Urteil“ auf das Wahlergebnis auswirken? Thomas B. Edsall zitiert dazu in einem Kommentar der New York Times die auf den ersten Blick sonderbar erscheinenden Erkenntnisse der Wahlforscher und Wahlbeobachter: „Die Wähler wissen zwar, Trump ist ein korrupter Lügner, ein Narzisst und käuflich. Seine Unterstützer finden aber immer wieder einen Weg, ihn dafür nicht verantwortlich zu machen“.
Im April 2024 – noch ehe eine Jury in New York den früheren Präsidenten in 34 Anklagepunkten für schuldig befunden hatte – stellte YouGov den Wählerinnen und Wählern folgende Frage: „Glauben sie, dass jemand, der für eine Straftat verurteilt wurde, nicht Präsident werden sollte?“ Noch vor der Verurteilung Trumps sprachen sich viele Republikaner gegen einen Präsidenten aus, der als Verbrecher verurteilt wurde: 58 % stimmten gegen eine solchen Präsidenten, 17 % akzeptierten ihn und 25 % waren unentschieden. Nach Trumps Verurteilung war das Ergebnis völlig anders: 58 % akzeptierten einen verurteilten Präsident, 23 % akzeptierten ihn nicht und 23 % waren unentschieden.
Ein ähnliches Ergebnis gab es unter Republikanern zu der Frage: „Halten sie die Fälschung von Geschäftsunterlagen, um damit die Zahlung von Schweigegeld an eine Porno-Darstellerin zu verschleiern, für ein ernsthaftes Verbrechen?“ Im Juni 2023 und auch im April 2024 – vor der Jury-Entscheidung in New York – bezeichneten jeweils etwa 28 % der Republikaner dies als ein ernsthaftes Verbrechen. Im Juni 2024 – nach der Verurteilung Trumps – gaben nur noch 9 % der Republikaner diese Antwort. Thomas B. Edsall bezeichnete dies „als das übliche Verhalten der Trump-Unterstützer.“ Die Spenden-Einnahmen der Trump-Kampagne schossen nach der Verurteilung in die Höhe. Edsall zitierte dazu eine Frage des Politik-Analysten und Autors John Ganz: „Donald Trump ist nun ein verurteilter Verbrecher. Werden sich die Wähler darum scheren?“ Ganz bezweifelt dies und schreibt: „Vielleicht werden sich sogar diejenigen, die nicht zu den MAGA-Getreuen zählen und die Trump ambivalent betrachten, sich wenig darum scheren, dass Trump nun offiziell ein Krimineller ist. Und manche werden dies sogar attraktiv finden.“ Ganz hatte diese Gedanken bereits in den 1990er-Jahren in einem Essay mit dem Titel „Im Schatten des Mobs: Trumps Gangster-Gemeinschaft“ geäußert. „Wählerinnen und Wähler, die sich von Trump angesprochen fühlen glauben, dass das System – Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, politische Gleichheit – gescheitert sei … Trump spricht und handelt wie ein Mafiosi und versucht nicht einmal, dies zu verschleiern. Er hat sich immer wieder mit Al Capone verglichen“; und dazu schrieb die New York Times: „Nachdem sein Gerichtsverfahren zu Ende geht, hat sich Trump das Image eine Gesetzlosen zugelegt.“
Und nochmals John Ganz: „Trump bedeutet einen Systemschock. Seine Unterstützer erwarten von ihm nicht die gleichen ethischen Standards (wie von anderen). Er ist der Anti-Held, der Soprano, der „zerbrochene schlechte Kerl“, der schlechte Dinge tut, der all dies aber für sie tut, für die, die er vertritt.“ (Was für ein miserables Zeugnis für den Präsidentschaftskandidaten der GOP und für die Trump- Wählerinnen und Wähler!).
Im Bericht von Thomas B. Edsall vertieft Kabir Khanna, ein Analyst für CBS News dieses schlechte Urteil über die Trump-Unterstützer: Ihnen gefällt nicht, wie sich Trump benimmt aber sie geben ihm hohe Noten bei den Eigenschaften „hart“, „effektiv“, „energisch“, „konzentriert“ und „fachkundig“: Jeweils mit der Note „acht“ aus „zehn“. Lediglich bei „mitfühlend“ geben sie eine unterdurchschnittliche Benotung. „Acht von zehn“ sind der Meinung, er kämpfe für Leute wie sie“ (nytimes.com, 12.6.2024: „Trump Would Be Long Gone if Only We Could …“; Gastbeitrag von Thomas B. Edsall).
Ratschläge und Mahnungen an Biden – von Freunden
Nach Bidens verkorkstem Debatten-Auftritt am 27.6.2024 war die Wahlkampfsituation unübersichtlich. Die Frage, ob Joe Biden mit 81 Jahren eine weitere vierjährige Amtszeit als Präsident würde durchhalten können, wurde zum alles beherrschenden Medienthema. Beispielhaft will ich zwei Beiträge der New York Times darstellen:
Das Editorial vom 28.6.2024
Der NYT-Editorial Board kommt nach einer ausführlichen Betrachtung der Lage zu folgendem Schluss: „Der größte Dienst, den Mr. Biden leisten könnte, wäre anzukündigen, dass er seine Kampagne zur Wiederwahl nicht fortsetzen wird.“ Die Verfasser des Editorials beschreiben die Gefahren, die eine Wahl Donald Trumps für Amerika bedeuten würde: „Donald Trump hat sich als signifikante Gefahr für die Demokratie (Amerikas) erwiesen – eine sprunghafte, nur an sich selbst interessierte Figur, die das Vertrauen der Öffentlichkeit nicht verdient.“ Verwiesen wird auf das „Project 2025“, das ihn als Präsident ermächtigen würde, seine angekündigten extremen Vorstellungen und Bedrohungen zu realisieren. Sollte er ins Amt zurückkehren, würde er ein anderer Präsident sein, nicht gezügelt durch die Begrenzungen der Macht, die im amerikanischen System verankert sind.
Das Editorial greift die Aussage Bidens auf, er habe Trump 2020 schon einmal geschlagen und vermerkt dazu: „Mr. Biden ist nicht der gleiche Mann, der er vor vier Jahren war.“ Er habe bei der Debatte mit Trump am 27.6.2024 wie ein Schatten seiner Selbst gewirkt: „Selbst als er versuchte, seine politischen Vorstellungen zu erklären, stolperte er“ (nytimes.com, 28.6.2024; Editorial: „To Serve His Country, President Biden Should Leave the Race“).
Thomas L. Friedmans Bitte an den Freund
Auch der New York Times Journalist und Pulitzer-Preisträger Thomas L. Friedman – mit Joe Biden seit langem freundschaftlich verbunden – rät dem Präsidenten nach dem deprimierenden Debatten-Auftritt aus dem Rennen auszusteigen. Friedman bezeichnet diesen als einen „Herz zerbrechenden Moment in der Geschichte amerikanischer Wahlkämpfe um die Präsidentschaft.“
In Friedmans Meinungsbeitrag in der New York Times wird besonders deutlich, um was es den Freunden Bidens geht, die ihn zum Ausstieg bewegen wollen: Sie setzen ihn nicht aus biederen politischen Gründen unter Druck, etwa weil man einen Wahlkampf gewinnen will oder weil man an der Macht bleiben will. Ihnen geht es um die ernste Sorge um ihr Land; es sind die Befürchtungen, was mit der amerikanischen Gesellschaft und der amerikanischen Demokratie geschehen würde, sollte Donald Trump die Möglichkeit erhalten, auch nur einen Teil der angekündigten Dinge umzusetzen: Rache an den politischen Opponenten, Umbau der staatlichen Machtstrukturen, Schwächung des Systems von Checks and Balance und damit die Aushöhlung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Friedman nennt Trump einen böswilligen Mann und engstirnigen Präsidenten, der nichts gelernt und nichts vergessen hat. Er ist die gleiche Feuerspritze voll Lügen, die er immer war, besessen von seinem Groll – ohne die geringste Ahnung, was es braucht, um Amerika in das 21. Jahrhundert zu führen.“ Friedman stellt fest, dass Biden durch seinen Wahlsieg 2020 Amerika vor einer zweiten Amtszeit Trumps bewahrt hat und allein schon dafür die Medal of Freedom verdient hat. „Ein jüngerer Biden wäre die Führungspersönlichkeit gewesen in dieser Zeit großer Gefahren und Herausforderungen. „Aber die Zeit hat ihn eingeholt und dies wurde am Donnerstag (dem Tag der TV-Debatte) schmerzlich und unweigerlich klar…“. Er sollte seine Würde bewahren und die Bühne am Ende dieser Amtszeit verlassen“ (nytimes.com, 28.6.2024: „Joe Biden Is a Good Man and a Good President. He Must Bow Out of the Race“).
In Deutschland zitiert Der Spiegel diesen und weitere Beiträge amerikanischer Zeitungen, zum Beispiel die Zeitschrift Atlantic mit der Überschrift: „Time to Go Joe“. Seit Monaten, so der Spiegel sei Bidens Alter ein Thema, doch „seit Monaten werden alle Bedenken als Majestätsbeleidigung abgeschmettert. Neunzig Minuten reichten aus, um die gnadenlose Realität zu offenbaren: „Es ist höchste Zeit, dass der geliebte Opa den Führerschein abgibt. Doch wie sagt man ihm das?“ (Der Spiegel, Nr. 28 / 6.7.2024: „Die Biden-Dämmerung“).
Bidens Ablösung verläuft respektvoll
Die Situation war zu diesem Zeitpunkt für die Demokratische Partei total verfahren und Trumps Wahlsieg erschien nicht mehr aufhaltbar. Dies zeigten auch die Umfrageergebnisse vor und nach der TV-Debatte. Biden hatte zwar nach seiner gelungenen State of the Union Address am 7.3.2024 und nach der „Hush Money“ Entscheidung gegen Trump landesweit wieder gleichgezogen, doch Trump lag in den entscheidenden Swing States noch immer vor Biden.
Umfragezahlen zum 24.6.2024 (vor der TV-Debatte)
Trump Biden Kennedy
Wisconsin 42% 41% 9%
Michigan 42% 41% 8%
Pennsylvania 43% 41% 7%
Nevada 42% 37% 9%
Arizona 43% 38% 10%
Georgia 44% 37% 8%
North Carolina 44% 37% 8%
(Quelle: New York Times / The Morning nytdirect@nytimes.com, 25.6.2024: “Trump’s narrow lead”).
Bemerkenswert war, dass in der Führungsspitze der Demokratischen Partei keine große öffentliche Kandidatendebatte aufflammte. Es gab zwar Rückzugsempfehlungen verschiedener Kongressabgeordneter, auch verklausulierte Andeutungen, etwa von Nancy Pelosi, der früheren Sprecherin des Repräsentantenhauses. Doch erst nach dem Rückzug Bidens und dem raschen Aufstieg von Kamala Harris wurde klar, was intern bei den Demokraten abgelaufen war – eine strategische Meisterleistung.
So testete die Biden-Kampagne in aller Stille die Stärke der Vizepräsidentin im Vergleich zum früheren Präsidenten Trump. Die New York Times berichtete darüber am 11./25.7.2024 und bezog sich auf drei Mitarbeiter der Kampagne, die wegen der sensiblen Natur der Sache anonym bleiben wollten. Den tatsächlichen Grund für den Test teilten sie der NYT jedoch nicht mit. Die Zeitung vermutete zweierlei Gründe: Entweder um Biden darzulegen, dass die Weiterverfolgung der Kandidatur wenig Sinn macht oder aber, um zu belegen, dass Biden noch immer der stärkste Bannerträger der Partei ist. Die New York Times schrieb in ihrem Bericht über die internen Tests, es sei zwar die Rede von einer gewissen Erosion der Unterstützung für Biden aber auch, dass für das Rennen keine grundlegenden Notwendigkeiten für Veränderungen erkennbar wurden (nytimes.com, 11.7./25.7.2024: „The Embattled Biden Campaign Tests Kamala Harris Strength vs. Trump“).
Aus dem NYT-Berich war zweierlei zu schließen: Innerhalb der Biden-Kampagne herrschte im Vorfeld des Rückzugs große Unsicherheit. Man versuchte jedoch, alle Aspekte der zu treffenden Entscheidung professionell auszuleuchten.
Am Sonntag, 21.7.2024 gab Joe Biden den Rückzug von der Kandidatur bekannt und empfahl, Kamala Harris solle die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten werden.
Der Zeitraum zwischen der für Biden so misslungenen Debatte am 27.6.2024, der Aufgabe am 21.7. 2024 und bis nach dem Parteitag der Republikaner vom 15.- 18.7.2024 in Milwaukee erschien zunächst wie eine Wahlkampf-Hochphase für Donald Trump. Alles schien klar für seinen Wahlsieg am 5.11.2024. Doch bereits in dieser vermeintlichen Hochphase deutete sich Unheil für Trump an.
Die unsichere Zwischenphase für Donald Trump
In einem Bericht der Heilbronner Stimme wurde die Wahlkampf-Situation nach Bidens Rückzug zusammenfassend so beschrieben: „Donald Trump spottet nach dem Ausscheiden von Joe Biden über seinen demokratischen Konkurrenten – Republikaner strotzt vor Kraft.“ Trump verunglimpfte Biden als „schwachen alten Mann“ und „dummen Menschen“ … Es habe noch nie einen Präsidenten gegeben, der dem Land so viel Schaden zugefügt habe (Heilbronner ‚Stimme, 22.7.2024: „Ein gefundenes Fressen“).
Für manche Beobachter und wohl auch für Trump unerwartet war, dass es nach Bidens Rückzug bei den Demokraten keine chaotischen Diskussionen gab. Dafür wurde Trump auf einmal mit einer Frage konfrontiert, die bisher stets dem Konkurrenten gestellt worden war: Ist er fitt genug, um vier Jahre lang den härtesten Job der Welt durchzustehen?
Peter Baker, der erfahrene und für das Weiße Haus zuständige Chefkorrespondent der New York Times beschreibt diese Veränderung im Wahlkampf wie folgt: „Nachdem Mr. Biden aus dem Rennen ist, wurde die Altersfrage auf den Kopf gestellt. Mr. Trump ist nun die älteste Person, die sich je als Kandidat einer großen Partei für die Präsidentschaft beworben hat und – falls er gewinnt – wäre er mit 82 Jahren am Ende seiner Amtszeit der älteste Präsident in der Geschichte.“ Baker vermerkt, dass Trump – solange Biden der Konkurrent war – etwaigen Fragen nach seinen eigenen Fähigkeiten ausweichen konnte. Jedoch auch bei Trump macht sich das Alter bemerkbar. Er hat Nikki Haley und Nancy Pelosi verwechselt und hat mehrmals erklärt, er habe Barack Obama und nicht Hillary Clinton geschlagen.
Peter Baker erklärt, dass sich die Wählerinnen und Wähler zwar auch bisher mit dem Alter von Donald Trump beschäftigt haben, Umfragen hätten jedoch ergeben, dass sich bis dato die meisten um Biden Sorgen machten. Vor dessen Ausscheiden gaben 44 Prozent der registrierten Wähler an, Trump sei zu alt für die Präsidentschaft. Nach einer Umfrage von Morning Consult stieg dieser Prozentsatz im August auf 51 Prozent. Die Marquette Law School nannte hierzu sogar 57 Prozent (nytimes.com, 9.9./12.9.2024: „As Debate Looms, Trump Is Now the One Facing Questions About Age and Capacity“).
Donald Trump kannte zweifellos diese Entwicklung nach dem Ausscheiden Bidens, war jedoch über Wochen unsicher, wie er darauf reagieren sollte. Er testete längere Zeit, welchen abwertenden Spott- oder Schimpfnamen er Kamala Harris anhängen sollte. Inzwischen bezeichnet er sie als Kommunistin und Marxistin und nennt sie „Genossin Harris“. Ob er mit diesen alten Hüten noch Eindruck machen kann, ist offen. Der „Kommunistenjäger“ und Senator Joseph McCarthy aus Wisconsin war bereits in den 1950er-Jahren mit solchen Schlagworten unterwegs.
Die Trump’sch Hochphase und seine unsichere Zwischenphase überschneiden sich. Deshalb soll im Folgenden noch ein Blick auf diesen besonderen Zeitraum des Wahlkampfes geworfen werden.
Noch ein Blick zurück: Bis Milwaukee schien vieles gut für Trump
Die konservative Mehrheit des Supreme Court hat am 1.7.2024 eine Entscheidung verkündet, deren langfristige Auswirkungen nicht absehbar sind, jedoch Donald Trump frohlocken liessen: Der Präsident der Vereinigten Staaten genießt Immunität – kann daher strafrechtlich nicht verfolgt werden – wenn er im Kernbereich der Präsidentschaft (also im öffentlichen Bereich) tätig ist. Bei privaten Handlungen hat der Präsident keine Immunität. Geradezu makaber erscheint, dass das der Entscheidung zugrunde liegende Verfahren von einem früheren Präsident angestrengt wurde, der eine ganze Reihe von Strafverfahren, unter anderem im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Kapitol am 6.1.2021, am Hals hat. Sollte Donald Trump am 6.11.2024 zum Präsident gewählt werden, hätte er durch dieses Urteil des Supreme Court nicht nur einen Freibrief für bisher unvorstellbare Handlungen erhalten. Die zur Minderheit der Richter des Supreme Court zählende Richterin Sonia Sotomayor stellte zur Entscheidung ihrer konservativen Kollegin und Kollegen fest: Indem der Supreme Court dem Präsidenten weit reichende Straffreiheit zugesteht, sei dieser fortan „ein König, der über dem Gesetz steht.“ Sotomayor nennt Beispiele, für die der Präsident künftig Straffreiheit genießt: „Er befiehlt dem Seal Team 6 der Navy, einen politischen Rivalen umzubringen? Immun. Er organisiert einen Militärcoup, um an der Macht zu bleiben? Immun. Er nimmt Bestechungsgeld an im Tausch gegen eine Begnadigung? Immun“ (sueddeutsche.de, 2.7.2024: „Weg frei für King Trump?“)-
Diese Entscheidung des Supreme Court wurde in Fachkreisen heftig diskutiert und kritisiert. Zweifelhaft ist bei all dem, dass es in der breiten Öffentlichkeit in Amerika keine große Beachtung findet und damit auch die kommenden Wahlen nicht entscheiden wird, so wie etwa das Urteil des Supreme Court vom 24.6.2022, mit dem das Recht auf Abtreibung aufgehoben wurde. Jenes Urteil trug dazu bei, dass die Demokraten 2022 die Mehrheit im Senat gewinnen konnten. Das Immunitätsurteil entfaltete bisher keine öffentliche Wirkung.
Ein Attentatsversuch auf Donald Trump
Am 13.7.2024 verübte ein 20 Jahre alter Mann in der Kleinstadt Butler in Pennsylvania einen Mordanschlag auf Donald Trump. Dieser wurde am rechten Ohr verletzt. Das Foto – Trump mit blutverschmiertem Gesicht und erhobener Faust – wird eines Tages in den Geschichtsbüchern der USA zu finden sein (Heilbronner Stimme, 15.7.2024: „Acht Kugeln, eine Faust nach oben“).
„Während Amerika und die Welt noch immer entsetzt sind über den versuchten Mordanschlag auf den früheren US-Präsidenten Donald Trump, sind sich die politischen Beobachter weitgehend einig: Trump dürfte gestärkt aus den Ereignissen des Wochenendes hervorgehen“ (Heilbronner Stimme, 16.7.2024: „Ein Attentat, das alles verändert“).
Präsident Biden erklärte nach dem Attentatsversuch, der Angriff sei „krank“. So etwas dürfe „keinen Platz in Amerika“ haben. Biden rief Trump an und sprach ihm seine Anteilnahme aus. Die Biden-Kampagne zog alle TV-Spots zurück, die zu dem am 15.7.2024 beginnenden Parteitag der Republikaner in Milwaukee geplant waren (Heilbronner Stimme, 15.7.2024: „Acht Kugeln, eine Faust nach oben“).
Auch Donald Trump schien dieses lebensbedrohliche Erlebnis zum Nachdenken über die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft veranlasst haben. Zu Beginn seiner Parteitagsrede am 18.7.2024 sprach er staatsmännisch und mahnend: „Die Zwietracht und Spaltung in unserer Gesellschaft muss geheilt werden. Wir müssen sie rasch heilen. Als Amerikaner sind wir verbunden durch eine einmalige Bestimmung und ein gemeinsames Schicksal. Wir steigen zusammen auf . Oder wir fallen auseinander. Ich kandidiere um die Präsidentschaft für ganz Amerika, nicht nur für die Präsidentschaft für das halbe Amerika, denn es wäre kein Sieg nur das halbe Amerika zu gewinnen…“ (nytimes.com, 19.7.2024: „Read the Transcript of Donald J. Trump’s Convention Speech“).
Diese Worte klangen nicht nach Donald Trump. Das Beraterteam hatte sie ihm wahrscheinlich ins Manuskript geschrieben: Staatsmännisch formuliert für den Kandidaten um die Präsidentschaft für das ganz Amerika. Doch Trump hielt dieses staatsmännische Versprechen nicht einmal bis zum Schluss seiner Rede an die Delegierten in Milwaukee durch. Thomas Spang beschreibt den Rückfall in die gewohnte Rolle des aggressiven Wahlkämpfers so: „Er wich immer wieder vom Teleprompter ab um ein „Best-Off“ aus seinen gewöhnlich polternden Wahlkampfreden einzubauen“… Etwa als er sich Joe Biden mit der Aussage vorknöpfte: Wenn man die zehn schlechtesten Präsidenten in der Geschichte zusammennähme, „haben die nicht soviel Schaden angerichtet, wie Biden.“
Thomas Spang fasst den 91 Minuten dauernden Auftritt Trumps am 18.7.2024 in Milwaukee so zusammen: „Und es drängt sich der Eindruck auf, dass sich trotz der dramatischen Ereignisse der vergangenen Wochen nicht viel verändert hat. Statt eines Heilers erlebte die Welt die politische Heiligsprechung eines Hetzers“ (Heilbronner Stimme, 20.7.2024: „Die Wandlung entpuppt sich als Show“).
Auch im Bericht der New York Times wird Trumps Versuch, staatsmännisch aufzutreten, angezweifelt: „Selbst diese Rede, die den Beginn einer neuen Botschaft aufzeigen sollte, zeigte Trumps Probleme mit der Disziplin. Er hielt sich zunächst an das Manuskript. Aber mit fortschreitender Zeit und nach mehr als einer Stunde konnte er sich nicht mehr zügeln und verfiel wieder in die unzusammenhängenden Hetzreden, die er seit langem praktizierte. Nancy Pelosi war wieder die „crazy Nancy“, Amerika beschrieb er als „Nation im Niedergang“, die von der „größten Invasion in der Geschichte“ bedroht wird.
In der New York Times wird die „Trump-Wende“ bezweifelt, denn dazu bedürfe es mehr als eine 90 Minuten dauernde Rede (nytimes.com, 19.7.2024: „Trump Struggles to Turn the Page on ‚American Carnage’“).
Die Zweifel waren berechtigt. Bei seiner ersten Kundgebung nach dem Attentatsversuch – am 20.7.2024 in Grand Rapids, Michigan – war Trump wieder voll und ganz im alten Fahrwasser: Er bezweifelte die Intelligenz von Präsident Biden und bezeichnete ihn mehrmals als „dumm“, beschrieb Kamala Harris als „verrückt“ und freute sich diebisch über die Diskussion der Demokraten über Bidens politische Zukunft. Die New York Times beschrieb die Rede Trumps in Grand Rapids als letzten Beweis dafür, dass der Attentatsversuch wenig zur Änderung seiner Aussagen beigetragen hat. Nach dem einmaligen Ruf nach Einheit bei seiner Parteitagsrede sei er zum Standardrepertoire seiner Kundgebungen zurückgekehrt (nytimes.com, 20.7.2024: „A Week After Shooting, Trump Leaves Unity Behind and Returns to Insult and Election Denial“)..
„Nationale Einheit“ wollte oder konnte Trump nicht leisten, doch die Instrumentalisierung des Attentatsversuchs gelang ihm großartig. Im Rahmen seiner Parteitagsrede sagte er, dass ihn viele Leute gefragt hätten, was da passiert sei. „Und deshalb will ich genau schildern, was geschehen ist und ihr werdet die Geschichte von mir kein zweites Mal hören, weil sie zu schmerzlich ist um erzählt zu werden.“ Und dann folgte in der Rede Trumps, die eigentlich dazu bestimmt war, die ihm übertragene Nominierung zum Präsidentschaftskandidat anzunehmen, eine Reportage mit vielen Details des Attentatsversuchs samt der Erklärung, warum es so stark blutet, wenn man am Ohr verletzt wird. „Kugeln flogen über uns aber ich war gelassen. Aber dann begaben sich die Beamten des Secret Service in Lebensgefahr. Sie standen in sehr gefährlichem Territorium. Kugeln flogen über sie hinweg und verfehlten sie um Bruchteile eines Inch. Und dann hörte alles auf. Aus großer Entfernung und mit nur einer Kugel beendete der Scharfschütze des Secret Service das Leben des Attentäters. Schaltete ihn aus“ (nytimes.com, 19.7.2024: „Read the Transcript of Donald J. Trump’s Convention Speech“; (Auszüge aus Trumps Schilderung des Attentatsversuche). Staatsmännisch war diese Rede nicht, doch die Delegierten der Party Convention in Milwaukee erlebten ganz großes Theater. Dazu sagte der Psychotherapeut und Bestseller-Autor Reinhard Haller: Donald Trump zelebriert den Narzissmus in einer geradezu lehrbuchartigen Weise. Nun wird dieses Bild noch um eine Facette erweitert: Trump wird als Überlebender dieses Attentats von seinen Anhängern als Unverwundbarer gefeiert, als einer, der von Gott berufen sein muss“ (sueddeutsche.de, 18.7.2024: „Trump zelebriert den Narzissmus in einer geradezu lehrbuchartigen Weise“; Interview von Christian Mayer und Katharina Riehl mit dem Psychiater Reinhard Haller).
Auf seiner Website postete Trump, wie er das Attentat interpretiert haben will: „Es war allein Gott, der verhinderte, dass das Undenkbare geschah.“ Die New York Times vermerkt zu diesem Post: „Nicht alle Trump-Unterstützer fühlten sich bei dieser spirituellen Erzählung wohl. Doch viele sahen in diesem Geschehen den Beweis, dass eine höhere Macht über Trump wacht. Der Pfarrer Nathaniel Thomas, ein Delegierter auf dem Parteitag und Pfarrer aus der Gegend von Washington D.C. sagte: „Dies war nicht nur bloßes Glück. Ich sehe darin den Schutz Gottes“ (nytimes.com, 16.7.2024: „After Saturday, Trump’s Devotees See ‚God’s Protection’“).
In einem Bericht der Heilbronner Stimme werden Parteifreunde Trumps zitiert, die ihm früher kritisch bis ablehnend gegenüberstanden, ihm inzwischen jedoch treu ergeben sind:
Ted Cruz, Senator aus Texas, der 2016 mit Trump um die republikanische Präsidentschaftskandidatur heftig stritt, sagte in seiner Ansprache in Milwaukee: „Lasst mich damit beginnen, Gott dem Allmächtigen zu danken, dass er Präsident Trump geschützt hat.“ Ron DeSantis, der Gouverneur von Florida, den Trump im Vorwahlkampf „Ron den Scheinheiligen“ genannt hatte, sagte: „Er ist angeklagt worden. Er ist verfolgt worden. Und er hat beinahe sein Leben verloren. Wir können ihn nicht im Stich lassen.“ Und auch Nikki Haley, die letzte Widersacherin im Vorwahlkampf – Trump hatte sie als „Spatzenhirn“ verhöhnt – schwor ihm in Milwaukee noch einmal die Treue und sagte volle Unterstützung zu (Heilbronner Stimme, 18.7.2024: „Alle huldigen Trump“). Allerdings klang die Botschaft Haleys an ihre früheren Unterstützer nicht gerade begeistert: „Meine Botschaft an Sie ist einfach. Ihr müsst nicht 100 Prozent mit Trump übereinstimmen, um ihn zu wählen.“ In der Süddeutschen Zeitung wird erklärt, warum die früheren Kombattanten, wie etwa Haley und DeSantis, nun vor Trump auf die Knie gehen: „Wollen sie eine politische Zukunft, müssen sie sich jetzt mit Donald Trump gut stellen“ (sueddeutsche.de, 17.7.2024: „Die letzten Abweichler küssen Trumps Ring“).
Thomas Spang überschrieb seinen Kommentar in der Heilbronner Stimme mit einem einzigen Wort: „Heiligsprechung“ und schrieb unter anderem: „Konservativ ist an den Republikanern fast nichts mehr. Ihr neues Programm heißt Donald Trump“ … Seit dem gescheiterten Attentat auf Trump kennt der Personenkult um ihn kein Halten mehr“ Heilbronner Stimme, 18.7.2024: „Heiligsprechung“; Kommentar von Thomas Spang).
In diesen Tagen – während die Republikaner in Milwaukee in Hochstimmung ihrem Kandidaten Donald Trump zujubelten und sich vollkommen sicher waren, das dieser der nächste Präsident sein werde – sank die Stimmung bei den Demokraten und der Biden-Kampagne auf einen Tiefpunkt. Bereits am 4.7.2024 hatte die New York Times berichtet, dass Bidens Umfragewerte gegenüber Trump seit der verkorksten Debatte am 27.6.2024 um 6 Punkte gefallen waren (New York Times – The Morning – nytdirect@nytimes.com, 4.7.2024: „Bad to worse“). Hinzu kam, dass Biden – geradezu zur Unzeit – an Covid erkrankte (sueddeutsche.de, 18.7.2204: „Biden erkrankt vor Vorentscheidung an Covid“).
Rückblickend wird klar, wie sehr Joe Biden in diesen Tagen intern gedrängt wurde, das Feld zu räumen. In einem Interview deutete er erstmals die Möglichkeit seines Rückzugs an: Wenn die Ärzte sagen „Sie haben dieses oder jenes Problem“, sei er offen, aus dem Rennen zu scheiden (Heilbronner Stimme, 19.7.2024: Donald Trump triumphiert, Joe Biden steht vor dem Aus“)
Running Mate JD Vance – Trumps Ebenbild
Vom republikanischen Parteitag in Milwaukee ist noch zu berichten, dass Donald Trump den Senator aus Ohio, JD Vance, am 15.7.2024 als sein Running Mate – Kandidat für die Vizepräsidentschaft – bekannt gegeben hat. Bei der Auswahl für dieses Mandat spielt in der Regel eine wesentliche Rolle, mit diesem Kandidaten Wählergruppen anzusprechen, die der Präsidentschaftskandidat selbst nicht oder nur schwer erreicht. Bei der Auswahl von Mike Pence zielte Trump 2016 auf die evangelikalen Christen im Land. Außerdem brachte Pence als früherer Kongressabgeordneter und als Gouverneur von Indiana Insider-Erfahrungen aus Washington und Regierungspraxis mit, die dem unerfahrenen Trump seinerzeit völlig fehlten.
Solche wahltaktischen Gründe spielten bei der Auswahl von Vance offenbar keine entscheidende Rolle. Bei dessen Auswahl – Vance ist 40 Jahre alt – ging es Trump um die Bewahrung seines politischen Erbes und um die künftige MAGA-Ausrichtung der Republikanischen Partei. „Sollte Trump gewinnen, wäre Vance aufgrund seiner „Jugendlichkeit“ und seiner kurzen Amtszeit in Washington – er ist erst sei 2 Jahren Mitglied des Senats – Kamala Harris ähnlicher als allen anderen Vizepräsidenten der letzten Zeit. Trump würde als der erfahrene Mentor auftreten. Vance als der junge Lehrling“, schreibt Matthew Continettu, Journalist, Autor und Fellow am American Enterprise Institute (JPG, 18.7.2024: „Vanci, Vidi, Vici“).
Wie manch anderer heutiger Trump-Fan stand JD Vance seinem heutigen Chef vor noch nicht allzu langer Zeit sehr kritisch gegenüber. Er nannte Trump einen „Idioten“ und „gefährlich“ (sueddeutsche.de, 16.7.24: „Der Hillbilly an Trumps Seite“). In der Heilbronner Stimme wird der frühere Vance mit der Aussage zitiert: „Ich kann Trump nicht ausstehen“ und in einer Facebook-Nachricht wunderte er sich darüber, „ob Trump bloß ein zynisches Arschloch oder Amerikas Hitler ist“ (Heilbronner Stimme, 17.7.2024: „Bedingungslos loyal“). Die Metamorphose von JD Vance zum absoluten Trump-Fan ist inzwischen abgeschlossen. Er legte eine Totalwende hin und entschuldigte sich öffentlich bei Trump.
Continetti vermerkt dazu: „Trump scheint Vances persönliche Entwicklung vom einstigen Gegner zum loyalen Partner zu schätzen. Vance zeigt den Eifer eines zum Trumpismus Bekehrten, und es ist unwahrscheinlich, dass sein Posten als Vizepräsident zukünftig als Einfallstor für einwanderungsfreundlichere oder interventionistische Republikaner dienen kann. Er verteidigte Trumps Verhalten nach der Wahl 2020 und sieht inzwischen die Feinde des Ex-Präsidenten als seine eigenen an.“
In einem Interview für die New York Times stellte die Journalistin Lulu Garcia-Navarro JD Vance fünfmal die Frage, ob Donald Trump die Wahl 2020 verloren hat. Vance hat fünfmal hintereinander ausweichend geantwortet. (nytimes.com, 11.10.2024: „Vance, Given 5 Chances to Say Trump Lost in 2020, Takes None“). Die gleiche Frage hat bei der TV-Debatte der beiden Running Mates – Walz und Vance – ebenfalls eine Rolle gespielt. Darüber soll an anderer Stellt berichtet werden.
Nach Dutzenden Veranstaltungen und mehr als 70 Interviews als Trumps „Wadenbeißer“ ist JD Vance seinem Boss inzwischen lieb und teuer geworden und dies, obwohl die Amerikaner insgesamt weniger begeistert sind, beschreibt die New York Times das Verhältnis von Trump zu seinem Vize-Kandidaten. Mit giftigen Aussagen hat Vance versucht, sich politisch noch weiter rechts als Trump zu positionieren. Er darf aussprechen, was Trump (noch) nicht sagt. Wenig Beifall erhielt er von den Wählerinnen in Amerika, als ein Interview auftauchte, das er 2021 Fox News, dem „Haussender“ der Republikaner gegeben hatte und er sich über die vielen „kinderlosen Katzen-Ladys“ („childless cat ladies“) in den amerikanischen Führungseliten beklagte – Kamala Harris mit eingeschlossen (nytimes.com, „JD Vance’s Combative Style Confounds Democrats but Pleases Trump“).
In einem ausführlichen Bericht des „Spiegel“ wird das politische Weltbild von Vance näher beschrieben; „Faschist ist der maximale Vorwurf in diesen Tagen. Aber es gibt keinen Zweifel daran, dass sich Vance in der Vorstellung eines Kampfes zwischen Gut und Böse eingerichtet hat, der kein Pardon mit dem politischen Gegner erlaubt. Vance sagte, es gebe eine wachsende Bewegung innerhalb des konservativen Lagers, der es nicht genüge, die Partei der Demokraten in den USA einfach nur zu bekämpfen. „Wir wollen vielmehr eine alternative Vision entwickeln.“ Diese sei „pro demokratisch aber antiliberal“ („Der Spiegel“, Nr. 33/10.8.2024: „Der Systemsprenger“).
All dies klingt wie Viktor Orbans Vorstellung von der „illiberalen Demokratie“. Der amerikanische Weg dahin wird in dem umfangreichen „Project 2025“ beschrieben, über das Trump in letzter Zeit nur wenig spricht. Sollte er am 5.11.2024 gewählt werden, wäre JD Vance wohl einer der ständigen Pendler zwischen Washington und Budapest mit dem Ziel, die Umgestaltung, wenn nicht gar die Schleifung von NATO und EU auszutüfteln.
Am 21.7.2024 der Paukenschlag: Biden zieht zurück
Am Sonntag, 21.7.2024 teilte Präsident Joe Biden der amerikanischen Öffentlichkeit mit, dass er aus dem Rennen um die Präsidentschaft aussteigt: „Es war die größte Ehre meines Lebens, Ihr Präsident gewesen zu sein. Und obwohl es meine Absicht war, mich wieder wählen zu lassen, glaube ich, dass es im besten Interesse meiner Partei und des Landes ist, mich zurückzuziehen und für den Rest der Amtszeit voll auf meine Aufgaben als Präsident zu konzentrieren“ (sueddeutsche.de, 21.7.2024: „Bidens Erklärung im Wortlaut“).
In einer 11-minütigen Erklärung am 24.7.2024 aus dem Oval Office begründete Biden seine Entscheidung. Er beschrieb die Herausforderungen und Gefahren, vor denen das Land steht, nicht zuletzt zum Schutz der Demokratie: „Wir müssen zusammenstehen, um sie zu schützen.“ Ein Kernsatz der Erklärung lautete: „Ich habe beschlossen, dass es der beste Weg vorwärts ist, die Fackel an eine neue Generation zu übergeben. Dies ist der beste Weg, unsere Nation zu einen.“
Teile von Bidens Erklärung klangen wie eine vorgezogene Abschiedsrede. Er nannte eine Reihe von Gesetzen und Regelungen, die während seiner Amtszeit verabschiedet wurden. So etwa das Klimaschutzgesetz und das erste wesentliche Waffenkontrollgesetz der letzten 30 Jahre. „Wir sind heute die stärkste Wirtschaft der Welt; 16 Millionen neue Jobs wurden geschaffen … Die Zahlen bei den schweren Verbrechen liegen auf einem 50-jährigen Tiefpunkt …“.
Seine körperliche und geistige Fittness sprach der Präsident nicht an, erklärte aber, seinen Job als Präsident zu Ende zu führen. Er dankte ausdrücklich der „großartigen Vizepräsidentin Kamala Harris“ und sprach sich nochmals für deren Präsidentschaftskandidatur aus: „Sie hat Erfahrung. Sie ist stark, sie ist fähig. Sie war mir eine unglaubliche Partnerin und eine Führungspersönlichkeit für unser Land.“
Abschließend sprach Biden voll Stolz über das Land. Ohne Trumps Namen zu erwähnen war durchaus zu erkennen, an wen er dabei ganz besonders dachte: „Das Großartige an Amerika ist, hier regieren keine Könige und Diktatoren – hier regiert das Volk. Die Geschichte liegt in euren Händen. Die Macht liegt in euren Händen. Ihr müsst weiter daran glauben – haltet daran fest – und denkt daran wer wir sind. Wir sind die Vereinigten Staaten von Amerika..“.
(Quellen: nytimes.com, 24.7.2024: „Full Transcript of Biden’s Speech on Ending His Run for Re-election”; nytimes.com, 24.7.2024: Biden Says It Is Time to Step Aside for a Fresh, Younger Voice”).
Wie die Entscheidung reifte – Stimmen danach
In einem umfangreichen Bericht beschreiben mehrere Journalisten der New York Times, wie im engen Umfeld von Joe Biden die Entscheidung zum Ausstieg reifte. Es würde den Rahmen dieser Darstellung sprengen, alle Details dieses Prozesses darzustellen. Rückblickend kann man sagen: Es war eine politisch-taktische Meisterleistung, das dieser Prozess weitgehend intern ablief. Dicht gehalten hat sowohl der engste Beraterkreis um Biden als auch das Führungspersonal der Demokratischen Partei bis Biden selbst die Entscheidung getroffen hatte. Forderungen nach Aufgabe der Kandidatur wurden zwar auf unteren Parteiebenen öffentlich diskutiert. Es gab jedoch keine Schlammschlacht und keine tiefen Verletzungen. Dadurch konnten die Demokraten auf ihrem Parteitag in Chicago Joe Biden einen großartigen und respektvollen Abschied bereiten.
Die New York Times beschreibt den Entscheidungsprozess so: „Über Wochen zeigten die Umfragen, dass die Mehrheit der Wähler dringend nach einer anderen Wahlmöglichkeit verlangten. Tag um Tag riefen ihn demokratische Abgeordnete auf, zur Seite zu treten mit der Begründung, er könne nicht gewinnen. Spender stoppten das Einsammeln von Geld und hörten auf, Geld zu spenden. Hollywood-Berühmtheiten und liberale TV-Größen widerriefen ihre Wahlempfehlungen …“.
Menschen im engen Umfeld von Biden berichten, er habe (lange) geglaubt, er könne die zweite Amtszeit gewinnen. „Doch schließlich kam er zu der Erkenntnis, dass dieser Kampf die Demokratische Partei zerreißen würde; die Partei, der er sein ganzes Leben gedient hat.... Über mehr als drei Wochen beharrte Mr. Biden darauf, im Rennen zu bleiben.“ Er sagte, nur „Gott der Allmächtige“ könnte ihn zur Aufgabe bewegen.
Am Samstag Abend, (20.7.2024) gab es eine Überraschung: Er glaubte noch immer an einen Sieg, erkannte aber, was der Demokratischen Partei geschehen würde, falls er weiterkämpft. An diesem Samstag stellte Biden seinen Beratern die Frage: „Falls wir es tun, wie würden wir es begründen?“ (nytimes.com, 15.8.2024: „Inside Biden’s Decision to Drop Out of the 2024 Election”). „Am Schluss war er allein”, steht im Bericht der New York Times.
Nachdem er am 21.7.2024 seine Entscheidung öffentlich gemacht hatte, ging neben überwiegender Zustimmung so etwas wie Erleichterung durchs Land. Die vorherrschende und überwiegend pessimistische Grundstimmung verflog und es keimte so etwas wie neue Zukunftshoffnung. Dies zeigte sich nicht zuletzt an den der Höhe der Spendeneingänge für die Harris-Kampagne. Sie hat innerhalb einer Woche 200 Mio. Dollar eingesammelt (nytimes.com, 28.7.2024: „Harris-Campaigne Says It Raised $ 200 Million Since Biden Dropped out“).
Sowohl in den USA als auch darüber hinaus wurde Bidens Entscheidung mit Anerkennung und Respekt kommentiert. Die New York Times bezeichnete die Entscheidung in einem Editorial als mutig. „Mr. Biden hat getan, was Mr. Trump nie tun würde; Er stellte die Interessen der Nation über den eigenen Stolz und Ehrgeiz.“ Dazu wurden die Verdienste Bidens für das Land herausgestellt: Mr. Biden hat der Nation als Präsident gut gedient. Mit der Entscheidung, am Ende seiner Amtszeit abzutreten, erhöht er die Chancen seiner Partei, die Nation vor der Gefahr einer Rückkehr Trumps in die Präsidentschaft zu bewahren“ (nytimes.com, 21.7.2024; Editorial: „Biden Made a Courageous Choice. Democrats Must Seize the Opportunity“).
Verständlicherweise zollten auch die Demokraten Joe Biden großen Respekt. Hakeem Jeffries, der Vorsitzende der Demokraten im Repräsentantenhaus, schrieb auf „X“, die USA seien ein besserer Ort, „weil Präsident Joe Biden uns mit Intelligenz, Anmut und Würde geführt hat. Wir sind ihm ewig dankbar.“ Barack Obama bezeichnete den Rückzug als eine der schwierigsten Entscheidungen in Bidens Leben. „Aber ich weiß, dass er diese Entscheidung nicht treffen würde, wenn er nicht glauben würde, dass sie für Amerika richtig ist.“ Obama nannte Biden einen „Patriot von höchstem Rang“ (sueddeutsche.de, 22.7.2024: „Scholz: „Biden verdient „Anerkennung“).
Einen würdigen Abschiedskommentar für Joe Biden schrieb Hubert Wetzel in der Süddeutschen Zeitung:
„Hier geht ein Mann, der vermutlich der letzte überzeugte Transatlantiker war, den es in Washington noch gab. Die Ära, in der die Europäer sich darauf verlassen konnten, dass in Washington jemand regiert, der bei allem gelegentlichen Streit den Wert des transatlantischen Bündnisses kennt und es nicht in Gefahr bringt ist vorbei.“
Im Kontrast dazu beschreibt Wetzel das Trump’sche Katastrophenprogramm und macht damit deutlich, was auf Europa mit einem Präsidenten Donald Trump zukommen könnte: „Seine Sicht auf Europa und das transatlantische Bündnis sei bekanntermaßen in etwa so hell und freundlich, wie das Innere eines Sacks Grillkohle. Ihn interessiert Europa nur insoweit, als dass er in Schottland einen echten Golfplatz besitzt und zudem die NATO für eine Art Golfclub hält, der ihm auch gehört, bei dem die Mitglieder aber ihre Beiträge nicht bezahlen. Die Opfer, die seine Landsleute einst dafür gebracht haben dass die Europäer in Freiheit und Frieden leben können, sind Trump egal …“ (sueddeutsche.de, 26.7.2024: „Einen wie Joe Biden wird es wohl nicht noch einmal geben“).
Der rasche Aufstieg der Kamala Harris
Am 21.7.2024 gab Joe Biden auf und empfahl Kamala Harris, die bisherige Vizepräsidentin, als Kandidatin der Demokraten für die Präsidentschaft. Am 24.7.2024 erklärte er die Gründe für diesen Schritt. Entscheidend für den raschen Aufstieg von Harris war, dass niemand aus der Partei den Hut in den Ring warf. Die New York Times beschreibt, wie Harris die Initiative übernahm. Sie führte am Sonntag, 21.7. 2024 mehr als 100 Telefongespräche mit Persönlichkeiten der Demokratischen Partei, mit Führungskräften der Gewerkschaften und nahe stehenden Organisationen, mit Führungsleuten im Kongress und in den Bundesstaaten und warb um Unterstützung. Die bisherige Biden-Kampagne nannte sich fortan „Harris for President“und ermöglichte den sofortigen Zugriff auf den Account, der Ende Juni 2024 96 Mio. Dollar betrug. Die Führung der bisherigen Biden-Kampagne informierten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass sie nun für Mrs. Harris arbeiten würden. Joe Biden sprach am Sonntag, 21.7.2024 sein Endorsement für Harris aus. Bill und Hillary Clinton und andere Persönlichkeiten folgten. Diese rasche Akzeptanz trug zweifellos dazu bei, dass sich keine weiteren Bewerber meldeten. „Viele Demokraten empfanden ein deutliches Gefühl von Enthusiasmus und Erleichterung.“ Donald Trump – 78 Jahre alt – stand nun gegen eine Kandidatin, die Jahrzehnte jünger war als er (nytimes.com, 21./23.7.2024: „Kamala Harris Rapidly Picks Up Democratic Support as 2024 Race Is Reborn“).
Bis zum Beginn des Parteitags der Demokraten am 19.8.2024 in Chicago war alles in trockenen Tüchern. So blieb Harris eine womöglich kontroverse Kandidatendiskussion erspart, die im schlimmsten Fall den Parteitag ins Chaos hätte stürzen können. Die Demokraten führten eine Online-Abstimmung durch, die bis 22.7.2024 lief und bereits nach wenigen Tagen hatte Harris die erforderliche Stimmenzahl für die Kandidatur erreicht. Es kamen Wahlempfehlungen für Harris aus der gesamten Führungsriege, zum Beispiel von Barack und Michelle Obama und anderen. Obama sah seine Rolle darin, die Partei rasch zu einen, sobald die Kandidatur klar war. Er war 2008 zum ersten schwarzen Präsident der Vereinigten Staaten gewählt worden. Ähnlich wie er hatte auch Kamala Harris Barrieren überwunden. Sie war in Kalifornien die erste schwarze Frau im Amt der Justizministerin und später die zweite schwarze Senatorin. Sollte sie zur Präsidentin gewählt werden, wäre sie die erste schwarze Präsidentin und die erste Person mit Wurzeln in Süd-Asien im Weißen Haus (nytimes.com, 26.7.2024: „Election Live Updates: Obama Endorses Harris, as Trump Prepares to Meet With Natanyahu“).
Lydia Polgreen, eine schwarze Meinungskolumnistin bei der New York Times, beschreibt Harris’ multi-talentierte Identitäten – schwarz, indisch, jamaikanisch, weiblich, amerikanisch – als eine Quelle ungewöhnlicher Stärke. Sie hatte 2020, bei ihrem ersten Versuch die Kandidatin der Demokraten zu werden noch nicht die volle Sympathie von Lydia Polgreen gewonnen. Inzwischen hat diese die Auftritte und Aussagen von Harris genauer verfolgt und am Morgen nach dem furchtbaren Debatten-Auftritt von Biden kam Polgreen zu dem Schluss: Harris sollte an der Spitz der Liste der Demokraten stehen; sie könnte Trump schlagen (nytimes.com, 27.7.2024: „I Was a Kamala Harris Skeptic, Here’s How I Got Coconut-Pilled“). Ähnlich muss es vielen anderen Leuten in Amerika gegangen sein.
Nach der Nominierung von Kamala Harris gab es nicht nur innerhalb der Demokratischen Partei große Erleichterung im Land wich die Lethargie, die sich zuvor ausgebreitet hatte. Den Wählerinnen und Wählern wird nun eine echte Alternative geboten: Nun steht er Donald Trump als alter, weißer Mann allein auf weiter Flur“, konstatierte Thomas Spang in der Heilbronner Stimme und fügte an: „Das lässt die Strategie von Donald Trump, Biden als verwirrten Tattergreis zu karikieren, implodieren. Mit der zwanzig Jahre jüngeren Harris geht das nicht. Im Gegenteil sagen laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos sechs von zehn Amerikaner, der „America First“- Kandidat sei zu alt“ (Heilbronner Stimme, 24.7.2024: „Wahl der Kontraste“). Die Demoskopen sehen zwar noch immer ein äußerst enges Rennen, doch das Momentum hat sich zu Gunsten von Harris gedreht. Der Spiegel hatte zunächst bei Harris eine „Euphorie des Anfangs“ gesehen, doch die scheint sich verfestigt zu haben (Spiegel Nr. 31 / 27.7.2024: „Euphorie des Anfangs“).
Donald Trump ist unsicher geworden und zieht mit wüsten persönlichen Angriffen auf Harris durchs Land. Am 19.9.2024 meldete CNN, dass die Mehrheit der Wähler in den Swing States zwar Trump mehr Kompetenz beim Thema Migration zuschreibt, dass Harris jedoch insgesamt in Michigan und Pennsylvania vorn liegt. Im Wahlkampf geht es inzwischen vor allem darum, die Wählerinnen und Wähler in die Wahllokale zu bringen. Donald Trump nutzt dazu die ihm eigene Sprache: „Hebt euren A…. hoch und geht wählen!“
Ich will ein Beispiel der Harris-Euphorie aus Deutschland zitieren, wo man weiß, dass bei der US-Wahl auch über die Zukunft Europas entschieden wird und wo vor allem die Sprüche Trumps über die NATO und die EU registriert werden, die erkennen lassen, was bei der Wahl am 5.11.2024 – außer der Zukunft der USA – noch auf dem Spiel steht. Peter Burkhardt beschreibt die neue Situation in Amerika in der Süddeutschen Zeitung ausführlich und treffend:
„Auf einmal stehen die Demokraten alle hinter einer Frau, die als Vizepräsidentin fast vergessen worden war. Der Stimmungswandel zeigt, wie unglücklich die Partei mit dem Bewerber Biden war. Allerdings lugt hinter der Showbühne die Frage hervor, was Kamala Harris und ihr Begleiter Tim Walz zu bieten haben …
„Fürs erste haben die Demokraten nicht nur ihren Optimismus wieder belebt, sondern den aller Menschen, die Trumps Comeback und das Ende der amerikanischen Demokratie fürchten. Mitte Juli trat der Mann wie der sichere Sieger auf, er hatte soeben sogar ein Attentat überlebt. Nun löst die Demokratin Harris weithin Euphorie aus, auch wenn ihre Schlussrede am Tag vier des Kongresses nicht annähernd so brillant war, wie an Tag zwei die von Michelle Obama …
„Change, Freedom, Hope, Joy – Wandel, Freiheit Hoffnung, Freude. Das klingt nach Obama, es klingt wunderbar, es soll besonders Unentschlossene überzeugen. Influencer sind massenweise für Kamala Harris am Start. Aber die muss sich im Finale der Wahlschlacht seriös um Themen wie Abtreibung, Inflation und Einwanderung kümmern. Vor allem Trumps Hetze gegen Immigranten zieht, wie Umfragen belegen; Harris sollte als Kind einer Einwandererfamilie klug dagegen halten“ (sueddeutsche.de, 23.8.2024: „Kamala Harris hat die Demokraten entfesselt und den USA einen Thriller beschert“).
Die große Parteitags-Show der Demokraten in Chicago
Am 19.8.2024 begann in Chicago der viertägige Parteitag der Demokraten. Alles war „geregelt“: „Die Demokraten ordnen sich bedingungslos dem Ziel unter, Kamala Harris ins Weiße Haus zu tragen“, schreibt der Spiegel. „Es ist eine Meisterleistung der Choreographie, die ihre Wirkung nicht verfehlt. Jene Partei, die den eigenen Präsidenten eben noch mit der Kraft der Panik zur Seite gedrängt hat, wirft diesen nun in ein emotionales Schaumbad. Biden wird jene Zuneigung zuteil, mit der schon vielen Verlierern die Niederlage versüßt wurde“ (Der Spiegel, Nr. 35 / 24.8.2024: „Masse und Macht“).
Nachfolgend will ich über drei Höhepunkte des Parteitags berichten:
- Die ehrenvolle und emotionale Verabschiedung von Joe Biden
- Die Vorstellung von Tim Walz als Running Mate
- Den Acceptance Speech von Kamala Harris.
Der erste Tag des Parteitags war der ehrenvollen und würdigen Verabschiedung Joe Bidens gewidmet. Ein Tag voll gemischter Gefühle. Biden hatte über Jahrzehnte dem Land und seiner Partei gedient. Dafür spendete ihm der Parteitag minutenlang dankbaren Beifall. Sein Rückzug ermöglichte den Generationenwechsel und den Schritt in eine neue programmatische Zukunft. Doch im Beifall im United Center in Chicago steckte auch Erleichterung darüber, dass dieser Schritt ohne öffentliche Streitereien und ohne persönliche Blessuren möglich war. „Thank you Joe! Danke Joe!“ skandierte die Menge am Abend des 19.8.2024 nach seiner knapp einstündigen Rede. Biden hatte Tränen in den Augen und im Saal wurden Poster mit der Aufschrift „We love Joe“ gezeigt.
Bidens Rede war Rückblick und Ausblick zugleich. „Ich gab Herz und Seele für unsere Nation und ich wurde dafür millionenfach belohnt.“ Er gelobte, für das demokratische Ticket Harris/Walz zu arbeiten und rief die Amerikaner zu deren Wahl auf. „Kamala und Tim verstehen, dass diese Nation weiterhin ein Platz der Möglichkeiten sein muss, nicht nur für ein paar, sonder für uns alle.“ Als Kamala Harris Joe Biden nach dessen Ansprache umarmte, konnte man von ihren Lippen die Worte „Ich liebe Dich so sehr“ ablesen.
(Quellen: nytimes.com, 19./29.8.2024: Biden Defends His Record and Endorses Harris: ‚America, I Gave My Best to You’“; nytimes.com, 20.8.2024: “The Speech Biden Never Wanted to Give”).
Dieser Auftritt war eine Inszenierung von Politik, wie sie wohl nur die Amerikaner gestalten können. Den Kontrapunkt dazu setzten die Republikaner. Am selben Tag leiteten sie im Repräsentantenhaus formell ein Impeachment-Verfahren gegen Joe Biden ein. Sie beschuldigen ihn der Korruption und des Versuches, für seine Familie Vorteile aus dem Präsidentenamt zu ziehen. Die Republikaner gestehen dabei ein, dass sie keine Beweise vorlegen können, dass Biden dem Justizministerium zu den Ermittlungen gegen seinen Sohn Hunter irgendwelche Anweisungen erteilt hat (nytimes.com, 19.8.2024: „House G.O.P. Makes Impeachment Case Against Biden Without Proof of Crime“).
Doch wie hat Joe Biden den Rückzug überstanden und verarbeitet? Gab und gibt es Enttäuschungen oder gar Wunden? Sein Auftritt in der renommierten Talkshow „The View“ des Senders ABC gibt Aufschlüsse: Zunächst übermittele er seinem früheren Kontrahenten Trump ein paar „Freundlichkeiten“: Er bringt keinen großen Gegenwert … Ja, ich war zuversichtlich, Trump zu schlagen. Er ist ein Loser (Verlierer).“
Dann folgt eine lobende Empfehlung an Kamala Harris: „Sie ist höllisch smart, eine Nr. 1. Sie ist zäh, sie ist ehrenhaft, und da ist etwas, das ich an ihr mag – etwas das wir gemeinsam haben: Wir haben einen optimistischen Blick in die Zukunft.“ Und schließlich die Antwort auf die zu erwartenden Fragen: „Ich bin at peace – im Frieden – mit der Entscheidung, nicht zu kandidieren“ (nytimes.com, 25.9.2024: „Biden on ‚The View,’ Calls Trump a ‚Loser’ Who Lacks ‚Redeeming Value““).
Coach Tim Walz von Minnesota soll Vizepräsident werden
Im Vorfeld der jeweiligen Parteitage beobachten die Medien alles, was Rückschlüsse darauf zulassen kann, wen die Kandidatin oder der Kandidat als Running Mate benennen wird. Bei Kamala Harris standen am Ende die Gouverneure von Pennsylvania, California und Minnesota in der engeren Wahl. Am 6.8.2024 gab sie bekannt, dass Tim Walz, der demokratische Gouverneur von Minnesota ihr Kandidat für die Vizepräsidentschaft sein wird. Walz war bis dato auf Bundesebene unbekannt; und doch zeigte sich nach kurzer Zeit – nicht zuletzt nach verkorksten Auftritten von Trumps Running Mate JD Vance – dass sie eine gute Wahl getroffen hat.
Walz hatte vor ein paar Wochen bei einem Interview Trump und Vance als „weird“ (unheimlich, seltsam, verrückt, aus dem Mainstream gefallen) bezeichnet und damit einen Volltreffer im Wahlkampf der Demokraten gelandet gegen den Trump und seine Kampagne kein Gegenmittel fanden.
Der Gouverneur von Minnesota wird als volkstümlich, bodenständig und pragmatisch beschrieben. Ein Politiker, der seine Vorstellungen auf verständliche Art und Weise vorträgt und gewöhnliche Leute ansprechen kann. Die Heilbronner Stimme bezeichnete ihn als den „fröhlichen Krieger“, der die Freude in die Politik zurückbringt. Ein „Mann mit der volkstümlichen Ausstrahlung eines Dads aus dem Mittleren Westen, dem Bundesstaat Minnesota, dessen Einwohner sich zu den glücklichsten in den USA zählen. Eine Lehrerin aus Mankato, Minnesota, wo Walz selbst als Lehrer tätig war, bezeichnete ihn als ein „sehr normales menschliches Wesen“. Die Persönlichkeit und auch den Politiker Tim Walz kann man als das absolute Gegenmodell von JD Vance bezeichnen.
Geboren und aufgewachsen ist er in Nebraska, einem Bundesstaat im früheren Wilden Westen, heute einer der „fly-over“ Staaten, den die meisten Amerikaner nur aus 10 000 Meter Höhe kenne, wenn sie mit dem Flugzeug an die Westküste und zurück unterwegs sind. Walz war Lehrer für Gemeinschaftskunde und Geographie, zunächst in Alliance, Nebraska und später in Mankato, Minnesota. Im Jahr 1988 war er über ein Programm der Harvard University als Englischlehrer ein Jahr in China. Er diente 24 Jahre – mit Auszeichnungen – in der National Guard und vertrat ab 2010 über mehrere Legislaturperioden einen ländlich-konservativen Wahlkreis Minnesotas im Repräsentantenhaus. Im Kongress war er als Demokrat aus dem ländlichen Mittelwesten ein „seltsames Gewächs“. Seit 2019 ist Tim Walz der Gouverneur von Minnesota. Würden die Demokraten am 5.11.2024 die Wahl gewinnen, wäre er nach Hubert Humphrey und Walter Mondale der dritte Vizepräsident aus Minnesota.
Auf dem Parteitag der Demokraten in Chicago nannte Kamala Harris Tim Walz mehrmals „Coach“ Walz. Er war als Lehrer an der West High School in Mankato, MN Coach des Football Teams und hat die Mannschaft 1999 zur Meisterschaft von Minnesota geführt. Mankato, eine Mittelstadt im Süden von Minnesota hatte laut Census von 2000 damals rd. 32 400 Einwohner; 2022 lebten dort rd. 45 000 Menschen. Seine Tätigkeit als Coach war wohl einer der Gründe dafür, dass sich Harris für Walz als Running Mate entschieden hat. „Tim Walz gehörte zu der Sorte Lehrer und Mentoren, das sich jedes Kind in Amerika erträumt und das jedes Kind verdient. Er ist die Sorte Coach – weil er zu den Menschen gehört – die den Leuten das Gefühl geben, dazugehören und sie zu großen Träumen anregen. Und er wird die Sorte Vizepräsident sein, die Amerika verdient.“
In der engeren Wahl bei Harris stand auch Josh Shapiro, der Gouverneur von Pennsylvania. Für ihn sprach vor allem sein Beliebtheit in diesem Swing State. „Aber nur einer ist ein früherer High School Coach: Mr. Walz. Dies ist eine Identität, die ihm über die Jahre anhaftet“, schreibt die New York Times.
Dazu muss man wissen, welche Bedeutung der Schulsport in Amerika hat und welche Rolle die Trainer der jeweiligen Teams – weit über den Sport hinaus – spielen. Im Grunde gibt es mehrere Coach-Typen: Zum einen den patriarchalischen Befehlsgeber, dem man gehorchen muss oder man fliegt aus der Mannschaft. Dann gibt es den Coach, der zur Ikone geworden ist, den die Fans mit führenden Politikern gleichsetzen oder gar noch höher. Doch dabei ist weniger an die Trainer an einer High School sondern eher an die an Universitäten oder im Profisport zu denken. Auch Donald Trump weiß um die Bedeutung solcher Trainer. Beim republikanischen Parteitag 2020 sprach Lou Holtz, der frühere Football Coach der University of Notre Dame. Doch es gibt auch den Coach als Fürsorger, als Mentor, als Charakter Builder, als Ersatzvater für die Mitglieder einer Schulmannschaft. Dieser Beschreibung passte auf Coach Walz.
Ich erinnere mich an mein Jahr als Austauschschüler an der Marshall High School in Minneapolis, Minnesota vor über 60 Jahren. Howie Straiton war Lehrer für Amerikanische Geschichte und er war der Coach des Football Teams und der Leichtathletik-Mannschaft, der ich angehörte. Das war kein übliches Lehrer-Schüler-Verhältnis. Dem Coach war man auf ganz besondere Art verbunden. Amerikanische Schüler erinnern sich an den Coach ein Leben lang. Dies wurde deutlich, als beim Parteitag in Chicago eine Gruppe früherer Schüler von Coach Walz auf die Bühne kamen. Er hatte sie vor Jahren zur Meisterschaft geführt. So etwas bleibt ganz tief und emotional im Gedächtnis haften.
Als Kongressabgeordneter zählt Walz zum liberalen Flügel der Demokraten, hielt jedoch stets gute Verbindungen zum linken Flügel und auch zur LGBTQ-Community. Als Gouverneur von Minnesota unterschrieb er eine Verordnung, durch die die Menschen aus der Community geschützt werden, die ärztliche Behandlung zur Geschlechtsumwandlung suchen. Bekannt wurde er in Minnesota, als er die kostenlose Schulspeisung, Waffenkontrollgesetze und das Recht auf Abtreibung durchsetzte.
In einer kurzen Ansprache beim Parteitag stellte er sich als „Mann von nebenan“ vor, der aus einer Kleinstadt kommt, wo man sich kennt und gegenseitig akzeptiert. „Die Familie am Ende der Straße denkt vielleicht nicht so wie Sie, sie betet vielleicht nicht so wie Sie, sie liebt vielleicht nicht so wie Sie.“ Aber es seien Nachbarn und deshalb kümmere man sich um einander.
(Quellen: nytimes.com, 6.8.2024: „Tim Walz Is Kamala Harris Choice for Vice President: Live Election Updates“; nytimes.com, 6.8.2024: “Tim Walz Could Take It to the House”; Gastbeitrag von Howard Wolfson; nytimes.com, 6.8.2024: “Walz Throwing Punches at Republicans, Makes His Big Entrance With Harris”; nytimes.com, 6.8.2024: “What Minnesota Voters Thin of Tim Walz”; Heilbronner Stimme, 7.8.2024: “Der fröhliche Krieger”; nytimes.com, 9.8.2024: „Tim Walz Was a Clear Eyes Full Hearts Kind of Coach“; nytimes.com, 22.8.2024: “’Coach Walz’ Leads a Democratic Pap Rally”; Heilbronner Stimme, 23.8.2024: “Harris-Vize wirbt für Einheit und warnt vor Trump”)
Kamala Harris’ Acceptance Speech
In einer Dokumentation des ZDF wurde Kamala Harris das Stichwort „Zukunftsorientierung“ zugeordnet (ZDF, 27.8.2024: „Kamala Harris, die erste Frau im Weißen Haus?“). Bereits dieser eine Begriff zeigt ihre völlig andere Sichtweise auf das Land. Stefan Kornelius schreibt dazu: „Kamala Harris kann gewinnen, weil sie den Aufbruch verkörpert – und nicht die Vergangenheit“ (sueddeutsche.de, 7.8.2024: Kommentar von Stefan Kornelius mit der zitierten Überschrift).
Im Gegensatz dazu , in der Vorstellungswelt von Donald Trump, sind die Vereinigten Staaten eine Nation im Niedergang. Er verkündet auf seinen Kundgebungen, dass Amerika vor einer Wirtschaftskrise stehe, „weit schlimmer als 1929“ und dass die Führung des Landes schwach sei und auf der Welt nicht ernst genommen werde. Und er zieht daraus den (überheblichen) Schluss: Nur er, Trump, kann das Land retten.
In ihrer 40-minütigen Rede am 22.8.2024 in Chicago präsentierte sich die jetzige US-Vizepräsidentin als „pragmatische Führungspersönlichkeit, die alle Amerikaner auf einem neuen Pfad nach vorn (a new way forward) vereinen will. „Bei dieser Wahl hat unsere Nation eine kostbare aber flüchtige Möglichkeit, die Verbitterung, den Zynismus und die trennenden Schlachten der Vergangenheit hinter sich zu lassen. Eine Chance, einen neuen Pfad nach vorn zu entwerfen. Nicht als Mitglieder einer einzigen Partei oder Gruppe sondern als Amerikaner.“ Harris beschreibt ihren Opponenten als einen gefährlichen und unseriösen Mann, dessen Wahl die Grundlagen der amerikanischen Demokratie verändern würde. Ich will im folgenden weniger die innenpolitischen Schwerpunkte des US-Wahlkampfes ansprechen, wie etwa
- die Wirtschaftsentwicklung und die Inflation,
- Abtreibung und das Selbstbestimmungsrecht der Frauen,
- Migration und Grenzsicherung und
- den Schutz der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Vielmehr sei hier aus dem außenpolitischen Teil der Harris-Rede zitiert. Im Vordergrund für sie steht (natürlich) die Situation im Mittleren Osten und der Gaza-Krieg. Harris verurteilte den Hamas-Angriff vom 7.10.2023 und sagte zur Situation in Gaza: „Der Umfang des Leidens ist herzzerreißend.“ (Inzwischen steht sie vor dem gleichen Dilemma wie Joe Biden: Beide sehen eine diplomatische Lösung des Konflikts als den einzigen sinnvollen Ausweg und müssen jedoch immer wieder mit ansehen, wie womöglich zielführende Schritte der Diplomatie von der einen oder der anderen Seite unterlaufen werden und die Gefahr eines „echten“ Krieges zunimmt.
Wichtig ist für Europa: Harris erklärte sich als machtvolle Unterstützerin traditioneller Allianzen. Sie sprach die Drohungen Trumps, die NATO aufzugeben, ausdrücklich an und erwähnt seine Ermunterung an Putin, „zu tun was zur Hölle er immer mag.“ Dem stellt Harris ausdrücklich entgegen: „Als Präsidentin werde ich mit ganzer Kraft hinter der Ukraine und unseren NATO-Verbündeten stehen … Amerika, nicht China, wird den Konkurrenzkampf um das 21. Jahrhundert gewinnen, unsere globale Führungsrolle stärken und uns nicht zurückziehen.“ Harris erwähnt in diesem Zusammenhang Trumps oft geäußerte Bewunderung für Autokraten und Diktatoren, wie etwa Kim- Jong un, die zur Wahl am 5.11.2024 für Trump die Daumen drücken. „Sie (die Autokraten) wissen, wie leicht er durch Schmeicheleien und Gunstbezeugungen manipuliert werden kann. Sie wissen, dass Trump die Autokraten nicht zur Verantwortung zieht, weil er selbst ein Autokrat sein möchte“ Daniel Brössler verwendet zur Beschreibung der zu erwartenden Außenpolitik einer Präsidentin Kamala Harris den Begriff „Kontinuität“ – vermutlich auch personell“ (sueddeutsche.de, 25.7.2024: „Mit Harris wird alles gut – oder?“).
Einen Unterschied bei der Außenpolitik zwischen Biden und Harris wird es geben. Er betrifft den atmosphärischen wenn nicht gar emotionalen Teil ihres Handelns. Bei den Ehrungen für Joe Biden am 18.10.2024 in Berlin wurde immer wieder vermerkt, dass mit ihm der letzte Transatlantiker aus dem Weißen Haus scheidet. Biden hat den Kalten Krieg „live“ erlebt und verinnerlicht, was Bündnistreue bedeutet. Harris erkennt die Notwendigkeit der NATO rational, formuliert ähnlich wie Biden, doch eine Aussage wie etwa Kennedys „Ich bin ein Berliner“ könnte sie nicht machen. Vielleicht setzte Brössler deshalb hinter seine zuvor zitierte Kommentarüberschrift ein Fragezeichen.
Und Donald Trump? Ich bezweifle, ob dieser Teil der jüngsten Geschichte in seiner Vorstellungswelt überhaupt eine Rolle spielt.
Kamala Harris beschrieb in ihrer Rede ausführlich ihren Lebenslauf und die dabei gesammelten Lebenserfahrungen. Ihr Vater kam als schwarzer Student aus Jamaika und ihre Mutter kam aus Indien zum Studium in die Vereinigten Staaten. Als sie nach dem Abschluss in eine traditionell arrangierte Ehe hätte nach Indien zurückkehren sollen, trifft sie Kamalas Vater Donald Harris. Sie verlieben sich, heiraten „und aus diesem Akt der Selbstbestimmung entstammen meine Schwester Maya und ich.“
Nach der Trennung ihrer Eltern wachsen sie und ihre Schwester in einer Single Mom Familie und in der Tagesbetreuung von Mrs. Shelton auf, die ihr zur zweiten Mutter wurde. Zusammen mit vielen anderen waren sie „eine große Familie, die uns liebte, an uns glaubte und uns sagte, wir könnten alles tun und alles erreichen …“. Es muss eine aufregende und lebhafte Welt gewesen sein.
Kamala Harris erzählte all dies nicht ohne Stolz von der großen Bühne des United Center in Chicago und damit der ganzen Welt. Sie dankt von der Bühne herab ihrem Gatten Doug Emhoff, einen jüdischen Rechtsanwalt, der zwei Töchter in die spätere Ehe brachte. Es ist die Lebensgeschichte einer multi-ethnischen, diversen, bunten Patchwork-Familie, wie es sie häufig im Einwanderungsland Amerika gibt.
Trump hat versucht, aus der Hautfarbe und der „gemischten“ Herkunft von Kamala Harris im Wahlkampf negative Funken zu schlagen als er fragte ob sie letztlich schwarz oder indisch sei. Er versuchte damit, das vermeintlich traditionelle Amerika anzusprechen, den weißen, christlichen, von Männern regierten Teil der USA. Ob es gelang ist zweifelhaft.
(Quellen – soweit nicht bereits bekannt: nytimes.com, 23.8.2024: „Read Kamala Harris’ speech at the Democratic National Convention” (Transcript of Speech); nytimes.com, 22./23.8.2024: “Harris Promises to Chart ‘New Way Forward’ as She Accepts Nomination”).
Mit ihrem optimistischen, manchmal geradezu fröhlichen und so ganz anderen Wahlkampfstil hat Kamala Harris zusammen mit Tim Walz offenbar einen vernachlässigten Nerv der Amerikanerinnen und Amerikaner getroffen. Beeindruckend für uns Europäer ist die ganz andere Art der Reden, in denen immer wieder aus dem eigenen, persönlichen Leben berichtet wird. Die Süddeutsche Zeitung hat dieser Art des Wahlkampfes einen ausführlichen Report gewidmet. „Tim Walz berichtet von der künstlichen Befruchtung, mithilfe derer er und seine Frau Kinder bekommen haben“, steht im Bericht der SZ und zeigt den Unterschied zu „unseren“ Wahlkämpfen auf: „Kein deutsche Politiker würde vom eigenen Gang in die Kinderwunschklinik berichten“ (sueddeutsche.de, 25.8.2024: „Warum reden die so gut?“).
Doch die Harris-Kandidatur ist auch für Amerika eine besondere Sache; es gibt viele „Firsts“, vieles passiert zum ersten Mal. In einem umfangreichen Artikel erläutern die erfahrenen Journalistinnen Lisa Lerer und Erica L. Green in der NYT, welche Bedeutung die Kandidatur von Kamala Harris für Amerika hat: „In der bedeutendsten Ansprache ihrer Karriere bat Kamala Harris die Amerikaner, sie als die Verkörperung der traditionellen Werte des Landes zu akzeptieren und nicht als die Negierung dieser Werte. Es ging ihr bei dieser Botschaft darum, den Wählern zu vermitteln, dass – so sehr ihr Hintergrund und ihre Identität auch den Wandel andeuten mögen – durch sie eine direkte Verbindungslinie zu den Gründeridealen der Nation gezogen wird. „Ich weiß, dass heute Abend manche mit sehr unterschiedlichen politischen Vorstellung zusehen. Deshalb sollen sie wissen und ich verspreche, die Präsidentin für alle Amerikaner zu sein.“ Das Land soll sich nach vorn und nicht zurückentwickeln, war eine ihrer Kernbotschaften.
Kurz nachdem Harris die Bühne in Chicago verlassen hatte, telefonierte Trump mit Fox News und widersprach den aktuellen Umfragen wonach Harris bei Frauen, Hispanics und schwarzen Wählern punktet. „Sie wird keinen Erfolg haben, ich bin erfolgreich“, erklärte er in einem sprunghaften Gespräch mit der Moderatorin. „Bei mir läuft’s großartig bei den Hispanic-Wählern, großartig bei schwarzen Wählern und ich punkte großartig bei Frauen“ (nytimes.com, 23.8.2024: „Harris Wants America to Se Itself in Her“).
Der Parteitag und die Harris-Rede gaben der Kampagne weiteres Momentum. Schon zuvor war ein Ruck durch die Demokratische Partei gegangen, der in der New York Times so beschrieben wird: „Eine Kampagne, die sich zuvor wie ein Trauerzug angefühlt hat, wurde für die Demokraten zu einer Tanzparty. Zehntausende strömen zu den Kundgebungen in den Battleground States, und die Geldkoffer der Harris-Kampagne fließen über mit Spenden von Gruppierungen, die sich „White Dudes“ und „Cat Ladies“ nennen.“ Sogar Spenden von Risiko-Kapitalanlegern seien dabei. Präsident Bidens dunkle Warnungen, es gehe um eine „Schlacht um die Seele Amerikas“ wurden verdrängt von „görenhaften“ Freudenklängen. Die NYT schreibt von einem „brat-influenced pursuit of „the joy“ (nytdirect@nytimes.com – The Morning, 9.8.2024: Race reset”). “Harris ist voller Energie und Freude – full of energy and joy” stellten die Demokraten erfreut fest.
Doch nicht nur diese völlig veränderte Stimmung im Wahlkampf der Demokraten und der außergewöhnliche Spendenfluss machte Donald Trump ratlos. Auch die Umfragezahlen, die sich lange Zeit zu seinen Gunsten entwickelt hatten, kamen in Bewegung. Bei den Durchschnittswerten für das gesamt Land lag Harris inzwischen mit 3 Prozentpunkten vorn. Harris 49 %; Trump 46%).
In den wichtigen Swing States hatte Harris ebenfalls Boden gutgemacht. Ende September war das Rennen völlig offen.
Umfragezahlen: The NYT / Siena College Polls
Bundesstaat Trump Harris
(1) Erhebungszeitraum 9.8.2024
Michigan 46% 50%
Pennsylvania 46% 50%
Wisconsin 46% 50%
(2) Erhebungszeitraum 21. - 26.8.2024
Michigan 47% 49%
Pennsylvania 48% 49%
Wisconsin 48% 50%
Im Mai 2024 lagen Biden und Trump in den Swing States Michigan, Pennsylvania und Wisconsin praktisch gleichauf, mit leichten Vorteilen für Trump. Nach Bidens Ausstieg gab es einen deutlichen Push für die Demokraten. Im Erhebungszeitraum 5.8. - 9.8.2024 lag Harris in allen drei Staaten jeweils 4 Prozentpunkte vor Trump. Diese Aufwind für Harris wurde aus zwei Quellen gespeist: Zum einen konnte sie Wechselwähler (Unabhängige und Arbeiter), die 2020 Trump gewählt hatten, zu sich herüberziehen, zum andern – und dieser Effekt ist besonders wichtig – hat sie Teile der eigenen Basis der Demokraten (Jungwähler, College-Absolventen und Stadtbewohner), die Biden den Rücken gekehrt hatten, wieder ins Boot geholt (nytdirect@nytimes.com – The Morning, „U.S.A.! U.S.A.!“).
Beide Kampagnen werden bis zum Wahltag die Swing States heftig bewerben. Dabei geht es weniger um die eventuellen Wechselwähler; mit größeren Wählerwanderungen ist nicht mehr zu rechnen. Entscheidend wird vielmehr sein, das eigene Reservoir zu mobilisieren. Harris hat vor überschäumender Zuversicht gewarnt: „Wir haben noch nicht gewonnen!“ Dies zeigen auch die ständigen Verschiebungen bei den Umfragen.
(Quellen – soweit nicht bereits genannt: nytimes.com, 10.8.2024: „Harris Leads Trump in Three Key States, Times/Siena Polls Find“; nytimes.com, 28.9.2024: “Harris and rump Are Neck and Neck in Michigan and Wisconsin, Polls Find”; nytimes.com, updated 30.9.2024: “Election 2024 Polls: Harris vs. Trump”).
Trump wurde auf dem falschen Fuß erwischt – Ein schmutziger Wahlkampf steht bevor
Als die Republikaner am 18.7. 2024 in Milwaukee auseinander gingen, konnten sie davon ausgehen, mit Donald Trump den nächsten Präsidenten auf den Schild gehoben zu haben. Trump selbst sah sich als unschlagbar. Nicht zuletzt nach dem gescheiterten Attentatsversuch am 13.7.2024 in Butler, Pennsylvania. Er hatte – bis auf wenige Ausnahmen – die gesamte GOP hinter sich versammelt. Etwaige Zweifler waren entweder abgestraft (wie etwa Liz Cheney), eingeknickt (wie Ron DeSantis und Nikki Haley) oder schwiegen. Als Joe Biden die Kandidatur am 21.7. 2024 aufgab, schickte ihm – wie nicht anders zu erwarten – Donald Trump ihm einen geringschätzigen Abschiedsgruß hinterher: Biden sei der „mit Abstand schlechteste Präsident in der Geschichte unseres Landes“ (sueddeutsche.de, 22.7.2024: „Scholz; Biden verdient „Anerkennung“).
Diese Siegesgewissheit hatten die Republikaner seit langem verinnerlicht. Schon im Herbst 2023 – noch ehe feststand, dass es ein Rennen Biden ./. Trump geben würde – erklärte Steven Cheung, der Sprecher Trumps und spätere Chef der Trump-Kampagne: Präsident Trump dominiert weiterhin die Primary, weil die Wähler wissen, er ist der Einzige, der Biden schlagen wird und das Weiße Haus zurückerobert.“ Dies ergänzte Cheung mit der üblichen Herabwürdigung Bidens: „Joe Biden ist eine schmerzliche Katastrophe. Seine Politik hat Amerika verletzt und das Land geschwächt“ (nytimes.com, 23.9.23: „Biden, Warning Trump Could ‚Destroy Democracy, Moves Past G.O.P. Primary“).
Die taz beschreibt Trumps neue und veränderte Lage wie folgt: „Donald Trump hat vermutlich die für ihn schlimmsten zwei Wochen des Jahres hinter sich. Natürlich hatte er darauf gehofft, dass Joe Biden an der Kandidatur festhält. Sein gesamter Wahlkampf war auf ihn als Gegner eingestellt, und Trump hatte das Gefühl, nicht viel tun zu müssen“ (taz.de, 10.8.2024: „Wird Trump jetzt plattgewalzt?“).
Trump und seine Kampagne wurden auf dem falschen Fuß erwischt und hatten Mühe, die neue Entwicklung zu deuten oder gar zu ihren Gunsten zu nutzen. Manche sprachen von einem Coup, einem Staatsstreich der Demokraten, und Trump verkündete zunächst, Harris sei noch leichter zu schlagen als Biden. Doch in Wirklichkeit versuchte er mit allen Mitteln wieder in die Offensive zu gelangen. Die Demokraten hatten mit Harris und Walz den Wahlkampf völlig auf den Kopf gestellt und die Umfragezahlen gaben ihnen recht. Trump wirkte lange Zeit ratlos und – wie immer, wenn er unsicher ist – griff er in die unterste Schublade. Ratlos und unsicher machte ihn vor allem, was nach dem Rücktritt Bidens geschah, bzw. was nicht geschah, nämlich ein offener Streit der Demokraten um die Nachfolge Bidens und um das Verfahren für die Suche des Nachfolgers. Im Land gab es viele positive Reaktionen auf den Rückzug Bidens. Auf einmal hatten die Wählerinnen und Wähler eine echte Alternative. Die Demokraten standen geschlossen hinter Kamala Harris, ihre Spendeneinnahmen sprudelten und die Umfragezahlen bewegten sich in Richtung Harris. All dem galt die mediale Aufmerksamkeit und Trump befand sich plötzlich im ungewohnten medialen Funkschatten. Er suchte nach einem „Plan B“ und all dies machte ihn fies und aggressiv.
Spätestens seit der TV-Debatte mit Kamala Harris am 10.9.2024 war Donald Trump in der Defensive. Dies bedeutete nicht zuletzt: Die USA würden in den letzten Wochen einen schmutzigen Wahlkampf erleben. Es hat eine heftige Schlacht um die unentschlossenen Wähler begonnen und dabei setzten die beiden Kampagnen auf sehr unterschiedliche Strategien. Im Grunde geht es um rd. 3 Millionen Menschen in 7 Bundesstaaten. Inhaltlich wäre viel zu berichten über die wesentlichen Schwerpunkte des Wahlkampfes: Wirtschaft, Finanzen, Inflation, Abtreibung und Selbstbestimmungsrecht von Frauen, Migration und Grenzsicherung – Trump schwafelt von Massendeportationen; Experten verweisen auf rechtliche Hindernisse – ferner Absicherung der Demokratie und des Rechtsstaats, Klimawandel und nicht zuletzt die Stellung der USA in der Weltpolitik. Doch ich will hier vor allem über den – nicht nur für europäische Beobachter – ungewohnten und aggressiven Wahlkampf schreiben.
In seiner wöchentlichen Meinungskolumne in der New York Times lässt Thomas B. Edsall jeweils zu einem speziellen Thema Wissenschaftler aus Universitäten und sonstige Experten zu Wort kommen. Am 25.9.2024 ging es um eine Charakterisierung der Wählerinnen und Wähler Trumps: Wie ist es möglich, dass Donald Trump die Chance hat, Präsident zu werden, obwohl die Wähler inzwischen so vieles über ihn wissen? Warum zeigt sich keine entscheidende Mehrheit, die diesem Mann eine zweite Amtszeit verweigert, der als der schlechteste Präsident der amerikanischen Geschichte beurteilt wird? Diese Fragen sowie eine Vielzahl Erklärungen, werden bei Edsall umfänglich untersucht. Ich will hier nur einige Punkte aufgreifen, die Schlüsse auf den (schmutzigen) Wahlkampf zulassen.
Edsall zitiert die lange Litanei Trump’scher Neigungen, man könnte auch Untugenden sagen, die dem Wahlvolk gut bekannt sind: Seine Verlogenheit, Doppelzüngigkeit, Verderbtheit, Heuchelei und Käuflichkeit – all dies hat sich in die Psyche der amerikanischen Wähler unwiderruflich eingeprägt (nytimes.com, 25.9.2024: „The Real Trump Mystery“). Und trotzdem ist die Gefahr groß, dass dieser Mann der nächste Präsident sein wird; sei es weil sich die Wähler an die Trump’schen Untugenden gewöhnt haben, weil ihnen sein vereinfachende Darstellung der Wirklichkeit zusagt, weil sie die Gegenseite so sehr hassen, dass alle „Kampfmittel“ o.k. sind oder weil sie die Lügen nicht durchschauen können, und, und, und … Zur Beantwortung all dieser Fragen wäre über die Auflistung der Untugenden hinaus auch zu untersuchen, was die Begeisterung für Trump auch über Teile des amerikanischen Wahlvolks aussagt.
Zwei Beispiele für Trumps Neigung, den Wahlkampf auch mit Lügen zu führen, seien hier beschrieben:
Lüge Nr. 1: „Harris will die Droge Fentanyl legalisieren.“ – Zum Hintergrund:
Am 27.9.2024 besuchte die Vizepräsidentin die Südgrenze der USA um sich vor Ort ein Bild über die aktuelle Lage zu machen. Flüchtlinge und illegale Einwanderung sind im Wahlkampf ein gewichtiges Thema, mit dem Trump immer wieder versucht, den Untergang des Landes zu beschwören: Die Vereinigten Staaten seien einer Invasion tausender und abertausender Terroristen ausgesetzt (nytimes.com, 18.9.2024: „Trump Tries to Close Off a Chief Line of Attack: That He’s a Danger to Democracy“). Vor einiger Zeit hatte er gesagt, die Einwanderer vergifteten das Blut des Landes.
Harris und die Demokraten treten Trumps Angriffen mit zwei Punkten entgegen:
- dass Trump Anfang 2024 einer im Senat über Parteigrenzen hinweg ausgearbeiteten Gesetzesinitiative torpediert hat, um das Thema Migration im Wahlkampf ausschlachten zu können. Der Entwurf enthielt u. a. Bestimmungen zur Begrenzung von illegaler Einwanderung und Asylsuche.
- dass seit einer Verordnung des Präsidenten vom 4.6.2024 die Zahl unerlaubter und undokumentierter Einwanderung wesentlich zurückgegangen ist. Das Weiße Haus ist gerade dabei, die Verlängerung dieser Verordnung umzusetzen.
Die New York Times beschreibt ausführlich das Einschwenken der Demokraten auf eine härtere Einwanderungspolitik - Inschrift am Sockel der Freiheitsstatue im Hafen von New York:
„Gebt mir eure Müden, eure Armen, eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren. Die bemitleidenswerten Abgelehnten eurer gedrängten Küsten; Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen, Hoch halt’ ich mein Licht am gold’nen Tore! Sende sie, die Heimatlosen, vom Sturm Gestoßenen zu mir. Hoch halte ich meine Fackel am Goldenen Tor.“
Die ist keine Gesetzestext, zeugt aber vom hohen moralischen Anspruch des Einwanderungslandes Amerika. Kamala Harris hat diesen Anspruch in einer Ansprache in der Grenzstadt Douglas, Arizona auf den aktuellen Stand gebracht: „Die Vereinigten Staaten sind eine souveräne Nation, und ich glaube, wir haben die Pflicht, Regeln für unsere Grenzen zu setzen und sie durchzusetzen.“
(Quellen: nytimes.com, 4.6.2024: „In Shift, Biden Issues Order Allowing Temporary Border Closure to Migrants“; nytimes.com, 26.9.2024: “Biden Administration Set to Make Asylum Limits More Permanent”; nytimes.com, 27.9.2024: “Harris, st the Border, Schows Democrats’ Hard-Line Evolution on Immigration”).
Hier nun die Lügengeschichte Nr.1 Donald Trumps:
Am Rand ihres Grenzbesuchs erwähnt Harris das wachsende Problem mit der Droge Fentanyl, die in großen Mengen über die Grenze zu Mexiko ins Land geschmuggelt wird. Harris versprach, sie werde als Präsidentin den Kampf gegen den Schmuggel von Fentanyl zu einer ihrer Top-Prioritäten machen und höhere Mittel für mehr Personal an der Grenze bereitstellen Es gehe darum, die „globale Fentanyl Supply Chain“ zu bekämpfen.
Daraus machte Trump bei einer Wahlkampf-Veranstaltung am 28.9.2024 in Wisconsin die Aussage: „Harris will Fentanyl legalisieren“. Tags darauf hat er diese Lüge in Pennsylvania wiederholt (nytimes.com, 29./30.9.2024: „After Harris Calls for a Crackdown on Fentanyl, Trump Twists Her Position“).
Trump spekuliert bei dieser Lüge, dass die Durchschnittswähler den Wahrheitsgehalt seiner Wahlkampf-Aussage nicht überprüfen können. Er verkündete auf zwei Veranstaltungen fälschlicherweise: „Harris will Fentanyl legalisieren.“ Wer weiß auf diesen zwei Veranstaltungen, dass Harris genau das Gegenteil gesagt hat?
Lüge Nr. 2: „Biden und Harris kümmern sich nicht um die Opfer des Hurrikan „Helene“
Diese Lügengeschichte ist ein Beispiel dafür, wie Trump selbst Naturkatastrophen, die viele Todesopfer forderten, für seine Zwecke zu nutzen versucht. Es geht um den Hurrikan „Helene“, der am 26.9.2024 in Florida auf Land traf und fünf weitere Bundesstaaten überrollte. Lt. Wikipedia sind in den USA zum Stand 18.10.2024 mindesten 225 Todesopfer zu beklagen. „Helene“ gilt damit als der tödlichste Tropensturm seit 2005. Damals starben durch den Hurrikan „Katrina“ nahezu 1 400 Menschen. In New Orleans standen ganze Stadtviertel unter Wasser.
Zum Thema „Helene“ sagte Trump, dass er jetzt zwar nicht über Politik reden wolle: „Wenn eine Krise auftritt, wenn unsere Mitbürger in Not aufschreien, spielt das keine Rolle. Jetzt reden wir nicht über Politik.“ Doch ähnlich wie nach dem ersten Attentatsversuch, als er sich für kurze Zeit staatsmännisch gab und versprach, falls er gewählt werde, der Präsident für alle Amerikaner werden zu wollen, konnte er auch dieses Mal seine guten Vorsätze nicht lange durchhalten. Am 30.9.2024 besuchte er eine schlimm heimgesuchte Gegend in Georgia und erklärte, der Gouverneur Brian Kemp (ein Republikaner) mache einen sehr guten Job, das Problem sei aber, dass Kemp große Schwierigkeiten haben, den Präsidenten telefonisch zu erreichen.
Doch dieser Vorwurf an Präsident Biden war absolut falsch und frei erfunden. Am selben Tag erklärte Gouverneur Kemp, dass er und Biden in der vorherigen Nacht telefoniert haben. Kemp lobte ausdrücklich, wie leicht ansprechbar der Präsident war. Er habe gefragt: „Hey, was braucht ihr?“ und er habe geantwortet: „Wir haben was wir brauchen. Wir werden es (den Antrag auf Katastrophenhilfe) nach dem üblichen Verfahren abwickeln.“ Im übrigen, so der Gouverneur, habe Biden angeboten, falls es Probleme gäbe, solle er direkt bei ihm anrufen.
Erneut hat Trump eine Lügengeschichte erfunden, die der Normalbürger nicht überprüfen kann, denn niemand weiß, wie und was Gouverneur Kemp und Präsident Biden am Telefon besprochen haben. Die New York Times stellt dazu fest, diese Geschichte sage weniger aus über Trumps Unehrlichkeit als vielmehr darüber, wie er die Katastrophenhilfe stets betrachtet hat: „Als Präsident sah er die Bundeshilfe durch das Prisma seiner persönlichen Interessen. Er drohte den Gouverneuren der „blauen“ Staaten (blau = demokratisch regiert), die er als Feinde betrachtete, die Hilfe zurückzuhalten und versprach seinen Verbündeten eine „A-Plus“ Behandlung.“
(Quellen: nytimes.com, 29.9./2.10.2024: „What We Know About Hurricane Helene’s Destruction So far“; nytimes.com, 30.9.2024: “Trump, No Stranger to Playing Storm Politikcs, Visits a Battered Georgia”).
Am 3.10.2024 machte Trump Wahlkampf im Saginaw County im Battle Ground State Michigan und erzählte neue Katastrophengeschichten: Die Biden-Regierung habe Gelder des Katastrophenschutzes gestohlen und sie zur Unterbringung undokumentierter Einwanderer verwendet damit diese für die Demokraten stimmten. Dazu erzählte er eine ganze Litanei von Unwahrheiten: Dass er 2020 gewonnen habe, dass er in sämtlichen Swing States vor Harris liege und dass E-Autos eine Bedrohung für die Autoindustrie seien. Gleichzeitig lobte er den E-Auto-Hersteller Elon Musk, der für ihn eine Wahlempfehlung ausgesprochen hat.
Der Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugman fragte in seiner Kolumne in der New York Times, warum Trump immer wieder solche Lügen erzählt: „Er scheint tatsächlich zu glauben, dass er neues Material braucht, weil das alte seine Wirksamkeit verliert.“
(Quellen: nytimes.com, 3.10.2024; Paul Krugman: „Why Trump Is Lying About Disaster Relief“; nytimes.com, 3.10.2024: “Trump Rally in Michigan Dominated by More False Statements”).
Und tatsächlich spinnen Trump und seine Truppe die Lügengeschichten und Verschwörungstheorien zum Thema „Katastrophenhilfe” immer weiter. Den Vogel schoss dabei seine Ikone Marjorie Taylor Greene, die republikanische Kongressabgeordnete aus Georgia ab. Sie verkündete auf „X“, die staatlichen Stellen – und damit Biden und Harris – könnten das Wetter manipulieren. Sie hätten den Hurrikan „Helene“ bewusst gesteuert und über die republikanischen Gebiete der Swing States gelenkt. „Es ist lächerlich zu behaupten, das sei nicht möglich“, bekräftigte Greene ihre Erkenntnisse (Heilbronner Stimme,9.10.2024: „Auf den Hurrikan folgt ein Sturm an Desinformation“).
Das Stichwort „weird“ (seltsam, sonderbar) fällt mir dazu ein, mit dem Tim Walz die Aussagen und das Gebaren von Trump und Vance beschrieben hat. Doch nicht alle Republikaner sind auf diesem sonderbaren Trip. Der republikanische Senator Kevin Corbin aus North Carolina, das auch von „Helene“ getroffen wurde, rief seine Parteifreunde auf: „Könnten Sie bitte dabei helfen, die Verbreitung dieser Verschwörungstheorien über die Überschwemmungen im westlichen North Carolina auf Facebook und im Internet zu stoppen.“ (Heilbronner Stimme, 9.10.2024; wie oben).
Mitt Romney, der Senator aus Utah und frühere Präsidentschaftskandidat gehört ebenfalls zu den „anderen Republikanern“. Lange hatten die Demokraten gehofft, dass auch Romney – so wie zum Beispiel Liz Cheney aus Wyoming – eine Wahlempfehlung für Kamala Harris aussprechen würde. Am 8.10.2024 erklärte Romney, er werde dies nicht tun; mit folgender Begründung: „Ich möchte weiterhin nach dieser Wahl eine Stimme in der Republikanischen Partei haben. Die Aussicht besteht, dass die Partei Bedarf an einem Wiederaufbau oder einer Neuorientierung haben wird.“ (nytimes.com, 8.10.2024: „Romney Won’t Endorse Harris, Saying He Wants to Keep His Voice in the Party“). Romney und die Republikaner, die ähnlich denken, werden in der Nach-Trump Zeit eine große Aufgabe vor sich haben.
Ein weiterer Attentatsversuch und die Folgen
Am 15.9.2024 gab es einen zweiten Attentatsversuch auf Donald Trump auf seiner Golfanlage in der Nähe von Mar-a-Lago in Florida. Erneut, wie nach dem ersten Attentat in Butler, Pennsylvania am 13.7.2024 hielt Amerika den Atem an und wartete angesichts der Spaltung in Politik und Gesellschaft auf richtungweisende Aussagen aus den politischen Führungsriegen. Nach dem ersten Attentat hatte Präsident Biden dazu aufgerufen, „die Temperatur in unserer Politik“ zu senken. Auch Trump hatte in seiner Parteitagsrede am 19.7.2024 in Milwaukee versucht, staatsmännisch zu klingen und rief dazu auf, die Spaltung der Gesellschaft zu überbrücken. Doch er hatte die guten Vorsätze nicht lange durchgehalten und es nach dem zweiten Attentat gar nicht erst versucht.
Noch ehe näheres über den Täter und seine Motive bekannt wurde, gab Trump Joe Biden und Kamala Harris die Schuld am Mordversuch. Am 16.9.2024 sagte er bei Fox News, die Rhetorik des Präsidenten und der Kandidatin Harris seien für den versuchten Angriff auf ihn verantwortlich. „Wegen dieser kommunistisch-linken Rhetorik fliegen die Kugeln, und es wird noch schlimmer werden.“ Offenbar habe der Täter der Rhetorik von Biden und Harris geglaubt und gehandelt.
Trump bezog sich bei diesen Anschuldigungen an die Adresse der Demokraten auf deren Vorwürfe, Trump sei – und dies zeige der Sturm auf das Kapitol am 6.1.2021 – eine Gefahr für die Demokratie und den Rechtsstaat in Amerika. Es klingt makaber, wenn ausgerechnet er, der den Sturm auf das Kapitol angestiftet hat, nun die Verantwortung für das Attentat den politischen Gegnern und deren „aufrührerischen Reden“ zuschieben will. Er, Trump, könne genauso aufrührerisch reden – weit besser als sie – aber er tue dies nicht, fügte er an.
Dazu schrieb die New York Times: „Mr. Trump sagt, seine politischen Gegner seien die wahre Gefahr für die Demokratie und behauptet – ohne Beweise – dass Mr. Biden die vier Strafverfahren gegen ihn koordiniert habe und dass die Auswechselung mit Ms. Harris gleichbedeutend mit einem Staatsstreich war.“
Auch Trumps Running Mate JD Vance blies in dieses Horn. Er warf den Demokraten vor, sie gingen zu weit, wenn sie die Wiederwahl Trumps als mögliches Ende der Demokratie in Amerika beschrieben. „Ich sage nicht, dass Konservative immer alles richtig machen. Aber niemand hat in den letzten Monaten versucht, Kamala Harris zu töten. Ich denke, dies beweist ausreichend, dass die Linke ihre Rhetorik abschwächen sollte, sonst wird jemand verletzt.“
(Vance macht hier den dialektischen Versuch, von Trumps Verantwortung für den Sturm auf das Kapitol abzulenken und die Schuld für die Folgen des 6.1.2021 anderen zuzuschieben. Trump ist wegen des Sturms auf das Kapitol angeklagt und ruft, um sich zu verteidigen: Haltet den Dieb).
Amerika steht in den Wochen vor dem Wahltag am 5.11.2024 vor einem schmutzigen Wahlkampf. Vier Minuten nach der ersten Meldung des Attentats am 15.7.2024 postete ein anonymer Account auf „X“: „Joe Bidens Antifa schoss auf Präsident Trump.“ Und das Internet war in der Folge voll von ähnlichen Aussagen. In einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung schreibt Stefan Kornelius: „Es ist erschreckend, wie selbstverständlich aus theoretischer Gewalt inzwischen physische wird. Auch für die Stabilität des Landes ist dies hochgefährlich.
(Quellen: nytimes.com, 16.7.2024: „The Gunshots Rang out. Then the Conspiracy Theories Erupted Online”: nytimes.com, 17.7.2024: “’Our Nation Is Not Well’: Voters Fear What Could Happen Next”; nytimes.com, 16.9.2024: “Trump, Using Harsh Language, Urges Democrats to Tone Down Theirs” nytimes.com, 16.9.2024: “Vance says, the left is to blame for the attempts on Trump’s life”; sueddeutsche.de, 16.9.2024; Stefan Kornelius: “Der neue Attentatsversuch auf Trump zeigt: Brutalität beherrscht den Wahlkampf”; sueddeutsche.de, 17.9.2024: „Trump gibt Harris und Biden die Schuld für mutmaßlichen Attentatsversuch“).
Der schmutzige Wahlkampf – Vor allem Trump ist verantwortlich
Die New York Times hat eine lange Liste von Schand- und Schimpfnamen veröffentlicht, die Donald Trump innerhalb weniger Wochen seinen politischen Kontrahenten angehängt hat. Anfangs, nachdem klar wurde, dass Kamala Harris die Kandidatin der Demokraten sein wird, gingen Trumps Schimpfereien bunt durcheinander. Sie sei „dumm wie ein Stein“, eine „total gescheiterte und unbedeutende Vizepräsidentin“, eine „Lügnerin“, eine „radikale linke Marxistin und schlimmeres“, und über längere Zeit nannte er sie die „verrückte Kamala“. Es schien als teste er aus, welche wüsten Worte ihm am leichtesten über die Lippen kommen oder bei seinen Fans am besten wirken. „Crazy Kamala“ war längere Zeit sein „Lieblings-Schimpfwort“. Am 10.8.2024 verwendete er erstmals die Bezeichnung „Genossin Harris“ („Comrade Harris“) und es schien als habe Trump damit die ihm am besten gefallende Bezeichnung gefunden nytimes.com, 9.9.2024: „What Harris and Trump Say About Each Other on Social Media“).
Kamala Harris eine Kommunistin oder Marxistin? Solche Aussagen klingen für den europäischen Wahlbeobachter widersinnig. Und auch aus den eigenen Reihen gab und gibt es Empfehlungen an Trump, den Wahlkampf mit Sachargumenten und nicht mit Beleidigungen zu führen. Tatsächlich hat Trump auch am 19. und 20.8.2024 versucht, dem Rat seines Teams zu folgen und las vor weniger großen Besucherzahlen vom vorbereiteten Manuskript. Tags darauf, am 21.8.2024 kehrte er in Asheboro, North Carolina zur gewohnten Vortragsart zurück. Er machte sich über Bidens körperliches Erscheinen lustig, nannte Nancy Pelosi, die frühere Sprecherin des Repräsentantenhauses „verrückt“ und bezeichnete Kamala Harris als „dumm“ und als „Marxistin und Kommunistin“. Auch Barack Obama war an der Reihe. Trump bezeichnete ihn als „abscheulich“.
Und dann tat Trump etwas, das seinen Beratern wohl die Haare zu Berg stehen ließ: Er wandte sich unmittelbar an die Fans und machte sich über sein Team lustig: „Sie sagen mir immer, Sir, bleiben Sie bitte bei der Politik, werden Sie nicht persönlich! Und dies, obwohl diese Leute (die politischen Opponenten) die ganze Nacht persönlich werden.“ Und dann fragte Trump die Menge: „Soll ich weiterhin bei der Politik bleiben?“ Und die Menge antwortete mit einem schallenden „Nein!“ Und Trump, nun gepuscht durch sein Publikum, setzte noch einen drauf: „Kamala und Biden haben uns an den Rand des Dritten Weltkriegs geführt.“ Seit dieser Veranstaltung fühlte sich Trump offenbar in der aggressiven, persönlichen und schmutzigen Art seines Auftretens bestätigt. Es nützte auch nichts, dass Senator Lindsey Graham, ein enger Trump-Verbündeter Trump empfahl, es sei besser nicht persönlich zu werden sondern ihre Politik für „verrückt“ zu erklären. Auch der republikanische Abgeordnete Tom Emmer aus Minnesota mahnte, es sei besser, dass wir (die Republikaner) bei den Streitpunkten bleiben. Noch direkter formulierte Larry Hogan, der frühere republikanische Gouverneur von Maryland: „Ich sage seit Jahren, dass die spalterische Rhetorik etwas ist, auf das wir verzichten können.“
(Quellen: nytimes.com, 21./22.8.2024: „Trump Attacks Harris at N.C. Rally, Asking the Crowd to Back Him Up“; nytimes.com, 29.9.2024: “Republicans Criticize Trump Over His Insults of Harris”).
In jüngster Zeit berichten die Medien immer öfter über persönliche Angriffe Trumps auf die politischen Opponenten. Dies gibt Anlass zur Sorge darüber, was passieren könnte, sollte er die Wahl verlieren. Am 15.10.2024 verweigerte Trump bei einem Interview in Chicago die Aussage zum Thema „friedliche Machtübergabe.“ Am 13.10. 2024 beschrieb er bei Fox News die Demokraten als schädliche „Feinde im Innern“, die am Wahltag ein Chaos auslösen würden. Dazu spekulierte Trump, dass dann die Nationalgarde eingesetzt werden könnte. Dazu schrieb die New York Times: „Nie zuvor hat ein Präsidentschaftskandidat – ganz zu schweigen von einem früheren Präsidenten – offen davon gesprochen, das Militär gegen amerikanische Bürger einzusetzen, nur weil sie gegen seine Kandidatur sind.“ Die Drohung, „Retribution“ (Vergeltung) zu üben an seinen politischen Gegnern taucht immer wieder in Trumps Reden auf (nytimes.com, 15.10.2024: „Trump Escalates Threats to Political Opponents He Deems the ‚Enemy’“).
Berichtet wird auch, dass Trumps Rhetorik immer wirrer wird: „Lügen, Hetze und Beleidigungen zählten schon immer zu Donald Trumps Repertoire, doch die letzten Wochen zeigen, dass Steigerungen jederzeit möglich sind. Seine Ankündigungen werden bedrohlicher, seine Worte noch dunkler“ (sueddeutsche.de, 15.10.2024: „Wie Trumps Rhetorik immer wirrer wird“). Die New York Times schreibt über Trumps „mäandernde Ansprachen“, bei denen er vom Hundertsten ins Tausendste kommt und man am Anfang nicht einmal ahnen kann, wo er am Ende landen wird. Das Stichwort „irrlichternd“ fällt mir dazu ein.
(Quellen: nytimes.com, 17.10.2024: „Trump’s Meandering Speeches Motivate His Critics and Worry His Allies“; nytimes.com, 20.10.2024: “Four of Trump’s Most Meandering Remarks This Week”).
Einen rhetorischen Tiefpunkt hat Trump bei einer Kundgebung am 19.10.2024 in Latrobe, Pennsylvania erreicht. Zur Einleitung redete er 12 Minuten über den Golfer Arnold Palmer, nach dem der Flugplatz der Stadt benannt ist. Trump verirrte sich dabei unter anderem in die Beschreibung der Länge des Penis des Golfers. Als die Menge reagierte, kicherte Trump und sagte: „Ich musste euch den Teil der Geschichte in der Dusche erzählen weil der wahr ist. Was soll ich sagen? Wir müssen ehrlich sein.“
Bei der gleichen Veranstaltung in Latrobe hielt Trump erneut Zwiesprache mit der Menge und forderte das Publikum auf, das Wort „Shit“ in seine Beschreibung der Regierungszeit von Biden und Harris einzufügen. Dazu die New York Times: „Es war nicht klar, ob die Ausbrüche und Beleidigungen der Frustration über den langen Wahlkampf geschuldet sind oder seinem reflexartigen Streben, die Menge zu unterhalten.“ Als Kamala Harris auf Trumps vulgäre Aussagen angesprochen wurde, sagte sie: „Das amerikanische Volk verdient Besseres. US-Präsidenten müssen schließlich weltweit Räume betreten, in denen Anstand und Einhaltung von Regeln und Normen gefordert sind.“
(Quellen: nytimes.com, 19.10.2024: „At a Pennsylvania Rally, Trump Descends to New Level of Vulgarity“; sueddeutsche.de, 21.10.2024; Kommentar von Boris Herrmann: “Trump erreicht einen neuen Tiefpunkt auf seiner Sexismus-Skala”; sueddeutsche.de, 21.10.2024: „Harris: Trump wird wegen fehlenden Anstands verlieren“).
Narzissmus oder was?
Warum verirrt sich Donald Trump immer wieder in diese dunkle Vorstellungswelt? Warum hat er sich auf diesen schmutzigen Wahlkampfstil spezialisiert? Klar ist, er experimentiert mit Vulgärem nicht erst seit 2024. Er hat dies bereits 2016 und 2020 getan. Kreide hat er nie gefressen; er hat diesen Wahlkampfstil in Amerika längst „eingeführt.“ Zumindest seine Fans sind damit voll einverstanden. Sie hassen die Demokraten und lieben Trumps Show. Trump und seine hard-core Fans ergänzen sich perfekt. Das Ergebnis ist ein des Landes unwürdiger und schmutziger Wahlkampf.
Ein Gesichtspunkt zur Beantwortung der Frage „Warum verhält sich Trump so? sei noch erwähnt: Es geht um Trumps mentale Verfassung. Im Jahr 2020 brachte der Verlag Simon & Schuster in New York ein Buch der Psychologin Mary Trump (Jahrgang 1965) heraus mit dem Titel „Too Much and Never Enough: How My Family Created the World’s Most Dangerous Man“. Die Verfasserin ist nicht Irgendwer; sie ist eine Nichte von Donald Trump und sie schrieb über ihren Onkel, dass er alle charakteristischen Merkmale eines Narzissten zeige: Donald ist nicht nur schwach, sein Ego ist ein schwaches Ding, das immer unterstützt werden muss, denn er weiß im tiefen Inneren, dass er nicht das ist, was er vorgibt zu sein.“
In einem Bericht, der bei ardalpha.de veröffentlicht wurde, wird Narzissmus wie folgt beschrieben: „Im Unterschied zu selbstbewussten Menschen, die an ihre Fähigkeiten glauben, kennzeichnen Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung vor allem folgende Wesensmerkmale: Sie finden sich selbst grandios, leiden unter Selbstüberschätzung, mangelnder Empathie sowie Egozentrismus …“… „Im Hintergrund leiden Narzissten unter einem niedrigen Selbstwertgefühl, einer ausgeprägten Kritikempfindlichkeit und Versagensängsten …“.
(Quellen: bbc.com, 14.7.2020: „Five shocking passages in Mary Trump’s tell-all book“; ardalpha.de, 12.9.2024: “Narzissmus – Wie verhält sich ein Narzisst?“).
Im Deutschlandfunk wurde die Frage, ob Donald Trump ein Narzisst sei, bereits 2017 erörtert: „Leidet der (damalige) Präsident etwa unter einer Persönlichkeitsstörung? Einer narzisstischen Störung – verbunden mit der Unfähigkeit, sich in andere einzufühlen, statt dessen Machtfantasien und Prunk?“ Die New Yorker Psychologie-Professorin Diana Diamond sah dafür Anzeigen, schloss sich jedoch ihren 33 Berufskollegen nicht an, die in einem offenen Brief an die New York Times gewarnt hatten, Trump sei emotional zu instabil, um die Rolle als Präsident sicher auszuführen. Diana Diamond hielt sich dabei streng an die Regeln ihrer Zunft, dass es unethisch sei, Fremddiagnosen über Personen des öffentlichen Lebens abzugeben und diese ohne dessen Einwilligung publik zu machen. „Ich bin vorsichtig in der Frage, ob Trump wirklich geeignet ist. Ich ziehe es vor, dass die Öffentlichkeit ihre eigenen Schlussfolgerungen zieht.“ Zu einer anderen Frage, nämlich: „Was hat die Menschen dazu gebracht, diese Person zu wählen?“, machte Diana Diamond jedoch eine eindeutige Anmerkung: „Ich glaube, das hat auch etwas mit narzisstischen Problemen zu tun. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Menschen sich narzisstisch beschädigt fühlen – und verletzlich.“
Ohne sich zur Frage zu äußern, ob Trump ein Narzisst sei, schreibt Maggie Haberman, die Starjournalistin der New York Times in ihrem Buch „Täuschung – Der Aufstieg Donald Trumps und der Untergang Amerikas“ (Deutsche Fassung 2022 bei Siedler) über Donald Trump: „Aber die Wahrheit ist, dass ihn letztlich fast niemand wirklich kennt. Einige kennen ihn besser als andere, aber er ist schlichtweg undurchschaubar, das erlaubt Menschen, Bedeutung und Tiefe aus jeder seiner Aktionen herauszulesen, wie hohl diese auch sein mögen.“ Tim Walz, der demokratische Kandidat für die Vizepräsidentschaft beschreibt Donald Trump ganz einfach als „weird“ – unheimlich, sonderbar, verrückt, aus dem Mainstream gefallen.“ Das klingt zwar wenig wissenschaftlich, wird jedoch vom Durchschnittsamerikaner sofort verstanden.
(Quellen: deutschlandfunk.de, 22.3.2017; „Psychologen zweifeln an Trumps geistiger Gesundheit“; sueddeutsche.de, 12.10.2022: „Die Wahrheit ist, dass ihn letztlich fast niemand wirklich kennt“).
Zwei TV-Debatten und eine gewichtige Wahlempfehlung
Am 10.9.2024 gab es auf ABC die große TV-Debatte und rd. 67 Millionen Menschen sahen zu. Eine Blitzumfrage brachte das Ergebnis: Harris hat mit 63 % zu 37 % gewonnen. Trumps Auftritt war dürftig. Die Süddeutsche Zeitung schrieb: „In Harris hat Trump seine Meisterin gefunden.“ Eine weitere TV-Debatte lehnte er ab. Schon beim Start brachte Harris ihren Kontrahenten in Verlegenheit als mit ausgestreckter Hand auf ihn zuging und laut und deutlich „Kamala Harris“ sagte. Ein Harris-Berater sagte später bei CNN, dieser Auftritt sei präzise einstudiert gewesen nachdem Trump in seinen Kundgebungen immer wieder absichtlich ihren Namen falsch ausgesprochen habe.
Bemerkenswert war im Verlauf der Debatte, wie Harris Trump immer wieder Köder zuwarf und dieser zuschnappte und sich auf Nebenthemen führen ließ. So etwa, als Harris anmerkte, Trumps Kundgebungen seien so langweilig, dass die Leute scharenweise weggingen. Trump schnappte zu und sprach nicht über die Bedürfnisse des Landes und seiner Menschen sonder über seine Kundgebungen. „Die Menschen verlassen meine Kundgebungen nicht!“ Dazu die CNN-Moderatorin Kasi Hunt am 13.9.2024: „Es gibt Themen, bei denen er offenbar reagieren muss und Kamala Harris war geschickt, diese Knöpfe zu drücken.“
Ein Musterbeispiel für das Wörtlichen „weird“ lieferte Trump, als er beim Thema Migration vortrug, die Migranten kämen aus 180 Ländern der Welt – darunter Verbrecher und Geisteskranke – und überschwemmten Amerika. Dann sein Höhepunkt: In Springfield, Ohio würden die Haitianer die Hunde und Katzen der Einwohner einfangen und essen; „die Haustiere der Leute … Es ist eine Schande!“ Diese Szene wurde im Fernsehen über mehrere Tage immer wieder eingespielt, wenn über die Debatte berichtet wurde.
Trump hatte die Springfield-Story schon mehrmals zuvor auf Kundgebungen erzählt. So konnte ABC den Wahrheitsgehalt der Geschichte vor der Debatte prüfen. Bei der Stadtverwaltung in Springfield war darüber nichts bekannt und Kamala Harris zeigte ihr breites Lachen; lachte Trump auf offener Bühne vor 67 Millionen Zusehern einfach aus. Er wird ihr dies nicht vergessen, denn dies war kein fröhliches Erlebnis für den vermeintlichen Alleskönner. Er erklärte zwar später, er habe die Debatte gewonnen, doch selbst die eigenen Leute waren anderer Meinung. Am 23.7. 2024 hatte er noch erklärt, er sei „absolut“ bereit, mit Harris mehrmals zu debattieren. Am 12.9.2024 zog er diese Ankündigung zurück. Die Harris-Kampagne gab bekannt, innerhalb von 24 Stunden nach der Debatte 47 Millionen Dollar eingenommen zu haben.
Fabian Fellmann beschrieb in der SZ, wie gut sich Harris offenbar auf die Debatte vorbereitet hatte: „In die Kamera schaute sie nur, wenn sie an der Reihe war. Sobald aber Trump zu reden begann und der Sender ABC das Gesicht von Harris neben seinem einblendete, drehte sie den Kopf zu ihm. Das erlaubte ihr, seine Behauptungen, Übertreibungen und Verschwörungsthesen mit einer Mimik zu kommentieren, die sich im tödlichen Dreieck zwischen Ungläubigkeit, Belustigung und Mitleid bewegte. Trump ist „weird“, merkwürdig, sagten ihre Blicke, einstudiert nach dem Vorbild der Memes, die in den sozialen Medien kursieren. So werden die merkwürdigen Momente dieser Debatte die Mobiltelefone in den letzten Ecken des Landes erreichen. Jener, in dem Trump behauptete, er hätte von China Milliardenbeträge an Zöllen eingenommen, In West Virginia würden Babys nach der Geburt getötet. Immigranten in Ohio würden die Hunde der Amerikaner aufessen.“
(Quellen: nytimes.com, 11.9.2024: „Harris Deminates as Trump Gets Defensive: 6 Takeaways From the Debate“; nytimes.com, 11.9.2024: “Donald Trump Made a Raving, Rambling Fool of Himself in That Debate”; sueddeutsche.de, 11.9.2024: “In Harris hat Trump seine Meisterin gefunden. Aber das Rennen bleibt knapp“; Kommentar von Fabian Fellmann; Heilbronner Stimme, 12.9.2024: „Harris dreht den Spieß um“; nytimes.com, 23.7.2024: „Trump Says He Is Willing to Debate Harris Multiple Times“; nytimes.com, 12./13.9.2024: Trump Says, He Won’t Do Another Debate as Harris Announces Cash Haul: Sept. 2 Campaign News”).
Der von Trump erzählten Springfield-Story gab sein Vize-Kandidat JP Vance ein paar Tage später den „super-weird Touch“. Am 15.9.2024 griff die CNN-Moderatorin Dana Bash die Story in der Sendung „State of the Union“ noch einmal auf. Sie hatte JD Vance zu Gast und befragte ihn zu den Dementis des republikanischen Gouverneurs von Ohio, Mike DeVine und des Bürgermeisters von Springfield, Rob Rue. Beide hatten die Geschichte als Verleumdung der Immigranten aus Haiti bezeichnet, die seit Jahrzehnten legal in Springfield leben. Der Gouverneur nannte die von Trump und anderen Republikanern kolportierte Story als „ein Stück Abfall“; sie sei ganz einfach nicht wahr. Bürgermeister Rue warf den Politikern vor, sie hätten die Stadt in ein negatives Licht gebracht. „Sie sollten wissen, dass sie mit ihren Aussagen die Stadt schädigen.“
JD Vance reagierte auf diese Vorwürfe und auf die Fragen von Dana Bash recht merkwürdig. Er sagte, er stehe zu der widerlegten Geschichte, die er und Donald Trump verbreitet haben. Es sei ihm dabei darum gegangen, „Geschichten zu ‚kreieren’ (englisch: ‚to create’), damit die amerikanischen Medien aufmerksam würden. Vance reagierte entrüstet, als ihn Dana Bash auf die Bombendrohungen ansprach, die in Springfield zur Schließung des Rathauses und mehrerer Schulen sowie zur Einschaltung des FBI geführt hatten. Er habe seit Monaten versucht, über die Probleme in Springfield zu reden. (Vance bezieht sich dabei auf Engpässe in Schulen und im Gesundheitsdienst, die durch die verstärkte Zuwanderung von Haitianern nach Springfield entstanden sind). Nun warf er den amerikanischen Medien vor, sie hätten all dies ignoriert, „bis Donald Trump und ich über die Katzen-Memes gesprochen haben. Wenn ich Geschichten kreieren muss, damit die Medien endlich auf das Leiden der Amerikaner aufmerksam werden, dann mache ich das.“
Dana Bash hakte zu dem von Vance verwendeten Begriff „kreieren“ nach und Vance antwortete: „Ich sagte, wir kreieren eine Geschichte und meine damit, wir kreieren die Aufmerksamkeit der amerikanischen Medien.“ Daraus kann geschlossen werden, dass Trumps Running Mate JD Vance der ursprüngliche Verbreiter, wenn nicht gar der ‚Kreierer’ der Springfield-Story ist. Damit hat er erneut – wie schon mit dem Stichwort „kinderlose Katzen-Frauen“ seinem Chef einen Bärendienst erwiesen. Doch Trump strickte an der Geschichte trotzdem weiter. Am 13.9.2024 erklärte er bei einem Pressegespräch in seinem Golfclub Rondo Palos Verdes in Kalifornien, falls er gewählt wird werde er mit den angekündigten Massendeportationen von Migranten in zwei Städten in Ohio und Kalifornien beginnen, in Springfield und in Aurora.
(Quellen: nytimes.com, 13.9.2024: „Trump Pledges to Start Migrant Deportation in Ohio and Colorado“; nytimes.com, 13.9.2024: “Bomb Threats and the F.B.I.: Springfield Disrupted by Trump’s False Migrant Claim”; nytimes.com, 15.9.2024: “Vance Sticks By Pet-Eating Claims and Says He’s Willing to ‘Create Stories’”).
Von den Demokraten erhofft und von anderen bekrittelt kam unmittelbar nach dem Ende der Harris-Trump- Debatte am 10.9.2024 auf Instagram das Endorsement des Mega-Stars Taylor Swift: „Ich werde meine Stimme für Kamala Harris und Tim Walz abgeben .“ Unterzeichnet hat sie ihre Wahlempfehlung mit : „Taylor Swift – Childless Cat Lady“. Ein Rempler für Trumps Running Mate JD Vance und seine abfälligen Bemerkungen über Frauen in der Politik.
Am 3.10.2024 empfahl auch der Rock Star Bruce Springsteen mit einem 3-minütigen Video in den Sozialen Medien die Wahl von Harris und Walz. Welche Wirkungen solche Celebrity Endorsements haben, lässt sich nicht abschätzen. „Wahlkampagnen brauchen Bewegung und das ist nicht immer ohne weiteres messbar“, schreibt die New York Times, gibt aber den Hinweis, was das Swift-Endorsement noch in der Nacht des 10.9.2024 ausgelöst hat: Die Harris-Kampagne hatte – in Anlehnung an die bei den Swifties beliebten Freundschafts-Armbändchen – solche Bändchen auf ihrer Website angeboten. Sie waren nach knapp 24 Stunden ausverkauft.
Donald Trump und seine Leute waren von den beiden Endorsements für Harris und Walz nicht begeistert und schalteten – wie üblich – auf Angriff: „Ich hasse Taylor Swift!“ postete er am 15.9.2024 in Großbuchstaben auf „Truth Social“. Bruce Springsteen hatte er bereits im August mit den Worten gegrüßt: „Ich bin keine großer Fan. Ich habe eine schlechte Eigenschaft: Ich mag nur Leute, die mich mögen.“
(Quellen: nytimes.com, 10./11.9.2024: „Taylor Swift Endorses Kamala Harris“; nytimes.com, 12.9.2024: “Will Taylor Swift’s Endorsement Actually Affect the Election?”; n-tv.de, 15.9.2024: “Trump postet: “ICH HASSE TAYLOR SWIFT”; nytimes.com, 2.10.2024: "Bruce Springsteen Endorses Kamala Harris for President”).
Über die TV-Debatte der beiden Running Mates Walz und Vance am 1.10.2024 auf CBS soll hier nur kurz berichtet werden. „Duell ohne K.o.-Schlag“ überschrieb die Heilbronner Stimme ihren Bericht. „Vance ist für Walz nur schwer zu greifen“, schrieb die Süddeutsche Zeitung. Eine Blitzumfrage von CBS und CNN ergab ein „Unentschieden“. Die New York Times stellte fest, das die beiden Vize-Kandidaten meist nicht auf den Gegenüber zielten sonder über ihre Running Mates, die Chefin und den Chef diskutierten. „Die Aufgaben von Vance bestand offenbar darin, in Worte zu fassen, was der 78-jährige Donald Trump nicht mehr kohärent vermitteln kann“ (Heilbronner Stimme, 4.10.2024).
Der einzige Höhepunkt dieser Debatte war, als JD Vance das Verhalten Donald Trumps nach der Niederlage 2020 nicht erklären konnte oder wollte. Auf die direkte Frage von Wals: Hat er (Trump) die Wahl 2020 verloren?“, wich Vance aus und lenkte ab. Er argumentierte, die Demokraten seien die wirkliche Gefahr für die Demokratie. Die gestellte Frage beantwortete er nicht. Dazu die NYT: „Dieser Wortwechsel zeigt sowohl die Grenzen als auch die Anforderungen an Trumps Running Mate.“ Mit anderen Worten: JD Vance konnte und durfte nicht einmal andeutungsweise zum Wahlausgang 2020 etwas anderes sagen als sein „Meister“, denn Trump schwört noch immer Stein und Bein, er habe gewonnen und die Wahl sei ihm „gestohlen“ worden.
(Quellen: nytimes.com, 1./2.10.2024: „Civilty and Then a Clash Over Jan. 6: Seven Takeaways From the Debate”; sueddeutsche.de, 2.10.2024: “Vance ist für Walz nur schwer zu greifen”; Heilbronner Stimme, 4.10.2024: „Duell ohne K.-O.-Schlag“),
„Wer zur Hölle möchte Fragen hören?“ – Medienberichte über Trumps Wahlkampfauftritte
Das Thema der geistigen Fitness von Donald Trump habe ich bereits angesprochen. Als Joe Biden noch im Rennen war, war eines der Lieblingsthemen Trumps das Alter des Präsidenten: „Ist Biden fit genug, eine weitere Amtszeit von vier Jahren durchzustehen?“ Trump hat seinen Kontrahenten immer wieder verspottet und persönlich beleidigt. Das Blatt hat sich jedoch entscheidend gewendet; Nach dem Rückzug von Biden wird nun der 78-jährige Trump mit dieser Frage konfrontiert. Barack Obama und Tim Walz haben Trump bei Veranstaltungen in Madison und Racine, Wisconsin am 22.10.2024 aufs Korn genommen. Sie sprachen über seine unkonzentrierten und weitschweifigen Wahlreden. Mit denen er in letzter Zeit immer wieder auffällt. r scheint müde zu sein und das Stehvermögen zu verlieren. „Seine Reden werden immer wieder zum Wortsalat“, sagte Obama und spottet: „Würde sich der Opa so verhalten, würdet ihr euch sorgen“ (nytimes.com, 22.10.2024: „Walz Rallies Supporters on Wisconsin’s First Day of Voting, Alongside Obama“).
Auffällig ist, dass die Medien immer öfter über Trumps ausufernde Reden berichten, die häufig in einer unverstehbaren Endlosschleife enden. Dies gibt Anlass zu Fragen nach Trumps Alter, Fitness und Konzentrationsfähigkeit. Bei einer Kundgebung am 22.10.2024 in Greensboro, North Carolina redete er fast zwei Stunden lang und fiel sehr ausgiebig über Kamala Harris her. Sie sei ein „Individuum mit niedrigem I.Q“ und fabulierte weiter, sie sei „erstarrt wie ein Hund“, als ihr Teleprompter ausfiel. Dann deutete er an – ohne dies zu belegen – sie habe wahrscheinlich ein Alkoholproblem, sei vielleicht drogenabhängig und „mental und physisch nicht fähig, Präsidentin zu werden“, um schließlich über den eigenen Redefluss zu stolpern weil er sich nicht an den Anfang seiner Worte erinnern konnte.
Hier ein weiterer Bericht über den sonderbaren Verlauf einer Veranstaltung am 14.10.2024 in Oaks, Pennsylvania. Ursprünglich geplant als Town Hall Meeting sollte Trump unter Mithilfe von Kristi Noem, der Gouverneurin von South Dakota Fragen aus der Mitte des Publikums beantworten. Doch nach etwa 30 Minuten nahm die Veranstaltung einen so nicht geplanten Verlauf. In kurzer Folge gab es im Publikum zwei medizinische Notfälle, die zur Unterbrechung des Frage und Antwortspiels führten. Nach der zweiten Unterbrechung schien Trump genug zu haben. „Lasst uns keine weiteren Fragen stellen, lasst uns einfach Musik hören. Lasst uns eine Musik (Veranstaltung) daraus machen. Wer zur Hölle möchte Fragen hören, was?“
Die New York Times schilderte den weiter Verlauf: „Die Menge jubelte in Zustimmung, ein Anzeichen dafür, warum seine Unterstützer zu seinen Kundgebungen strömen, zum einen um mit ihm zusammen zu sein, zum andern um ihm bei seine politischen Aussagen zuzuhören, die ihnen längst vertraut sind.“ In der Folge betätigte sich Donald Trump im Greater Philadelphia Expo Center als D.J., so wie er es in privater Runde in Mar-a-Lago des Öfteren tut. Mehr als eine halbe Stunde lang stand Trump auf der Bühne, bewegte sich zur Musik, während die Menge langsam kleiner wurde. Er wiegte den Kopf zu „Y.M.C.A.“, bewegte sich beschwingt durch Rufus Weinrights Version von „Halleluja“, rockte mit Elvis und verließ Hände schüttelnd die Bühne während des letzten Liedes … (nytimes.com, 14.10.2024: „Trump Bobs His Head to Music for 30 Minutes in Odd Town Hall Detour“).
Ich will diese “sonderbare”, “seltsame”, “weird” Wahlkampfveranstaltung nicht ausdeuten sondern einen weiteren NYT-Bericht zitieren, in dem die Sorgen seiner Berater über das Durcheinander in Trumps Reden beschrieben werden, die vor allem größer werden, wenn er vom Manuskript abweicht. Im Bericht wird dafür das Wort „Gießkannen-Prinzip“ verwendet. Kamala Harris bezeichnet Trump daher als instabil und fahrig; seine Berater empfehlen ihm, sich am Zügel zu nehmen.
Am 15.10.2024 wurde er beim Economic Club of Chicago gefragt, ob er Google aufspalten würde. Er antwortete darauf mit Kritik am Justizministerium, weil dieses gegen Wahlbehörden in Virginia eine Klage eingereicht hat. Nochmals zu Google gefragt sagte er, er habe dieser Tage den Chef von Google angerufen und sich darüber beschwert, das es so schwierig sei, in den Suchmaschinen von Google positive Nachrichten über seine Kampagne zu finden.
Harris verwendet in ihrer Wahlwerbung gegen Trump Videoclips wie etwa diesen Auftritt beim Economic Club of Chicago und beschreibt Trump als „instabil“, „böse“, „unkonzentriert und weitschweifig“ und „nicht fit um das Land zu führen.“ Mit Hinweis auf seine Lügengeschichte über die Haitianer in Springfield, Ohio sagte Harris: „Dieser Mann ist gefährlich.“
Schließlich beschrieb die New York Times, wie Trump versuchte, bei einem Auftritt in Arizona eine Rede zu beenden: „Zum Schluss will ich nur sagen dass Kamala Harris eine radikale linke Marxistin ist, viel schlimmer als Bernie Sanders und Pocahontas“ (sein Schimpfname für die demokratische Senatorin Elisabeth Warren). Danach, so der Bericht, „redete er weitere 17 Minuten“ (nytimes.com, 17.10.2024: „Trump’s Meandering Speeches Motivate His Critics and Worry His Allies“).
(Doch vielen seiner Fans scheint dieser „mäandernde“ und offenbar unterhaltsame Redestil zu gefallen. Allerdings ist zu fragen: Wählen die Amerikaner am 5.11.2024 einen Präsidenten oder einen TV-Unterhalter?).
Hoffen und Bangen in Europa
Nach monatelanger Beobachtung des Wahlkampfes in den USA und dem Versuch, die Entwicklungen wenigstens teilweise zu beschreiben, komme ich zu dem Fazit: Europa blickt mit Hoffen und Bangen auf den 5.11.2024. Hoffend, dass der Republikaner Donald Trump nicht der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sein wird. Hoffend, auf den politischen Realitätssinn der amerikanischen Wählerinnen und Wähler, dass sie keinen notorischen Lügner, Aufrührer und verurteilten Straftäter ins Weiße Haus wählen werden.
Der Rückzug von Joe Biden und die Kandidatur von Kamala Harris haben der Kampagne der Demokraten eine neue Dynamik gebracht. Bei den Umfragen zum 25.10.2024 liegt sie landesweit mit 1 Prozentpunkt vor Trump; allerdings sagt dies wenig darüber aus, wie das Ergebnis tatsächlich aussehen wird. In vier der so genannten Battleground States liegt sie entweder gleichauf oder mit 1 Prozentpunkt vor Trump; in drei dieser Staaten liegt Trump knapp vorn. Das Rennen ist praktisch unentschieden (nytimes.com, 25.10.2024: „Election 2024 Polls: Harris vs. Trump“).
Der künftige US-Präsident bzw. die Präsidentin wird sich unmittelbar nach dem Amtsantritt mit zwei Kriegen beschäftigen müssen: Mit dem Ukraine-Krieg und mit dem im Mittleren Osten. Den Krieg zwischen Israel und den das Land bedrohenden Terrorgruppen betrachtet Europa mit Sorge und tut das Wenige, das es kann, die Ausweitung in einen großen Feuerbrand zu verhindern. Sollte Trump der nächste US-Präsident sein, würde er unvorhersehbare Entscheidungen treffen. Dazu ein Beispiel, wie er komplexe Probleme anpackt: Trump hat sich Anfang Oktober in die Diskussion um die mögliche Reaktion Israels auf die Raketenangriffe des Iran eingeschaltet. Er hat empfohlen, Israel solle die Atomanlagen des Iran angreifen. Präsident Biden hatte davor gewarnt.
Die Begründung Trumps für seine Empfehlung zeigt, wie er mit so komplexe Fragen umgeht. Er kommentierte Bidens Warnung vor einem Angriff auf die Atomanlagen des Iran mit den Worten: „Seine Antwort hätte sein sollen: Zielt zuerst auf die Atomanlagen und macht euch über den Rest später Gedanken“ (sueddeutsche.de, 5.10.2024: „Trump spricht sich für israelische Attacke auf iranische Atomanlagen aus“).
Vom Ukraine-Krieg ist Europa – sind die NATO und die EU – unmittelbar betroffen. Trumps Unstetigkeit und Sprunghaftigkeit geben Anlass zu großer Sorge. Nach seinen immer wieder schwankenden Erklärungen er würde den Krieg in einem Tag beenden, müsste bei einer Wahl Trumps mit einem gefährlichen Lösungsansatz gerechnet werden: Er würde den Aggressor Putin vom Haken lassen und der Ukraine einen „Frieden“ aufzwingen, der Russland belohnt und Putin zur Fortsetzung seiner aggressiven Politik ermuntert.
In einem Interview wurde Trumps Running Mate JD Vance nach Trumps Plan zur Beendigung des Ukraine-Krieges gefragt, Die am 12.9.2024 veröffentlichten Aussage – und diese entsprach sicher den Vorstellungen seines Chefs: „Mr. Trump würde sich mit den Russen, Ukrainern und Europäern zusammensetzen und ihnen sagen: „Ihr müsst nun herausfinden, wie ein Friedensschluss aussehen soll.“ Dazu skizzierte Vance, was seiner Meinung nach ein Vertrag enthalten könnte:
- Die Russen sollen das Land behalten, das sie eingenommen haben;
- Eine entmilitarisierte Zone sollte entlang den gegenwärtigen Kampflinien eingerichtet werden, die auf ukrainische Seite stark befestigt wird um eine weitere russische Invasion zu verhindern;
- Der Rest der Ukraine solle ein souveräner Staat werden und
- Russland solle eine „Zusage der Neutralität“ von der Ukraine erhalten.
Vance erklärte dazu, dass sie (die Ukraine) weder der NATO oder einem ähnlichen Bündniszusammenschluss beitritt. „Ich denke, so sollte es letztlich aussehen“, sage er.
Dazu zitierte die New York Times Victoria J. Nuland, eine frühere leitende Mitarbeiterin des US-Außenministeriums, die an der Ausarbeitung von Bidens Ukraine-Politik beteiligt war, mit dem Hinweis, dass der Vance-Plan dem sehr ähnlich sei, was Putin immer wieder als Bedingung für einen Friedensschluss vorgetragen hat. „Er ist letztlich ein großes Geschenk an ihn (Putin).“
Victoria Nuland hinterfragte, wie die entmilitarisierte Zone durchzusetzen sei angesichts der Tatsache, dass es wenig Bereitschaft für eine große internationale Friedenstruppe gibt. Ohne diese oder andere robust Sicherheitsgarantien würde Putin einfach abwarten und dann den Krieg erneut beginnen (nytimes.com, 13.9.2024: „Vance Describes Plan to End Ukraine War That Sounds a Lot Like Putins“).
Kein Wunder, dass der ukrainische Präsident die Pläne Trumps und Vance’s umgehend kritisierte. In einem Interview mit der Zeitschrift „The New Yorker“ sagte er am 22.9.2024: „Mein Eindruck ist, dass Trump in Wirklichkeit nicht weiß, wie der Krieg zu beenden ist selbst wenn er denkt, er wisse es. Bei diesem Krieg ist es oft so: Je mehr man hinschaut, desto weniger versteht man. Ich habe viele Staatsmänner erlebt, die überzeugt waren zu wissen, wie man ihn morgen beenden kann, und als sie sich tiefer damit beschäftigt haben erkennen mussten, dass dies nicht so einfach ist.“ Selenskyj betonte in dem New Yorker-Interview, dass die Ukraine keine Schachfigur sei und ihre Interessen berücksichtigt werden müssten (nytimes.com, 23.9.2024: „Ukraine’s president criticizes Trump and Vance over remarks on his country’s war with Russia“).
Man braucht keine diplomatischen Erfahrungen haben um zu erkennen, wie dilettantisch die Vorstellung ist, Trump könne Russland, die Ukraine und die Europäer einfach an einen Tisch rufen und anordnen: „Ihr müsst nun herausfinden, wie ein Friedensschluss aussehen soll.“ Dass jedoch Trump und Vance durchs Land ziehen und im Wahlkampf über ihren „Friedensplan“ fabulieren, kann die Sorgen der Europäer über einen Wahlsieg Trumps am 5.11. 2024 nur verstärken. Trumps Empfehlung zu ihrem eventuellen Vergeltungsschlag gegen den Iran kommt in den Sinn: „Zielt erst auf die Atomanlagen und macht euch über den Rest später Gedanken.“ Solche Vorstellungen sind nicht nur dilettantisch, sie sind gefährlich.
Und die europäischen Sorgen dürften nach der jüngsten Veröffentlichung des Buches des erfahrenen Journalisten der Washington Post, Bob Woodward mit dem Titel „War“ („Krieg“) nicht kleiner geworden sein. Woodward ist nicht Irgendwer. Zusammen mit seinem Kollegen Carl Bernstein deckte er vor Jahren den „Watergate Skandal“ auf, der letztlich Präsident Richard Nixon zum Rücktritt zwang. In seinem Buch „War“ schreibt Woodward, das Donald Trump nach dem Ende seiner Präsidentschaft mit Putin Kontakt hatte und heimlich sieben Mal mit ihm telefoniert habe. Über den Inhalt dieser Gespräche berichtet Woodward nicht. Doch sie werden nicht nur über das Wetter gesprochen haben. Im Bericht über das Woodward Buch erinnert die New York Times daran, dass Trump Putin wiederholt gelobt hat und ihn als „Genius“ bezeichnete, als Russland 2022 die Ukraine überfiel.
Vermerkt wird im NYT-Bericht, dass Präsidenten auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt Kontakte mit früheren Kollegen pflegen. So hat Donald Trump beispielsweise Benjamin Netanjahu, Victor Orban und andere in Mar-a-Lago empfangen. Doch diese Treffen wurden öffentlich bekannt gegeben. „Es wäre aber für einen früheren Präsidenten höchst ungewöhnlich, privat mit einem speziellen Gegner wie Mr. Putin zu sprechen ohne dies mit der gegenwärtigen Administration abzustimmen – insbesondere zu einer Zeit, in der die Vereinigten Staaten und Russland auf der jeweils anderen Seite eines Krieges in Europa stehen,“ schreibt die NYT. „Präsident Biden hat mit Mr. Putin seit der Invasion der Ukraine nicht gesprochen.“
Donald Trump und sein Team reagierten auf die Buchveröffentlichung mit wüsten Beschimpfungen. „Keine dieser erfundenen Geschichten von Bob Woodward sind wahr. Sie sind das Werk eines wirklich dementen und geistesgestörten Mannes, der an dem den Verstand schwächenden Trump’schen Geisteskrankheitssyndrom (Trump Derangement Syndrome) leidet“, erklärte Steven Cheung, der Sprecher der Trump Kampagne. Trump wurde am 15.10.2024 auf die Kontakte zu Putin direkt angesprochen: „Können Sie mit „Ja“ oder „Nein“ antworten, ob Sie nach dem Ende Ihrer Präsidentschaft mit Vladimir Putin gesprochen haben?“, fragte John Micklethwait von Bloomberg News. Trump antwortete ausweichend: „Ich kommentiere das nicht aber ich kann sagen, sollte ich es getan haben, ist dies eine sinnvolle Sache. Wenn ich zu Leuten freundlich bin, und wenn ich die Verbindung mit Leuten pflege, ist das eine gute Sache und nicht schlecht für das Land. Er hat 2 000 Atomwaffen und wir haben das auch.“ Der Journalist stellte dazu fest: „Das klingt sehr danach, dass Sie mit ihm gesprochen haben.“
(Quellen: nytimes.com, 8.10.2024: „Trump Secretly Stayed in Touch With Putin After Leaving Office, Book Says”; sueddeutsche.de, 9.10.2024: “Trump soll angeblich heimlich mit Putin telefoniert haben – Kreml widerspricht“; nytimes.com, 15.10.2024: “Asked About Conversations With Putin, Trump ‘Dodges: ‘I Don’t Talk About That’”).
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