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Eine europäische Verteidigungsunion

Einführung:

Der am 24. Februar 2022 begonnene russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat neue Impulse für die Gründung einer EU-Verteidigungsunion gegeben.

Bisher ist die mit dem Lissabonner Vertrag von 2009 eingeführte Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) integraler Bestandteil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Union (GASP).

Die GSVP ist der wichtigste politische Rahmen, über den die Mitgliedstaaten eine europäische strategische Sicherheits- und Verteidigungskultur entwickeln und Konflikte und Krisen gemeinsam angehen.  Aufgrund des angespannten geopolitischen Kontexts gehörte die GSVP in den letzten zehn Jahren zu den sich am schnellsten entwickelnden Politikbereichen. 

In der GASP und der GSVP treffen nach Art. 23 - 46 des Vertrags über die Europäische Union (EUV, Lissabonner Vertrag vom 2009) der Europäische Rat (Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten) und der Rat der Europäischen Union in der Formation der Verteidigungsminister alle wesentlichen Entscheidungen.                                                                         

Die Beschlüsse zur GSVP werden vom Europäischen Rat einstimmig gefasst, nur in einigen wichtigen Ausnahmefällen, die die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) betreffen wird mit qualifizierter Mehrheit.

Die Europäische Kommission und das Europäischen Parlament haben nur Anhörungs- und Informationsrechte. (EP Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik.

Maßnahmen der GSVP unterliegen nicht der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs.

Dem Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (umgangssprachlich auch als EU-Aussenminister bezeichnet, seit Dezember 2019 Josep Borell), der auch als Vizepräsident der Europäischen Kommission (HR/VP) fungiert kommt dabei die zentrale institutionelle Rolle zu. Er führt den Vorsitz im Rat „Auswärtige Angelegenheiten“ in der Besetzung mit den Verteidigungsministern, der das beschlussfassende Organ der EU für die GSVP ist. Seine Aufgabe ist es, den Mitgliedstaaten Vorschläge in Bereichen der GSVP vorzustellen. Er leitet den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) und die Europäische Verteidigungsagentur (EDA).

Es gibt ein Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee (PSK), das sich aus den Botschaftern der Mitgliedstaaten zusammensetzt und neue Strategien auf wichtige Entwicklungen des Weltgeschehens erarbeitet.

Durch Art.42 Abs.3 EUV wurde eine europäische Politik im Bereich der Fähigkeiten und der Rüstung eingeführt und festgelegt, dass die EDA „ihre Aufgaben erforderlichenfalls in Verbindung mit der Kommission“ versieht (Art. 45 Abs. 2 EUV), vor allem in Bezug auf die Politik der EU in den Bereichen Forschung, Industrie und Raumfahrt.

Artikel 21 EUV weist darauf hin, dass der Multilateralismus im Mittelpunkt des auswärtigen Handelns der EU steht. Die EU setzt sich für verschiedene Rahmen einer vertieften Abstimmung und Zusammenarbeit ein, insbesondere mit den Vereinten Nationen und der NATO, aber auch mit anderen regionalen Organisationen, wie der Afrikanischen Union.

Daneben existieren einige weitere Institutionen:                                                                                                                                                                                                  

Der Militärausschuss der EU (EUMC) besteht aus den Generalstabschefs, vertreten durch ihre militärischen Repräsentanten, die zumeist in Personalunion bei der EU und der NATO ihr Land vertreten. Der Militärausschuss ist das höchste militärische Gremium und berät das PSK in militärischen Fragen. Er pflegt die Beziehungen zu anderen internationalen Organisationen und den Ländern außerhalb von EU und NATO. Er nimmt außerdem die militärische Leitung von Operationen wahr und leitet den Militärstab militärisch an. Der Vorsitzende nimmt an Sitzungen des PSK, des NATO Militärauschusses und des Rates teil – im letzteren Fall, wenn ein militärisches Thema auf der Agenda steht.

Der Militärstab der EU (EUMS) ist Teil des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Zu seinen Aufgaben gehören die Frühwarnung, Lagebeurteilung und strategische Planung und im Krisenfall die multinationalen Streitkräfte bestimmen, erfassen und aufstellen, meist in Abstimmung mit der NATO. Der EUMS bestimmt das „Wie“, das „Ob“ liegt auf der politischen Ebene.

Der Ausschuss für die zivilen Aspekte der Krisenbewältigung entwickelt die zivilen Planziele der EU und ist verantwortlich für deren Umsetzung. Er gibt Empfehlungen und Stellungnahmen an das PSK und andere Ratsgremien. Zusätzlich gibt es seit dem Jahr 2001 im Generalsekretariat des Rates eine Polizei-Einheit für die Planung und Durchführung von polizeilichen Missionen der EU.

Die zivile/militärische Zelle der EU wird im EUMS eingerichtet. Normalerweise wird das Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE) der NATO oder ein nationales Hauptquartier zum Einsatz kommen. Hierfür wird eine EU-Planungszelle im SHAPE eingerichtet und die NATO wird eingeladen, Verbindungsvereinbarungen mit dem EUMS zu treffen. Zusätzlich soll eine Planungszelle im EUMS eingerichtet werden, die im Bedarfsfall eingesetzt werden kann. Sie wird die EU-Mitgliedstaaten in der Krisenerkennung und bei zivilen Operationen unterstützen, die zivile und militärische Komponente verbinden und dafür vorplanen. Zusätzlich wird sie die nationalen Hauptquartiere unterstützen.

Die Aufgabe der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) ist die Unterstützung der Mitgliedstaaten und die Koordinierung ihrer Zusammenarbeit in den Bereichen Militärische Forschung, Rüstungsplanung und Beschaffung. Hierdurch sollen Synergieeffekte u. a. in Form von Kosteneinsparungen erzielt werden.                                                                                       

Das Satellitenzentrum der Europäischen Union (EUSC) in Torrejón (bei Madrid, Spanien) beobachtet besonders im Dienste der GSVP die Erde und erstellt Satellitenbilder und -karten. Speziell bei der Konfliktprävention und -beobachtung spielt das EUSC deshalb eine wichtige Rolle

Das Institut der Europäischen Union für Sicherheitsstudien (ISS) in Paris erstellt Studien, die Grundlage für Verhandlungen und Entscheidungen in der ESVP sind.                       

Die East StratCom Task Force (Strategisches Kommunikationsteam Ost) des Europäischen Auswärtigen Amtes (EEAS) der EU für strategische Kommunikation ist seit 1. September 2015 aktiv, um Russlands laufenden Desinformationskampagnen entgegenzuwirken und einen Aktionsplan über strategische Kommunikation auszuarbeiten. (EuvsDisinformation Kampagne.) Hybride Kriegführung verbindet militärische mit ökonomischen Mitteln und Propaganda in Medien und Social Media, um Spannungen anzuheizen und Verwirrung zu stiften. Mit Desinformation als Instrument hybrider Kriegführung soll die öffentliche Meinung beeinflusst und die Glaubwürdigkeit staatlicher Institutionen untergraben werden. Hybride Akteure nutzen dabei das gesamte Spektrum von der gezielten Steuerung von Diskussionen in Sozialen Netzwerken bis hin zur Manipulation oder Fälschung von Informationen auf Nachrichtenportalen. Die „East StratCom Task Force“ arbeitet mit dem NATO Strategic Communication Center of Excellence zusammen, tauscht mit diesem gegenseitig Informationen aus und bekämpft gemeinsam „hybride“ Bedrohungen.

Weiterentwicklung:

Seit 2016 legte die Hohe Repräsentantin Federica Mogherini – ab 2019 Josep Borell -- dem Europäischen Rat der Regierungschefs eine „Globale Strategie für die Aussen- und Sicherheitspolitk der Europäischen Union“ vor, die jährlich in Abstimmung mit dem Rat, der EU Kommission und dem Europäischen Parlament überprüft werden.

Mit der Strategie werden 5 Prioritäten festgelegt;                                                                   

- die Sicherheit der Europäischen Union,
- die Widerstandsfähigkeit von Staaten und Gesellschaften in der östlichen und südlichen Nachbarschaft der EU,   
- ein integrierter Ansatz zur Bewältigung von Konflikten,
- auf Zusammenarbeit beruhende regionale Ordnungen,                                                 
- globale Ordnungspolitik für das 21. Jahrhundert.

Im November 2016 legte die HR dem Rat außerdem einen „Umsetzungsplan für Sicherheit und Verteidigung“, der u. a eine koordinierte jährliche Überprüfung der Verteidigung (Coordinated Annual Review on Defence, CARD) und neue einheitliche Ständige Strukturierte Zusammenarbeit PESCO (Permanent Structured Cooperation) begründete, die inzwischen 46 Projekte umfasst.

Gleichzeitig legte die HR einen Europäischen Aktionsplan  im Verteidigungsbereich (European Defence Action Plan, EDAP) vor, mit Vorschlägen zu einem Europäischen Verteidigungsfonds (EVF) mit Schwerpunkt auf der Verteidigungsforschung und dem Kapazitätenaufbau umfasste, die auch umgesetzt wurden.

Im Jahr 2021 wurde ein Strategischer Kompass entwickelt, mit dem die Sicherheits- und Verteidigungsstrategien der EU für die nächsten fünf bis zehn Jahre bestimmt und bewertet werden sollen.

Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wurden umfangreiche Änderungen am strategischen Kompass vorgenommen, um der Destabilisierung der europäischen Sicherheitsordnung Rechnung zu tragen.

Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 24.-25. März 2022  während des französischen Vorsitzes im Rate der Europäischen Union wurde der aktuelle strategische Kompass gebilligt. Hauptziele sind Empfehlungen und Lösungen in den Bereichen: Krisenbewältigung, Resilienz, Kapazitäten und Partnerschaften. 

Fazit:

Die „Verteidigungsunion“ war bisher nur ein Konzept, das erstmals 2003 von Joschka Fischer und seinem damaligen französischen Kollegen Dominique de Villepin vorgeschlagen wurde, aber bisher von der „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ abgedeckt wird, die wiederum abweichend von den üblichen Gemeinschaftsstrukturen (Kommission, Parlament, Rat) geregelt ist.

Es liegt bisher keine Vergemeinschaftung vor, aber dennoch sind die damit verbundenen Aktionen sehr gemeinsam.

Missionen und Einsätze der Krisenbewältigung und die gemeinsamen permanente Zusammenarbeit der Streitkräfte sind der sichtbarste und greifbarste Ausdruck der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP).

Daneben wird aber noch eine zweite Ebene innerhalb der EU infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine sichtbar, die der Europäischen Kommission.

Eigentlich hat die Kommission im engeren Sinne kein politisches Mandat, sondern die Aufgabe, zum einen über die Umsetzung und Einhaltung der EU-Verträge zu wachen und zum anderen Gesetzesvorlagen auf dieser Basis zu erarbeiten und sie dann dem Parlament und dem Rat als den beiden politischen Entscheidungsgremien zur Verhandlung und Beschlussfassung vorzulegen.

Bei der Entwicklung gemeinsamer Positionen im Rat hat sich aber schon seit kurz vor dem russischen Überfall auf die Ukraine die EU-Kommission als die professionellste und fachlich am besten aufgestellte der drei EU-Institutionen sowie als die handlungsfähigste in dieser Krise erwiesen. Sie hat schnell und zielgerichtet die bisher 10 Sanktionspakete gegen Russland entwickelt und sie ist zur treibenden Kraft eines Beitritts der Ukraine zur EU geworden, obgleich eigentlich der Rat in dieser Angelegenheit die federführende Institution sein sollte.

Kurz nachdem die EU beschlossen hatte, das „Tabu“ der Finanzierung des Kaufs und der Lieferung von Waffen an die Ukraine zu brechen, unternahm die Kommission die Aufgabe, die Mitgliedstaaten bei der Koordinierung und Finanzierung ihrer Waffenlieferungen zu unterstützen.

Es waren zusätzlich die ersten Konsultationen zwischen der Europäischen Kommission und der Regierung eines aktiven Kriegsgebietes.

Am Parlament scheinen diese Entwicklungen etwas vorbeizulaufen.

Wie und wann sich diese Entwicklungen einer immer stärkeren Integration und Zusammenwirken in eine echte Verteidigungsunion mit vielleicht einem eigenen zentralen Dienst/Ministerium und einer europäischen Streitkraft/Armee münden wird, ist noch nicht absehbar.

Die Erfahrungen und die gemeinsamen Bemühungen um Lösungen zeigen im Übrigen, wie stark und effektiv die europäischen Vertragskonstruktionen der EU Verträge von 2009 noch sind, weil sie immer wieder überraschende flexible Lösungen ermöglichen.

Erste schemenhafte Konturen einer zukünftigen Europäischen Verteidigungsunion lassen sich aus der Vielfalt der erfolgreichen Maßnahmen und Lösungsansätze durchaus erkennen.

Es hängt aber sicher mit der weiteren Entwicklung der Europäischen Union zu einer „ever stronger union through deepening and widening“  zusammen, die nach den Vorstellungen der europäischen Föderalisten von JEF, EUD, UEF u. a. in einem föderalen europäischen Bundesstaat münden soll.

Hintergründe:

PESCO – konkrete Projekte mit deutscher Beteiligung

In drei Projektrunden wurden bisher 46 aktive Permanent Structured Cooperation-Projekte beschlossen. Insgesamt dienen sie dazu, die von der Europäischen Verteidigungsagentur im Capability Development Plan (CDP) identifizierten Fähigkeitslücken zu schließen und damit die Handlungsfähigkeit der EU zu stärken.

Das Spektrum reicht von der Entwicklung von Unterwasserdrohnen zur Seeminenbekämpfung über den Aufbau eines Katastrophenschutzzentrums bis hin zur Entwicklung eines Schutzsystems für Häfen und Seewege. Weitere Projekte sind beispielsweise der Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe zur Abwehr von Cyberangriffen oder die Weiterentwicklung des Kampfhubschraubers Tiger. Kern der Projekte ist, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten in Operationen und Missionen erfolgreich (miteinander) agieren können. Grundvoraussetzung dafür sind Fähigkeiten, Interoperabilität, gleiche Standards, Ausbildung und vor allem: Vertrauen. 

Für jedes PESCO Projekt hat ein teilnehmender Mitgliedstaat die Koordination übernommen.

Sechs Permanent Structured Cooperation-Projekte werden derzeit von Deutschland koordiniert:

Der Aufbau eines Europäischen Sanitätskommandos EMC (European Medical Command) sowie um ein Projekt zur Verbesserung der Krisenreaktionsfähigkeit der EU Mitgliedsstaaten EUFOR CROCE, (European Union Force Crisis Response Operation Core). Zusätzlich wird Deutschland, gemeinsam mit den Projektpartnern, ein europaweites Netzwerk von Logistik-Drehscheiben aufbauen, um Truppen und Material schnell verlegen zu können. Darüber hinaus hat Deutschland die Koordination für die Verbesserung der geographischen, meteorologischen und ozeanografischen Informationsunterstützung GeoMETOCGeo-Meteorological and Oceanographic (Geo-Meteorological and Oceanographic) von Missionen und Operationen sowie für die Entwicklung der Kooperation zum Betrieb und Nutzung der Eurodrohne übernommen. Außerdem steuert Deutschland den Aufbau eines Zentrums CIDCCC (Cyber and Information Domain Coordination Centre) für die Koordination des Informationsaustausches in den Bereichen Cyber und ITInformationstechnik.

Das Projekt zur Koordination der Ausbildung von Soldaten für EU Trainingsmissionen,  die EU TMCC (European Union Training Mission Competence Centre) konnte inzwischen abgeschlossen werden.

Wie ist das Verhältnis von PESCO zu NATO?

Die militärische Zusammenarbeit der EU-Mitglieder ergänzt jene im nordatlantischen Verteidigungspakt NATO. Die beiden Organisationen stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Vielmehr profitiert auch die NATO von einer handlungsfähigeren EU, deren alliierte Mitglieder eine militärisch starke europäische Säule in der transatlantischen Allianz bilden und mehr internationale Verantwortung übernehmen.

Einstimmigkeitsprinzip -  Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit (BQM) Überleitungsklauseln (passerelles)

Beschlüsse in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik GASP werden in der Regel einstimmig gefasst.

Ein Mittel, um diesen Grundsatz aufzuweichen, besteht in der „konstruktiven Stimmenthaltung“ (Artikel 31 Absatz 1 Unterabsatz 2 EUV), bei der sich ein Mitgliedstaat der einstimmigen Abstimmung enthält und diese Enthaltung mit einer förmlichen Erklärung begründen kann. In diesem Fall ist dieser Mitgliedstaat nicht verpflichtet, den Beschluss durchzuführen, muss jedoch akzeptieren, dass der Beschluss für die Union bindend ist, und unterlässt alles, was dem Vorgehen der Union zuwiderlaufen oder es behindern könnte. Genauso sollten die anderen Mitgliedstaaten die Entscheidung des sich enthaltenden Mitgliedstaats respektieren.

In einer Reihe von Fällen, die in Artikel 31 Absatz 2 EUV verankert sind, gilt im Rat allerdings die qualifizierte Mehrheit:


- wenn der Rat auf der Grundlage eines Beschlusses des Europäischen Rates über die strategischen Interessen und Ziele der Union nach Artikel 22 einen Beschluss erlässt, mit dem eine Aktion oder ein Standpunkt der Union festgelegt wird;

- wenn der Rat auf einen Vorschlag hin, den ihm die/er Hohe Vertreter auf Ersuchen des
Europäischen Rates unterbreitet hat, das auf dessen eigene Initiative oder auf eine Initiative des Hohen Vertreters zurückgeht, einen Beschluss erlässt, mit dem eine Aktion oder ein Standpunkt der Union festgelegt wird;

- wenn der Rat einen Beschluss zur Durchführung eines Beschlusses, mit dem eine Aktion oder ein Standpunkt der Union festgelegt wird, erlässt;

- wenn der Rat nach Artikel 33 einen Sonderbeauftragten ernennt.

Im EUV sind allerdings zwei Sicherheitsvorkehrungen zur Abmilderung der qualifizierten Mehrheit vorgesehen. Die erste Sicherheitsvorkehrung ist die „Notbremse-Klausel“ (Artikel 31 Absatz 2 EUV), durch die eine förmliche Abstimmung vermieden werden kann, wenn ein Mitgliedstaat erklärt, dass er die Absicht hat, aus wesentlichen Gründen der nationalen Politik, die er auch nennen muss, einen mit qualifizierter Mehrheit zu fassenden Beschluss abzulehnen.

Der Hohe Vertreter bemüht sich dann gemeinsam mit dem betroffenen Mitgliedstaat um eine annehmbare Lösung. Wird eine solche Lösung nicht erreicht, so kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit veranlassen, dass die Frage im Hinblick auf einen einstimmigen Beschluss an den Europäischen Rat verwiesen wird.

Eine zweite Sicherheitsvorkehrung ist in Artikel 31 Absatz 4 EUV vorgesehen, nach der Beschlüsse mit militärischen Bezügen vom BQM ausgenommen sind.

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Am 12. September 2018 gab die Kommission eine Mitteilung heraus, in der sie Möglichkeiten erörterte, um die Überleitungsklausel im Bereich der GASP anzuwenden. Der Grundgedanke war dabei, die Rolle der EU auf der internationalen Bühne zu stärken. In seiner Rede zur Lage der Union 2018 hatte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die EU bereits aufgefordert, auf „eigenen Füßen“ zu stehen und die internationale Rolle des Euro zu stärken. In der deutsch-französischen Erklärung von Meseberg wurde die EU außerdem dazu aufgerufen, ihre Beschlussfassung zu beschleunigen und effizienter zu gestalten.

Obwohl durch sukzessive Reformen für die Mehrzahl der Politikbereiche die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit eingeführt wurde, bleibt auf dem Gebiet der GASP Einstimmigkeit die Regel.

Wie die Kommission erklärte, liegt der größte Nachteil der Einstimmigkeit in der GASP darin, dass dadurch verhindert wird, schnell zu kohärenten Standpunkten zu gelangen, auf deren Grundlage die EU auf der internationalen Bühne entschlossen auftreten kann. Daher hätte es positive Auswirkungen, wenn in manchen Bereichen der GASP die qualifizierte Mehrheit eingeführt würde, weil die EU dadurch ausgehend von festen und kohärenten Standpunkten effizienter agieren und auf die drängenden außenpolitischen Herausforderungen reagieren könnte. Damit würde auch die Widerstandsfähigkeit der EU gestärkt, weil die Mitgliedstaaten davor geschützt würden, von Drittländern unter Druck gesetzt zu werden. Die Kommission behauptet nicht, dass sich alle Probleme auf dem Gebiet der GASP allein mit der BQM lösen ließen. Da jedoch die Interessen der Mitgliedstaaten ins Gleichgewicht gebracht werden müssen und der Standpunkt der EU in bilateralen Beziehungen durchgesetzt werden muss, könnte die BQM zu einigen Verbesserungen führen, insbesondere wenn man bedenkt, dass der Rat selbst in Politikbereichen, in denen die BQM die Regel ist (z. B. Handel), selten eine förmliche Abstimmung durchführt und Beschlüsse im Konsens.

Vor diesem Hintergrund hat die Kommission die Mitgliedstaaten darum ersucht, über Fälle nachzudenken, in denen die BQM positive Auswirkungen haben und einen Mehrwert bieten könnte.

Den Rat hat die Kommission darum ersucht, Standpunkte zur GASP oder damit verbundenen Angelegenheiten nicht im Einvernehmen zu vereinbaren, wenn dafür die vertraglich vorgesehenen Instrumente genutzt werden könnten.

Außerdem hat die Kommission den Rat aufgefordert, den rechtlichen Rahmen der GASP nicht auf außenpolitische Aspekte von Politikbereichen anzuwenden die dem AEUV unterliegen, und so das Einstimmigkeitsprinzip zu missbrauchen.
Die Kommission hat ferner in den drei folgenden Bereichen die Anwendung der Überleitungsklausel empfohlen:

-  Menschenrechte in multilateralen Foren
Da die Menschenrechte universell und unteilbar sind und die Union ihren Standpunkt geschlossen vertreten und dabei als Soft Power politische Einigkeit und Glaubwürdigkeit anstreben muss, hat die Kommission empfohlen, die in internationalen Foren zu kommunizierenden Standpunkte der EU, über die derzeit im Einvernehmen beschlossen wird, stattdessen durch qualifizierte Mehrheit festzulegen. So hat die Kommission vorgeschlagen, dass der Europäische Rat auf der Grundlage von Artikel 31 Absatz 3 EUV einen Beschluss erlässt, wonach der Rat über Standpunkte der EU zu Menschenrechtsfragen in internationalen Foren mit qualifizierter Mehrheit beschließt.

-  Erlass und Änderung von Sanktionsregelungen.
Sanktionen sind ein sehr leistungsfähiges Instrument, mit dem die EU ihrer außen- und sicherheitspolitischen Agenda Nachdruck verleihen kann. Vor diesem Hintergrund wurden diese restriktiven Maßnahmen in den letzten Jahren gehäuft eingesetzt, um außenpolitische Entwicklungen zu verhindern, aufzuhalten und zu beeinflussen sowie um wirtschaftlichen und politischen Druck auszuüben. Im Fall von Änderungen der Listen von restriktiven Maßnahmen der EU, die von den Vereinten Nationen oder – wenn es sich nicht um politisch brisante Änderungen handelte – von der EU selbst beschlossen wurden, hat der Rat bereits mit qualifizierter Mehrheit beschlossen. Die Kommission hat jedoch empfohlen, dass die BQM nach Artikel 31 Absatz 3 EUV ständig angewandt wird und der Europäische Rat einstimmig einen Beschluss erlässt, wonach der Rat über die Festlegung von Sanktionsregelungen mit qualifizierter Mehrheit beschließt.

- Zivile Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik
Zivile Missionen im Rahmen der Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik sind ein wichtiges Instrument, das die EU anwenden kann, um auf Krisen zu reagieren und sich im Anschluss an Krisen zu engagieren, um nationale Behörden und lokale Gemeinschaften zu unterstützen. Um die Herausforderungen bewältigen zu können, müssen sie allerdings schnell eingesetzt werden. In einem schwierigen politischen Umfeld, das in einem ständigen Wandel begriffen ist, wird ein wirksames und agiles Management zum entscheidenden Faktor.

Auf der Grundlage von Artikel 31 Absatz 3 EUV hat die Kommission vorgeschlagen, dass der Europäische Rat Beschlüsse erlässt, nach denen vorgesehen wird, alle Beschlüsse über die zivile Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit qualifizierter Mehrheit zu erlassen.

Die Kommission hat vorgeschlagen, mit Missionen für den Aufbau von rechtsstaatlichen Kapazitäten und für Reformen des Sicherheitssektors zu beginnen, da diese mit anderen Instrumenten in Verbindung stehen, über die ebenfalls mit qualifizierter Mehrheit beschlossen wird.

Heinrich Kümmerle hat auf diesen Beitrag reagiert.
Heinrich Kümmerle
...  in eine ähnliche Richtung geht übrigens auch ein aktueller Euractiv-Artikel:

Sehr gerne veröffentliche ich hier eine Antwort von Daniel Caspary MdEP, welche per E-Mail (24.03.2023 17:57 CET) direkt an Peter Schulze gesandt wurde.

Sehr geehrter Herr Schulze,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 8. März 2023. Ich habe Ihren Blogeintrag zur Europäischen Verteidigungsunion mit Interesse gelesen.

Sie beschreiben die Struktur der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und zitieren mit dem Verweis auf das Einstimmigkeitsprinzip eine häufig geäußerte Kritik. In der Tat hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine die Prämissen der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik teilweise in ein anderes Licht gerückt; es ist deutlich geworden, dass die Europäische Union außenpolitisch schnell handlungsfähig sein muss.

Ich stimme Ihnen allerdings nicht zu, dass die Europäische Kommission und das Europäische Parlament hier nur Anhörungs- und Informationsrechte besäßen. Ähnlich wie in der Gesundheitspolitik während der Corona-Pandemie ist die Europäische Kommission sehr erfolgreich darin, Abstimmungsprozesse anzuleiten und effizienter und produktiver zu gestalten. Im Falle der aktuellen Situation zeigt sich dies in der Planung gemeinsamer Munitionslieferungen an die Ukraine. Wie sie in der aktuellen Berichterstattung (siehe hier) nachlesen können, stammen die Vorschläge vom Hohen Vertreter Josep Borrell und der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Auch im Europäischen Parlament werden immer wieder Themen auf die Tagesordnung gesetzt, beispielsweise konkrete Sanktionen gegen Russland in den Resolutionen des Europäischen Parlamentes vom März, April, Mai, Oktober und November 2022, sowie kürzlich vom 02. Februar 2023. Solche gemeinsamen Abstimmungsprozesse sind unerlässlich, um nationale Alleingänge in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu vermeiden.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesen Informationen weiterhelfen und stehe Ihnen weiterhin gerne als Ansprechpartner zur Verfügung.

Bleiben Sie gesund!

Mit freundlichen Grüßen ...
Daniel Caspary.

Peter Schulze wie auch ich würden uns sehr freuen, wenn nun beide Statements zu einer entsprechenden Diskussion hier im Forum führen würden.

Sehr geehrter Herr Caspary,

ich freue mich sehr über Ihrer detaillierte Rückantwort zum Thema „Eine europäische Verteidigungsunion".

I.

In der Tat betrachten die Verträge bei der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik das Europäische Parlament und die Europäische Kommission eher als Anhörungs- und Informationspartner:

Artikel 36 EUV lautet:
<<Der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik
hört das Europäische Parlament regelmäßig zu den wichtigsten Aspekten und den grundlegenden Weichenstellungen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und unterrichtet es über die Entwicklung der Politik in diesen Bereichen. Er achtet darauf, dass die Auffassungen des Europäischen Parlaments gebührend berücksichtigt werden. Die Sonderbeauftragten können zur Unterrichtung des Europäischen Parlaments mit herangezogen werden.  Das Europäische Parlament kann Anfragen oder Empfehlungen an den Rat und den Hohen Vertreter richten. Zweimal jährlich führt es eine Aussprache über die Fortschritte bei der Durchführung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, einschließlich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.>>

Eine direkte Mitentscheidung oder andere aktive Beteiligung ist - mit ausdrücklicher Möglichkeit für die Kommission siehe z.B. Art. 40, 42 (4) EUV, - nicht vorgesehen.

https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:2bf140bf-a3f8-4ab2-b506-fd71826e6da6.0020.02/DOC_1&format=PDF

Bei den von Ihnen genannten Resolutionen des Parlaments werden durchaus Empfehlungen gemacht:

  • März 2022 zur EU Staatsbürgerschaft gegen finanzielle Investitionen,
  • April 2022 zu EU Sanktionen gegen Russland,
  • November 2022 zu Einschränkungen der Reisemöglichkeiten für russische Staatsbürger,
  • Oktober 2222 zur russischen Eskalation im Angriffskrieg gegen die Ukraine,
  • Februar 2023 zum EU-Ukraine Gipfeltreffen,

aber diese beinhalten keine neuen strukturellen Überlegungen oder Empfehlungen hin zu einer effizienteren und effektiveren Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU.

In einer Resolution des Europäischen Parlaments vom Mai 2022 hatte ich schon die Hoffnung, dass hier unter dem Titel „Stärkung der Handlungsfähigkeit der EU“ grundlegende Vorstellungen oder Empfehlungen für (Vertrags-) Änderungen vorgetragen werden, was aber nicht der Fall war.

Bei der Frage des „Einstimmigkeitsprinzips“ in der Außen - und Sicherheitspolitik beziehe ich mich nicht auf die „allgemeine“ Kritik unter dem eher verallgemeinernden „No-Veto" Motto, sondern beziehe ich mich eher auch auf die Darstellungen in einer Studie des Europäischen Parlaments, aus dem Jahr 2020 zur Anwendung von Überleitungsklauseln in den EU-Verträgen.

https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2020/659420/EPRS_STU(2020)659420_DE.pdf

Die Studie gibt einen sehr guten Überblick über die Einstimmigkeitsregeln und die Möglichkeiten der Überleitungsklauseln (Passerelles) von der Einstimmigkeit zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit (BQM).

Hier werden auch die detaillierten Vorschläge der Kommission -- s. S. 44-56 -- ausführlich dargestellt, die das Parlament in einer Resolution vom 26. März 2019 auch „begrüßt" hat.

Aber weitere und weitergehende aktive Vorschläge von Seiten des Parlaments speziell zur Einstimmigkeit in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik sind mir nicht bekannt.

Ich denke, dass bei diesen -- relativ wenigen -- Fällen von Einstimmigkeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sehr sorgfältig die einzelnen „Tatbestände" betrachtet werden müssen; das in Deutschland -- aus guten Gründen -- geltende Prinzip einer „Parlamentsarmee und Parlamentsvorbehalt" trifft in Europa auf verschiedene Arten von Entscheidungsbefugnissen, die militärischen Entscheidungen viel mehr bei den Präsidenten und Regierungen verankern. Eine Beschlussbefassung mit qualifizierter Mehrheit, bei der Deutschland auch überstimmt werden könnte, muss daher sehr wohl überlegt sein.

II.

Die Formulierung einer „gebührenden Berücksichtigung des europäischen Parlaments lässt „Ähnlichkeiten" erkennen zu dem Verfahren zur Wahl des Präsidenten der Europäischen Kommission  nach dem gegenwärtigen Art. 17 Abs. 7 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und den Diskussionen über das „Spitzenkandidatenprinzip".

Art. 17 (7) EUV lautet:

>> Der Europäische Rat schlägt dem Europäischen Parlament nach entsprechenden Konsultationen mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vor; dabei berücksichtigt er das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament. Das Europäische Parlament wählt diesen Kandidaten mit der Mehrheit seiner Mitglieder. Erhält dieser Kandidat nicht die Mehrheit, so schlägt der Europäische Rat dem Europäischen Parlament innerhalb eines Monats mit qualifizierter Mehrheit einen neuen Kandidaten vor, für dessen Wahl das Europäische Parlament dasselbe Verfahren anwendet.<<

Das sogenannte „Spitzenkandidaten"-Verfahren wird in den EU-Verträgen jedoch nicht erwähnt. Als es 2014 zum ersten Mal angewendet wurde, handelte es sich in erster Linie um eine Vereinbarung zwischen den Staats- und Regierungschefs der EU im Europäischen Rat, dem Europäischen Parlament und den europäischen politischen Parteien über die Auslegung des Wortlauts in den Verträgen.

Das EU-Parlament darf den Kommissionspräsidenten zwar derzeit letztendlich wählen, allerdings nur, nachdem ihm die Staats- und Regierungschefs einen Vorschlag unterbreitet haben. Und die Regierungschefs der Länder müssen nicht zwingend einen Spitzenkandidaten vorschlagen, sondern können -- wie im Falle Ursula von der Leyens geschehen -- auch jemanden anderen zur Wahl stellen.

Da das Spitzenkandidatenprinzip im EU-Vertrag bislang noch nicht fest verankert ist, ist es derzeit noch möglich, dieses als eine Art Gewohnheitsrecht eingeführte Modell zu umgehen.

Hier ist das Europäische Parlament aber nun -- im Vergleich zur Frage der Verteidigungsunion -- schon einen Schritt weitergegangen.

Der schleichende Verfassungswandel soll nun nach dem Willen des Europäischen Parlaments über eine Wahlrechtsreform verstetigt werden, damit es künftig verbindlich zum Tragen kommt. Am 3. Mai 2022 hat das Europäische Parlament über Reformen des EU-Wahlrechts abgestimmt, die unter anderem auch das Spitzenkandidatenprinzip beinhalten.

Nachdem der Deutsche Bundestag die am 16. März 2023 vorgesehenen Beratungen über den Vorschlag des Europäischen Parlaments zunächst vertagte, wurde am Donnerstag, 30. März 2023, erstmals über Anträge von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP (20/5990) und der AfD (20/6005) zur Wahl des Europäischen Parlaments beraten.

Im Anschluss an die Aussprache überwiesen die Abgeordneten beide Anträge zur weiteren Beratung in den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Auch wenn die Fraktionen in Einzelfragen noch politischen und juristischen Klärungsbedarf sähen, etwa bei der grundsätzlich vorgesehenen Geschlechterparität (?) oder bei der Ausgestaltung eines gemeinsamen europäischen Wahltages, würden sie die Vorschläge des Parlaments vom 3. Mai 2022 grundsätzlich begrüßen, schreiben die Abgeordneten.

https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw11-de-eu-wahlrecht-937914

https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw13-de-europaeisches-parlament-938390

Würde das Spitzenkandidatenprinzip bei Europawahlen greifen, würden die Regierungschefs der Länder an Macht verlieren, da sie den wichtigsten Posten in der EU nicht mehr alleine vergeben können.

Gerade dies würde aber ein Schritt in Richtung einer bürgernäheren, demokratiefreundlicheren und mit der Vorabfestlegung auf Spitzenkandidaten auch persönlicher werdenden EU sein.

Hierzu müssten aber zunächst auf der Ebene des EU-Ministerrats alle Mitgliedstaaten einer Wahlrechtsreform einstimmig zustimmen, die danach von den Mitgliedstaaten in  nationales Recht umgesetzt werden müssten.

Auf europäischer Ebene gibt es aber erhebliche Zweifel, ob die Regierungen der Mitgliedsländer ein wirkliches Interesse haben, die Reformen und die Änderungen zum EU-Wahlrecht voranzutreiben.

https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/widerstand-gegen-neues-eu-wahlrecht-18396291.html

https://www.euractiv.de/section/wahlen-und-macht/news/transnationale-listen-rat-blockiert-eu-wahlrechtsreform/

Das sind nur 2 Beispiele für die vielen grundlegenden Fragen zur notwendigen Weiterentwicklung der Europäischen Union. Sie zeigen aber auch in ihrer Komplexität die Schwierigkeiten auf, mit  denen sich die gewählten Repräsentanten der Bürgerinnen und Bürgern  in den Parlamenten auseinandersetzen und vor ihren Wählerinnen und Wählern verantworten müssen.

Ich freue mich daher auf den weiteren Austausch, Diskussionen und Ihre Perspektiven zu diesen aber auch die anderen vielfältigen europäischen Themen und verbleibe mit freundlichen Europäischen Grüßen

Peter Schulze

Vorsitzender Europa-Union Mannheim

P.S.

Ergänzend zwei Anhänge:

 

Hochgeladene Dateien:
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In ihrem Policy Brief No. 3 vom April 2023 vergleichen Sergio Fabbrini, Andrea Capati, Dora Hegedus und Tiziano Zgaga drei mögliche Modelle einer künftigen EU, um festzustellen, welches am besten auf die Herausforderungen des russischen Angriffes auf die Ukraine antworten kann.

Sie kommen -- für uns Europäischen Föderalisten völlig verständlich -- dabei zum Schluss, dass nur ein europäischer Bundesstaat in der Lage ist, der russischen Aggression begegnen zu können.

Summary

Which models of EU polity for dealing with the Russian war can be derived from the Conference on the Future of Europe? Considering the ‘Report on the Final Outcome’ of the Conference, we traced three models: the parliamentary union, the intergovernmental union and the economic community. Because they appear unable to deal with the consequences of the Russian invasion of Ukraine, this policy brief outlines the contours of an alternative model, the federal union.

Hier finden Sie den Artikel ...

Die Diskussion geht weiter und so kann ich den weiteren Schriftverkehr erneut online stellen:

Peter Schulze <peter.schulze@eubw.eu> 10 May 2023 09:53

Sehr geehrter Herr Caspary,

in seiner "Grundsatz-" Rede zum Europatag 2023 vor dem Europäischen Parlament hat Bundeskanzler Olaf Scholz "offen gelassen" in welche Richtung er die Weiterentwicklung der Europäischen Union sieht und dabei eher von "der Gründung einer Geopolitischen Europäischen Union"gesprochen.                                                                             (neben den bereits bekannten Begriffen wie einer "erweiterten und reformierten, zukunftsoffenen Europäische Union)

Er hat dabei darauf verwiesen, dass er im Europäischen Parlament eine "treibende Kraft" sieht.

Im Zusammenhang mit unserem Austausch, würde natürlich schon interessieren, ob es da entsprechende Initiativen und Vorbereitungen des EP zur "Gründung einer geopolitischen Union" gibt oder ob es sich bei diesen Begriff nur um einen neuen "Titel" für die Weiterführung der Bemühungen im weiterhin bestehenden Rahmen handelt?

Mit freundlichen Europäischen Grüßen

Peter Schulze

Vorsitzender Europa-Union Mannheim

https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/rede-von-bundeskanzler-scholz-im-rahmen-der-diskussionsreihe-this-is-europe-im-europaeischen-parlament-am-9-mai-2023-in-strassburg-2189408

 

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CASPARY Daniel <daniel.caspary@europarl.europa.eu> hat am 18.05.2023 15:32 CEST geschrieben:

 

Sehr geehrter Herr Schulze,

Vielen Dank für Ihre erneute Zuschrift vom 10. Mai 2023. Zur besseren Nachvollziehbarkeit meiner Erklärungen füge ich Ihnen einen Sammelband und einen Artikel bei.

Natürlich haben Sie recht, die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union ist zunächst intergouvernemental angelegt, d.h. die grundlegenden Entscheidungskompetenzen liegen bei den Mitgliedstaaten. Dies ist in den Verträgen so formell festgelegt. Dennoch gilt auch das vertraglich festgelegte Prinzip einer einheitlichen Positionierung. Hieraus ergeben sich Handlungsspielräume für eine stärkere Integration der Beschlussfassung. Um die Einflussmöglichkeiten der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlamentes nachzuvollziehen, ist es allerdings sinnvoll, über die formellen Rechte hinaus zu blicken. Schließlich gibt es insbesondere von Seiten der Europäischen Kommission unterstützende Dienste, die die Rolle der Kommission aufwerten. Zum Nachlesen empfehle ich Ihnen das Kapitel "Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik als Spiegelbild eines Integrationsprozesses im Wandel" von Franco Algieri aus dem hier angefügten Sammelband (Algieri, Franco (2020): Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik als Spiegelbild eines Integrationsprozesses im Wandel. S. 951-974. In: H. Lippert (Hrsg.): Handbuch der Europäischen Union. Springer Fachmedien, Wiesbaden. DOI: 10.1007/978-3-658-17409-5_29).

Dort schreibt der Autor: "Der Europäische Rat legt die strategischen Interessen und Ziele der EU fest und fasst einstimmig Beschlüsse auf Empfehlung des Rats. Der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und die Kommission können dem Rat gemeinsame Vorschläge vorlegen (Art. 22 EUV). Hierbei ist ersterer für die GASP zuständig und die Kommission für die anderen Bereiche des auswärtigen Handelns, z. B. den Außenhandel. [...] Der Hohe Vertreter war [vor dem Vertrag von Lissabon] zwar Chefdiplomat der EU, doch dabei auf die von der Kommission bereitgestellten Ressourcen angewiesen. Mit dem Vertrag von Lissabon erfolgte eine weitreichende Neubestimmung dieses Amtes und der Kompetenzen. Hervorzuheben ist die darin neu geschaffene Doppelfunktion als Hoher Vertreter und Vizepräsident der Kommission. Die Zuständigkeiten und die Rolle dieses Akteurs in den Machtstrukturen der EU-Außenpolitik wurden somit aufgewertet. [...] Das Europäische Parlament (EP) unterstützt die GASP grundsätzlich, verfügt in diesem Politikbereich aber nur über eine eingeschränktere Mitgestaltungsmacht. Von besonderer Relevanz ist die regelmäßige Anhörung des Europäischen Parlaments durch den Hohen Vertreter. Des Weiteren hat er dieses über die Entwicklung der Außen- und Sicherheitspolitik zu unterrichten. Das Parlament wiederum kann Anfragen und Empfehlungen an den Rat und Hohen Vertreter richten (Art. 36 EUV). Aufgrund seiner Haushaltskompetenz ist das EP an der Genehmigung des GASP Haushalts beteiligt. Hinzu kommt, dass von der EU abgeschlossene internationale Abkommen der Zustimmung des Parlaments bedürfen." (Algieri 2020: 958, 960-961).

In demselben Sammelwerkt gibt es auch ein Übersichtskapitel zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die wissenschaftliche Literatur spricht mit Bezug auf die Einflussmöglichkeiten, die über die formellen Vertragskompetenzen hinaus gehen, von informeller Macht. Dies wird in dieser Studie exemplarisch erläutert (ebenfalls anbei): Riddervold, M. & Rosén G. (2016) Trick and treat: how the Commission and the European Parliament exert influence in EU foreign and security policies, Journal of European Integration, 38:6, 687-702, DOI: 10.1080/07036337.2016.1178737.

Wie Sie richtig feststellen, beziehen sich die Forderungen des Europäischen Parlamentes meist auf inhaltliche Punkte der Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Verteidigungspolitik. Das liegt daran, dass der oben bereits aufgeführte formelle Rahmen durch die Verträge gesetzt ist und derzeit auch keine Veränderung absehbar ist. Dennoch können auch hier Akzente gesetzt werden, die deutlich für mehr Integration sprechen. 2020 nahm das Parlament eine Entschließung zur Umsetzung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik an. In der „festen Überzeugung, dass die strategische Autonomie Europas auch die Fähigkeit umfassen sollte, Streitkräfte in der Peripherie der EU einzusetzen“ forderte das Parlament darin, „dass zunehmend Schritte in Richtung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik [...] und schließlich einer gemeinsamen Verteidigung unternommen werden“. In seiner Entschließung vom März 2022 zur Umsetzung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sprach sich das Parlament für den Strategischen Kompass und die angestrebte Schaffung einer „Schnelleingreiftruppe“ aus. Der Strategische Kompass wiederum nutzt die vertraglichen Möglichkeiten einer Europäisierung des Außenpolitik aus, dies wird auch ausdrücklich vom Europäischen Parlament unterstützt.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesen Informationen weiterhelfen und stehe Ihnen weiterhin gerne als Ansprechpartner zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Daniel Caspary.

Mitglied des Europäischen Parlaments

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Peter Schulze 31.5.2023 15:19

 

-----und es (EP) bewegt sich doch (etwas)........

 

Sehr geehrter Herr Caspary,

vielen Dank für die umfangreiche und doch detaillierte Antwort und Fortführung unserer "Diskussion", die doch von einigen unserer Mitglieder aufmerksam verfolgt wird, die an dem Thema EU Sicherheits- und Außenpolitik und deren Weiterentwicklung interessiert sind.

Die Ausgangsfrage war, wie sich das Europäische Parlament die Weiterentwicklung vorstellt, oder ob es sich mit den gegebenen Möglichkeiten innerhalb der bestehenden Verträge (AEUV, EUV) zufriedengibt. ?

Wie Sie richtig hinweisen, "unterstützt das Europäische Parlament (EP) die GASP grundsätzlich, verfügt in diesem Politikbereich aber nur über eine eingeschränktere Mitgestaltungsmacht. Von besonderer Relevanz ist die regelmäßige Anhörung des Europäischen Parlaments durch den Hohen Vertreter. Des Weiteren hat er dieses über die Entwicklung der Außen- und Sicherheitspolitik zu unterrichten. Das Parlament wiederum kann Anfragen und Empfehlungen an den Rat und Hohen Vertreter richten (Art. 36 EUV). Aufgrund seiner Haushaltskompetenz ist das EP an der Genehmigung des GASP Haushalts beteiligt. Hinzu kommt, dass von der EU abgeschlossene internationale Abkommen der Zustimmung des Parlaments bedürfen."

Der "formelle Rahmen ist dabei durch die Verträge gesetzt und derzeit seien auch keine Veränderung absehbar.

Die "Einflussmöglichkeiten des Parlaments seien eher von informeller Macht, die über die formellen Vertragskompetenzen hinaus gehen,.......

 

Umso überraschender kam für mich dann doch die kürzliche Pressemitteilung des Ausschusses für Konstitutionelle Fragen (AFCO) des Europäischen Parlaments vom 24. Mai, mit der deutlich wird, dass sich das EP doch mit dieser Frage aktiv befasst hat und Empfehlungen zugestimmt hat, dass -

- kurzfristig im Zusammenhang mit dem Krieg Russlands in der Ukraine, dem Green Deal und der Revision des langfristigen EU Haushalts  das ungenutzte Potential der Brückenklauseln der Verträge genutzt werden sollte, ohne dass dadurch die Fragen der Änderungen der Verträge vermieden werden,

- die EU Verträge diesbezüglich dahingehend überprüft werden sollen, dass die Entscheidung über die Anwendung der Brückenklauseln                                         (Wechsel vom Einstimmigkeitsprinzip zur Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit) keiner Einstimmigkeit bedarf.

- dieser Wechsel sollte sukzessive, nach und nach erfolgen

kurzfristig bis Ende 2023, mittelfristig bis Ende 2024 und langfristig nach den Wahlen zum EP 2024.

https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20230522IPR91613/passerelle-mechanism-the-key-for-a-more-effective-and-flexible-eu

 

zu den passerelles "Brücken-" Klauseln

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN-DE/TXT/?from=EN&uri=LEGISSUM%3Apasserelle_clauses

Die Empfehlungen sind zur Abstimmung im Plenum des Europäischen Parlaments während der Juli Sitzung in Strassbourg vorgesehen, die dann als "Empfehlungen an den Rat und Hohen Vertreter gehen (Art. 36 EUV)" zur weiteren Ausführung.

 

Fazit:

Mit diesen Empfehlungen hat das Europäische Parlament immerhin noch in einer vertretbaren Zeit auf die Vorschläge der Konferenz zur Zukunft Europas reagiert, wenn auch nicht, wie von manchen erhofft und gewünscht, mit einer starken Bewegung hin zu grundlegenden Vertragsänderungen, mit denen die längst praktizierten aktiveren Rollen von Europäischer Kommission und Parlament in den Verträgen auch rechtlich dokumentiert und bekräftigt werden.

Es bleibt immerhin die Hoffnung, dass dies ein erster wirksamer Schritt hin zur einer stärkeren und souveräneren Europäischen Union ist.

Als in der Europa-Union engagierten Bürgerinnen und Bürgern sind wir gespannt auf diese weiteren Schritte und werden die Entwicklungen mit großen Interesse verfolgen.

 

Mit freundlichen Europäischen Grüßen

Peter Schulze

Vorsitzender Europa-Union Mannheim

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Seitenaufrufe: 2.894 | Heute: 5 | Zählung seit 22.10.2023
  • Ergänzung: Die Inflation ist stärker als vor dem Euro?

    Nein. Seit 25 Jahren gibt es den Euro. Das Eurosystem (EZB + Nationale Zentralbanken) haben das Inflationsziel zwischen 1999 und 2020 im Durschnitt deutlich besser erreicht als es davor der Fall war. Die Phase der jetzigen Inflation in Folge der Corona-Krise und der Lieferengpässe und der Energiekrise hat die Preise weltweit 2021, 2022 getrieben. Die Inflation sinkt seit Ende 2022 kontinuierlich und nähert sich wieder den 2 % an.
    Darüber hinaus hat die gemeinsame Währung Europa Stabilität in diversen Krisen gegeben.
    Die gemeinsame Währung stützt den Binnenmarkt und hat Deutschland geholfen, starke Exportleistungen zu erzielen.

  • Zum Protokoll des Gesprächskreises „Europa jetzt!“ würde ich gerne hinzufügen, dass wir Teilnehmer auch darüber debattiert haben, wie „selbstverständlich“ Europa gerade für uns jüngeren geworden ist. Viele von uns kennen es gar nicht anders. Reisen ohne Grenzen, zahlen in Euro, keine Zollgebühren beim Onlineshopping, anders kennen wir es fast nicht. Es gilt, diese Freiheiten aufzuzeigen um das Interesse an Europa zu wecken.
    Ebenso war sich der Großteil der Gruppe einig, dass wir keine Angst haben, sondern Bedenken und Unsicherheit empfinden, wenn wir die aktuellen Entwicklungen beobachten.

    • Wie wir feststellen durften ist die Halbwertszeit solcher Runden nicht ausreichend, um ein Forum nur annähernd zu füllen. Wo die Unverbindlichkeit zum Prinzip erhoben wurde, muss man tatsächlich über ganz neue Kommunikationskanäle nachdenken.