Gedicht zum Tage

4.5
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Beitragsfoto: Eriesee |  © Mike Toler auf Pixabay 

Heute wurde ich gleich von mehreren Lesern und unabhängig voneinander auf ein Gedicht von Theodor Fontane aufmerksam gemacht. Und tatsächlich, es passt ganz gut zum Zeitgeschehen und in mindestens einer Heilbronner Schule ist es ganz aktuell sogar Thema im Unterricht. Interessant dabei, dass dieses Gedicht auch zu meiner Schulzeit (mitten im Kalten Krieg) besprochen werden musste.

In der Nacht vom 8. zum 9. August 1841 geriet der Raddampfer Erie während der Fahrt über den namensgebenden See von Buffalo nach Erie in Brand. Der Rudergänger Lothar Fuller blieb bis zuletzt auf seinem Posten und überlebte schwer verletzt das Unglück. Von den etwa 200 Passagieren konnten leider nur 29 gerettet werden. Fuller wurde Alkoholiker und starb völlig verarmt.

Theodor Fontane verarbeitete das tragische Ereignis zu einer Ballade, in der zwar alle Passagiere gerettet wurden, dafür aber der Steuermann, namens John Maynard, den Tod fand. Damit erhebt Fontane die Dienstpflicht zum Heldentum und schafft ein Gedicht, welches wohl noch heute nicht an Attraktivität verloren hat.

Ich wäre bereits froh darüber, wenn sich die meisten Menschen — vor allem jene, die dienen, insbesondere unsere Politiker und Beamte — wenigstens bemühen würden, ihre Pflichten halbwegs zu erfüllen und z. B. dafür sorgen, dass Abiturklausuren zeitgerecht geschrieben werden können.

Ich verlange dabei von keinem ein Held zu sein, denn mit Maulhelden könnten wir schon heute unsere Straßen pflastern. Ich verstehe aber, dass gerade in solch düsteren Zeiten wie bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts und auch gerade heute wieder der Ruf nach Helden immer lauter wird.

Theodor Fontane verschweigt uns dabei nicht, dass Helden meist tot sind. Heute wissen wir zudem, dass jene Helden, welche überleben, gerne dem Alkohol oder anderen Drogen verfallen und ungeliebt versterben.

Einzig die Maulhelden genießen ihr Leben in vollen Zügen und enden dabei meist hoch dekoriert.

John Maynard

John Maynard!

„Wer ist John Maynard?“
„John Maynard war unser Steuermann,
aushielt er, bis er das Ufer gewann,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron’,
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard.“

Die „Schwalbe“ fliegt über den Erie-See,
Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee;
von Detroit fliegt sie nach Buffalo –
die Herzen aber sind frei und froh,
und die Passagiere mit Kindern und Fraun
im Dämmerlicht schon das Ufer schaun,
und plaudernd an John Maynard heran
tritt alles: „Wie weit noch, Steuermann?“
Der schaut nach vorn und schaut in die Rund:
„Noch dreißig Minuten … Halbe Stund.“ 

Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei –
da klingt’s aus dem Schiffsraum her wie Schrei,
„Feuer!“ war es, was da klang,
ein Qualm aus Kajüt und Luke drang,
ein Qualm, dann Flammen lichterloh,
und noch zwanzig Minuten bis Buffalo. 

Und die Passagiere, bunt gemengt,
am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt,
am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,
am Steuer aber lagert sich’s dicht,
und ein Jammern wird laut: „Wo sind wir? wo?“
Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo. – 

Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht,
der Kapitän nach dem Steuer späht,
er sieht nicht mehr seinen Steuermann,
aber durchs Sprachrohr fragt er an:
„Noch da, John Maynard?“
„Ja, Herr. Ich bin.“

„Auf den Strand! In die Brandung!“
„Ich halte drauf hin.“
Und das Schiffsvolk jubelt: „Halt aus! Hallo!“
Und noch zehn Minuten bis Buffalo. – –

„Noch da, John Maynard?“ Und Antwort schallt’s
mit ersterbender Stimme: „Ja, Herr, ich halt’s!“
Und in die Brandung, was Klippe, was Stein,
jagt er die „Schwalbe“ mitten hinein.
Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.
Rettung: der Strand von Buffalo!

Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.
Gerettet alle. Nur einer fehlt!
Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell’n
himmelan aus Kirchen und Kapell’n,
ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,
ein Dienst nur, den sie heute hat:
Zehntausend folgen oder mehr,
und kein Aug’ im Zuge, das tränenleer. 

Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
mit Blumen schließen sie das Grab,
und mit goldner Schrift in den Marmorstein
schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein: 

„Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand
hielt er das Steuer fest in der Hand,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard.“

Theodor Fontane, 1886

Nachtrag 20.4.2023

Hier finden Sie das von Hans Müller beigefügte Foto

Gedenktafel für John Maynard
Gedenktafel für John Maynard in Buffalo

„Unglücklich das Land, das keine Helden hat … Nein. 
Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“

Bertold Brecht, Das Leben des Galilei (1943)

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Seitenaufrufe: 5 | Heute: 1 | Zählung seit 22.10.2023

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  • Lieber Herr Kümmerle,

    Großes Kompliment, dass Sie an das Gedicht „John Maynard“ von Theodor Fontane erinnert haben. Fontane war einer der größten Romanciers Deutschlands im 19. Jahrhundert. Seine „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ gingen mir besonders nah als ich nach der Wende mehrmals unsere Partnerstadt Frankfurt (Oder) besuchte und die dortigen Freunde mich an verschiedene Orte führten, die Fontane besucht hat oder einen Bezug zu ihm haben. So z. B. Letschin im Oderbruch, wo sein Vater eine Zeit lang eine Apotheke hatte. Später habe ich mit einer kleinen Gruppe aus Heilbronn u. a. Neuruppin besucht, wo Fontane am 30.12.1819 geboren wurde.

    Hier nun ein „Schmankerl“: Ich lege Ihnen ein Foto aus dem Hafen von Buffalo, NY bei. Dort gibt es auf der Hafenmauer eine Bronzetafel mit dem Fontane-Gedicht (in Englisch). Sie wurde gestiftet von Dortmund, der deutschen Partnerstadt von Buffalo. Im Sommer 2000 waren Kurt und Susanne Scheffler zusammen mit meiner Frau und mir während einer großen USA-Rundreise auch in Buffalo und haben ein Rundfahrt mit dem Schiff „Miss Buffalo II“ auf dem Eriesee und dem Niagara River gemacht.

    Als Journalist war Fontane mehrmals in London tätig. Nach der Revolution 1848 gingen viele deutsche Demokraten und Oppositionelle gegen das Kaiserreich ins Exil nach London, darunter auch der Heilbronner Carl Pfänder, über dessen abenteuerliches Leben ich in dem Buch „Heilbronnica 4“ geschrieben habe. Es ist als Online-Publikation auf der Website des Stadtarchivs Heilbronn zu finden. Fontane hat viele dieser Emigranten in London getroffen und auch über ihr kärgliches Leben dort geschrieben. In meinem Pfänder-Bericht habe ich Fontane zitiert. Ein weiteres „Schmankerl“: Carl Pfänder ist der Ur- Ur- Ur-Großvater von Victoria Beckham.

    Dank dafür, dass Sie mich zum „Kruschteln“ in meinen Fotoalben angeregt haben.

    • Lieber Herr Müller, danke für das Feedback und das Bild. Ursprünglich dachte ich daran, eine Aufnahme der Gedenktafel aus den Tiefen des Internets als Beitragsbild zu verwenden.

      Mir haben die Schule (Effi Briest) und die Lektüre weiterer seiner „Berliner“ Romane Fontane über lange Jahre hinweg vergrault. Erst mit seinen Gedichten fand ich wieder etwas Bezug zu diesem Schriftsteller. Ich kam aber nie dazu, um seine Wanderungen zu lesen, die mir wohl besser gefallen hätten.

      Heute wären für mich wohl seine 67 Notizbücher interessant, insbesondere dahingehend zu erfahren, wie er tatsächlich als Demokrat und Mensch tickte.