Europäische Werte sind nicht verhandelbar

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Foto: Nahaufnahme einer Euro-Note | © Pixabay

Ein klug abgefasster Bericht oder Kommentar bewirkt vor allem eines: Er gibt Denkanstöße und macht neugierig, weitere Hintergründe und Zusammenhänge zum angesprochenen Thema zu erfahren. Ein solcher Bericht über Aussagen von Christian Moos, dem Generalsekretär der EUROPA-UNION Deutschland, wurde vor kurzem auf der Website der EUROPA-UNION Heilbronn veröffentlicht („Europa ist mehr als die Europäische Union – 30.6.20: https://www.europa-union.de/ueber-uns/m … sche-union).

Moos spricht die autoritären Entwicklungen in einer Reihe von EU-Mitgliedstaaten an: Die Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit durch Maßnahmen zur Kontrolle der Justiz, die Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit, die mehr oder weniger offene Behinderung regierungskritischer Parteien und Organisationen, obwohl sie auf dem Boden der jeweiligen Landesverfassung stehen, die Angriffe auf Minderheiten in der jeweiligen Gesellschaft. Ein probates Mittel der Kontrolle ist auch, Regierungstreue durch öffentliche Aufträge oder durch Zuleitung von EU-Subventionen zu belohnen. Solche Praktiken bewegen sich am Rande einer Grenzlinie, die immer wieder überschritten wird und zur Verletzung der im EU-Vertrag niedergelegten Werte führt. Christian Moos mahnt daher zurecht: „Diejenigen, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, eine unabhängige Justiz und eine freie Presse und vor allem anderen die Menschenwürde und die allgemeinen Grundrecht hochhalten, dürfen keine faulen Kompromisse mit den semi-autoritären Regierungen machen, von denen es leider schon zu viele im Rat der Europäischen Union gibt.“

Moos schreibt nicht, an welche EU-Mitgliedstaaten er dabei denkt. Man kann davon ausgehen, es sind die „üblichen Verdächtigen“, nicht zuletzt Polen und Ungarn. Polen ist der Hauptempfänger von Geldern aus Brüssel. Diese Gelder sind zwar willkommen, paradox ist aber, dass gleichzeitig mit anti-europäischer Stimmungsmache Wahlen zu gewinnen sind.

Der EuGH hat in letzter Zeit mehrmals festgeschrieben, dass manches Regierungshandeln in Osteuropa dem EU-Recht zuwiderläuft. Das höchste europäische Gericht hat der national-konservativen Regierung in Warschau mehrmals attestiert, dass die dortige Justizreform dem EU-Recht zuwiderläuft. Am 8.4.2020 wurde durch einstweilige Verfügung die Aussetzung des Gesetzes zur Disziplinierung von Richtern angeordnet. Allerdings kann man nach dem Ergebnis der Präsidentenwahl vom 12.7. hoffnungsvoll zitieren: „Noch ist Polen nicht verloren!“ Nur mit hauchdünner Mehrheit wurde der Mann wiedergewählt, dessen Unterschrift unter einer Reihe von Gesetzen steht, die der EuGH beanstandet hat. Der in einer Stiftung für Bürgerrechte engagierte Anwalt Marcin Matczak setzt seine Hoffnungen in die Frauen und die junge Generation zwischen 18 und 29 Jahren. „Vielleicht geht es in drei Jahren bei der Parlamentswahl schon anders aus“ (zitiert aus der Süddeutschen Zeitung vom 14.7.20: „Dudas Sieg spiegelt die Zerrissenheit Polens wider“).

Von größerer Tragweite als das zitierte Polen-Urteil ist m.E. die EuGH-Entscheidung vom 2.4.2020 mit der festgestellt wurde, dass Polen, Ungarn und Tschechien EU-Recht gebrochen haben als sie sich weigerten, einen 2015 mehrheitlich gefassten Beschluss der EU-Innenminister umzusetzen und Asylbewerber aus Griechenland und Italien zu übernehmen. Ungarn und Polen übernahmen keinen einzigen Flüchtling, Tschechien übernahm 12 Personen. Durch diese Weigerung wurde nicht nur EU-Recht gebrochen sondern auch mit der Solidarität unter den EU-Mitgliedstaaten ein böses Spiel getrieben. Deprimierend, ja geradezu unanständig waren die geringschätzigen Reaktionen auf die Feststellungen des EuGH aus den drei Hauptstädten. Geradezu unanständig deshalb, weil ein rechtsgültig zustande gekommener Beschluss in den Wind geschlagen wurde, während alle drei verurteilten Länder wesentliche Empfänger von EU-Geldern waren und sind. Die verantwortlichen Politiker wissen, dass sie damit am Rande einer feinen Grenzlinie operieren und ihr Spiel mit der EU und den Netto-Beitragszahlern gewiss nicht endlos laufen kann. Vielleicht ist gerade deshalb ihre aktuelle Marschrichtung: EU-Bashing und Geld abholen so lange es geht. Interessant wäre zu erfahren, ob die Wählerinnen und Wähler in den drei Ländern das zwiespältige Tun ihrer Regierungen voll durchschauen und die Folgen für das Ansehen ihres Landes in anderen EU-Mitgliedstaaten abschätzen können.  

Noch einmal sei Christian Moos zitiert: „Eine Europäische Union, in der es nicht mehr darauf ankommt, wie ihre Mitglieder verfasst sind, hat nichts mit unserer Vorstellung von Europa zu tun. Eine solche EU hat keine Zukunft.“ Deshalb spricht sich Moos dafür aus, dass alle EU-Fördermittel an die Bedingung geknüpft werden, dass die Empfänger keine gravierenden Probleme mit ihrer demokratischen oder rechtsstaatlichen Verfasstheit haben. „Dies muss auch für künftige Zuschüsse und Darlehen aus dem Wiederaufbauprogramm gelten.“ Der Generalsekretär der EUROPA-UNION Deutschland steht mit dieser Auffassung gewiss nicht allein: Die EU ist mehr als ein Binnenmarkt und muss mehr sein als eine Wirtschaftsgemeinschaft.

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