Hat die EU noch eine Zukunft?

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Beitragsfoto: Europarat | © Leonid Andronov, Shutterstock

Gerade im derzeitigen Wahlkampf zum nächsten Bundestag werden von allen ernstzunehmenden Parteien gebetsmühlenartig deren Bekenntnisse zur Europäischen Union vorgetragen. Unisono verkünden die Kandidaten, dass die Zukunft Deutschlands in der EU läge.

Nach gut 70 Jahren könnte man sich dabei durchaus fragen, was diese Parteien bisher überhaupt für ein gemeinsames Europa getan haben? Außer reinen Lippenbekenntnissen muss man in der Realität auch Deutschland eine fehlende Solidarität mit den anderen Mitgliedstaaten und dem Rest der Welt attestieren. Dabei muss man schon gar nicht mehr über völlig unnötige und unwirksame Grenzschließungen und weitere gegen EU-Recht verstoßende nationale Handlungen und Agenden sprechen. Auch für Deutschland gilt, und vielleicht sogar mehr noch als bei den anderen Ländern, dass die EU nur ein Vehikel ist, um die eigene nationale Souveränität noch erhalten und, wenn möglich, Vorteile aus einem gemeinsamen Markt schöpfen zu können.

Außer vielleicht mit der Ausnahme Luxemburgs, muss man allen anderen „Nationen“ attestieren, dass diese entweder die Europäischen Werte mit ganzem Herzen und aus tiefster Überzeugung heraus ablehnen oder, alleine der eigenen Geschichte geschuldet, diese Werte nur noch heucheln — wir Deutschen sind bei Letzterem wieder einmal Weltmeister und mächtig stolz darauf!

Selbst die EU-Organe sehen die Europäische Union nur noch als Papiertiger und versuchen — ganz menschlich und durchaus verständlich — dabei ihre eigenen Arbeitsplätze so lange wie möglich zu erhalten. Beispielgebend ist das Europäische Parlament, das man immer öfters als Versammlung von Claqueuren bezeichnen kann, die sämtlichen Entscheidungen des Europäischen Rats ein hübsches demokratisches Mäntelchen umhängt.

Einig sind sich alle EU-Protagonisten darin, dass die jeweiligen Nationalstaaten das Nonplusultra und die Zusammenkünfte des Europäischen Rats die Reichstage unseres gemeinsamen Europas sind; damit attestieren sie sich aber nur, dass sie selbst noch fest im 20. Jahrhundert verankert sind und, wenn überhaupt, zu einer einzigen Bewegung fähig, nämlich zurück ins gute alte Biedermeier.

Nach gut 70 Jahren müssen wir Europa attestieren, dass Europa weder eine Wertegemeinschaft noch eine Rechtsgemeinschaft ist, dass wir Europäer uns weiterhin fest in Nationalstaaten verankert sehen — auch wenn manche von diesen selbst nicht einmal mehr als Lachnummer dienen, höchstens noch für europäische Operetten (z. B. EU-Gipfel) gut sind und nur noch deshalb existieren, weil sie von den anderen Mitgliedstaaten, aus nach all den Jahrzehnten nicht mehr nachvollziehbaren Gründen, mitgeschleppt werden.

Die Welt außerhalb Europas hat sich aber weitergedreht, China, die USA und auch Indien versuchen gerade ganz aktuell, die politische Welt neu aufzustellen und zukunftsfähig zu machen. Weitere Länder außerhalb Europas versuchen alles, um nicht den Anschluss zu verlieren.

Wir in Europa beschäftigen uns derweil mit den Befindlichkeiten von Operettenkönigen, z. B. aus Budapest oder Brüssel, und thematisieren Dinge, die zwar in einer heilen Welt durchaus die eine oder andere Diskussion wert wären, in der aktuellen Weltlage, z. B. mit Themen wie Klimawandel, Pandemie, Ressourcenmangel, Umweltverschmutzung, Migration, Überalterung der Bevölkerungen, Niedergang der Demokratien und Werteverfall, allerhöchstens aber von zweitrangiger Dringlichkeit sind.

Europäische Reaktionen auf die Herausforderungen unserer Welt, wie eine Konferenz zur Zukunft Europas oder Klatschen für die Weltgesundheit, sind dabei wenig zielführend und lassen erkennen, dass sich Europa langsam aber sicher nur noch um sich selbst dreht und zum Problem für uns alle — nicht nur für uns Europäer — mutiert.

Was wir dringend bräuchten, wäre eine gemeinsame europäische Strategie von jenen Ländern, die die Zukunft Europas in einem föderalen Bundesstaat sehen und willens sind, diese Strategie auch schnellstmöglich zu operationalisieren.

Dem Rest Europas wie auch der übrigen Welt könnte man eine wirtschaftliche Zusammenarbeit anbieten, und mit weiteren demokratischen Ländern eine tiefergehende und grundlegendere Zusammenarbeit eingehen.

Joe Biden, selbst mit eigenen internen Herausforderungen belastet, hat dies erkannt und versucht, den Europäern nachhaltige (Welt-) Politik schmackhaft zu machen und sie dazu eingeladen, gemeinsam mit den USA Verantwortung für die Welt zu übernehmen.

Bisher hatte dies nur zur Reaktion, dass man in Europa prüft, ob man sich nicht weiterhin und nun zusammen mit der Russischen Föderation aus der Verantwortung stehlen kann.

Solange die in Europa Verantwortlichen allesamt nach dem Motto „Après nous le déluge“ leben und agieren, sowie als Idee für Europa bestenfalls an die gescheiterten Großmachtträumereien von Napoleon bis Hitler anknüpfen, wird die EU keine Zukunft mehr haben, sondern sich, wie bereits das Heilige Römische Reich zuvor, langsam aber sicher in Wohlgefallen auflösen.

„In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“

Egon Bahr, Rhein-Neckar-Zeitung (4.12.2013)

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