Non, je ne regrette rien

4.8
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Beitragsfoto: Bank | © Wendy CORNIQUET auf Pixabay 

In den 1990er-Jahren waren französische Truppenübungsplätze für uns Soldaten eine ganz neue Spielwiese, die zudem Möglichkeiten und Herausforderungen boten, welche es so auf deutschen Truppenübungsplätzen kaum noch gab. Bei einem solchen Truppenübungsplatzaufenthalt, die gerne mehr als die doppelte, sonst bei uns übliche Zeit dauern konnten, traf ich einen französischen Kameraden, den ich bei einem gemeinsamen Lehrgang kennenlernen durfte und mit dem ich seitdem freundschaftlich verbunden war. Als er mich fragte, ob man hier nicht einmal Gelegenheit fände, um gemeinsam ein Bier zu trinken, konnte ich ihm erfreut berichten, dass unsere Brigade vor Ort bereits einen guten Cercle Mixte eingerichtet hatte. Er bestand aber auf sein Heimrecht und holte mich eines Abends zu einem Spaziergang ab. Dieser führte uns aus dem Lager heraus querfeldein über den Platz, bis wir zu einem sehr kleinen, bereits in Dunkelheit gehüllten Straßendorf gelangten. Dort gab es zwei Kneipen, die erste offensichtlich mit französischen Kameraden gefüllt, welche ebenfalls gute Ortskenntnisse hatten, und eine kleinere am anderen Ende des Dorfes, die der Dorfjugend als Rückzugsgebiet diente.

Dort ließen wir uns an einem kleinen Tisch in der Ecke nieder und tranken unser Bier. Hinter der Theke stand eine etwas ältere Dame und eine jüngere kümmerte sich um den Service. Die Jugend war mit sich selbst beschäftigt und eine alte Wurlitzer Jukebox stand einsam und verlassen in der Ecke.

Irgendwie kam ich auf die Idee, meinem Kameraden zeigen zu müssen, wie man den gesamten Abend über Musik hören könne, ohne selbst dafür zahlen zu müssen. Er händigte mir ein paar Franc aus und ich wählte damit mehrfach ein und dieselbe Single — Edith Piaf passte so gar nicht ins Sortiment und würde meiner Überzeugung nach die Dorfjugend dazu animieren, die Jukebox am Weiterdrehen zu halten.

Meine Idee schien aufzugehen, ein paar Mädchen guckten bereits danach, neue Lieder aussuchen zu können, als die Wirtin hinterm Tresen hervorkam und ihre Gäste dazu bewog, für heute den Abend zu beenden. Dann kam sie zu uns, und ich verstand halbwegs, dass ihr verstorbener Vater oder Mann in Algerien kämpfte, aber ganz sicher, dass wir so lange bleiben dürften wie wir wollten, das Bier selber fänden, die Getränke aufs Haus gingen und wir beim Gehen nur die Tür hinter uns zuziehen müssten.

Den restlichen Abend über erhielt ich von meinem Kameraden die Geschichte des Algerienkriegs bis ins kleinste Detail geschildert, und irgendwie fanden wir in den frühen Morgenstunden auch wieder ins Lager zurück.

Am nächsten Morgen befand sich der Liedtext auf einer Serviette in meiner Hosentasche.

Non! Rien de rien …
Non! Je ne regrette rien
Ni le bien qu’on m’a fait
Ni le mal tout ça m’est bien égal!
Non! Rien de rien …
Non! Je ne regrette rien …
C’est payé, balayé, oublié
Je me fous du passé!
Avec mes souvenirs
J’ai allumé le feu
Mes chagrins, mes plaisirs
Je n’ai plus besoin d’eux!
Balayés les amours
Avec leurs trémolos
Balayés pour toujours
Je repars à zéro …
Non! Rien de rien …
Non! Je ne regrette rien …
Ni le bien, qu’on m’a fait
Ni le mal, tout ça m’est bien égal!
Non! Rien de rien …
Non! Je ne regrette rien …
Car ma vie, car mes joies
Aujourd’hui, ça commence avec toi!

Michel Vaucaire und Charles Dumont boten Edith Piaf 1960 dieses Lied an, und sie machte es über Nacht zu einem unvergesslichen Schlager.

Bei einem anderen Truppenübungsplatzaufenthalt führte mich einer meiner Mitarbeiter, der mich bereits zuvor über die Route Napoléon zum Übungsort gefahren hatte, eine Küstenstraße hinunter ans Mittelmeer. Dort suchten wir ein Café direkt am Strand auf, genossen Sonne und Bier, als sich plötzlich ein Herr zwischen uns und die Sonne schob, genau mich adressierend, nicht nur die Bundeswehr übel beschimpfte, sondern mir ganz persönlich die Pest, Cholera sowie die Staatsanwaltschaft an den Hals wünschte. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus und überlegte mir gerade, ob der Herr der Volksgruppe der Vandalen oder der der Oberlehrer angehöre, als sich mein Mitarbeiter einmischte: „No, no Monsieur! Sie verstehen das völlig falsch. Dieses Mal ward ihr Deutschen so schnell, selbst die Nachrichten konnten es noch nicht bringen. … Übrigens, ich bin sein Kriegsgefangener.”

Die Situation war gerettet, und wir fuhren später dann zusammen mit Edith Piaf und Gilbert Bécaud zurück ins Lager.

La vie en rose aus dem Jahr 1945

„Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort, und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort.“

Joseph von Eichendorff, Wünschelrute (1841)

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