reMarkable

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Beitragsfoto: Detlef Sterns reMarkable

Seit mehr als 15 Jahren gibt es sie, seit etwas mehr als 10 Jahren werden sie von vielen genutzt: E-Book-Reader. Auf Basis von elektronischem Papier können damit viele Inhalte gelesen werden, ohne dass diese zu sehr ins Gewicht fallen. Auf diesen Geräten finden locker hunderte Bücher in Form von Dateien Platz, was nicht nur für die Urlaubszeit genutzt wird. Der Akku hält meist Wochen durch, was bei Smart Phone und Smart Watch fast schon utopisch ist. Für eine große Gattung an Texten sind E-Book-Reader ein recht bequemes Gerät. Natürlich hat alles seinen Preis. Der Begriff elektronisches Papier signalisiert, dass es auch andere Geräte geben könnte.

Von Papier wird nicht nur gelesen. Manche nutzen es auch zum Schreiben. Tatsächlich ist das Schreiben eine der besonderen Kulturtechniken, mit der das eigene Denken gefördert wird. Zugleich bedeutet Schreiben die Kommunikation von Gedanken, Ideen, Erkenntnissen. Etwas, das mit der täglichen Social-Media-Routine droht verloren zu gehen. Die Segnungen, manchmal auch die Wirrungen, des Fortschritts wären ohne Schreiben, ohne funktionierendes gesellschaftliches Gedächtnis, nicht möglich.

Schreiben ist wichtig.

Zugleich wird vieles erst durch Digitalisierung zugänglich. Da stellt sich die Frage, wie eigene Notizen, Kritzeleien, Skizzen, Texte erst einmal einem selbst und später ggf. auch anderen zugänglich gemacht werden können.

Bei reinen Texten scheint es noch einfach. Dafür gibt es Computer, Tastaturen und Texteingabesoftware. Manche nutzen dafür eine eigene Formatierungssprache, andere verlassen sich auf ein Textverarbeitungsprogramm. Doch so einfach ist es nicht. Eine Tastatur mag geeignet sein, um reine Fließtexte herunterzuschreiben, Es geht dort nur vorwärts, weniger zurück, und kaum diagonal oder gar kreisförmig. Nein, eine Tastatur ist kein Ersatz für Papier, wenn es auf das Denken ankommt.

Es gibt eine Vielzahl an Produkten, welche die Bewegungen des Stifts auf einem Papier digital erfassen und daraus das Geschriebene, Gemalte, Gekritzelte rekonstruieren. Für gute Ergebnisse ist der Aufwand erheblich. Mal benötigt man spezielles Papier. Natürlich nicht ganz billig. Von irgendwas muss der Hersteller leben. Mal muss man alles speziell ausrichten. Wer dann immer einen genügend großen Tisch zur Verfügung hat, genügend Zeit fürs Einrichten, der hat wohl auch genügend Muße, um sich von dem ganzen Gedöns nicht ablenken zu lassen. Ich nicht.

Man könnte auch einen Scanner nutzen, ggf. sogar das Smart Phone, um das zu Papier Gebrachte einzulesen. Manche kommen damit gut klar. Ich nicht. Da fliegen zu viele Textfotodateien, Textscandateien herum, die man erst mal organisieren muss. Und ich muss Papier, Bleistift, Radiergummi, Lineal und wer weiß was noch mitnehmen.

Ein Tablet! Das universelle Allzweckwerkzeug des modernen Menschen. Für alles gibt es eine App, viele Tablets bieten eine Stifteingabe. Damit ist das Tablet mehr als eine Internetfernbedienung. Das wäre es doch, oder?

Leider nicht. Tablets sind optimiert, damit darauf herumgewischt werden kann. Das kann jedes Baby, wörtlich gemeint. Mehr Qualifikation ist nicht nötig. Schreiben ist mehr als Wischen. Die Stifte von Tablets rutschen gerne auch der Oberfläche herum. Im Hintergrund warten zudem jede Menge andere Anwendungen darauf, den Nutzer mit vermeintlich wichtigen Nachrichten zu informieren. Und zur Not lenke ich mich selbst ab, indem ich mal eben etwas nachsehe, anstatt selbst zu denken. Und der Akku ist auch immer wieder leer.

Was ich (und viele andere) benötigen, ist das Pendant eines E-Book-Readers: ein E-Writer.

Ein E-Writer nutzt ebenfalls elektronisches Papier, so dass der Akku erst nach Wochen nachgeladen werden muss. Die Schreiboberfläche ist minimal leicht angeraut, so dass es sich (fast) anfühlt, als schreibe man auf Papier. Leuchtet normales Papier? Genau, ein E-Writer muss keine Hintergrundbeleuchtung haben, höchstens eine ganz dezente. Erscheinen auf dem Papier unmotiviert irgendwelche Post-its? Genau, ein E-Writer unterbricht nicht, hat keine nervenden Hintergrund-Apps. Soweit das haptisch praktische.

Aktuell gibt es zwei Geräte, die all dies (und noch einiges mehr) leisten.

Etwa seit dem Jahreswechsel 2022/2023 gibt es den Kindle Scribe von Amazon. Ein E-Book-Reader, mit dem man auch schreiben kann. Fokus ist das Lesen. Man schreibt, um sich Notizen zum gerade gelesenen Inhalt zu machen. Amazon hat die eine oder andere fehlende Funktionalität nachgeliefert und wird das mutmaßlich weiter tun.

Anfang 2023 wurde von Lenovo ein Gerät mit Namen Smart Paper angekündigt. Dabei ist es bisher geblieben. Auch von anderen Herstellern gibt es Android-basierte Tablets mit elektronischem Papier. Diese können eher zu viel und das nicht richtig. Es sind keine E-Writer im obigen Sinn.

Seit 2020 gibt es die zweite Version des reMarkable. Die erste Version, entstanden via Crowdfunding, war mir etwas schwachbrüstig. Die Zeitläufte im Frühjahr 2020 waren für mich Grund genug, das Gerät nach der Ankündigung vorzubestellen. Geliefert wurde es einige Monate später. Grund: die Zeitläufte.

Natürlich ist das Gerät purer Luxus. Grob 400 Euro für etwas, dass zunächst nicht zu viel mehr kann als ein Stapel Papier, das ist nicht ohne. Für das Geld lassen sich locker 30.000 Blatt Papier kaufen. Dank meiner relativ privilegierten Situation entschied ich mich für das Experiment. Es geht ja nicht nur um Quantität.

Auf einer technischen Ebene ist das reMarkable ein Linux-basierter Computer, mit WLAN, Display und Stifteingabe. Über eine USB-C-Schnittstelle kann man eine IP-Verbindung mit dem Gerät aufbauen und sich in diesen Computer einloggen. Dann steht einem die ganze Linux-Welt offen. Selbst den Zettelstore habe ich dort zum Laufen bekommen. Wer ein wenig recherchiert, findet viele Erweiterungen, bis hin zu einer neuen Oberfläche. Genug mit technischen Details.

Wie schreibt es sich? Wunderbar. Der Stift besitzt austauschbare Spitzen, die über das leicht raue Display reiben und sich wohl im Laufe der Zeit abnutzen sollen. Bisher musste ich noch keine Spitze tauschen. Das liegt aber auch daran, dass ich alternative Stifte verwende. Mir gefällt besonders der Staedtler Noris digital jumbo, der gut in meiner Hand liegt. Dieser haftet zwar nicht magnetisch wie der Originalstift, macht aber nichts. Das magnetische Haften ist sowieso nur ein Gimmick.

Seither ist mein Papierbedarf drastisch gesunken.

Es geht aber nicht nur um quantitatives, wie Anzahl der virtuellen Stifte, deren virtuellen Stärke, Farbe, der Anzahl nützlicher Templates, und so weiter. In der Praxis nutze ich nur wenige dieser Varianten. Das gilt auch für die graphischen Ebenen, die wohl eher für Personen relevant sind, die damit intensiv zeichnen wollen und können. Hilfreich, wenn man es hat, aber nicht entscheidend. Das gilt für auch für die Synchronisation von Inhalten mit Google Drive, bzw. Dropbox. Ich nutze die Synchronisation mit Hilfe der Herstellerdienste. Für Windows, macOS, iPadOS, Android gibt es Client-Software, welche die Inhalte darstellen kann. So habe ich alle Inhalte in vielen Situationen parat.

In Zeiten der Digitalisierung gilt es immer wieder, PDF-Formulare auszufüllen. Leider haben nicht alle genügend Fähigkeiten, solche PDF-Dateien geeignet zu erstellen. Mal lässt sich so ein PDF-Formular nur per Windows / Adobe-Software ausfüllen, mal nur unter macOS. Mal lässt sich ein Eingabefeld nicht ausfüllen, mal würde man gerne eine Graphik einfügen. Das Web-0.8-Ländle ist überall. Da hilft der reMarkable: PDF über die Client-Software mit dem reMarkable synchronisieren, dort alles mit dem Stift ausfüllen und zurück synchronisieren. Fertig.

Den eigentlichen Vorteil des reMarkable gegenüber Papier habe ich erst nach einiger Zeit zu schätzen gelernt. Ganz banal: man kann Texte nicht nur löschen, sondern auch (Trommelwirbel) verschieben. Einfach einen Bereich auswählen und schon kann dieser auf dem virtuellen Papier verschoben werden, ggf. auch in andere Dokumente. Das hilft bei Layoutfragen, Umformulierungen, nach dem Löschen von Texten, you name it. Mit echtem Papier bräuchte es eine Schere und viel Klebstoff. So kann ich zum Beispiel nach dem Mitschreiben in Ruhe den Text / Inhalt in die angemessene Reihenfolge für ein Besprechungsprotokoll bringen. Als PDF exportieren, fertig. So entstehen auch meine Mitschriebe der diversen Zettelkastenrunden, die ich kurz nach Ende der Runde in die Welt tweete bzw. tröte. Dann natürlich als PNG exportiert.

Während beim Kindle Scribe das Lesen im Fokus steht, ist es beim reMarkable das Schreiben. Sprich, man kann damit auch Texte lesen und annotieren. Das funktioniert leidlich gut, liegt aber auch an der Größe / Kleinheit des reMarkable. Eine DIN-A4-Seite passt dort nur verkleinert hinein, wie übrigens bei so gut wie jedem Gerät mit elektronischen Papier. Man kann zwar mit Fingergesten in den Text hineinzoomen, aber das funktioniert bei Tablets besser.

Während sich seitens des Herstellers in den Jahren 2021 und 2022 eher wenig tat, es eher immer wieder kleine Verbesserungen gab, hat sich dies mit dem Erscheinen des Kindle Scribe geändert. Viele Funktionen werden in vielen Details verbessert. So ist nun die Papiergröße nicht mehr auf die Größe des reMarkable beschränkt. Die Texterkennung funktioniert nicht nur per Mail, vielmehr kann der Text auf einer separaten Seite angelegt werden. Man kann das Schreiben live an andere übertragen, was z. B. in virtuellen Schulungen nützlich sein kann. Die Client-Software auf mobilen Geräten erlaubt es nun, Text (d. h. kleine Notizen) ohne den reMarkable zu erstellen. Mit der herstellerseitigen Synchronisation können nun die Inhalte auch per Webbrowser abgerufen werden. Wer mag, der kann sogar nun eine Tastatur an den reMarkable anklipsen. Ein gutes Beispiel dafür, das Konkurrenz das Geschäft belebt.

Ich habe den reMarkable auch deshalb gewählt, weil er sich ganz ohne Dienste des Herstellers betreiben lassen kann. Ein Kindle ohne Amazon ist wie ein Tolino ohne der von den Buchhändler betriebenen Cloud. Man ist auf externe Software wie Calibre angewiesen. Wie schon oben beschrieben: man kann den reMarkable über die USB-C-Schnittstelle mit einem Computer verbinden. Nun kann man vom einem Webbrowser aus die IP-Adresse des reMarkable angeben und der gesamte Inhalt lässt sich rein lokal synchronisieren. Würde mich nicht wundern, wenn das nicht schon jemand automatisiert und das als Open-Source-Software freigegeben hat.

Zusammenfassung

Mir hilft der reMarkable. Ja, zuerst sieht es so aus, als sei es ein reines Luxusgerät. Das ist es wohl auch in Teilen. So wie ein Smart Phone für 800 Euro ebenfalls Luxus ist. Tatsächlich ist die Nutzung sehr intuitiv. Viele meiner interessanteren Gedanken konnte ich mit dem Gerät signifikant vertiefen. Ungestört von irgendwelchen Apps, die zunächst im Hintergrund um meine Aufmerksamkeit buhlen. Eine Notiz hier, ein Fragment da. Und alles lässt sich im Nachgang zu einem Dokument zusammenfügen. Ade Schere, Klebe, Kopiergerät, Tesafilm, Post-its. Dank sinnvoller Synchronisation sind die Inhalte auch dann verfügbar, wenn ich den reMarkable nicht dabei habe. Im positiven Sinne: Schreiben pur.

Wer schreibt, der bleibt.


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