Späte Erkenntnis

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Beitragsfoto: Kaffee & Bananensplit

Obwohl allgemein bekannt und auch sehr gerne zitiert, ist der 283ste Aphorismus Friedrich Nietzsches offensichtlich für die Mehrheit von uns schwer verständlich.

Liegt dies an unserem Naturell oder ist es nur der Tatsache geschuldet, dass wir alle längst nicht mehr wissen, was wir mit uns und unserer eigentlich sehr begrenzten Zeit anfangen sollen?

„Hauptmangel der tätigen Menschen. — Den Tätigen fehlt gewöhnlich die höhere Tätigkeit: ich meine die individuelle. Sie sind als Beamte, Kaufleute, Gelehrte, das heisst als Gattungswesen tätig, aber nicht als ganz bestimmte einzelne und einzige Menschen; in dieser Hinsicht sind sie faul. — Es ist das Unglück der Tätigen, dass ihre Tätigkeit fast immer ein Wenig unvernünftig ist. Man darf zum Beispiel bei dem geldsammelnden Bankier nach dem Zweck seiner rastlosen Tätigkeit nicht fragen: sie ist unvernünftig. Die Tätigen rollen, wie der Stein rollt, gemäss der Dummheit der Mechanik. — Alle Menschen zerfallen, wie zu allen Zeiten so auch jetzt noch, in Sklaven und Freie; denn wer von seinem Tage nicht zwei Drittel für sich hat, ist ein Sklave, er sei übrigens wer er wolle: Staatsmann, Kaufmann, Beamter, Gelehrter.“

Friedrich Nitzsche, Menschliches, Allzumenschliches

Und sobald wir für uns ein wenig Zeit freischaufeln können, sitzen wir … – ich muss dies nicht wirklich weiter ausführen.

Das schöne aber an jeder Erkenntnis ist, dass diese lieber zu spät kommen sollte als überhaupt nicht. Und wer weiß, vielleicht fängt der eine oder andere jetzt etwas früher an, darüber einmal genauer nachzudenken.

Obwohl es bei uns sehr viele Zeitdiebe gibt, nehmen wir alleine nur die vielen Besprechungen oder „Meetings“, die wir in unserem Berufs-, Arbeitsleben und Ehrenämtern zu absolvieren haben und welche wir ohne Probleme mengenmäßig, zeitlich und inhaltlich allesamt auf ein vernünftiges Minimum reduzieren könnten, wird diese Problematik offensichtlich ganzheitlich verdrängt.

Dabei gilt doch ausdrücklich, dass Leistung der Quotient aus verrichteter Arbeit oder dafür aufgewendeter Energie und der dazu benötigten Zeit ist.

Gesellschaftlich anerkannt ist dabei, dass man die Leistung vollumfassend über die verwendete Zeit misst, ob benötigt oder auch nicht, und dafür Arbeit und Energie gerne auch gegen Null reduzieren kann.

Letztendlich ist aber nur unsere eigene Zeit die begrenzte Ressource, und wir sollten schon deshalb damit haushalten; auch auf die Gefahr hin, dass wir Zeitdiebe bloßstellen und Leistung wieder mehr über Arbeit und Energieaufwand definieren.

Wie bereits anfangs erwähnt, ist das wirkliche Problem dabei, dass wir uns bisher kaum Gedanken darüber gemacht haben, was wir mit der „neu gewonnenen“ Zeit überhaupt anfangen sollen.

„Frei zu sein“, liegt wohl doch nicht in unserem Naturell.


„I offer nothing more than simple facts, plain arguments, and common sense.“

Thomas Paine, Common Sense (1997 [1776]: 17)

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