Verloren gegangenes Urvertrauen

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Beitragsfoto: Hände | © Pixabay

Heute durften wir in der Heilbronner Stimme (20.01.2022: 2) lesen, dass Frank-Walter Steinmeier meint, einige Bürger unseres Landes würden „die Axt ans demokratische Urvertrauen legen“ und bezeichnet diese dann, aus seiner sehr engen und begrenzten parteipolitischen Perspektive heraus, als Extremisten. Schlimm dabei ist, dass es sich dabei um den amtierenden Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland handelt.

Herrscher und Beherrschte gibt es wohl schon von Anbeginn der Zeit, und so ist es auch nicht verwunderlich, dass letztere immer wieder einmal das „Beherrschtsein“ als Unterdrückung empfinden und dagegen aufbegehren. Ganz besonders dann, wenn sie die Hintergründe und Notwendigkeiten ihrer erzwungenen Unmündigkeit selber nicht erkennen können.

Und so haben sich über die Jahrtausende doch so einige Maßnahmen etabliert, wie man als Herrscher den Dampf aus dem Kessel nehmen kann. Dazu zählen u. a. die regelmäßigen Kriege aller Art und, noch viel perfider, die unzähligen Pogrome, Hexenverbrennungen und andere menschliche Scheußlichkeiten, die alleine dazu dienten, den jeweiligen Herrschern die Macht zu erhalten.

Eine weitere und wohl noch weit perfidere Maßnahme ist, die Beherrschten allesamt in ein völliges Abhängigkeitsverhältnis zu manövrieren und sie dann alleine damit zu beschäftigen, dass sie sich beständig aus der „Schuldenfalle“ befreien oder wieder einmal den Drogen entsagen möchten — Bürger, die sich immer um die eigene Existenz sorgen müssen, sind weder mündig noch mit einem ausreichenden Wissen ausgestattete Kritiker der bestehenden Verhältnisse. Auch können sie diese kaum höflich, oder sehr elaboriert und für andere überzeugend anprangern.

Dieses Gefühl der eigenen Unmündigkeit, gepaart mit dem Wissen, sich kaum daraus befreien zu können, und der fortwährenden Angst vor dem Verlust der eigenen Existenzgrundlage, führt unausweichlich zu Hass, der sich dann in staatlich gelenkten oder gar ganz spontanen Exzessen entlädt.

Die Bauernaufstände im 16. Jahrhundert oder die Bürgeraufstände im 19. Jahrhundert können als Versuche angesehen werden, bei denen sich die Beherrschten von ihren Herrschern befreien wollten — wie wir wissen, wurden alle diese Versuche jeweils durch bezahlte Söldnerheere der jeweiligen Herrscher sehr blutig und nachhaltig niedergeschlagen.

So kann man es als wahres Wunder bezeichnen, dass sich 1945 so langsam aber sicher in Europa die Demokratie — die Herrschaft des (gesamten) Volkes — durchgesetzt und damit nicht nur zumindest de jure den Unterschied zwischen Herrschern und Beherrschten aufgelöst, sondern sowohl den Mehrheitsentscheid als auch den Minderheitenschutz zu den maßgeblichen Gesichtspunkten menschlichen Zusammenlebens gemacht hat.

Fürwahr ein Erfolgsrezept, das wir in Deutschland so gerne als freiheitlich demokratische Grundordnung bezeichnen, und die durchaus ohne Wenn und Aber als die beste verfügbare Herrschaftsform gilt — solange sich die aktuell Verantwortlichen auch selber daran halten.

Deshalb ist es ganz besonders wichtig, dass die jeweiligen Volksvertreter beständig wechseln und sich keine festen Herrschaftsverhältnisse herausbilden! Jeder Bürger kann, soll und muss einmal in seinem Leben in die Rolle eines „Entscheiders“ — so wie sich jüngst viele unserer Abgeordneten gerne selbst nennen — treten, um auch einmal beide Seiten der Medaille kennen zu lernen. Deshalb haben auch basisdemokratische Modelle ihren berechtigten Charme, da diese den notwendigen Rollenwechsel sehr einfach gestalten.

Leider aber wurden auch unsere Demokratien von Anfang an von den altbekannten Gesellschaftsteilen unterminiert. George Orwell, ein Europäischer Föderalist der ersten Stunde, hat dies sehr schnell erkannt und für sich ganz persönlich die Konsequenz gezogen — er hat bereits 1945 den Glauben an die Europäische Idee und unsere Demokratie verloren; dabei entstanden zwei der besten Bücher überhaupt. Das erste heißt bei uns „Farm der Tiere“, und noch heute wird offiziell behauptet, dass es sich hierbei ganz alleine um eine Kritik des sowjetischen Gesellschaftssystem handele — dabei hatte er doch so wunderbar geschildert, wie man ganz grundsätzlich „die Axt ans demokratische Urvertrauen“ (Steinmeier) legt; spielt seine Geschichte gerade nicht in der Schule oder in einer x-beliebigen Firma oder Stadt.

Unser demokratisches Urvertrauen wird von einer neuen, inzwischen auch voll etablierten „Herrschaftsschicht“ zerstört, die man umgangssprachlich als „die Berufspolitik“ bezeichnet, gerade jene Mitbürger, die ausschließlich durch ihre Volksvertretungsfunktion ihren Lebensunterhalt, von frühester Jugend bis hin ins hohe Greisenalter, bestreiten und darüber hinaus kaum noch gesellschaftlich anerkannte Grundlagen oder gar Verdienste besitzen müssen — übrigens, gekaufte, geschenkte oder gar erschwindelte zählen dabei nicht.

Und da das „Urvertrauen“ in die Demokratie damit bereits grundlegend zerstört ist, wird es zunehmend zu weiteren und immer stärkeren Unmutsäußerungen kommen — ganz egal zu welchen Anlässen auch immer — wobei sich der aufgestaute Hass immer weiter ausbreitet und alle Gesellschaftsschichten infizieren wird.

Das derzeitige Unvermögen, in unserem Land für tragfähige und halbwegs nachvollziehbare Entscheidungen zu sorgen, die den Menschen Hoffnung geben können, dass sie nicht immer nur um ihre eigene Existenz fürchten oder gar kämpfen müssen, gepaart mit immer öfters bekannt werdenden Fakten, wie sich immer mehr unserer Volksvertreter — parteiübergreifend (!) — ohne jegliche Hemmungen und persönliche Konsequenzen selbst am Elend unseres Landes sowie uns Bürgern bereichern, führt nun dazu, dass die höchsten Volksvertreter nun völlig verbissen nach Sündenböcken suchen, die sie für diesen ganzen Schlamassel verantwortlich machen können.

Der Hass ist schon da, hoffentlich bleiben uns dieses Mal die Exzesse erspart!


„Das Vertrauen ist eine zarte Pflanze; ist es zerstört, so kommt es sobald nicht wieder.“

Otto von Bismarck, Über Königtum und Priestertum (10. März 1873)

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