Europäische Verteidigung

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Beitragsfoto: Flaggen der NATO und der EU | © Shutterstock

Seit Jahrzehnten beschäftige ich mich mit der europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik und habe mir dabei auch eine unbestrittene Expertise angeeignet. Seit Jahren nehme ich dazu — meistens auch sehr pointiert — Stellung und prangere dabei, leider absolut vergeblich, die Mängel und schwerwiegenden Fehlentwicklungen an, die bereits Mitte der 1980er Jahre die ersten fatalen Defizite zeigten. Bis heute — Dank der Mär der Friedensdividende — hat sich die Lage nur noch verschlimmert und dies inzwischen in (fast) allen europäischen Mitgliedstaaten der EU.

In den letzten Jahren konnte ich zwar innerhalb der EUROPA-UNION das eine oder andere Thesenpapier verfassen und auch bis auf unsere europäische Ebene als Verbandsbeschlüsse transportieren, nur um zusehen zu müssen, wie diese Beschlüsse immer wieder und entgegen unserer ureigenen Verbandsidee und -zweck von unseren Berufspolitikern „einkassiert“ und feinsäuberlich in Schubladen verstaut wurden. Inzwischen bin ich zu der Auffassung gelangt, dass Berufspolitiker alleine nur deshalb in den ehrenamtlichen Verbänden tätig sind, um unbequeme Fragen und Forderungen aus der Bürgerschaft aus dem Weg zu räumen.

Und so habe ich mich immer mehr aus der Diskussion zurückgezogen und nehme nur noch vereinzelt zu sicherheits- und verteidigungspolitischen Themen Stellung oder halte noch auf Anfrage entsprechende Vorträge, wie demnächst über „Rüstungspolitik versus Waffenhandel“.

Deshalb freut es mich heute umso mehr, dass es immer noch echte Experten gibt, die weiterhin die bestehenden Mängel anprangern und versuchen, sich in der großen Politik Gehör zu verschaffen. Und dies ist auch der Anlass dieses Beitrages, da heute Jean Marsia, der Vorsitzende der Europäischen Gesellschaft für Verteidigung, anlässlich des Krieges in der Ukraine, einen Brief an einige Regierungschefs geschrieben hat, von denen er glaubt, dass diese noch für Expertenrat empfänglich sind und nicht nur in ihren ureigenen Wolkenkuckucksheimen leben. Wladimir Putin sollte uns allen deutlich aufzeigen, was passiert, wenn Politiker anfangen, selber an ihre eigenen Lügengebäude zu glauben!

Ich stelle seinen Brief hier zur Lektüre zur Verfügung, auch wenn ich seine Feststellungen zur NATO selber nicht teile. Meines Erachtens ist Jean Marsia immer noch ein Gefangener seiner nationalen Herkunft und wertet entsprechend. Aber seine Aussagen zur EU sind unstrittig!

Ich werde in meinem eigenen Vortrag zur Rüstungspolitik näher darauf eingehen und erneut darstellen, dass wir weiterhin nur im NATO-Verbund in der Lage sein werden, um unsere Demokratien zu erhalten.

Interessanter Weise beginne ich mit meinem Vortrag dort, wo Oliver Durst seinen Vortrag zur Zukunft der europäischen Raumfahrt beendet hat.

Sehr geehrter Herr Präsident!

Die von Josip Borrell vorgeschlagene europäische schnelle Eingreiftruppe von 5.000 Soldaten könnte nichts gegen die Putins Armee ausrichten: Wenn es 27 Staaten sind, die befehlen, entscheiden oder koordinieren, wird diese Truppe keine Streitkraft sein.

Der chaotische Rückzug aus Afghanistan hat gezeigt, dass die NATO, d. h. die Vereinigten Staaten von Amerika (VSA), uns nicht schützen können. Letztere haben 1953 den Koreakrieg nicht gewonnen, 1975 den Vietnamkrieg verloren und wurden 1979 aus dem Iran vertrieben. Im Jahr 2003 zerstörten sie die Armee des Irak, doch heute sind dort die Verbündeten des Iran an der Macht. In der Levante war Russland im Kampf gegen den IS erfolgreicher als die VSA, die in der Sahelzone und in Zentralafrika kaum aktiv sind. Die VSA und die NATO haben es 20 Jahre lang nicht geschafft, Al-Qaida und die Taliban in Afghanistan zu besiegen. Europa hat im ehemaligen Jugoslawien und in der Sahelzone versagt.

Die 356 Milliarden US-Dollar, die die europäischen Staaten laut SIPRI 2019 für ihre Verteidigung ausgaben – die Hälfte des US-Verteidigungshaushalts – haben nur 5 bis 6 Prozent ihrer militärischen Kapazitäten hervorgebracht. Heute scheinen nur etwa 20.000 der 1.500.000 europäischen Soldaten einsatzbereit zu sein, aber unsere Munitionslager sind leer. Die europäischen Armeen setzen 178 Arten von Waffensystemen ein, die VSA 30. Sie haben ein Panzermodell, wir 19. Dasselbe gilt für gepanzerte Fahrzeuge, Flugzeuge und Schiffe. Die Interoperabilität in Europa ist eingeschränkt, was verleitet amerikanisch zu kaufen und das europäische Bruttoinlandsprodukt schmälert.

Bisher scheinen die 27 EU-Mitgliedstaaten nicht bereit zu sein, sich zu föderieren, obwohl eine europäische Verteidigung, die der Vereinigten Staaten von Europa (VSE), die Effizienz unserer Verteidigungsausgaben rasch steigern, die für unsere Sicherheit und Verteidigung notwendigen militärischen Fähigkeiten bereitstellen, die europäische Diplomatie glaubwürdig machen und jährlich 50 Mrd. € für Umrüstung und Forschung und Entwicklung bereitstellen würde. Die VSE würden den Markt für Verteidigungsgüter und -dienstleistungen vereinheitlichen und eine innovative Industriepolitik im Verteidigungsbereich verfolgen. Die Größenvorteile in der industriellen und technologischen Verteidigungsbasis wären erheblich; sie würden die Erneuerung von Ausrüstung billiger machen.

Angesichts der Lage in der Ukraine und im weiteren Sinne an den Ost- und Südgrenzen Europas schlage ich vor, dass Sie zusammen mit einigen der “Bucharest Nine” einen ersten, ausbaufähigen Kern eines föderalen Europas bilden, um das demokratische Europa zu schützen und seinen Niedergang aufzuhalten, indem Sie eine verfassungsgebende Versammlung einberufen und eine föderale Verfassung verabschieden. Diese würde den VSE-Mitgliedstaaten einen Teil der Außenbeziehungen, der Sicherheit und der Verteidigung übertragen. Dann würde der Gründungskern erweitert werden, wie es bei der Schengen- und €-Zone geschehen ist.

Die internationale gemeinnützige Vereinigung nach belgischem Recht „Europäische Gesellschaft für Verteidigung“ (S€D), deren Vorsitzender ich bin, vereint europäische Bürger und Persönlichkeiten (siehe Seite https://www.seurod.eu/comite_d_honneur.html), die nicht zögern, ihre Zeit und ihre Mittel zur Verfügung zu stellen, um das politische Europa und das Europa der Verteidigung wiederzubeleben. Mein Lebenslauf finden Sie auf der Seite https://www.seurod.eu/files/cv_jean_marsia_2021_04_13.pdf

Ich bin gerne bereit, nach Bukarest zu reisen, um Ihnen weitere Informationen zu geben.

Seien Sie, Herr Präsident, meiner vorzüglichen Hochachtung versichert.

Jean Marsia
Vorsitzender S€D


„The world is arming itself to the teeth. That is the conclusion of a new report published on April 29th by the Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), a think-tank. Global military spending last year rose to $1.8trn, says SIPRI — the highest level in real terms since reliable records began in 1988, during the cold war, and 76% higher than in 1998, when the world was enjoying its ‘peace dividend’.“

The economist, Military spending around the world is booming (28.04.2019)

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