Genuss

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Beitragsfoto: Grüntee | © Pixabay

Joan Westenberg hat mich mit ihrem heutigen Rundschreiben „Don’t Become a Connoisseur.“ angestoßen, um einmal über meine eigenen kleinen Leidenschaften nachzudenken.

„You spend enormous amounts of time and mental energy developing your discernment; you read, you practice, you compare, you discuss. This is time you could have spent doing almost anything else, including simply enjoying the thing you’re trying to become expert at.“

Joan Westenberg, 8.12.2025

Und im Folgenden kann man ihr wohl kaum widersprechen.

„Refined taste is a form of social currency. When you can discourse knowledgeably about single-origin chocolate or Japanese denim, you’re signaling membership in a particular, educated, cultured, upper-middle-class tribe. You’re demonstrating that you have the leisure time to develop these refined preferences, the disposable income to indulge them, and the social connections to learn the right vocabulary and opinions.

Connoisseur-ship is, basically, a very elaborate and expensive form of peacocking.“

Joan Westenberg, 8.12.2025

Aber ihre Schlussfolgerung, es doch besser gleich mit den kleinen Leidenschaften sein zu lassen, ist dann doch ein wenig zu impulsiv. Ich bin davon überzeugt, dass man als Mensch durchaus in mehreren Welten zuhause sein kann.

Meine Tee- und Kaffeeleidenschaften waren selten übertrieben teuer und ich gehe einmal davon aus, dass ein regelmäßiger Starbucks-Besucher mehr Geld für Plörre verschwendet, als ich für selten zu kaufende Tee- oder Kaffeesorten. Was mich aber nicht daran hindert, um mir für die Fahrt den Kaffee bei McDonald’s zu holen. Obwohl ich inzwischen einen ganz speziellen Mokka bevorzuge, trinke ich weiterhin die in den lokalen Cafés angebotenen Kaffeekreationen — allerdings lasse ich dabei die sicherlich gut gemeinten Garnierungen weg.

Ich muss aber zugeben, dass manche Leidenschaften völlig aus dem Ruder laufen können. Meine Leidenschaft für Spirituosen (ursprünglich dadurch motiviert, weil halt- und damit sammelbar) dürfte ganz gut zu Joan Westenbergs Überlegungen passen.

Wahrscheinlich als ein Resultat meiner Einsatzzeiten hat sich meine mir angeborene Sammelleidenschaft mit meiner Leidenschaft für Whisky zusammengefunden und ist dabei über die Jahre hinweg völlig aus dem Ruder gelaufen. Wenn es „nur“ eine „teure Art der Angeberei“ gewesen wäre, müsste ich mir heute wohl kaum Gedanken darüber machen, wie ich diese Leidenschaft wieder abwickeln kann.

Seit gut zehn Jahren helfen mir Familienmitglieder und Freunde dabei, um meine Sammlung loszuwerden. Nun aber muss ich feststellen, dass dies ein hoffnungsloses Unterfangen ist. Was nun zu einem echten Dilemma führt, denn gerne öffne ich im Freundes- und Familienkreis Jahrzehnte alte Flaschen und freue mich darüber, wenn der eine oder andere auch Freude daran hat. Diese Flaschen nun allerdings einfach so wegzugeben, dazu bin ich einfach noch nicht in der Lage.

Man versucht mich dafür schon etwas länger zu gewinnen, und meine bessere Hälfte meint, dass das doch sehr schöne Geschenke auch für den etwas erweiterten Bekanntenkreis wären, dann aber halte ich die jeweilige Flasche nach Jahren wieder einmal in den Händen und kann dann doch nicht so recht loslassen.

Genuss ist einfach doch etwas vielschichtiger als es sich Joan Westenberg vorstellen möchte. Wobei ich auch heute noch in Restaurants gerne den einen oder anderen Absacker nehme, hierbei kommt es in erster Linie auf die jeweilige Gesellschaft und nicht auf das Getränk an.

Leidenschaften sind eher eine wunderbare Ergänzung zum ganz normalen Leben, die man sicherlich nicht zum Leben benötigt, dieses aber doch etwas bereichern können — „Die Menge macht dabei das Gift“ (Paracelsus).


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