Die Zeit eigentlich gerade das Thema, welches jedem nicht nur die eigene Vergänglichkeit vor Augen führen müsste, sondern uns Menschen schon alleine wegen seiner Knappheit am meisten beschäftigen sollte, aber nicht damit, wie man sie am besten totschlägt, sondern wie man sie optimal für sich selber nutzt.
Zum Einstieg zitiere ich gleich ein uraltes Sprichwort.
Nicht der Fluss fließt, sondern das Wasser. Nicht die Zeit vergeht, sondern wir.
Chinesisches Sprichwort
Vor allem beruflich musste ich mich mit dem Thema „Zeit“ oft und auch ganz existenziell auseinandersetzen, gehört die Zeit doch zu einem der wesentlichen Kriterien meines Berufes und letztendlich auch zu dem alles entscheidenden.
Erstaunlicherweise hat sich diese jahrtausendealte Erkenntnis allgemein nicht durchsetzen können, und Zeitverschwendung schlägt sogar noch den gleichermaßen hemmungs- wie sinnlosen Verbrauch unserer Natur und Umwelt.
Als Einstieg in eine kleine Sammlung zum Thema passender Gedichte, die Sie nicht nur erfreuen, sondern zudem auch zum weiteren Grübeln anregen sollen, stelle ich ein Gedicht von Gottfried Keller, der das Ganze bereits 1849 in der nachstehenden frühen Fassung seines Gedichtes sehr gelungen ausgedrückt hat.
Die Zeit geht nicht
Die Zeit geht nicht, sie stehet still Wir ziehen durch sie hin; Sie ist eine Karavanserai, Wir sind die Pilger drin.
Ein Etwas, form- und farbenlos, Das nur Gestalt gewinnt, Wo ihr drin auf und nieder taucht, Bis wieder ihr zerrinnt.
Es blitzt ein Tropfen Morgentau Im Strahl des Sonnenlichts – Ein Tag kann eine Perle sein Und hundert Jahre – Nichts!
Es ist ein weißes Pergament Die Zeit und Jeder schreibt Mit seinem besten Blut darauf Bis ihn der Strom vertreibt.
An dich, du wunderbare Welt, Du Schönheit ohne End’! Schreib’ ich ‘nen kurzen Liebesbrief Auf dieses Pergament.
Froh bin ich, daß ich aufgetaucht In deinem runden Kranz; Zum Dank trüb’ ich die Quelle nicht Und lobe deinen Glanz!
Mascha Kaléko brachte es in die folgenden Worte.
Die Zeit steht still
Die Zeit steht still. Wir sind es, die vergehen. Und doch, wenn wir im Zug vorüberwehen, scheint Haus und Feld und Herden, die da grasen, wie ein Phantom an uns vorbeizurasen. Da winkt uns wer und schwindet wie im Traum, mit Haus und Feld, Laternenpfahl und Baum.
So weht wohl auch die Landschaft unsres Lebens an uns vorbei zu einem andern Stern und ist im Nahekommen uns schon fern. Sie anzuhalten suchen wir vergebens und wissen wohl, dies alles ist nur Trug.
Die Landschaft bleibt, indessen unser Zug zurücklegt die ihm zugemessnen Meilen.
Die Zeit steht still. Wir sind es, die enteilen.
Erich Kästner bündelte es kurz und knapp wie folgt zusammen.
Die zwei Gebote
Liebe das Leben, und denk an den Tod! Tritt, wenn die Stunde da ist, stolz beiseite. Einmal leben zu müssen, heißt unser erstes Gebot. Nur einmal leben zu dürfen, lautet das zweite.
Ludwig Uhland blieb bei diesem Thema genauso tiefgründig wie fast immer.
In ein Stammbuch
Die Zeit, in ihrem Fluge, streift nicht bloß Des Feldes Blumen und des Waldes Schmuck, Den Glanz der Jugend und die frische Kraft: Ihr schlimmster Raub trifft die Gedankenwelt. Was schön und edel, reich und göttlich war Und jeder Arbeit, jeden Opfers wert, Das zeigt sie uns so farblos, hohl und klein, So nichtig, daß wir selbst vernichtet sind. Und dennoch wohl uns, wenn die Asche treu Den Funken hegt, wenn das getäuschte Herz Nicht müde wird, von neuem zu erglühn! Das Ächte doch ist eben diese Glut, Das Bild ist höher, als sein Gegenstand, Der Schein mehr Wesen, als die Wirklichkeit. Wer nur die Wahrheit sieht, hat ausgelebt; Das Leben gleicht der Bühne: dort wie hier Muß, wann die Täuschung weicht, der Vorhang fallen.
Eugen Roth ist mit uns dabei etwas nachsichtiger.
Lebensleiter
Wir sehen es mit viel Verdruss, was alles man erleben muss; und doch ist jeder darauf scharf, daß er noch viel erleben darf.
Wir alle steigen ziemlich heiter empor auf unserer Lebensleiter: Das Gute, das wir gern genossen, das sind der Leiter feste Sprossen. Das Schlechte – wir bemerkens kaum – ist nichts als leerer Zwischenraum.
Ernest Christopher Dowson fasste seine Erkenntnis 1896 in folgende Worte und griff dabei auf den alten Horaz zurück.
Vitae summa brevis spem nos vetat incohare longam
The brief sum of life forbids us the hope of enduring long. (Horace)
They are not long, the weeping and the laughter, Love and desire and hate: I think they have no portion in us after We pass the gate.
They are not long, The days of wine and roses: Out of a misty dream Our path emerges for a while, then closes Within a dream.
Zuvor war bereits Edgar Allan Poe das folgende wunderbare Gedicht gelungen.
A dream within a dream
Take this kiss upon the brow! And, in parting from you now, Thus much let me avow – You are not wrong, who deem That my days have been a dream; Yet if hope has flown away In a night, or in a day, In a vision, or in none, Is it therefore the less gone? All that we see or seem Is but a dream within a dream.
I stand amid the roar Of a surf-tormented shore, And I hold within my hand Grains of the golden sand – How few! yet how they creep Through my fingers to the deep, While I weep – while I weep! O God! can I not grasp Them with a tighter clasp? O God! can I not save One from the pitiless wave? Is all that we see or seem But a dream within a dream?
Tales of Mystery and Imagination by Edgar Allan Poe (Narration Orson Welles)
Johann Gottfried Herder formulierte es dann wie folgt:
Ein Traum, ein Traum ist unser Leben auf Erden hier. Wie Schatten wir auf Wolken schweben und schwinden wir. Und messen unsere trägen Tritte nach Raum und Zeit. Und sind und wissens’ nicht in der Mitte der Ewigkeit.
Zuvor hatte sich schon Andreas Gryphius so seine Gedanken gemacht.
Es ist alles eitel
Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden. Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein: Wo jetzt noch Städte stehn, wird eine Wiesen sein, Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.
Was jetzt noch prächtig blüht, soll bald zertreten werden. Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch’ und Bein, Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein. Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.
Der hohen Taten Ruhm muss wie ein Traum vergehn. Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn? Ach! Was ist alles dies, was wir für köstlich achten,
Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind; Als eine Wiesenblum’, die man nicht wieder find’t. Noch will, was ewig ist, kein einzig Mensch betrachten!
Joachim Ringelnatz fand für das Thema die folgenden Worte.
Auf ein Grab
Ein Wind, gütig fächelnd, Läßt Blätter und Tränen verwehn. Empfange einst lächelnd, Die weinend dir nachgesehn.
Gewesen, nicht vergessen; Erinnert, doch verziehn.
Was uns Besitztum schien, Hat keins von uns besessen, War höchstens nur geliehn.
Eugen Roth sieht den gesamten Sachverhalt wiederum etwas gelassener und dazu noch mit der notwendigen Prise Humor. Dieses Gedicht ist dem Band „Sämtliche Menschen“ entnommen, den ich gerne allen zum weiteren Lesen ans Herz lege.
Am Tisch des Lebens
Ein Mensch tät sich noch gerne gütlich, Doch wirds am Tische ungemütlich: Auf seinen Eßplatz wartet schon Die nächste Generation, Mit großem Löffel, spitzer Gabel, Das Messer wetzend wie den Schnabel. Der Mensch, der – was noch unvergessen! – Manch zähes Zeug hineingefressen Und der es oft schon satt gehabt, Hätt zwar grad jetzt sich gern gelabt, Wo es vorübergehend besser – Doch schaut er sich die neuen Esser Nicht ohne tiefe Rührung an: Er sieht den holden Jugendwahn, Der zu verspeisen sich getraut, Was er, als Greis, nicht mehr verdaut, Freiwillig rückt er sich ans Eck Und trinkt sein letztes Schöpplein weg. “Denn”, sagt er sich bescheiden klug: “Viel oder wenig war – genug! Auch diesen wird nicht ungemischt Des Lebens Freude aufgetischt. Geb Gott nicht allzu große Brocken – Laß munter sie beisammenhocken, Bis auf den Platz die nächsten kommen, Den ich auch – zeitweis – eingenommen. Gespeist – gezahlt: nun bin ich quitt Und wünsche Guten Appetit!”
Ronald Stuart Thomas brachte es am Ende wie folgt auf den Punkt:
I think that maybe I will be a little surer of being a little nearer. That’s all. Eternity is in the understanding that that little is more than enough.
Und zum Schluss zitiere ich noch John Wilkes, aus dem 18. Jahrhundert wohlgemerkt, versehen mit einem Hinweis von Friedrich Rückert.
Life
Life can little more supply, Than a few good Fucks, and then we die.
Nie stille steht die Zeit …
Nie stille steht die Zeit, der Augenblick entschwebt, und den Du nicht genutzt, den hast Du nicht gelebt.
„Time is the most valuable thing a man could spend.“
Theophrastus, zitiert nach Diogenes Laërtius, Lives and Opinions of Eminent Philosophers (1915: 186)
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Leider hat der Mensch heute keine Zeit, um über die Zeit so intensiv nachzudenken. Man muss sich die Zeit einfach nehmen, um eine solche Zeitzusammenstellung in einem tollen Zeit-Beitrag zu zeitigen.
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Danke für die schönen Gedichte!
Leider hat der Mensch heute keine Zeit, um über die Zeit so intensiv nachzudenken. Man muss sich die Zeit einfach nehmen, um eine solche Zeitzusammenstellung in einem tollen Zeit-Beitrag zu zeitigen.