Zeit für ein Gedicht

4.3
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Beitragsfoto: Kaffeegenuss | © Pixabay

Heute muss es gar eine Ballade sein. Diese stammt von Eduard Mörike aus dem Jahr 1829 und passt ganz gut zum aktuellen Geschehen. „Die Geister am Mummelsee“ kennt vielleicht nicht jeder, aber der See selbst dürfte zumindest allen Baden-Württembergern gut bekannt sein. 

Die Geister am Mummelsee

Vom Berge was kommt dort um Mitternacht spät
mit Fackeln so prächtig herunter?
Ob das wohl zum Tanze, zum Feste noch geht?
Mir klingen die Lieder so munter.
O nein!
So sage, was mag es wohl sein?

Das, was du da siehest, ist Totengeleit,
und was du da hörest, sind Klagen.
Dem König, dem Zauberer, gilt es zuleid,
sie bringen ihn wieder getragen.
O weh!
So sind es die Geister vom See!

Sie schweben herunter ins Mummelseetal –
sie haben den See schon betreten –
sie rühren und netzen den Fuß nicht einmal –
sie schwirren in leisen Gebeten –
o schau
am Sarge die glänzende Frau!

Jetzt öffnet der See das grünspiegelnde Tor;
gib acht, nun tauchen sie nieder!
Es schwankt eine lebende Treppe hervor,
und – drunten schon summen die Lieder
hörst du?
Sie singen ihn unten zur Ruh.

Die Wasser, wie lieblich sie brennen und glüh’n!
Sie spielen in grünendem Feuer;
es geisten die Nebel am Ufer dahin,
zum Meere verzieht sich der Weiher. –
Nur still!
Ob dort sich nichts rühren will?

Es zuckt in der Mitten – o Himmel! ach hilf!
Nun kommen sie wieder, sie kommen!
Es orgelt im Rohr, und es klirret im Schilf;
nur hurtig, die Flucht nur genommen!
Davon!
Sie wittern, sie haschen mich schon!

Zuerst hatte ich an den etwas bekannteren „Erlkönig“ gedacht, mich dann aber doch für Eduard Mörike entschieden. Die Ballade wurde zudem von Hugo Wolf vertont.

Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen ließ sich ebenfalls durch den Mummelsee inspirieren und verknüpfte diesen in „der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch“ (1669) mit Platons „Phaidon“.

Nach Sokrates’ Überzeugung hängt dabei das Schicksal der Seele nach dem Tod von ihrem Verhalten während des Lebens ab. Eine möglichst philosophische Lebensführung verhilft zu einer gelassenen Haltung und einem unbeschwerten Sterben, während Menschen hingegen, die sich zu Lebzeiten weniger kümmern und nicht einmal ein „anständiges“ Leben zu führen versuchen, an ihrem eigenen Ende tief betrübt sind und weinen.

„‚Lästig ist es, das Leben immer neu anzufangen.‘ [Epikur] …
nicht aber kann auf den Tod vorbereitet dastehen, wer gerade anfängt zu leben. …
Manche haben aufgehört zu leben, noch bevor sie begonnen haben.“

Seneca, 3. Buch, 23. Brief (2018: 163)

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