Beitragsfoto: Buch auf Rechner
Das Buch Leadership von Henry Kissinger in Händen haltend, bin ich versucht, sogleich an John F. Kennedys Buch „Profiles in Courage“ (1956) zu denken. Kissingers Buch erschien bereits 2022, ich habe allerdings gewartet, bis die Paperback-Version zur Verfügung stand. Wenn Kissinger ein Buch schreibt, dann kommt es zumindest bei mir auf die Liste — zuletzt sicherlich nur noch, weil ich bereits schon einige seiner anderen Bücher gelesen hatte (Gewöhnung). Der zweite Gedanke war dann, warum muss Kissinger weiterhin noch Bücher schreiben?
Dann wurde das Buch doch noch interessanter als ursprünglich vermutet und ist in meinen Augen ein gelungener Abgesang auf die Meritokratie, welche wohl die letzte Hälfte des vergangenen Jahrhunderts prägte. Ich gehe sogar soweit zu behaupten, dass es Kissingers Warnung vor einer Mediokratie ist, in der wir uns bereits längst befinden. Aber nicht im Sinne von Medienherrschaft, wie man es im Abspann seines Buches herauslesen könnte, sondern im Sinne einer Herrschaft der Mittelmäßigkeit!
Aber gleich zu Anfang seines Buches findet man die besten Zitate: „Any society, whatever its political system, is perpetually in transit between a past that forms ist memory and vision of the future that inspires ist evolution.“ (2024 [2022]: XV).
Schön auch, dass er den Ersten und Zweiten Weltkrieg zusammenfasst und als zweiten europäischen Dreißigjährigen Krieg bezeichnet. Über seine Auslegung von Strategie lässt sich sicherlich ebenfalls streiten. Seine Auswahl von sechs Personen ist wohl der Tatsache geschuldet, dass er diese im Gegensatz zu John F. Kennedys acht Personen selber kannte. Seine Beschreibung dieser sechs Personen nett zu lesen, wobei auch sicherlich neue Details zu erfahren sind. Ob man diese Details dann aber überhaupt wissen muss oder sollte, bleibt dem Leser überlassen.
Das wirklich Spannende am Buch ist es aber, dass Henry Kissinger sich und seine eigene Verantwortung völlig aus dem Spiel lässt. Dabei ist er doch selbst eine Ikone des Berufspolitikers und letztendlich damit auch für den schleichenden Untergang unserer Demokratien mit verantwortlich. Besonders seine Nachkommen haben das Berufspolitikerwesen in eine Art von „Aristokratie“ umgewandelt, allerdings ohne sich damit der eigenen Verantwortung und Begrenztheit überhaupt noch selbst bewusst zu werden.
Damit wurde das Vertrauen der Wähler in die Demokratie und ganz besonders in deren (Volks)vertreter immer weiter unterminiert und führte letztendlich dazu, dass inzwischen Kriminelle und Scharlatane wie ein Donald Trump weltweit wählbar sind und auch noch gewählt werden!
Zum Abschluss seines Buches (vorletzter Satz) lässt er einen Stoiker (!) zu Wort kommen. „The Stoic philosopher Epictetus wrote long ago, ‘We cannot choose our external circumstances, but we can always choose how we respond to them’“ (2024 [2022]: 416).
Die Wähler wählen inzwischen verstärkt antidemokratisch oder zumindest aber die letzten demokratischen Pfeifen (aka Spaßmacher)!
Es wäre nun wirklich an der Zeit, dass die letzten verbliebenen echten demokratischen Politiker und ganz besonders deren Parteien reagieren und ihre Politaristokraten in die Wüste schicken, bevor wir Wähler das allerletzte Wort haben werden!