Literaturerlebnis

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Beitragsfoto: Blitz | © Bild von PIRO auf Pixabay

Mein traurigstes Literaturerlebnis hatte ich im K3. Schon länger hatte ich versucht, mir einmal selbst das ominöse Kleist-Archiv Sembdner anzuschauen, auch wenn ich mit Kleist wenig anzufangen wusste. Im Gegensatz zur Stadtbücherei war der Zugang zum Archiv meist verschlossen.

Eines Tages gelang mir dann aber doch der Zugang durch eine Hintertreppe und ich fand neben vielen verschlossenen Räumen auch ein paar verstaubte Regale mit Käthchen-Devotionalien. Das Spannende dabei, dass meine Eltern ein paar dieser Püppchen selbst einmal gekauft hatten, und ich somit dort auch etwas bereits Bekanntes vorfand.

Das Kleist-Archiv Sembdner stammt übrigens von einem Sammler namens Helmut Sembdner, der irgendwann mit all dem Kruscht nichts mehr anzufangen wusste, das Wertvolle seiner Sammlung schnell an Interessierte verkaufte und den ganzen Rest in einer Nacht-und-Nebel-Aktion der Stadt Heilbronn andrehte — warum kann wohl heute keiner mehr sagen, auf jeden Fall hatte Sembnder einen Dummen gefunden.

Bereits 1991 wurden wir Heilbronner über diesen Coup informiert und wie es der bloße Zufall so wollte ein städtischer Mitarbeiter über Jahre hinweg zur Betreuung dieser Sammlung freigestellt. Und es war wohl dieser Herr, Günther Emig, den ich dann dort vor Ort auch in einem Zimmer des Archivs vorfand.

Er war damals so mit seinen Recherchen und sonstigen Tätigkeiten beschäftigt, dass es ihm nicht gelang, mich von meinem immer noch anhaltenden Feuerproben-Frust zu befreien und auch nicht, mich zumindest etwas mit Heinrich von Kleist zu versöhnen.

Ganz in Gegenteil, dieser Besuch hatte mehr von einem Besuch in einem Beerdigungsinstitut und gab mir schon damals die Idee, zumindest die tatsächlichen Schätze des Archivs zu bergen und an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach zu übereignen; eine Idee, die übrigens später dann auch Günther Emig hatte.

Den traurigen und wohl größten Rest kann man noch heute getrost auf den Vogelsang kippen und die Räumlichkeiten einer neuen Verwendung widmen, z. B. für die Stadtbibliothek.

Leider aber hat sich der Gemeinderat jüngst dazu entschieden, dieses „deutsche Kulturgut“ — warum auch immer — weiter in Heilbronn in Ehren zu halten, ähnlich wie die Stadtmodelle in der Ehrenhalle, von denen das teuerste jüngst zur BUGA gekaufte wohl verschollen ist.

Ich vermute, dass die Heilbronner Gemeinderäte nie das „Käthchen von Heilbronn“ lesen mussten oder ihnen ihre Eltern gar diese besagten Püppchen bewusst vorenthalten haben, was diese Heilbronner Käthchenmanie erklären könnte. Auf jeden Fall aber gehe ich davon aus, dass sich noch keiner unserer Gemeinderäte bisher in das Kleist-Archiv verirrt hat.


Nachtrag 11.5.2023

Die Heilbronner Stimme veröffentlichte heute einen Leserbrief von Günther Emig (11.5.2023: 21)

Schäbig

1992 bis 2000 als Direktor der Stadtbücherei, von 2000 bis 2018 als Direktor des Kleist-Archivs Sembdner, war es mein Job, aus den kümmerlichen Überresten einer vorher größtenteils bereits anderweitig verkauften Privatsammlung, die trotz meiner Warnung zu einem irrwitzig überhöhten Preis von der Stadt erworben worden war, etwas zu machen. Dies ist mir mit viel Glück gelungen auf Grund persönlicher Kenntnisse und Fähigkeiten. Als Internet-Pionier in den Geisteswissenschaften durfte ich mit Sondergenehmigung 1996 das Kleist-Archiv Sembdner ins Internet bringen. Der Internetauftritt hat nicht nur in der damaligen Computerwelt für eine Auszeichnung gesorgt, sondern auch Anerkennung bei den germanistischen Kollegen. Sämtliche Arbeiten, technisch wie inhaltlich, sind all die Jahre von mir geleistet worden. Dass mit der Wiedervereinigung die Karten in Sachen Kleist neu gemischt worden sind, konnte man beim Sembdner-Ankauf 1990 nicht unbedingt vorhersehen, wohl aber konnte man erkennen, dass sich in der Folge Bund, Land und Stadt Frankfurt (Oder) mit siebenstelligen Beträgen für das Frankfurter Kleist-Museum stark gemacht haben. Damit ist der Fokus schleichend von Heilbronn nach Frankfurt gewandert. Daraus wären Konsequenzen zu ziehen gewesen. Was bleibt? Ein bisschen Glanz aus vergangenen Zeiten, den man sich auch noch unberechtigt glaubt an den Hut stecken zu dürfen. Wie schäbig.

Günther Emig, Niederstetten
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