Rädchen

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Beitragsfoto: Schüler in Klasse | © Shutterstock

Das Sommersemester ist nun auch für mich zu Ende. Etwas spät, aber den Umständen entsprechend kaum anders machbar. Jetzt muss ich nur noch die Noten ins System hochladen und diese veröffentlichen.

Die Ergebnisse lassen mich erwartungsgemäß einen Blog-Beitrag schreiben und dies wie immer mit der heißen Nadel gestrickt. Eine Technik, um meine Worte nicht allzu elaboriert in die Tasten meines Laptops zu hauen, von wo sie sofort auf das Blog hinübergespielt werden.

In meinen frühen Berufsjahren war ich noch ein unbelehrbarer Verfechter von Mindestanforderungen und zudem ein Anhänger des Leistungsprinzips. Kompromisse ging ich dabei nicht ein, selbst dann, wenn es mir zum persönlichen Nachteil gereichte. Später dann musste ich erkennen, dass keiner, auch ich nicht die Welt verändern kann und wir allesamt nur Rädchen in einem Getriebe sind. Und dieses Getriebe funktionierte auch dank vorhandener Mindestanforderungen aber auch ziemlich gut, ganz besonders dann, wenn keiner größere Leistungen erwartete.

Unser System erodierte über die Jahre hinweg aber weiter vor sich hin und damit auch die Leistungsanforderungen und die meines Erachtens noch heute so notwendigen Mindestanforderungen. Letztere begannen ebenfalls wie erstere auch sich nicht mehr an den tatsächlichen Anforderungen, sondern alleine an die Bedürfnisse des Getriebes zu orientieren.

Und so entwickelte ich einen Modus vivendi, wie ich in der Lehre damit umgehen kann. Denn auch mir leuchtete es irgendwann ein, dass man das Getriebe bedienen muss. Nur ein Beispiel, was würden bei uns nur all die unzähligen Gymnasien machen, wenn man für diese echte Mindestanforderungen hätte?

Dies nun erkennend und mit dem notwendigen politischen Willen versehen, müssten wir beim Kindergarten beginnend wieder mit festen Mindestanforderungen und fest definierten Abholpunkten arbeiten. Dies hätte aber zur Folge, dass wir allesamt 30 bis 40 Jahre durch ein Tal der Tränen marschieren, bis das Getriebe wieder sinnvoll und produktiv arbeiten kann! — Wie bereits hier im Blog geschrieben, ein Ding der Unmöglichkeit!

Mein entsprechender Workaround ist dabei ziemlich simpel. Mein Ziel ist es, 80 Prozent der Schüler zum Erfolg zu verhelfen. Wobei ich weiterhin anstrebe, dass die Schüler 80 Prozent der von mir geforderten Leistung erbringen.

Die Idee dahinter ist, dass jene Schüler, die die 80 Prozent erbringen, auch tatsächliche Mindestanforderungen erfüllen. Ein konkretes Beispiel: In der Klausur konnten die Schüler 90 Punkte erzielen. Mit 72 Punkten erfüllten sie die tatsächlichen Mindestvoraussetzungen und ich kann mir dabei sicher sein, dass diese den dargebotenen Stoff nicht nur verstanden haben, sondern damit auch weiter arbeiten können.

Mit 45 Punkten erfüllen die Studenten die systemimmanenten Mindestanforderungen und tragen mit dazu bei, dass das Getriebe weiterhin halbwegs rund läuft. Manche Pädagogen behaupten, dass wir Menschen unterschiedlich lernen und begreifen und somit auch diese Menschen ausreichend gelernt haben und ebenfalls ein sinnvoller Teil im Getriebe sein werden. Was man auch hoffen muss, wenn ein Getriebe mit Hoffnung statt mit Leistung geschmiert wird.

Und so war es mir bisher auch immer möglich, eine Erfüllungsquote von 80 Prozent (plus minus ein Prozent) zu erreichen. Leider aber immer weniger, dass die Studenten ihrerseits die 80 Prozent erreichten. Das Delta zwischen System- und Leistungsanforderungen wurde dabei immer größer — trotz sämtlicher Bemühungen meiner Kollegen und mir.

Mit der aktuellen Klausur erreiche nun auch ich nicht mehr die mir selbst gesetzte Erfüllungsquote von 80 Prozent! 69 Prozent sind ein Tiefpunkt meiner heutigen Lehrtätigkeit.

Das einzig Erfreuliche dabei, es gibt ein paar Ausreißer nach fast ganz oben mit bis zu 95 Prozent Erfüllungsquote, was beweist, dass der Lehrstoff weiterhin lern- und beherrschbar ist!

Das Traurige dabei, dass obwohl bisher jene Studenten, die mit der Klausur eine allerletzte Chance für ihr eigenes Studium hatten, diese meist sogar mit Bravour bestanden, dieses Mal weiterhin jenseits von Gut und Böse abschneiden. Bis gestern für mich ein Ding der Unmöglichkeit!

Bei bestem Willen, es gelingt mir nun einfach nicht mehr, ein funktionierendes Rädchen im Getriebe zu sein. Die einzige Ausrede wäre, dass dies ein einmaliger Ausreißer nach unten ist, was statistisch betrachtet sogar vorkommen kann.

Nun gilt es im kommenden Semester zu prüfen, ob hier nun ein Trend vorliegt oder ob es ein statistischer Ausreißer war. Wenn es kein Ausreißer war, dann wird das wohl mein Beitrag für mehr Bildung und Wissen in unserem System gewesen sein — das Rädchen ist abgelutscht!

„Sie [Kleinkinder; hier: Studenten] sind weder lernwillig noch wissbegierig, sie konzentrieren sich nur nach Lust und Laune und sind somit zu angemessenen Lern- und Arbeitsleistungen gar nicht fähig. Auf pädagogische Interventionen reagieren sie mit frechem, respektlosem Verhalten oder mit Verweigerung. Sie … verfügen über keine Frustrationstoleranz und meiden Anstrengung. Es fehlt ihnen an Reife … immer sind die anderen oder die Umstände schuld.“

Michael Winterhoff (2019: 28f)

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