Zeit für ein Gedicht

4.4
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Beitragsfoto: Kaffeegenuss | © Pixabay

Die heutige Lektüre von Haushaltsreden der Heilbronner Gemeinderatsfraktionen lässt mich unweigerlich an ein Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe denken, welches rein zufällig gerade auch Thema in einer achten Klasse ist.

Der Zauberlehrling

Hat der alte Hexenmeister
Sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
Auch nach meinem Willen leben.
Seine Wort’ und Werke
Merkt ich und den Brauch,
Und mit Geistesstärke
Tu ich Wunder auch.


            Walle! walle
            Manche Strecke,
            Daß, zum Zwecke,
            Wasser fließe
            Und mit reichem, vollem Schwalle
            Zu dem Bade sich ergieße.


Und nun komm, du alter Besen!
Nimm die schlechten Lumpenhüllen;
Bist schon lange Knecht gewesen:
Nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe,
Oben sei ein Kopf,
Eile nun und gehe
Mit dem Wassertopf!


            Walle! walle
            Manche Strecke,
            Daß, zum Zwecke,
            Wasser fließe
            Und mit reichem, vollem Schwalle
            Zu dem Bade sich ergieße.


Seht, er läuft zum Ufer nieder,
Wahrlich! ist schon an dem Flusse,
Und mit Blitzesschnelle wieder
Ist er hier mit raschem Gusse.
Schon zum zweiten Male!
Wie das Becken schwillt!
Wie sich jede Schale
Voll mit Wasser füllt!


            Stehe! stehe!
            Denn wir haben
            Deiner Gaben
            Vollgemessen! —
            Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
            Hab ich doch das Wort vergessen!


Ach, das Wort, worauf am Ende
Er das wird, was er gewesen.
Ach, er läuft und bringt behende!
Wärst du doch der alte Besen!
Immer neue Güsse
Bringt er schnell herein,
Ach! und hundert Flüsse
Stürzen auf mich ein.


            Nein, nicht länger
            Kann ichs lassen;
            Will ihn fassen.
            Das ist Tücke!
            Ach! nun wird mir immer bänger!
            Welche Miene! welche Blicke!


O, du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh ich über jede Schwelle
Doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen,
Der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
Steh doch wieder still!


            Willsts am Ende
            Gar nicht lassen?
            Will dich fassen,
            Will dich halten
            Und das alte Holz behende
            Mit dem scharfen Beile spalten.


Seht, da kommt er schleppend wieder!
Wie ich mich nur auf dich werfe,
Gleich, o Kobold, liegst du nieder;
Krachend trifft die glatte Schärfe.
Wahrlich! brav getroffen!
Seht, er ist entzwei!
Und nun kann ich hoffen,
Und ich atme frei!


            Wehe! wehe!
            Beide Teile
            Stehn in Eile
            Schon als Knechte
            Völlig fertig in die Höhe!
            Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!


Und sie laufen! Naß und nässer.
Wirds im Saal und auf den Stufen.
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister! hör mich rufen! —
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
Werd ich nun nicht los.


            „In die Ecke,
            Besen! Besen!
            Seids gewesen.
            Denn als Geister
            Ruft euch nur, zu diesem Zwecke,
            Erst hervor, der alte Meister.“

Johann Wolfgang von Goethe, 1798

Anfang Juli 1797 schrieb Goethe diese Ballade, welche noch heute zu seinen populärsten Werken gehört und den meisten wohl besser als ein Zeichentrickfilm namens „Fantasia“ der Walt Disney Studios aus dem Jahr 1940 bekannt ist.


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