Zeitungsartikel

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Beitragsfoto: Mann beim Ausfüllen eines Formulars | © Pixabay

Raphael Thelen schrieb den Beitrag in der Zeit | aktualisiert am 5. Februar 2012, 7:53 Uhr

Soldaten für den Chaosstaat

In Somalia herrschen Banden und Milizen. Deutsche Soldaten bilden daher in Uganda somalische Rekruten aus, sie sollen ihren Staat einmal schützen.

“Lass beim Schießen verdammt noch mal die Augen offen! Du hast die Zielscheibe null Mal getroffen! Null, Null, Null!” Der französische Ausbilder brüllt über den Schießplatz – sein somalischer Rekrut lächelt nur, halb verlegen, halb verständnislos. Der Franzose arbeitet in Uganda für die European Training Mission Somalia, innerhalb derer 16 europäische Staaten seit April somalische Rekruten ausbilden. Auch die deutsche Bundeswehr macht mit.

Die Mission ist nicht frei von Missverständnissen, es treffen zwei verschiedene Welten aufeinander. Auf der einen Seite die gut ausgebildeten, disziplinierten Soldaten der Europäischen Union, auf der anderen die bunt zusammengewürfelte Truppe der somalischen Rekruten. Sie lernen Strammstehen, Marschieren und Schießen. Doch die meisten wirken verloren in ihren zu großen Uniformen und abgewetzten Rucksäcken. Statt Leder tragen viele Gummistiefel, die wenigsten von ihnen können lesen und schreiben.

In Kooperation mit der ugandischen Armee sollen aus den Rekruten bis Mai 2011 Soldaten werden. In zwei Durchgängen werden insgesamt 2000 Somalis ausgebildet. Die EU-Staaten übernehmen beim Trainingsprogramm in Uganda die Offiziers- und Unteroffiziersausbildung, sowie die Schulung im Häuserkampf, in der Minenabwehr und der Ersten Hilfe für knapp ein Zehntel der Rekruten.

Die Somalis sollen zukünftig ihre Übergangsregierung in Mogadischu unterstützen, die im Kampf gegen die islamistische al-Shabab Miliz auf so gut wie verlorenem Posten steht. Die al-Qaida nahestehende al-Shabab hatte in den vergangenen Wochen erneut Offensiven gestartet, um die von der internationalen Gemeinschaft unterstützte Übergangsregierung zu vertreiben. Die somalische Regierung wird von 8000 Soldaten der Afrikanischen Union geschützt, der Großteil der Truppen kommt aus Uganda. Dennoch kontrolliert die Regierung nur wenige Straßenzüge in Mogadischu, sowie den See- und Flughafen. Al-Shabab hingegen beherrscht fast den gesamten Süden des Landes.

Die neun deutschen Ausbilder der Gruppe “Kommunikation” trainieren 25 Rekruten in der Verwendung von Funkgeräten. “Die meisten Kämpfer in Mogadischu verwenden Handys zur Kommunikation”, erklärt Oberleutnant Stefan Wizisk, der das deutsche Team leitet. “Die Rekruten sollen lernen, eine Kommunikation nach militärischen Richtlinien durchzuführen. Sie sollen sich gegen Überwachung und Einmischung wehren können, es geht um Abhörsicherheit.”

Aus diesem Grund üben die Rekruten, was für jede reguläre Armee unerlässlich ist: In kurzen, präzisen Sätzen Informationen über ihren Standort, Feindkontakt und sonstige Vorkommnisse durchzugeben. Dazu sitzen die Somalis im Schatten unter einem Baum und bellen reihum kurze Sätze in ihr Funkgerät. Der deutsche Ausbilder steht daneben und überprüft penibel, ob auch alles stimmt. Die Ausbildung ist im Vergleich zur Vorgehensweise in Deutschland sehr praktisch angelegt. Neu gelerntes wird ständig wiederholt.

Konzentriert starren die Rekruten auf die kleinen Zettel mit den Kommandos und Codes. Wirklich sicher wirken die wenigsten. Noch drei Wochen bleiben den Deutschen, um die Defizite auszugleichen. “Die Rekruten haben eine sehr hohe Lernbereitschaft und sind sehr motiviert”, sagt Major Ralf Kossman, der sich für die Mission freiwillig gemeldet hat, “sie erkennen die Ausbildung als Chance für eine bessere Zukunft”. Auch die deutschen Ausbilder sind überwiegend vom Nutzen der Mission überzeugt.

Heimweh scheinen die Kameraden aus Deutschland nicht zu verspüren. Die meisten telefonieren zwar fast täglich mit Angehörigen und Freunden zu Haus. Die Stimmung in der Mittagspause ist gut: “Es ist klar, an welchem Tisch die Deutschen sitzen, oder?”, fragt einer der Bundeswehrmänner lachend und zeigt auf eine überdimensionale Maggi-Flasche.

Unterdessen trainieren portugiesische Ausbilder mit ihren Schützlingen den Häuserkampf. Auch eine Somalierin hat es in diesen Teil der Ausbildung geschafft. An der Spitze eines Vierertrupps nimmt sie ein kleines Haus ein: Tür eintreten, reinstürmen, den Raum nach Feinden absuchen, Blick hinter die Tür, Meldungmachen. “Room clear!”

Eine Gruppe nach der anderen durchläuft dieses Prozedere, während der Rest zuschaut. Und dennoch muss der Ausbilder immer wieder auf Dinge hinweisen, die schon lange bekannt sein sollten: “Stiefel zubinden! Gewehrkolben an die Schulter pressen! Tragegurt richtig umhängen!”

Die EU hatte ursprünglich vorgesehen, die gesamte Ausbildung in sechs Wochen durchzuführen. Die ugandische Armee erhob Einspruch, da sie nicht sah, wie man in sechs Wochen einen Soldaten ausbilden kann. Man einigte sich schließlich auf sechs Monate. Angesichts des Hintergrunds, den viele Rekruten haben, scheint das immer noch kurz – vielen sieht man an, dass in ihrer Heimat seit 20 Jahren Bürgerkrieg herrscht, kaum einer ist länger als drei Jahre zur Schule gegangen.

Zusätzlich zu der militärischen Ausbildung belegen die Rekruten Kurse zu Themen wie Menschen- und Frauenrechte, sowie Kriegsrecht. “Wir versuchen hier nicht nur Soldaten auszubilden, sondern somalische Bürger”, sagt der italienische Leiter des Trainings, Alessandro Fiori. Dies dürfte einer der wichtigsten und gleichzeitig schwierigsten Teile der Mission sein, denn in Somalia gilt die Loyalität normalerweise erst dem eigenen Stamm, und dann dem Zentralstaat.

In der Vergangenheit haben bis zu 80 Prozent der vom Westen ausgebildeten somalischen Soldaten die Armee nach ihrer Rückkehr nach Mogadischu verlassen. Entweder haben sie ihre Waffe verkauft und sind zu ihren Familien zurückgekehrt, oder sie haben sich in den Dienst der am besten zahlenden Miliz gestellt – mitunter war das al-Shabaab. Oberstleutnant Kümmerle, der im Hauptquartier in Kampala arbeitet, ist trotzdem zuversichtlich: “Wenn die Soldaten vernünftig bezahlt und verpflegt werden, warum sollten die dann von der Fahne gehen?”


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