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Heinrich Seidels Gedichte sind immer wieder lesenswert. Das folgende Gedicht von ihm, welches im „Neuen Glockenspiel“ aus dem Jahr 1894 zu finden ist, führe ich hier gleich als Appetithappen auf.
Mach’s wie Herr Asmus
Folge dem Stern in deiner Brust
Und lass die andern reden,
Denn niemals weisst du, was du musst,
Wenn du hören willst auf Jeden.
Oder mach’s, wie Herr Asmus that,
Der wusste, was er sollte;
Der fragte jedermann um Rath
Und that doch, was er wollte.
Das Besondere an Heinrich Seidel ist wohl, dass er ein sehr erfolgreicher Bauingenieur war, der sich erst ab 1880 vollständig der Schriftstellerei widmete. Noch heute ist er allen Ingenieuren durch die folgende Aussage bekannt:
„Dem Ingenieur ist nichts zu schwere“
Heinrich Seidel, Ingenieurlied (1871)
Auch ich habe diesen Spruch seit frühster Jugend in Erinnerung, da mein Vater diesen immer gebrauchte, sobald ihm etwas gelungen war, z.B. die Reparatur eines Radios, eines Rollers oder gar einer Waschmaschine.
All jene, die keinen Ingenieur auch nur im Bekanntenkreise haben, können das Ingenieurlied auch hier finden:
Dem Ingenieur ist nichts zu schwere
Er lacht und spricht: „Wenn dieses nicht, so geht doch das!“
Er überbrückt die Flüsse und die Meere,
Die Berge unverfroren zu durchbohren ist ihm Spass.
Er thürmt die Bogen in die Luft,
Er wühlt als Maulwurf in der Gruft,
Kein Hinderniss ist ihm zu gross
Er geht drauf los!
Den Riesen macht er sich zum Knechte,
Dess’ wilder Muth, durch Feuersgluth aus Wasserfluth befreit,
Zum Segen wird dem menschlichen Geschlechte
Und ruhlos schafft mit Riesenkraft am Werk der neuen Zeit.
Er fängt den Blitz und schickt ihn fort
Mit schnellem Wort von Ort zu Ort,
Von Pol zu Pol im Augenblick
Am Eisenstrick!
Was heut sich regt mit hunderttausend Rädern,
In Lüften schwebt, in Grüften gräbt und stampft und dampft und glüht,
Was sich bewegt mit Riemen und mit Federn,
Und Lasten hebt, ohn’ Rasten’ webt und locht und pocht und sprüht,
Was durch die Länder donnernd saust
Und durch die fernen Meere braust,
Das Alles schafft und noch viel mehr
Der Ingenieur!
Die Ingenieure sollen leben!
In ihnen kreist der wahre Geist der allerneusten Zeit!
Dem Fortschritt ist ihr Herz ergeben,
Dem Frieden ist hienieden ihre Kraft und Zeit geweiht!
Der Arbeit Segen fort und fort,
Ihn breitet aus von Ort zu Ort,
Von Land zu Land, von Meer zu Meer
Der Ingenieur!
Detlef Stern wird jetzt sicherlich ergänzen wollen, dass diese Worte eigentlich Daniel Düsentrieb zuzuschreiben sind: „Dem Ingeniör ist nichts zu schwör.“ Dabei hat aber ganz offensichtlich Erika Fuchs ein wenig nachgeholfen — zumindest bei der deutschen Übersetzung dieser bekannten Comic-Reihe.
Ich meine übrigens, dass wir alle besser dastünden, wenn vor allem unsere heutigen Entscheidungsträger mehr Mut hätten und ab und zu auch Herrn Asmuses Rat folgen würden; dazu gehört aber auch eine ganze Menge an Verantwortungsbewusstsein.
Und da es sich langsam aber sicher abzeichnet, dass wir mindestens so lange mit Ausgangs- und anderen Beschränkungen rechnen müssen, bis die meisten schon gar nicht mehr wissen, wie man überhaupt ohne größere Bevormundung leben kann, bietet es sich auch hier ganz gut an, auf Heinrich Seidel zurückzugreifen. Dabei empfehle ich die Lektüre von Leberecht Hühnchen, ein Buch, das zwischen 1880 und 1893 entstanden ist, und die Kunst des Glücklichseins anschaulich begreifbar macht — gerade in der aktuellen Situation sehr passend — und am Ende ebenso verstörend.
Leberecht Hühnchen gehörte zu den Bevorzugten, denen eine gütige Fee, die Kunst glücklich zu sein, auf die Wiege legte; er besaß die Gabe, aus allen Blumen, selbst aus den giftigen, Honig zu saugen.
Heinrich Seidel, Leberecht Hühnchen (2017: 4)