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Eine amerikanische Tragödie – Teil 3 | Hilfe für die Ukraine

Rund sechs Monate vor den Wahlen in den Vereinigten Staaten ist klar, dass Joe Biden und Donald Trump die wahrscheinlichen Kandidaten der zwei großen Parteien sein werden. In verschiedenen Bundesstaaten gehen zwar die Vorwahlen noch weiter, diese stehen jedoch nicht mehr im Fokus der Medien und der Öffentlichkeit. Im Blickfeld gerückt sind vielmehr die beiden wahrscheinlichen Kontrahenten und ihre politischen Vorstellungen und Aussagen, die häufig völlig konträr sind. Ein Beispiel dafür -- die jüngste Entscheidung über die künftige Hilfe für die Ukraine und andere Staaten -- will ich nachfolgend darstellen. Der Kongress hat für die Verabschiedung des Hilfegesetzes unvorstellbar lange gebraucht, doch am Ende gab es -- auch zur Erleichterung Europas -- eine über die Parteigrenzen hinausgehende Entscheidung.

Inhaltsübersicht

  1.  Einleitung
  2.  Was wurde im Kongress beschlossen?
  3.  Wie gelang es, den Ukraine-Gegner Mike Johnson ins Boot zu holen?
  4.  Das verzwickte Puzzle, das sich Mike Johnson ausdachte
  5.  Wird Marjorie Taylor Greene zum Racheengel für Mike Johnson?

 

1. Einleitung

Am 24.4.2024 konnte Präsident Joe Biden endlich das von Teilen der republikanischen Fraktion im Repräsentantenhaus lange blockierte Gesetz unterzeichnen, durch das die weitere Unterstützung der Ukraine sichergestellt wird. Der Entscheidung im Repräsentantenhaus am 20.4.2024 und im Senat am 23.4.2024 war ein monatelanger Eiertanz vorausgegangen, bei dem nicht zuletzt die Verlässlichkeit und die Bündnistreue der Vereinigten Staaten auf dem Spiel stand. Donald Trump und seine MAGA-Verbündeten im Repräsentantenhaus lieferten einen schwer begreiflichen Vorgeschmack darauf, was in der Führungsmacht der demokratisch verfassten Welt geschehen könnte, sollte Trump am 5.11.2024 zum nächsten Präsident der USA gewählt werden. Ein nicht geringer Teil der Republikanischen Partei ist im Auftrag Trumps dabei, die seit dem Ende des Kalten Krieges geltenden geostrategischen Grundlagen der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik aufzugeben und sich – ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg – in die Isolation zurückzuziehen.  In verschiedenen Wahlkampfauftritten spielte Trump mit der Vorstellung, die Bündnisverpflichtung des Landes gemäß Artikel 5 des NATO-Vertrags zu relativieren oder gar aus dem Bündnis auszusteigen. Trump und seine Verbündeten sind auch nach der jüngsten Entscheidung des Kongresses noch immer bereit, die Ukraine-Hilfe einzustellen und damit dem russischen Aggressor auszuliefern. 

Ein Teil der Republikanischen Partei ist der Meinung, die USA müssten einen zu hohen Beitrag für die Absicherung des Weltfriedens und vor allem für die Sicherheit Europas leisten. „Mr. Trump, der seit langem den russischen Präsidenten Wladimir V. Putin bewundert, hat klargemacht, dass er, sollte er im November gewinnen, die Ukraine nicht weiter unterstützen werde,“ vermerkte die New York Times in einem Bericht. Deshalb kann sich Europa auch nach der jüngsten Hilfe-Entscheidung der Amerikaner nicht beruhigt zurücklehnen und muss vielmehr die begonnene Aufstockung der Verteidigungsausgaben konsequent fortsetzen. Nicht nur Trump ist nach wie vor unterwegs. Auch der Anti-Ukraine-Flügel der GOP ist nach der Niederlage im Kongress nicht von der  politischen Bühne verschwunden.

„Mit der Unterschrift des Präsidenten erreichte das Weiße Haus das Ende einer langen Wegstrecke, begleitet von sorgfältigem politischen Manövrieren, zusammen mit dem neuen Speaker of the House, der sich heftigem Widerstand des extremen rechten Flügels der Republikanischen Partei gegenüber sah“, stellte die NYT am Ende des über Monate dauernden Stillstand im Kongress fest. Erleichtert vermerkte Präsident Biden bei der Unterschrift des Gesetzes: „Es war ein schwieriger Weg, aber am Ende tat Amerika das, was es immer tut: Wir stellten uns der Herausforderung …  Aber stellen sie sich vor, wir wären gescheitert. Es ist ein guter Tag für den Weltfrieden.“

Wenige Tage vor der Entscheidung im US-Kongress bestätigte John F. Kirby, ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, dass es in den letzen Monaten in der Ukraine militärische Rückschläge gegeben hat. „Die Russen haben langsam aber mit Erfolg einige Gebiete eingenommen und die ukrainischen Truppen aus der ersten, aus der zweiten und teilweise sogar aus der dritten Verteidigungslinie zurückgedrängt.“ (nytimes.com: 24.4.2024: „Biden Says Weapons Will Flow to Ukraine Within Hours as he Signs Aid Bill“).

 

2. Was wurde im Kongress beschlossen?

Das nun beschlossene und vom Präsidenten unterzeichnete Gesetz enthält folgende Schwerpunkte:

  • 60,8 Mrd. Dollar zur militärischen und wirtschaftlichen Unterstützung der Ukraine. Die wirtschaftliche Unterstützung in Höhe von 10 Mrd. Dollar soll lediglich als Darlehen geleistet werden. Diese Lösung hatten vor allem Donald Trump und seine Verbündeten im Kongress immer wieder gefordert. Trump war sogar der Meinung, dass sämtliche Hilfe an die Ukraine nur als Darlehen geleistet werden sollte. Ein in das Gesetz aufgenommene Bestimmung soll ermöglichen, eingefrorenes russisches Vermögen für die Ukraine-Hilfe zu verwenden. (Ob dies letztlich geschehen kann und wird, ist offen).
  • 26,4 Mrd. Dollar Militärhilfe an Israel, sowie für humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung in der Konfliktzone, einschließlich Gaza.
  • 8,1 Mrd. Dollar für Taiwan und den indo-pazifischen Raum.
  • Weitere Sanktionen gegen den Iran und gegen Russland.
  • Eine Bestimmung, die zum Verbot von Tik Tok führen könnte. Die New York Times vermerkt dazu, dieser Teil des Gesetzes sei dazu bestimmt, den Konservativen die Zustimmung zu versüßen. 
  • Haushaltsmittel für die Grenzsicherung und Vorschriften zur Migrations- und Einwanderungspolitik enthält das nun vorliegende Gesetz im Gegensatz zum ursprünglichen Kompromisspaket des Senats nicht mehr.

 

3. Wie gelang es, den Ukraine-Gegner Mike Johnson ins Boot zu holen?

Der außenpolitisch unerfahrene Abgeordnete Mike Johnson – er wurde am 25.10.2023 zum Speaker of the House gewählt – hat einen wichtigen Beitrag zur Verabschiedung des Ukraine-Gesetzes geleistet. Ich will ihn nicht uneingeschränkt zum Helden machen, denn während der sechs Monate des Diskutierens und Streitens in Washington ist bei der ukrainischen Armee die Munition knapp geworden, wenn nicht ausgegangen und die Luftverteidigung konnte nicht weiter ausgebaut werden. Soldaten und Zivilisten verloren ihr Leben und die ukrainische Front begann zu wanken. Die Heilbronner Stimme berichtete, dass russische Truppen in den vergangenen Tagen mehrere Dörfer erobert haben (Heilbronner Stimme, 29.4.2024: „Verteidigung der Ukrainer unter starkem Druck“).

Ich will hier eine Antwort auf die Frage versuchen: Was ließ Mike Johnson umdenken und umschwenken, hatte er doch in der Vergangenheit mehrfach gegen die Hilfe für die Ukraine votiert? Er hatte dabei u. a. mit dem Stichwort Korruption argumentiert und eine strengere Kontrolle der Leistungen an die Ukraine verlangt. Als vor Monaten eine Gruppe demokratischer und republikanischer Senatsmitglieder parteiübergreifend ein Kompromisspaket geschnürt und im Senat durchgebracht hatten, erklärte Johnson, diese Vorlage sei beim Eintreffen im Repräsentantenhaus „tot“ und er brachte den Entwurf nicht ins Plenum ein. Doch nach einiger Zeit schwenkte er um und argumentierte geo-politisch, ähnlich wie die Demokraten und die Außenpolitiker der Republikaner:  Es sei die Aufgabe des Kongresses, der Ukraine bei der Abwehr eines Autoritären beizustehen. Und er warnte davor, sollte die Ukraine fallen, könnten die Russen auch in den Baltischen Staaten und in Polen einmarschieren.  Er würde der Ukraine lieber Munition als amerikanische Boys schicken. 

Diese Gesichtspunkte waren nicht neu. Vor allem aus Europa kam der Hinweis, Putin werde keine Ruhe geben, sollte ihm ein Sieg über die Ukraine gelingen.  Im Gegenteil: Sollte ihm die Ukraine in die Hände fallen, würde ihn dies ermuntern, den nächsten Überfall zu inszenieren.  Am 11.3.2024 warnten die Leiter der amerikanischen Geheimdienste, der CIA-Direktor William J. Burns und Avril D. Haines, der Geheimdienst-Direktor bei einer öffentlichen Anhörung im Senat, dass eine weitere Verzögerung der Hilfe für die Ukraine zu  Geländegewinnen Russlands führen würde – mit Konsequenzen nicht nur in Europa sondern auch  im Pazifik. Burns sagte: „Wenn wir den Anschein erwecken, dass wir die Ukraine nicht weiter unterstützen, wird dies nicht nur bei unseren Alliierten und Partnern im indo-pazifischen Raum Zweifel wecken; es wird auch die Vorhaben der chinesischen Führung in Verbindung mit Taiwan und der Südchinesischen See anheizen.“ Auch der CIA-Direktor William J. Burns weiß um was es geht, hat er doch seit Beginn des Krieges die Ukraine bereits zehnmal besucht. 

Welche Tatbestände mögen Mike Johnson im Einzelnen zum umdenken gebracht haben? Er mag die Last der Verantwortung gespürt haben, die er als Speaker of the House zu tragen hat und die ihn früher als einfachen Abgeordneten aus Louisiana nicht so sehr belastet haben mag. Als er am 12.4.2024 nach Mar-a-Lago reiste, um sich mit Donald Trump zu beraten, sah ich für die Ukraine schwarz. Die New York Times berichtete ausführlich über diese Reise.  Auch darüber, dass Trump kein ausgesprochener Freund der Ukraine war und ist, hatte er doch die Unterstützung des Landes als „dumm“ bezeichnet. Die NYT berichtete auch über die Probleme und Erfahrungen der früheren Speaker of the House mit Donald Trump. Dazu der frühere Speaker Paul D. Ryan: „Man musste immer die Person bekämpfen, die zuvor als letzte  mit ihm gesprochen hatte, auch seine emotionalen Launen und was er gerade las. Es war ein ständiger Kampf, man musste dauernd kämpfen.“ Auch Kevin McCarthy, der Vorgänger von Mike Johnson, hatte mit Trump allerhand Erfahrungen gesammelt. „My Kevin“ hat ihn Trump einmal genannt. Doch als die Trumpies im Repräsentantenhaus McCarthy vom Acker jagten, ließ es Trump geschehen. Und ganz aktuell zeigte Marjorie Taylor Greene erneut das Folterwerkzeug der Abwahl des Speakers. 

Dass der unberechenbare frühere Präsident jedoch immer wieder für eine Überraschung gut ist, war in der New York Times zu lesen: „Ich stehe zum Speaker“, sagte Trump den Reportern im Beisein von Mike Johnson und – obwohl Trump diesem wiederholt Prügel in die Speichen geworfen hatte – sagte er weiter: „Er macht unter den gegebenen Umständen einen wirklich guten Job“, und bezeichnete die Absicht, Mike Johnson zu feuern, als „unglücklich“:  „Ich bin sicher, Marjorie wird das verstehen.“ 

Zum Thema „Hilfe für die Ukraine“ berichtete die New York Times, dass die beiden die Angelegenheit besprochen hätten und dass ein Lösungsansatz sein könnte, die Hilfe im Wege eines Darlehens zu leisten. Im NYT-Bericht wird darauf verwiesen, dass die Republikaner im Repräsentantenhaus nur eine geringe Mehrheit haben, die bei einer Abstimmung nur wenige Abweichler zulässt. Denn: „die Partei ist tief gespalten und von der rechten Flanke werden Johnsons Bemühungen, einen Kompromiss zu finden, immer wieder angegriffen“. Der republikanische Abgeordnete Troy Nehls aus Texas beschrieb die Situation so:  „Selbst Jesus könnte diese Fraktion nicht managen. Es ist einfach nicht machbar.“

Wie zerrissen die Republikaner im Repräsentantenhaus waren und sind, wird aus Aussagen verschiedener Fraktionsmitglieder deutlich. Die Süddeutsche Zeitung zitiert den Abgeordneten Andy Ogles aus Tennessee, der zur „Widerstandsgruppe“ des Freedom Caucus gegen die Ukraine-Hilfe gehört: „Ich bin es leid, Grenzen anderer Länder zu sichern, während wir unsere eigenen ignorieren. Die Ukraine kann woanders um Geld betteln“ (sueddeutsche.de, 18.4.2024:  „Grabenkämpfe statt Geostrategie“).  

Völlig konträr ist dagegen, was der aus Texas kommende Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses, Michael McCaul sagte: „Unsere Gegner arbeiten zusammen um unsere westlichen Werte zu untergraben und unsere Demokratie herunterzumachen. Wir dürfen in diesem Augenblick nicht ängstlich sein.  Wir müssen tun, was richtig ist. Das Böse ist auf dem Vormarsch. Die Geschichte ruft uns und es ist an der Zeit zu handeln. Die Geschichte wird uns an unseren heutigen Taten messen. Während wir überlegen, wie wir abstimmen sollten, müssen wir uns die Frage stellen: Bin ich Chamberlain oder Churchill?“  (nytimes.com, 20.4.2024: „House Approves $95 Aid Bill for Ukraine, Israel and Taiwan“).

Interessante Details zum Einschwenken Johnsons wurden in der New York Times dargestellt. Dabei spielte die Strategie des Weißen Hauses eine bedeutsame Rolle. Ein Hinweis in der NYT erscheint mir besonders bemerkenswert: Obwohl Johnson und die MAGA-Republikaner  auch mit Zustimmung Trumps – das im Senat ausgehandelte Gesetz zunächst „auf Eis“ legten um damit weitere Zugeständnisse der Demokraten in der Migrationspolitik zu erreichen, hatte Biden seine Berater angewiesen, öffentliche Kritik an Johnson zu unterlassen. Im Gegenteil: Johnson und später auch weitere Republikaner erhielten Zugang zu Sicherheitsdossiers der Geheimdienste in denen erläutert wurde, welches Risiko die Verweigerung der Unterstützung Kiews bedeutet.  Johnson hat später erklärt, diese von CIA-Direktor William J. Burns durchgeführten Briefings seien entscheidend für sein Umdenken gewesen. „Intelligenz, Politik und persönliche Überlegungen verwandelten den republikanischen Speaker, der als einfaches Mitglied (des Repräsentantenhauses) die Hilfe für die Ukraine abgelehnt hatte, in jene Schlüsselfigur, die die Hilfe durch den Kongress brachte“ berichtete die New York Times. „Und schließlich, als sein Plan, mit den Demokraten zu kooperieren auf einen Schwall von Gift der Ultrakonservativen traf, die drohten, ihn zu entsorgen, kniete Mr. Johnson, ein evangelikaler Christ nieder und betete um Beistand.“

 

4. Das verzwickte Puzzle, das sich Mike Johnson ausdachte

Doch der Schwenk Johnsons war das Eine, nun musste er noch den geschäftsordnungsmäßigen Weg finden, um das Hilfepaket durch das tief gespaltene Repräsentantenhaus zu bringen. In der New York Times wird dieses Puzzle, das sich der Speaker of the House aufgeladen hatte, so beschrieben: „Es zielt ab auf eine komplizierte Mischung bestehend aus einer parteiübergreifenden Koalition, in der den unterschiedlichen Gruppierungen im Repräsentantenhaus ermöglicht wird, einzelne Teile abzulehnen, ohne das ganze Gebilde zu versenken. Dadurch soll letztlich genügend Zustimmung von den Demokraten und von Mainstream-Republikanern erreicht werden, um das Gesetz zu verabschieden – trotz des Widerstands der extrem rechten Republikaner gegen die Ukraine-Hilfe und der Ablehnung der uneingeschränkten Hilfe für Israel durch den linken Flügel der Demokraten.“ Dieses Ziel wurde dadurch erreicht, dass über die einzelnen Teile des Gesetzes jeweils getrennt abgestimmt wurde. Dabei wurden zum Beispiel die ablehnenden Stimmen der Republikaner gegen die Ukraine-Hilfe wieder ausgeglichen durch die „Ja“-Stimmen von den Demokraten. Am Ende wurde das Ganze wieder zusammengefügt und als einheitliches Gesetz an den Senat weitergeleitet (nytimes.com, 16.4.2024: „Johnson’s Plan for Ukraine Aid Meets Republican Pushback, Muddying Its Path“).

Seinem Fraktionskollegen Michael McCaul, dem Vorsitzenden des Außenpolitischen Ausschusses, hatte der Speaker erklärt: „Ich will auf der richtigen Seite der Geschichte stehen.“ Über die Geheimdienst-Briefings sagte er: „Ich vertraue den Intel-Diensten. Ich denke, Putin würde weitermachen und durch Europa marschieren, wenn ihm dies gestattet wird. Die Baltischen Staaten würden wohl die Nächsten sein. Dann gäbe es womöglich den Showdown mit Polen oder einem anderen NATO-Verbündeten.“

Die New York Times bezeichnet den Schwenk Johnsons als „bemerkenswerte Entscheidung einer Führungspersönlichkeit der Partei, die das tiefe Misstrauen des früheren Präsidenten Donald J. Trump gegenüber den Geheimdienste übernommen hat.“ Beeindruckt war Johnson vom Besuch des Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selensky und dessen Schilderungen des Ausmaßes des Leidens, das die russischen Truppen dem geschundenen Land angetan haben. „All dies nagte an Mr. Johnsons Vorstellungen über den christlichen Glauben“, schrieb die NYT. Und schließlich stand Johnson unter ständigem Druck der Befürworter der Ukraine-Hilfe bei den Republikanern, darunter auch Mitch McConnell, der Minderheitenführer im Senat, und auch von Demokraten (Quellen: nytimes.com, 21.4.2024:  „How Mike Johnson Got to ‚Yes’ on Aid to Ukraine“; nytimes.com, 24.4.2024: “Biden Says Weapons Will Flow to Ukraine Within Hours as He Signs Aid Bill”).

War es das Ergebnis wiederholter Lage-Briefings durch die Geheimdienste, die Schilderungen des ukrainischen Präsidenten, der Druck von weitsichtigen Republikanern und Demokraten, das eigene Nachdenken oder das erhörte Gebet – meines Erachtens ist dem erst wenige Wochen zuvor – am 25.10.2023 zum Speaker of the House gewählten Mike Johnson hoch anzurechnen, dass er seine ursprüngliche Meinung zur Ukraine-Hilfe – entgegen der Auffassung von Donald Trump und anderer GOP-Politiker radikal geändert hat. Man kann einwenden, er  habe dazu angesichts der äußerst schwierigen Lage der ukrainischen Truppen und der steigenden Opferzahlen der Armee und der Zivilbevölkerung viel zu lange gebraucht. Doch Johnson  hat den Schwenk schließlich vollzogen – und wurde für die extrem rechte Fraktion der Republikaner damit zum „Verräter“. Bereits vorher hatte die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene mit der Abwahl des Speakers  gedroht und nach der Abstimmung am 20.4.2024 erklärte Greene: „Ein Paket für einen fremden Krieg hilft Amerika nichts“ und sie fügte geradezu zynisch hinzu: „Es ist unglaublich. Doch ich bin dankbar dafür, dass Amerika nun sehen kann, wer dieser Mann ist.“ (Eine Formulierung die zeigt, wie kurzsichtig sich ein Teil der amerikanischen Republikaner in ihrer MAGA-Festung verschanzt haben).

 

5. Wird Marjorie Taylor Greene zum Racheengel für Mike Johnson?

Werden die MAGA-Republikaner im Repräsentantenhaus nun Rache nehmen an dem „abtrünnigen“ Speaker Mike Johnson, wie sie es mit seinem Vorgänger Kevin McCarthy getan haben? Ich wage keine Prognose; in die Denkkategorien von MAGA-Größen wie Marjorie Taylor Greene vermag ich mich nicht hineinzudenken. Sie hat inzwischen angekündigt, den Misstrauensantrag gegen Mike Johnson weiter zu verfolgen. Doch die Lage hat sich seit der Vertreibung von Kevin McCarthy grundlegend verändert:

  • Für die Republikaner wäre es taktisch unklug, wenige Monate vor der Wahl am 5.11.2024 erneut ein Chaos um die Wahl eines neuen Speakers zu inszenieren wie dies nach dem Rauswurf von Kevin McCarthy geschah. Und dies hat ein Großteil der Fraktion – trotz der Zweifel an der Zusammenarbeit mit den Demokraten – auch erkannt.
  • Ein weiterer wichtiger Aspekt sei genannt: Anders als bei der Abwahl von McCarthy ist Mike Johnson den Manövern seiner rechten Widersacher nicht schutzlos ausgesetzt. Am 30.4.2024 erklärte Hakeem Jeffries, der Vorsitzende der Demokraten im Repräsentantenhaus, falls Marjorie Taylor Greene ihren Misstrauensantrag gegen Johnson weiterverfolgt, würden ihn die Demokraten zusammen mit der Mehrzahl der Republikaner niederstimmen. Dazu erklärten die Demokraten, es gehe ihnen dabei weniger um Mike Johnson sondern darum, die rechten Randsiedler der GOP in die Schranken zu weisen (nytimes.com, 30.4.2024: „Democrats Announce That They Will Rescue Johnson if He Faces Ouster Vote“).

Der Versuch der Abgeordneten Marjorie Taylor Greene aus Georgia, den Speaker of the House erneut in die Wüste zu schicken, hat damit keine reale Chance mehr. Zu rechnen ist auch damit, dass ein Großteil der Republikaner wenige Monate vor der Wahl kein Interesse daran hat, die eigene Fraktion erneut ins Chaos zu stürzen und die Gesetzgebung lahmzulegen. Doch Greene lässt sich weder durch die Aussichtslosigkeit ihres Antrags noch durch die kritischen Hinweise Trumps oder anderer Republikaner von ihrem Vorhaben abbringen. Am 1.5.2024 erschien sie – mit einer MAGA-Kappe auf dem Kopf – zu einer Pressekonferenz und ging mit dem Speaker wegen dessen Zusammenarbeit mit den Demokraten hart ins Gericht. Sie kündigte an, in der kommenden Woche den Rauswurf von Mike Johnson formal zu beantragen. Große Erfolgsaussichten hat sie nicht; bis jetzt erhielt sie nur die Unterstützung von zwei weiteren Fraktionskollegen. Trotzdem erklärte Greene am 1.5. 2024 sehr selbstbewusst, sie habe Johnson mehrere Chancen gegeben, den Misstrauensantrag zu vermeiden, doch der habe diese Chancen nicht genutzt. „Ich war zurückhaltend; ich war verantwortungsbewusst; ich war mir der (geringen) Mehrheit unserer Fraktion bewusst und habe darauf Rücksicht genommen. Es war eine Warnung (an den Speaker), nicht länger den Demokraten zu dienen sondern die Fraktion der Republikaner und unsere Agenda zu unterstützen. Doch er hat es nicht getan.“ Man spürt aus diesen Worten die Enttäuschung, die Marjorie Taylor Greene gegen den Speaker aus den eigenen Reihen empfindet, den sie vor wenigen Wochen, wahrscheinlich mit großen Hoffnungen, gewählt hatte:  Mike Johnson ist nicht geeignet für den Job; er hat es immer wieder bewiesen. Und jetzt treten Hakeem Jeffries und die Demokraten an und Mike Johnson umarmt sie mit einem großen, feuchten, schmalzigen Kuss“ (nytimes.com, 1.5.2024: „Greene Says She Will Demand Vote Next Week on Removing Johnson“).

An weiteren warnenden Stimmen aus den eigenen Reihe hat es nach dieser Ankündigung nicht gefehlt. Jim Jordan aus Ohio, selbst einer der rechten Scharfmacher im Repräsentantenhaus, fragte kritisch: „Ich weiß nicht was es bringt, sechs Monate vor einer Wahl bei der wir versuchen, das Weiße Haus zu gewinnen?“ Und Jim Jordan war bei weitem nicht die einzige warnende Stimme. Doch – so vermerkte die New York Times – „es half alles nichts, Ms. Greene konnte nicht gebremst werden.“ Zur Erklärung der Sturheit der Trump-Ikone vermerkt die NYT, man müsse nur ansehen, wie sie ihre Zeit verbringt:  „Im Kongress spricht sie mehr als MAGA-Influenzerin denn als Gesetzgeberin, indem sie unerbittlich die Demokraten angreift und über die Südgrenze schimpft. Dabei wendet sie sich an Zuseher aus der Arbeiterklasse die glauben, sie sei eine von ihnen.“ Marjorie Taylor Greene erscheint immer wieder in den Podcasts, die Stephen Bannon in seinem „War Room“ produziert. Bannon – er war der erste Stabschef Trumps im Weißen Haus und hat seinerzeit ein Chaos hinterlassen – hat erklärt: „Die alte Art der Politik ist vorbei. Politik besteht heute aus den Medien, Theater, Drama und dem Erkennen des Augeblicks.“ Er beschreibt Greene als „ursprüngliches und reines Trump“ (nytimes.com, 1.5.2024: „In Bid to Oust Johnson, Greene Tries to Reclaim a Powerful Perch on the Fringe“).

Ich habe keinen Zweifel, bis zur Wahl am 5.11.2024 werden die Republikaner im Repräsentantenhaus noch mehr Theater und Drama veranstalten.

Wird fortgesetzt ...  

Heinrich Kümmerle hat auf diesen Beitrag reagiert.
Heinrich Kümmerle

Seitenaufrufe: 4.310 | Heute: 21 | Zählung seit 22.10.2023
  • Ergänzung: Die Inflation ist stärker als vor dem Euro?

    Nein. Seit 25 Jahren gibt es den Euro. Das Eurosystem (EZB + Nationale Zentralbanken) haben das Inflationsziel zwischen 1999 und 2020 im Durschnitt deutlich besser erreicht als es davor der Fall war. Die Phase der jetzigen Inflation in Folge der Corona-Krise und der Lieferengpässe und der Energiekrise hat die Preise weltweit 2021, 2022 getrieben. Die Inflation sinkt seit Ende 2022 kontinuierlich und nähert sich wieder den 2 % an.
    Darüber hinaus hat die gemeinsame Währung Europa Stabilität in diversen Krisen gegeben.
    Die gemeinsame Währung stützt den Binnenmarkt und hat Deutschland geholfen, starke Exportleistungen zu erzielen.

  • Zum Protokoll des Gesprächskreises „Europa jetzt!“ würde ich gerne hinzufügen, dass wir Teilnehmer auch darüber debattiert haben, wie „selbstverständlich“ Europa gerade für uns jüngeren geworden ist. Viele von uns kennen es gar nicht anders. Reisen ohne Grenzen, zahlen in Euro, keine Zollgebühren beim Onlineshopping, anders kennen wir es fast nicht. Es gilt, diese Freiheiten aufzuzeigen um das Interesse an Europa zu wecken.
    Ebenso war sich der Großteil der Gruppe einig, dass wir keine Angst haben, sondern Bedenken und Unsicherheit empfinden, wenn wir die aktuellen Entwicklungen beobachten.

    • Wie wir feststellen durften ist die Halbwertszeit solcher Runden nicht ausreichend, um ein Forum nur annähernd zu füllen. Wo die Unverbindlichkeit zum Prinzip erhoben wurde, muss man tatsächlich über ganz neue Kommunikationskanäle nachdenken.