Strandgedanken

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Beitragsfoto: Muscheln | © Bettina Kümmerle

Gerade bietet sich mein Lieblingsstrand besonders gut dazu an, um sich in Gedanken zu verlieren, denn für diese Jahreszeit herrscht hier ein ungewöhnliches Wetter und so ist der bereits sonst wenig frequentierte Strand noch leerer. Einmal abgesehen von Myriaden von Segelquallen, die dieses Jahr an die Strände von Südkalifornien gespült wurden, und nun neben den unzähligen Muscheln und Krebsen zum Liegen kamen.

Eigentlich sind Strände riesige Friedhöfe und ziehen uns Menschen wahrscheinlich gerade deshalb wie magisch an. Wer mit mir bereits einmal über einen Friedhof geschlendert ist, der weiß, dass man eine Stadt erst so richtig kennt, wenn man mindestens einen ihrer Friedhöfe durchschritten hat.

Gerade ein Strand macht jeden Menschen in einer sehr angenehmen Form darauf aufmerksam, dass das eigene Leben endlich und der Tod das eigentliche Ziel eines jeden Lebewesens ist. Und wir Menschen wissen dies eigentlich alle sehr genau.

Manche von uns glauben daran, das Erreichen dieses Ziels hinauszögern zu können, indem sie auf ein Leben nach dem Tod bauen — ob viele dabei die Ewigkeit so ganz richtig verstanden haben, darf bezweifelt werden.

Und so glauben vielleicht doch so manche von uns daran, wahrscheinlich gerade dann, wenn sie einem späteren ewigen Leben keinen Glauben schenken können, durch ein immer Mehr ebenfalls ihrem Schicksal entrinnen zu können.

Dieses Mysterium „Mehr von allem“, treibt gerade uns Menschen wohl allesamt um. Kaum einer von uns ist in der Lage, um aus diesem Hamsterrad auszusteigen. In unserer eigenen Endlichkeit suchen wir wie verzweifelt immer noch mehr zu erreichen oder zu bekommen und müssen eigentlich recht froh darüber sein, dass uns letztendlich jemand anderes davon befreit.

Und jene von uns, die diesem Hamsterrad entrinnen möchten, die springen sogleich auf das nächste auf, denn weniger ist immer auch wieder mehr — einfach nur mehr von wenig; jeder Mathematiker freut sich darauf, dies einem bis ins kleinste Detail zu erklären.

Man könnte sich durchaus einmal fragen, warum wir alle immer mehr haben wollen? Warum es uns nicht gelingt, mit dem zufrieden zu sein, was wir haben. Das Mehr ist wohl ein Ausdruck für Veränderung und das Leben an sich ist Veränderung. Und so wäre das immer Mehr ein bloßes Ja zum Leben.

Dabei könnten wir uns doch einmal überlegen, ob es anstatt von mehr oder gerne auch weniger einen anderen Ausdruck für Veränderung oder gar das eigene Leben gibt?

Ich bin davon überzeugt, dass man durchaus einmal den Überlegungen von z. B. — weil jüngst hier im Weblog Thema — Emily Dickinson oder Henry David Thoreau folgen könnte, die sehr einfach zum Ausdruck brachten, dass man das Hier und Jetzt gerade dort finden sollte, wo einen das eigene Leben hingespült hat.

Jeder von uns erreicht sein Lebensziel schneller als es den meisten lieb sein dürfte. Und so sind sämtliche Versuche, das eigene Leben durch obige Tricks zu verlängern vertane Zeit. Wer im Hier und Jetzt keinen Sinn findet, der findet ihn auch später oder gar woanders nicht. Und wer zuhause mit seinem Leben nichts anzufangen weiß, der wird auch in der Ferne keine Lösung für sein ureigenes Problem finden.

Das Schöne an der Unendlichkeit ist doch gerade, dass man diese nicht nur in der Ferne suchen kann, sondern diese selbst in einem einzigen Sandkorn zu finden ist, vorausgesetzt natürlich, man sucht auch danach.

Und das Schöne an Friedhöfen ist doch, dass diese gerade daran erinnern und man zugleich von diesen deshalb doch so einiges lernen kann. Zumal wir Menschen wohl die einzig bekannte Lebensform sind, die in der Lage ist von toten Exemplaren der eigenen Art zu lernen.

Und so schweifen meine Gedanken ab hin zum Lernen und ich stelle mir dabei die Frage, ob es denn wirklich so gut ist, von den eigenen „Mitreisenden“ zu lernen, oder es doch besser wäre, gerade auf jene zu hören und zu lernen, die ihre Reise bereits hinter sich haben?

Vor allem dann, wenn deren Reise eine allgemein anerkannt erfolgreiche war. In diesem Sinne könnte man durchaus Bibliotheken als Strände für unserer Gedanken betrachten, man muss sie nur aufheben und sammeln.


„In any weather, at any hour of the day or night, I have been anxious to improve the nick of time, and notch it on my stick too; to stand on the meeting of two eternities, the past and future, which is precisely the present moment; to toe that line.“

Henry David Thoreau, Walden (2020 [1854]: 14)

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