Zeitalter der Beliebigkeit

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Beitragsfoto: Sandstrand | © Pixabay

Spätestens seit bei uns Träger von in Deutschland erhaltener akademischer Titel seitenweise Sokrates zitieren, bin ich zur Überzeugung gelangt, dass wir nunmehr ein gesamtgesellschaftliches Problem haben. Seit langem bin ich mir zudem bewusst, dass es zwar immer noch zur „bürgerlichen Pflicht“ gehört, auf deutsche Bildung und Errungenschaften stolz zu sein, kaum einer aber noch selber den Versuch unternimmt, z. B. ein Buch von Goethe, Schiller oder Humboldt zu lesen. Vom Versuch, die allgemeine oder spezielle Relativitätstheorie sowie andere maßgebliche Errungenschaften unserer Zeit zu verstehen, ganz zu schweigen.

Wenigstens auf unsere gemeinsamen Werte, Überzeugungen und Rechtsauffassungen können wir noch bauen. Das Problem hierbei ist, dass auch auf diesem Gebiet die Unkenntnis überhand zu nehmen scheint. Sicherlich aber ist die Bereitschaft auf einen Tiefpunkt gesunken, diese Ideen und Übereinkünfte für sich selber in Anspruch zu nehmen und auch umzusetzen.

Als Folge davon können wir beobachten, wie wir uns zwar traditionsgemäß weiterhin in Parteien, Verbänden und Vereinen versammeln ohne aber, beim Eintritt in eine solche Gemeinschaft, das „Kleingedruckte“ gelesen oder gar verstanden zu haben. Es ist keine Seltenheit mehr, dass selbst Vorstände und Präsidenten die vertretenen Grundsätze und Programmatiken nicht mehr kennen oder schlimmer noch, eigentlich vollumfänglich ablehnen. Das Ganze wird dann dadurch noch überboten, indem diese Personen sich weigern, beim Feststellen dieser Diskrepanz, persönliche Konsequenzen zu ziehen und darüber hinaus oftmals sogar fordern, dass sich der betreffende Verband oder die anderen Mitglieder anzupassen hätten – ein m. E. völlig verqueres Verständnis der Forderung „Marsch durch die Instanzen“.

Ein weiteres Indiz für diese Beliebigkeit ist, dass es nunmehr gesellschaftlich chic ist, sich gleich in mehreren, inhaltlich gänzlich widersprechenden Gemeinschaften zu engagieren. Denn dies ist in einer Zeit, in der man weder die Grundlagen von Gemeinschaften kennen möchte, noch dazu bereit ist, diese Grundlagen auch als Maßstab für das eigene Handeln zu nehmen, keine Schwierigkeit mehr und wird den so Handelnden sogar noch als geistige Flexibilität hoch angerechnet.

Der Höhepunkt ist es aber, dass solche der Beliebigkeit fröhnenden Menschen bei anderen gerne fehlende oder unserer Gesellschaft völlig konträren Werte erkennen wollen und diesen deshalb die Zugehörigkeit in unsere Gemeinschaft verweigern möchten.

„Schluß mit lustig“ hatte Peter Hahne bereits 2004 vergeblich gefordert.

Wenn wir tatsächlich noch dem Zeitalter der Beliebigkeit entfliehen möchten, dann müssen wir als Betroffene selber tätig werden und erstmals bei uns persönlich anfangen. Nach dem Motto „mehr Sein als Schein“, müssen wir unserer tatsächlichen eigenen Leistungsfähigkeit gewahr werden, dies dann auch akzeptieren – wahrscheinlich die größe Schwierigkeit bei diesem Unterfangen – und letztendlich versuchen, das Beste aus unseren eigenen Möglichkeiten zu machen.

Sobald wir diesen Schritt zu gehen bereit sind, werden wir uns und unsere Umwelt mit anderen Augen sehen. Und dann ist auch endlich „Schluß mit lustig“! 

„Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.“

Heinrich Heine, Nachtgedanken (1844)

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