Beitragsfoto: Radfahrerin | © Pixabay | San Francisco
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Detlef Sterns Blog
Zu Beginn der übliche Disclaimer: ich bin multimodal unterwegs. Gerne gehe ich zu Fuß. Wenn es sein muss, dann nutze ich mein Auto. Am liebsten fahre ich Autobahn und Serpentinen. Bedeutet aber nicht, dass ich gerne Auto fahre. Ist eher so ein Von-A-nach-B-Ding. Als in einer echten Großstadt Aufgewachsener ist für mich der ÖPNV etwas ganz Selbstverständliches. Und spätestens als Gymnasiast wurde ich zum Alltagsradler. Seit knapp einem Jahr zusätzlich mit Kraft der Elektrochemie, sogar vom Dienstherrn gefördert. Ich bin definitiv kein leidenschaftlicher Radfahrer, meine Fahrleistung wird so um die 1000–2000 km pro Jahr sein. Wenig, aber relativ regelmäßig.
Warum schreibe ich das? Ich bin kein Fahrradaktivist, auch wenn ich mit manchen Organisationen hier und da übereinstimme. Ich bin auch kein Füßgängeraktivist, kein ÖPNV-Aktivist, kein Auto-Aktivist, auch wenn ich mehr oder minder häufig mit den dazu passenden Organisationen übereinstimme.
Ich finde diese Regelung, dass Autos Radfahrer nun mit einem Mindestabstand überholen müssen, beispielsweise ganz gut. Auch wenn sich gefühlt viele Fahrerinnen von Premiumsvorfahrtsflatratemarken sich nicht daran halten und gerne das Verkehrszeichen 277.1 ignorieren. Manchmal auch der eine oder andere Lieferwagen oder eines der hiesigen ÖPNV-Fahrzeuge nicht. Deren fehlende Bildung ist aber ein ganz anderes Problem.
So ein Auto hat innerorts grob die zwei- bis dreifache Geschwindigkeit wie ich als Radfahrer vom vielfachen Impuls ganz zu schweigen. Außerorts ist es gerne der Faktor sechs, auch wenn ich nicht immer verstehe, weshalb auf manchen Sträßchen überhaupt 100 km/h erlaubt sind. Geschenkt. Ich bin über den Mindestabstand froh.
Vergleicht man den Geschwindigkeitsunterschied aber einmal mit dem zwischen Fahrrad und Fußgänger, dann kommt man auf ganz andere Faktoren. Da ist innerorts schnell der Faktor fünf erreicht. Dank Kraft der Elektrochemie fahren viele mit 25 km/h vorbei an jenen, die leicht flott mit 5 km/h zu Fuß unterwegs sind. Gassigehende bekommen es mit Faktor acht zu tun. Und ich rede hier nicht einmal von den Kampfradlern, die gerne mal auf ihrem Rennrad mit mehr als 35 km/h durch Fußgängerzonen brezeln und sich dann über Autofahrer beschweren, die nicht schnell genug auf dem Zebrastreifen anhalten und sie nicht durchlassen. Zumal diese gerne vergessen, dass es sich dabei um einen Fußgänger(!)überweg handelt, nicht um einen Radfahrerüberweg.
Warum gibt es hier keinen Mindestabstand? Nur wegen des geringeren Impulsunterschieds? Wirklich?
Es gibt noch eine andere Art von Kampfradlern. Das sind häufig jene, die sich schon als Auto einen Kampfwagen aka SUV zugelegt haben. Oder es planen. Diese Zeitgenossen (und -innen) fahren in ihrer Freizeit natürlich ähnlich gepanzert wie ein Footballspieler ein elektrisch angetriebenes Fahrrad, vorzugsweise ein Mountainbike, natürlich in der Stadt oder im stadtnahen Umfeld. Besonders gerne auch im Urlaub. Sie sind deshalb gepanzert, weil ihr Gefährt sie beherrscht. Und dank der Panzerung ist es ihnen gleichgültig, dass sie bergab gerne mit 40-50 km/h gefühlt millimeterweise an Fußgängern vorbei düsen. Letztens an einem dahinspazierenden Kindergarten beobachtet. Zum Glück hatten wenigstens die Kinder etwas Disziplin.
Wird auf einen Mindestabstand zwischen Radfahrer:innen und Füßgänger:innen verzichtet, weil diese Gruppe an Kampfradlern besonders ignorant erscheint? In vielen Situationen denke ich mir, dass die Evolution einem normalerweise hilft. Sollte der selbst ernannte Querdenkende zum Querfahrenden werden, dann ist es schnell aus mit dem Querdenken. Aber in diesem Fall hilft die Evolution den Ignoranten.
Wie schon angedeutet, hat das alles mit einer Art Aufrüstung zu tun. Autos werden immer stabiler, auch um gegen andere Autos bestehen zu können. Andere Verkehrteilnehmer rüsten nach. Jede ist auf ihrem individuellen Vorteil bedacht, jeder auf seinem. Anders lässt sich dieser Wahnsinn für mich nicht erklären. Nächste Evolutionsstufe ist mutmaßlich der Transportpanzer. Wären da nur nicht die hohen Treibstoffkosten.
In jeder Gruppe von Verkehrsteilnehmern gibt es genügend viele, die nicht angemessen teilnehmen. Menschen, die meinen, der Weg gehöre ihnen. Leider regelt das weder „der Markt“ noch die Evolution. Diejenigen, die es regeln könnten, sind offenbar eingebunden in die selbstgeschaffene Bürokratie. Dabei ist das alles nicht kompliziert, gibt es schon lange im Arbeitsschutz. Nur dass Verkehr wohl nicht unter die Arbeit fällt:
- Gefahr vermeiden
- Gefahr ersetzen
- Menschen von der Gefahr isolieren
- Änderung des Verhalten
- Schutzausrüstung
Nicht das Letzte zuerst, btw.