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Eine amerikanische Tragödie – Wie geht es weiter? (Teil 1)

Meine beiliegende Ausarbeitung hat etwas länger gedauert als geplant, ist aber nun fertig gestellt. Den angekündigten 2. Teil werde ich erst nach den ersten US-Vorwahlen anpacken. Am 15.1.2024 geht's los in Iowa. Danach kann sich einiges tun.
 
Ursprünglich wollte ich mich bei dieser Ausarbeitung vor allem mit verschiedenen Urteilen des US Supreme Courts beschäftigen, wo es durch die völlig veränderte Zusammensetzung des Richterkollegiums während der Trump-Präsidentschaft zu einer Reihe von „Blockbuster-Entscheidungen“ gekommen ist.  Doch dann geschah am 3.10.2023 etwas bis dato nie Dagewesenes in der amerikanischen Geschichte, und meine ursprünglich geplante Gliederung wurde völlig auf den Kopf gestellt: Eine kleine Gruppe extrem rechter Mitglieder der republikanischen Fraktion des Repräsentantenhauses ließ den im Januar 2023 mit großen Mühen ins Amt gewählten und aus den eigenen Reihen kommenden Kevin McCarthy als Speaker of the House über die Klinge springen und legten die amerikanische Gesetzgebung lahm.  Erst nach mehreren chaotischen Wochen konnten sich die Republikaner auf einen neuen Speaker of the House einigen.  
Daraus entstand -- in Anlehnung an den Roman von Theodore Dreiser die Überschrift dieser Arbeit: „Eine amerikanische Tragödie“.
Die „Blockbuster-Urteile“ des Supreme Courts und der gegenwärtige Stand des amerikanischen Wahlkampfs vervollständigen den 1. Teil der Arbeit. Teil 2 kann erst nach dem Beginn der republikanischen Vorwahlsaison geschrieben werden, denn dadurch kann sich einiges ändern.

 

Inhaltsübersicht

  • Einleitung
  • Die Gefahren des Chaos-Schauspiels
  • Mike Johnson aus Louisiana – Der neue Speaker of the House
  • Die Urteile des Supreme Court haben lange Bestand
  • Blockbuster-Urteil Nr.1:  Aufhebung der Praxis der Affirmative Action
  • Was bedeutet diese Entscheidung des Supreme Court?
  • Blockbuster-Urteil Nr. 2:  Weitere Einschränkung von LGBTQ-Rechten
  • Blockbuster-Urteil Nr. 3:  Die amerikanische Bundesregierung darf Rückzahlungsverpflichtungen von Studentendarlehen nicht erlassen
  • Was steht beim Supreme Court noch an?
  • Noch einmal zurück zur Affirmative Action
  • Der Wahlkampf läuft auf vollen Touren – Gibt es eine Neuauflage Biden ./. Trump?
  • Eine Übersicht
  • Sorgen um das Niveau des Wahlkampfes
  • Wahlkampf Stufe Eins:  Die Primaries – Der Kampf um die Kandidatur
  • Die ersten drei Fernsehdebatten der Republikaner
  • Die Urteile nach der vierten Debatte
  • Die Grundfrage für alle republikanischen Bewerber:  Wie hältst du es mit Donald Trump?
  • … Und raus bist Du!  Mike Pence, eine tragische Figur in Trumps Orbit
  • Weitere Bewerber steigen aus
  • Ron DeSantis – Ein verblassender Stern
  • Der Supre PAC hat die DeSantis-Kampagne übernommen
  • Ron DeSantis schlingert
  • Ron DeSantis ändert seine Programmschwerpunkte
  • Pokern um die Ukraine
  • Und was noch?
  • Vorschau auf Teil 2

 

Einleitung

Teile des politischen Amerikas sind seit einiger Zeit dabei, der Welt ein absurdes Schauspiel vorzuführen. Der jüngste Akt: Am 3.10.2023 haben acht republikanische Kongressabgeordnete unter Führung des weit rechts agierenden Matt Gaetz aus Florida den Speaker des Repräsentantenhauses, den aus der eigenen Partei kommenden Kevin McCarthy in die Wüste geschickt. Dies ist ein in der Geschichte des amerikanischen Parlamentarismus einmaliger Vorgang: Die Republikaner haben dem eigenen Mann das Vertrauen entzogen und damit das Repräsentantenhaus lahm gelegt, weil er nach langem Hin und Her mit den Demokraten eine Lösung ausgehandelt hat, um am 30.9.2023, kurz vor Ultimo, den drohenden Shutdown – die Zahlungsunfähigkeit der Regierung – wenigstens um 45 Tage zu verschieben. Allerdings steckt darin neues Ungemach, denn neue Hilfen für die Ukraine wurden ausgeklammert. „Die Möglichkeit eines Rauswurfs schwebte über dem Haupt McCarthys seit er das Amt angetreten hat. Eines der Zugeständnisse, das er den Rechten der Fraktion gemacht hatte um als Speaker gewählt zu werden war, dass jedes einzelne Fraktionsmitglied eine Vertrauensabstimmung beantragen konnte“, schrieb die New York Times (nytimes.com, 1.10.2023: „McCarthy Faces Test as Gaetz Moves to Oust Him for Working With Democrats“). Die Demokraten eilten McCarthy nicht zur Hilfe; nicht zuletzt weil er wenige Tage zuvor seiner Fraktion erlaubt hatte, ein Impeachment-Verfahren gegen den Präsident zu eröffnen ohne dass sie dafür konkrete Verfehlungen benennen konnten.      

Die New York Times berichtete von einer „surrealen Debatte“ im Repräsentantenhaus: „Republikaner gegen Republikaner“, der die Demokraten stumm zusahen. Durch den Sturz des Speakers of the House  wurde die Gesetzgebung lahm gelegt. Die New York Times beschreibt die Republikanische Partei als „mehr und mehr unsteuerbar“ (nytimes.com, 3.10.2023: „McCarthy Is Ousted as Speaker, Leaving the House in Chaos“). All dies geschah trotz der Krisensituation in Osteuropa und im Mittleren Osten. Zur Unterstützung der Ukraine und Israels muss der US-Kongress weitere Finanzmittel beschließen, doch ohne Speaker of the House ist dies nicht möglich.

Dieser Höhepunkt der Krise der Republikaner war absehbar. Den Rauswurf des Speakers – er steht in der amerikanischen Machthierarchie nach dem Präsidenten und der Vizepräsidentin an dritter Stelle – beschrieb die NYT als Kulminationspunkt der tumultartigen neun Monate, die im Januar mit 15 Wahlgängen bei der Wahl von Kevin McCarthy begannen und nun mit dessen Rauswurf nach nur einer Abstimmung endeten (nytimes.com, 3.10.2023:  „McCarthy Is Ousted as Speaker, Leaving the House in Chaos“; nytimes.com, 3.10.2023: „McCarthy’s Extraordinary Downfall Reflects an Ungovernable G.O.P.).

Gut drei Wochen dauerte das Gerangel der Republikaner im Repräsentantenhaus, um einen neuen Speaker of the House zu finden. Entsprechend gereizt war die Stimmung in ihrer Fraktion. Es wurde wieder einmal klar, dass es bedeutend leichter ist, Chaos zu erzeugen als es wieder aufzuräumen. Drei Speaker-Kandidaten – Steve Scarlise von Louisiana, Jim Jordan von Ohio und Tom Emmer von Minnesota fielen durch, weil sie die erforderlichen 217 Stimmen nicht erreichten. „Vor allem G.O.P.-Abgeordnete aus unsicheren Wahlkreisen drängten auf eine rasche Lösung des Dilemmas, da sie sich um ihre politische Zukunft Sorgen machten. Im November 2024 werden alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses neu gewählt. Die New York Times berichtete unter der Überschrift „Chaos und Frustration regieren, während sich der bittere Kampf um den Speaker vertieft“ (nytimes.com,  20.10.2023: Chaos and Frustration Rule as Republican’s Bitter Speaker Fight Deepens“). Nachdem der extrem rechts einzuordnende Jim Jordan zum dritten Mal durchgefallen war, klagte eine Abgeordnete aus South Carolina, dass manche Kollegen persönliche Fehden und kleinliche Politik vorführten anstatt für Jim Jordan zu stimmen. Ratlosigkeit und Sarkasmus machten sich breit: „Ich habe in der Fraktion den Satz gehört, selbst Jesus kann die 217 nicht erreichen“ (nytimes.com, 20.10.2023: „Jordan Fails in Third Vote for Speakership as House Remains Paralyzed“). Ein paar Tage zuvor, als der Speaker-Stern für Jim Jordan aufzugehen schien, stellte Jamelle Bouie in der New York Times die vorausahnende Frage: „Wer wird an die Stelle von Jim Jordan treten, falls er durchfällt? Es könnte sogar jemand schlimmeres sein. Und wahrscheinlich wird es jemand schlimmeres, weil in der Republikanischen Partei nichts geschieht, um sie (die Republikaner) davor zu bewahren, noch tiefer in den Abgrund zu fallen“ (nytimes.com, 17.10.2023: „The Apotheosis of Jim Jordan Is a Sight to Behold“).  

Am 25.10.2023 geschah jedoch ein kleines Wunder: Wohl auch des internen Streitens müde, wählten die anwesenden 220 anwesenden Abgeordneten der Republikaner Mike Johnson aus Louisiana zum Speaker of the House.  Johnson ist ein in der breiten Öffentlichkeit wenig bekannter, sozial konservativer Republikaner. Als Trump-Unterstützer und evangelikaler Christ – während seiner Einführungsrede hat er mehrfach Passagen aus der Bibel zitiert – ist er ein ausgesprochener Abtreibungsgegner und Gegner der gleichgeschlechtlichen Ehe. Er lehnt auch einer weitere Unterstützung der Ukraine ab und glaubt nicht, dass das Verbrennen fossiler Treibstoff das Klima verändert (nytimes.com, 26.10.2023: „New House Speaker Champions Fossil Fuels and Dismisses Climate Concerns“). Donald Trump vermerkte zur Wahl von Mike Johnson: „Er wird großartige Arbeit leisten“ (nytimes.com, 25.10.2023: „House Elects Mike Johnson as Speaker, Embracing a Hard-Right Conservative“). Und Carl Hulse, ein langjähriger Washington-Korrespondent der NYT  vermerkt zur Wahl Johnsons: „… der neue Speaker Mike Johnson aus Louisiana, ein Mann, der den meisten Amerikanern unbekannt ist, ist eine zweite Wahl, die die extreme Rechte begeistert begrüßen kann. Er teilt die tief konservative Ideologie seines Mentors Jordan ohne den konfrontativen Stil des Mannes aus Ohio. In Wirklichkeit hat er so gut wie kein Profil“ (nytimes.com, 25.10.2023: „The Far Right Gets Its Man of the House“; Analyse von Carl Hulse). 

Unmittelbar nach seiner Wahl am 25.10.2023 hielt Johnson eine hoffnungsfrohe Rede, die in der Aussage gipfelte: „The People’s House is back in Business!“ – „Das Haus des Volkes arbeitet wieder!“ Kurzfristig haben die Rebellen in der Fraktion der Republikaner im Repräsentantenhaus durch die Abwahl des wankelmütigen und unzuverlässigen Kevin McCarthy und die Wahl „ihres“ Mannes einen Erfolg erzielt. Ob er ihnen bei der kommenden Wahl schaden oder ihnen zum Vorteil gereichen wird, lässt sich schwer vorhersagen. Die Rebellen in der G.O.P. und vor allem Donald Trump sind mit der Wahl Mike Johnsons nicht zu pragmatischen Politikern geworden; für sie ist der Begriff „Kompromiss“ nach wie vor ein Schimpfwort. Der Wahlkampf hat gerade erst begonnen.

Die Gefahren des Chaos-Schauspiels 

Im Folgenden will ich zunächst beschreiben, was während des chaotischen Schauspiel der Republikaner geschah. Auf andere Entwicklungen werde ich anschließend eingehen.   

Unmittelbar nach der Rückkehr von seiner Kurzreise in den Nahen Osten hat Präsident Joe Biden am 19.10.2023 in einer eindringlichen Rede die Amerikaner und den Kongress zur weiteren Unterstützung der Ukraine und zur verstärkten Unterstützung Israels aufgerufen. Angetrieben durch die dortigen Kriege beschäftigt sich das politische Amerika immer mehr mit außenpolitischen Fragen. Wichtige Finanzentscheidungen waren und sind zu treffen, doch das dafür zuständige Repräsentantenhaus war zum Zeitpunkt der Biden-Rede bereits über zwei Wochen handlungsunfähig und eine Lösung des Speaker-Dilemmas war nicht in Sicht. Am 23.10.2023 zeichnete sich eine in dieser Situation geradezu hirnrissige Entwicklung ab: Eine wachsende Zahl von Abgeordneten der Republikaner schien zwar bereit, Israel weiter zu unterstützen, neigte jedoch dazu, die Ukraine über die Klinge springen zu lassen, um damit die innerparteilichen Probleme zu lösen. Der inzwischen gewählte Speaker Mike Johnson gehört – wie Donald Trump und auch sein stärkster Rivale, Ron DeSantis, zur Gruppe der republikanischen Ukraine-Zweifler. Trump kritisiert seit Monaten, Biden verschleudere in der Ukraine das Geld der Steuerzahler (sueddeutsche.de, 22.10.2ß23: „Amerika stellt die Grundsatzfrage“). Und auch Jim Jordan gehört zur Gruppe der Ukraine-Zweifler, der nach drei vergeblichen Speaker-Wahlgängen aufgegeben hat. Ihn haben vor allem Mainstream-Republikaner aus dem Feld gekegelt weil sie grundsätzlich nicht mit ihm übereinstimmten; vor allem nicht bei der Frage weiterer Unterstützung der Ukraine (nytimes.com, 14.10.2ß23: „Jordan Activates Right-Wing Pressure Campaigne in Push to Win Speakership“). 

In seiner Rede verwies der Präsident auf Erfahrungen der Vergangenheit: „Die Geschichte hat uns gelehrt, dass wenn Terroristen nicht für ihren Terror bezahlen müssen, sie mehr Chaos und Tod und mehr Zerstörung verursachen. Sie machen einfach weiter und der Preis und die Bedrohungen Amerikas und der Welt wachsen weiter“ (nytimes.com, 19.10.2023:  „Biden Lays Out Stakes for America as He Seeks Aid for Israel and Ukraine“). Würde diese Haltung führender Republikaner weiter an Boden gewinnen, hätten die Vereinigten Staaten – zur großen Freude von Putin – nicht nur Welt weit Vertrauen verspielt, sondern sich im Endeffekt von der europäischen Bühne verabschiedet. 

Biden sprach das Chaos im Repräsentantenhaus direkt an: „Wir dürfen nicht zulassen, dass engstirnige, parteiische und zornige Politik unserer Verantwortung als einer großen Nation im Weg stehen. Wir können und wollen nicht zulassen, dass Terroristen wie Hamas und Tyrannen wie Putin gewinnen. Ich weigere mich, dass so etwas geschieht“ (nytimes.com, 19.10.2023: „Full Transcript: Biden’s Speech on Israel-Hamas and Russia-Ukraine Wars“). Einen Tag nach dieser Rede hat Biden dem Kongress den Entwurf eines Hilfspakets über 105 Mrd. Dollar vorgelegt, die vor allem für Israel und die Ukraine bestimmt sind (nytimes.com, 20.10.2023: „Biden Requests 105 Billion Aid Package for Israel, Ukraine and Other Crises“). Bei der Beratung dieses Hilfspakets wird – weit über die darin enthaltenen Summen – nicht  zuletzt über die künftige Außenpolitik der USA entschieden. Fabian Fellmann,  der Washington-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung beschreibt diese Entscheidung als „die Grundsatzfrage, mit der sich die USA in ihrer Geschichte immer wieder schwer taten, von den Napoleonischen Kriegen über die Weltkriege und die blutigen Konflikte in Südostasien bis zu den jüngsten Feldzügen im Irak und in Afghanistan“ (sueddeutsche.de, 22.10.2023: „Amerika stellt die Grundsatzfrage“).

The People’s House arbeitet zwar wieder, doch darin arbeiten nicht nur zwei Parteien mit sehr unterschiedlicher politischer Agenda sondern auch eine Fraktion, die tief zerrissen und mehr und mehr unsteuerbar ist. „Die extremen Trumpisten unter den Republikanern werden weiter daran arbeiten, diese Unterstützung (für die Ukraine) zu untergraben – ganz zu schweigen von den gerade für die Ukraine katastrophalen Folgen einer möglichen Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus“, schreibt Daniel Brössler in der Süddeutschen Zeitung (sueddeutsche.de, 22.9.2023: „Und doch: Auf Deutschland ist Verlass“; Kommentar von Daniel Brössler).

Mike Johnson aus Louisiana – Der neue Speaker of the House

Wer ist dieser freundlich auftretende Abgeordnete des Repräsentantenhauses, der seit 2017 in diesem Gremium sitzt und den die New York Times als „Hinterbänkler mit wenig Führungserfahrung“ beschreibt? Mike Johnson ist offenbar bis jetzt in der breiten Öffentlichkeit wenig bekannt. Die amerikanischen Medien bemühen sich gegenwärtig, ihn vorzustellen und sein bisheriges politisches Wirken zu beschreiben: Ein evangelikaler Christ und Abtreibungsgegner, der Beratung und Hilfen für transgender Menschen ablehnt und Gesetze verteidigt, die Homosexualität kriminalisierten und der gleichgeschlechtliche Ehen als die „dunklen Vorboten von Chaos und sexueller Anarchie“ beschrieb, die selbst das stärkste Land zerstören können. Johnson war einst der Vorsitzende des Republican Study Committee, einer Gruppierung, die die Vorstellung vertrat, dass jeder Dollar, der für die Sozialversicherung ausgegeben wird, ein Dollar zu viel sei. Er ist eine treuer Anhänger Donald Trumps; dieser hat ihn als Speaker of the House empfohlen, nachdem Kevin McCarthy von der eigenen Fraktion in die Wüste geschickt worden war. Protegiert von Jim Jordan aus Ohio, der als Speaker-Kandidat dreimal durchgefallen war, schreibt die New York Times Johnson mit dem Satz: „Er ist vom Wesen her Jim Jordan, unterscheidet sich jedoch im Stil – und dies genügte den Republikanern, ihn einstimmig zum Speaker of the House und damit im Fall der Not an zweiter Stelle in der Reihenfolge nach dem Präsident der Vereinigten Staaten zu wählen“ (nytimes.com, 27.10.2023: „Mike Johnson Is a Right-Wing Fever Dream Come to Life“; Kommentar von Jamelle Bouie).

Der verbindlich-freundliche Stil – so ganz anders als der von Jim Jordan – sprach für Mike Johnson. Ein anderer Kommentator der NYT,  Charles M. Blow, schrieb dazu einen sehr persönlichen Beitrag: „Ich kenne Mike Johnson, den nagelneuen Sprecher des Repräsentantenhauses nicht, aber ich habe das Gefühl ihn zu kennen, denn wir stammen aus der gleichen Gegen hinter den Wäldern. Er kommt aus Shreveport im Sprengel Caddo in Louisiana, wo ich geboren wurde und wo einer meiner Brüder starb.“ Blow beschreibt, welchen Umgangsstil die Menschen in jener Gegend im Tiefen Süden der USA pflegen, aus der der neue Speaker stammt: „Er kommt aus einem Teil des Landes, wo deine Nemesis (die Göttin der ausgleichenden Gerechtigkeit) dir zulächelt und verspricht, für dich zu beten, wo die Menschen schnell eingestehen, dass sie „den Sünder lieben aber die Sünde hassen“, wo die eine Hand die Bibel hält und die andere die Ketten. Er kommt aus einer Gegend, wo die Menschen die Religion benutzen, um ihren Hass als Liebe erscheinen zu lassen um fortan froh und ohne Schuldgefühle leben zu können.“  Eine wunderbare Beschreibung warum man geneigt sein mag, die freundlichen Südstaatler der USA zu mögen und dabei manche ihrer Eigenheiten und ihre Unduldsamkeit zu  übersehen. 

Charles M. Blow wird dann jedoch sehr ernst: „Er (Mike Johnson) ist das, was viele befürchtet haben: Ein Beispiel für den Trumpismus der zweiten Welle – jener Politikerinnen und Politiker aus Trumps Umfeld, die zwar mit den gleichen politischen Vorstellungen und ideologischen Meinungen auftreten, jedoch sehr viel sympathischer und weltmännischer verpackt und angetrieben von etwas anderem als bloßem persönlichen Groll“ (nytimes.com, 1.11.2023: „I Grew Up in Mike Johnson’s District, Where Kindness Can Mask Cruelty“; Kommentar von Charles M. Blow).

Um diese Beschreibung des neuen Speakers zu unterstreichen, soll hier seine erste politische Aktion in der neuen Funktion beschrieben werden. „Mike Johnson hat gerade bestätigt, wie unseriös er ist“ überschreibt David Firestone seinen Bericht in der New York Times. Es ging dabei um die Behandlung des von Präsident Biden geschnürten Unterstützungspakets über 105 Mrd. Dollar, insbesondere für die Ukraine und Israel, für das Biden in seiner Ansprache am 19.10.2023 eindringlich geworben hatte. Mike Johnson machte aus diesem Vorgang eine politische Inszenierung, an der vor allem die extremen Rechten im Repräsentantenhaus ihre helle Freude gehabt haben dürften. Johnson schnürte das Paket auf und ließ lediglich über die Hilfe für Israel in Höhe von 14,3 Mrd. Dollar abstimmen. Dem nicht genug, er schlug zur Finanzierung dieses Betrags die Kürzung der Mittel für die Steuerfahndung vor. Über die ebenfalls in Bidens Paket enthaltenen Hilfen für die Ukraine und für Taiwan ließ der neue Speaker nicht abstimmen. „Im Endeffekt können die Vereinigten Staaten Israel nur schützen, solange sie auch die Weiße-Kragen-Kriminalität schützen“, stellte dazu die NYT fest und rechnete vor, dass durch diesen Abbau der Steuerfahndung dem amerikanischen Fiskus jährlich jedes Jahr hohe Milliardenbeträge entgehen werden (nytimes.com, 1.11.2023: „Mike Johnson Just Confirmed How Unserious He Is“). 

Das Repräsentantenhaus hat diesem republikanischen Mini-Hilfspaket am 2.11.2023 zugestimmt. Es ist absehbar, dass es in dieser Form im Senat nicht durchgehen wird, da sich dort Mitglieder beider Parteien – darunter führende Republikaner wie Mitch McConnell, Lindsey Graham, Mitt Romney und Joe Wilson für das Gesamtpaket – einschließlich der Ukraine und Taiwan – und ohne die Kürzungen bei der Steuerfahndung ausgesprochen haben. 

Bei der Abstimmung im Repräsentantenhaus stimmten die meisten Demokraten gegen dieses Gesetz mit der perfiden Finanzierungsregelung. Zwölf Demokraten stimmten unter Bauchkrümmen zu: „In meinen schlimmsten Träumen hätte ich nie gedacht, für eine Gesetzesvorlage stimmen zu sollen, mit der Hilfeleistungen für Israel mit so zynischen Bedingen verknüpft werden nur um die Forderungen einer Partei zu bedienen“, sagte der demokratische Abgeordnete Brad Schneider aus Illinois und stimmte gegen die Vorlage. Das überparteiliche US-Budget Office hat ausgerechnet, dass die Einsparungen bei der Steuerfahndung 12,5 Mrd. Dollar weniger eingetrieben werden können. Präsident Biden hat bereits angekündigt, dass er gegen das Mini-Gesetz – sollte es im Kongress so verabschiedet werden – sein Veto einlegen werde (nytimes.com, 2.11.2023: „House Passes Aid Bill for Israel but Not for Ukraine“).

Dies war Mike Johnsons Einstand in sein neues Amt. Er mischte die verschiedensten Interessen aus seiner Fraktion – die Vorbehalte gegen die Ukraine, das Sparen um jeden Preis und die Abneigung gegen die Steuerbehörde bei ihrem Bemühen, die Steuertricks von „Big Business“ zu unterbinden – zu dem zunächst verabschiedeten Mini-Gesetz. Es ist weder außenpolitisch durchdacht noch wird es unter dem Strich das Staatsdefizit der USA verringern. Es ist ein Gesetz, das von taktischen Überlegungen, vor allem dem Bemühen, die zerstrittenen Republikaner zusammenzuhalten, getrieben war. Man kann ahnen, wie schwierig die anstehenden Haushaltsverhandlungen sein werden. 

 

Dies war eine lange Einleitung zur Beschreibung der aktuellen politischen Situation in den Vereinigten Staaten. Der Präsident und der Außenminister versuchten, angesichts zweier kriegerischer Konflikte Führungsstärke zu zeigen und standen – und stehen -- gleichzeitig  kleinen und großen innenpolitischen Problemen gegenüber. Bis Mitte November standen der Administration noch Finanzmittel zur Verfügung, dann drohte wieder einmal der Shutdown, die Zahlungsunfähigkeit der Bundesregierung. Mit Hängen und Würgen wurde das Dilemma verhindert. Vor allem zu Lasten der Ukraine, wie sich Ende 2023 zeigen sollte.

Ein weiteres Problem beschäftigt Amerika: Der Zustrom von Migranten aus Südamerika. Und ähnlich wie in Europa kommen dazu nahezu täglich neue Patentrezepte auf den Tisch, doch Patenrezepte zum Thema Migration gibt es nicht. Patentrezepte blenden in der Regel die Schwierigkeiten und komplizierten Zusammenhänge bei der praktischen Umsetzung aus. Sie suggerieren den Mitmenschen, dass sie funktionieren und lassen sie verwundert fragen, warum noch niemand auf diese Lösung gekommen ist. Der US-Wahlkampf 2024 ist bereits angelaufen und die Republikaner werden voraussichtlich einen Präsidentschaftskandidaten präsentieren, der mehrere Strafverfahren am Hals hat. Seine Partei ist tief gespalten über Grundsatzfragen zur Gestaltung ihrer Zukunft. Einige Aspekte dazu sollen im zweiten Teil dieser Betrachtung behandelt werden.

Die Urteile des Supreme Court haben lange Bestand

Ursprünglich wollte ich am Anfang dieses Papiers über einige neue Urteile des Supreme Court berichten. Doch die jüngsten Entwicklungen im Repräsentantenhaus haben dieses Thema nach hinten geschoben. Es soll nun aufgegriffen werden.

Im Obersten Gericht der Vereinigten Staaten arbeiten neun Richterinnen und Richter, die vom Präsident vorgeschlagen, vom Senat bestätigt und dann auf Lebenszeit  am Supreme Court tätig werden. Deshalb ändert sich die Zusammensetzung der Richterschaft nur selten. Donald Trump hatte während seiner Amtszeit jedoch die einmalige Gelegenheit, gleich drei frei gewordene Richterpost mit Leuten seiner Wahl neu zu besetzen. Das Gericht erhielt dadurch eine konservative Mehrheit mit 6 : 3 Stimmen; diese wird sich in absehbarer Zeit nicht verändern, und die konservative Rechtsauslegung noch lange prägen. Es gibt zwar Untersuchungen die belegen, dass der eine Richter oder die andere Richterin aus der konservativen Phalanx „ausbrechen“ und zu den drei liberalen Richtern/Richterinnen „überlaufen“. Dadurch kommt es zu einer so genannten „Devided Decisions“. In der letzten Sitzungsperiode des Supreme Court standen die sechs Konservativen in 73 Prozent der Fälle auf der Mehrheitsseite. 

Die New York Times berichtete über drei konservativen Blockbuster-Entscheidungen, mit denen der Supreme Court diese Sitzungsperiode „in gewohnter Weise“ beendet habe. Das Gericht hatte die Praxis der Affirmative Action der Universitäten aufgehoben durch die die Aufnahme schwarzer Studentinnen und Studenten gefördert wurde. Ferner die Rechte geschlechtlicher Minderheiten weiter eingeschränkt und schließlich über den Teilerlass von Studentendarlehen entschieden. „In gewohnter Weise“ will heißen, dass sich die drei von demokratischen Präsidenten vorgeschlagenen Richterinnen/Richter bei allen drei Entscheidungen jeweils auf der Minderheitenseite wieder fanden (nytimes.com, 1.7.2023: „Along With Conservative Triumph, Signs of New Caution at Supreme Court“). 

Blockbuster-Urteil Nr. 1:  Aufhebung der Praxis der Affirmative Action

Wie zeitlich weit zurück die republikanisch ernannten Richterinnen und Richter nach Argumenten suchen, will ich an der 6 : 3 Entscheidung des Gerichts vom 29.6.2023 aufzeigen, mit der eine auf Rasse gestützte Bevorzugung von Studierenden bei der Aufnahme an Universitäten (Affirmative Action) außer Kraft gesetzt wurde. Donald Trump bezeichnete die Entscheidung als „einen großen Tag für Amerika.“ Präsident Joe Biden sprach von einem Schritt zurück in die Vergangenheit. Wie sehr sich diese Entscheidung auf die Zusammensetzung der Studentenschaft an den Universitäten auswirken wird, lässt sich schwer vorhersagen. In Ansätzen wird bereits darüber diskutiert, das ursprüngliche Ziel der Affirmative Action, an den Universitäten Diversität/Vielfalt zu fördern, durch einen gesellschaftspolitischen Ansatz, zu erreichen: Nicht Rasse sondern Klasse sollen künftig gefördert werden; oder als Frage formuliert: Wird es künftig in den USA so etwas wie BAFöG geben? 

Nach diesem Urteil besteht jedoch die Gefahr, dass der Supreme Court in nächster Zeit auch anderen Praktiken bei der Zulassung zu den Universitäten, die mehr Diversität zum Ziel haben, einen Riegel vorschiebt. Ein Fall aus der Thomas Jefferson High School für Science and Technology in Fairfax County, Virginia ist bereits auf dem Weg durch die Instanzen. Bei der Aufnahme zu dieser Schule steht nicht das Kriterium Rasse im Vordergrund, geprüft werden vielmehr eine Reihe sozio-ökonomische Kriterien, um den Studierenden mehr Vielfalt zu erreichen. Und in der Tat wurde mit diesen Kriterien erreicht, dass der Anteil schwarzer und hispanischer Studentinnen und Studenten zugenommen hat. Wird der Supreme Court auch hier die „Farbenblindheit der Verfassung“ durchsetzen? Oder akzeptiert das Gericht, dass die Politik  und die Universitäten das Ziel (Diversität) „verschleiern“ und bei der Aufnahme nicht allein auf das Kriterium „Rasse“ sondern andere Auswahlkriterien anwenden?

Um die jetzt drohende Entwicklung zu beschreiben: Martin Luther King müsste sich im Grab umdrehen, würde der Supreme Court die Rassentrennung der Jim Crow Gesetze wieder aus der Mottenkiste der Geschichte hervorholen und legalisieren (nytimes.com, 10.7.2023: The Next Battle Over Colorblindness has Begun“; Gastbeitrag von Sonja B. Starr).

Nach diesem Urteil zur Affirmative Action wird deutlich, dass die Geschichte der Sklaverei in Amerika, sowie der Bürgerkrieg und seine Folgen und die Rassentrennung durch die so genannten Jim Crow Gesetze in den Südstaaten der USA noch nicht aufgearbeitet sind. Die Herausforderungen der multi-kulturellen Gesellschaft in den Vereinigten Staaten stehen nach wie vor auf der gesellschaftspolitischen Agenda zur Lösung an. Zur Verdeutlichung will ich auf das Urteils vom 29.6.2023 und dessen Begründung näher eingehen. Der Supreme Court knüpft dabei an die weit zurückliegenden Zeiten der Rassentrennung in Amerika an. 

Bereits während der Präsidentschaft von John F. Kennedy (1961 – 1963) wurde damit begonnen, unter der Überschrift Affirmative Action ein ganzes Bündel von Maßnahmen, Programmen und Plänen zu entwickeln, um ethnische Minderheiten einen besseren Zugang zur höheren Bildung, in die Verwaltung, zum Militär und in die Wirtschaft zu ermöglichen. In einer Präsidentenverfügung Kennedys aus dem Jahr 1961 wurde erstmals der Begriff Affirmative Action verwendet. Die Süddeutsche Zeitung erläutert den Begriff ganz allgemein als eine „bekräftigende Handlung“ und ein „Verfahren zur Verbesserung der Bildungs- und Beschäftigungschancen von Mitgliedern demographischer Gruppen – wie etwa (ethnische) Minderheiten, Frauen und ältere Menschen – um die Folgen langjähriger Diskriminierung abzuwenden. In diesem Kontext ist Affirmative Action Teil der Bemühungen, gegen Benachteiligen anzukämpfen, die sich aus strukturellem Rassismus ergeben“ (sueddeutsche.de, 30.6.2023: „Was ist ‚Affirmative Action’ – und was ändert sich nun an US-Universitäten?“).

Das Stichwort „struktureller Rassismus“ war und ist besonders wichtig, um die in Amerika entwickelten Maßnahmen der Affirmative Action zu verstehen.  Der Kern dieses Ansatzes war die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe, also „Race“ – „Rasse“ und nicht die wirtschaftliche Situation eines Studienbewerbers. Durch Affirmative Action – die Rede ist auch von „positiver Diskriminierung“ – wurden insbesondere Angehörige der black community gefördert. Bei Wikipedia wird Affirmative Action ausführlich beschrieben:

Affirmative Action umfasst mehr als die Quotenregelung, die in den Vereinigten Staaten nur sehr selten und dann in besonders starken Fällen von Diskriminierung angewandt wird. Affirmative Action schließt Diversity Trainings und spezielle Bildungsprogramme gegen Rassismus und Sexismus sowie die Senkung von Leistungsanforderungen (beispielsweise an Hochschulen) insgesamt oder für bestimmte benachteiligte Gruppen ein.  An einigen Hochschulen in den Vereinigten Staaten findet Affirmative Action durch das Punktesystem statt: An der Universität von Michigan können Bewerber maximal 150 Punkte erreichen, hiervon jeweils 20 Punkte für „sozio-ökonomische Benachteiligung“ und für die Zugehörigkeit zu einer „unterrepräsentierten rassisch-ethnischen Minderheit“. Die meisten Affirmative-Action-Programme in den Vereinigten Staaten verwenden zur Feststellung der Rasse und ethnischen Abstammung die Selbstangabe der potentiellen Begünstigten. Die dabei verwendeten Kategorien – zum Beispiel bei Bewerbungsbögen zur Aufnahme in ein College – lehnen sich meist an die entsprechenden Definitionen des United States Census an. Wen sich die Selbstangabe im Nachhinein als unplausibel oder gar Betrug herausstellt, kann dies für den Bewerber negative Konsequenzen haben. (Wikipedia: „Affirmative Action“).

Diese kompliziert und umständlich anmutende Beschreibung des Begriffs Affirmative Action macht deutlich, wie schwierig es ist, das Ziel der Förderung ethnischer Minderheiten in den verschiedenen Feldern der Gesellschaft bürokratisch umzusetzen. Bei Wikipedia wird beispielhaft die Universität von Michigan erwähnt. Doch  Affirmative Action wird nicht überall in gleicher Weise umgesetzt. Nicht zuletzt deshalb stehen die Programme und Maßnahmen immer wieder in der Kritik.

Am 29.6.2023 entschied der Supreme Court, das die Harvard University und die University of North Carolina bei der Aufnahme von Studierenden – nicht mehr wie bisher – auf die Rasse der Aufzunehmenden bezogenen Gesichtspunkte anwenden dürfen; will heißen, dass sie Afro-Amerikaner bei der Aufnahme nicht mehr bevorzugen dürfen. Diese beiden Klagen hatten das Oberste Gericht der USA erreicht. Die Entscheidungen werden sich auf die Aufnahmeverfahren an allen anderen Colleges und Universitäten der USA auswirken. Die Vorinstanzen hatten die bisherige Praxis der Affirmative Action für rechtens erklärt. Der Supreme Court hat sie mit 6 : 3 Richterstimmen aufgehoben. Der Oberste Richter John G. Roberts Jr. stellte dazu fest, jeder Studierende müsse individuell beurteilt werden; er oder sie müsse auf der Grundlage der jeweiligen Fähigkeiten als Individuum und nicht als Angehöriger einer bestimmten Rasse betrachtet werden.    

Mit ungewöhnlich scharfen Worten vertrat die Richterin Sonia Sotomayor die Meinung der Minderheit: Das Gericht untergräbt die Verfassungsgarantie des gleichen Rechts durch die Vertiefung der rassischen Ungleichheit in Bildungsbereich, dem entscheidenden Fundament unseres demokratischen Regierungssystems und der pluralistischen Gesellschaft.“

Einen außergewöhnlichen öffentlichen Schlagabtausch lieferten sich der Richter Clarence Thomas von der Mehrheitsseite und die Richterin Ketanji Brown Jackson von der Minderheit. Dies sind die beiden schwarzen Angehörigen des Supreme Court (nytimes.com, 29.6.2023: „In Affirmative Action Ruling, Black Justices Take Aim at Each Other“). 

Konservative Persönlichkeiten begrüßten die Entscheidung. Sie mache den Aufnahmeprozess an Universitäten gerechter. Demokraten und Präsident Biden kritisierten das Urteil als einen Schritt in die Vergangenheit (nytimes.com, 29.6.2023: „Supreme Court Rejects Affirmative Action Programs at Harvard and U.N.C.“). Tatsächlich hatten dir sechs Richter der Mehrheitsseite bei der Auslegung der US-Verfassung auf eine Rechtsfigur zurückgegriffen, die der Richter am Supreme Court, John Marshall Harlan (1833 – 1911) bei einer kontroversen Entscheidung des Gerichts im Jahr 1896 vertreten hatte. Im damaligen Fall Plessy v. Ferguson ging es um die Frage, ob der Bundesstaat Louisiana getrennte Zugabteile für weiße und schwarze Bürger vorschreiben darf. Der Supreme Court bejahte dies damals mit 7 : 1 Richterstimmen und führte das Prinzip „Getrennt aber Gleich“ in das amerikanische Rechtssystem ein. Daraus entwickelte sich das verhängnisvolle System der Rassentrennung in den amerikanischen Südstaaten, mit all den späteren Jim-Crow-Gesetzen, die erst 1954 durch ein Urteil des Supreme Court aufgehoben wurden. 

Die abweichende Meinung vertrat 1896 der Richter John Marshall Harlan mit einer heute merkwürdig und widersprüchlich anmutenden Begründung:  „Unsere Verfassung ist blind gegenüber der Hautfarbe, weder kennt noch toleriert sie Klassen zwischen den Bürgern.“ Was auf den ersten Blick aussieht wie ein mutiges aber gescheitertes Plädoyer für die Rassengleichheit und gegen die Rassentrennung wird jedoch relativiert durch die weiteren Feststellungen Harlans: Die weiße Rasse sieht sich selbst als die dominierende Rasse in diesem Land. Und sie ist es in Bezug auf Ansehen, Errungenschaften, Bildung, Wohlstand und Macht. Sie wird, daran habe ich keinen Zweifel, es für alle Zeiten sein, wenn sie ihrem großartigen Erbe treu bleibt, und an den Prinzipien der verfassungsmäßigen Freiheiten festhält. Aber in der Sichtweise dieser Verfassung und vor den Augen des Gesetzes gibt es in diesem Land keine überlegene, dominierende, herrschende Klasse von Bürgern. Es gibt keine Kasten …“ Die Kernaussage Harlans war, dass die weiße Rasse sich als die dominierende Rasse im Land sieht und es für alle Zeiten sein wird, wenn sie ihrem großartigen Erbe treu bleibt … Verfassung hin oder her, denn die ist blind gegenüber der Hautfarbe (Zitat aus Wikipedia: Plessy v. Ferguson). 

Jamelle Bouie, ein afro-amerikanischer Meinungskolumnist der New York Times hat untersucht, ob die Harlan’sche Rechtsfigur von der farbenblinden Verfassung aus dem Jahr 1896 dazu taugt, 2023 als Grundlage für eine Entscheidung des Supreme Court herangezogen zu werden. Für Bouie ist Harlan nicht der Verteidiger der Rassengleichheit sondern jemand der glaubte, dass die Verfassung auch ohne das Gesetz eines Bundesstaates die Hierarchie und Ungleichheit sicherstellen kann. „Nicht die Rassentrennung (die Louisiana gesetzlich festgeschrieben und der Supreme Court für rechtens erklärt hat) war falsch, sondern – so Harlans Auffassung – sie war unnötig,“ schreibt Jamelle Bouie und zitiert den Rechtswissenschaftler Phillip Hutchison aus dessen Analyse von Plessy v. Ferguson aus dem Jahr 2015: „Harlans Aussage über die farbenblinde Verfassung ist Teil eines Textes, aus dem die Überzeugung spricht, dass die weiße Rasse inhärent überlegen und ihre schwarzen Gegenüber grundsätzlich unterlegen sind: „Schwarze und Weiße können zwar vor dem Gesetz gleich sein, aber dies bedeutet nicht, dass sie sich in allen anderen Beziehungen gleich sind …“ (nytimes.com, 7.7.2023: „No One Can Stop Talking About Justice John Marshall Harlan“; Kommentar von Jamelle Bouie).

In einem Gastbeitrag in der New York Times setzt sich auch die Rechtsprofessorin Sonja B. Starr von der University of Chicago mit dem Urteil des Supreme Court eingehend auseinander. Sie kritisiert unter anderem, dass das Gericht – trotz der in vielen Lebensbereichen der USA sichtbaren Folgen der Rassenungleichheit – Vorbehalte gegen das Kriterium „Rasse“ in der Gesellschaftspolitik zeigt und die Rechtsfigur der „Farbenblindheit der Verfassung“ verwendet. Sonja B. Starr vermisst im Urteil zur Affirmative Action, ob das Gericht auch andere Kriterien ablehnen wird, mit denen die gesellschaftliche Integration gefördert werden kann. Sie schreibt in diesem Zusammenhang von einer „Pro-Diversity-Politik“, von einer Politik also, die die Vielfalt der Gesellschaft akzeptiert und sie – ohne das Kriterium „Rasse“ – fördern will. Die Professorin ist skeptisch: „Es bleibt abzuwarten, wie weit der Supreme Court den Pfad der Farbenblindheit weiter verfolgen wird … Die Entscheidungen der unteren Instanzen zeigen einen weniger radikalen Pfad“ (nytimes.com, 10.7.2023: „The Next Battle Over Colorblindness Has Begun“). 

Was bedeutet diese Entscheidung des Supreme Court?   

Die Süddeutsche Zeitung untersucht diese Frage im Rahmen eines Berichts zu diesem Urteil:

„Es ist schwer vorherzusagen, wie sich die ethnische Zusammensetzung US-amerikanischer Universitäten infolge der Entscheidung vom Donnerstag (29.6.2023) verändern wird. Einerseits wird die US-Bevölkerung als solche zunehmend ethnisch divers, sodass davon ausgegangen wird, dass noch vor der Mitte des Jahrhunderts Weiße nicht mehr die Mehrheit im Land sind. Andererseits sind dien finanziellen Mittel und damit die Chancen eines Universitätsbesuchs für ethnische Minderheiten oft schlechter als die von Weißen, was auch ein ursprüngliches Argument für Affirmative Action war. Auszugehen ist hingegen mit Sicherheit davon, dass die Entscheidung einer weiteren Polarisierung der Stimmung in den USA Vorschub leisten wird. Selbst Präsident Joe Biden hat schon ungewohnt scharfe Worte gefunden, als er in Reaktion auf das Gerichtsurteil sagte, der Supreme Court in seiner derzeitigen, besonders von Amtsvorgänger Donald Trump beeinflussten Zusammensetzung sei „nicht normal!“ (sueddeutsche.de, 30.6.2023: „Was ist „Affirmative Action“ – und was ändert sich nun an US-Universitäten?“).

Die Intensität der wissenschaftlichen Debatte nach diesem Urteil zeigt, wie sehr die inzwischen weit zurückzuliegen scheinende Geschichte der Sklaverei die USA noch immer beschäftigt. Die Rassentrennung in den Südstaaten wurde 1954 aufgehoben. Anschließend wurden vielfältige Schritte zur Integration ethnischer Minderheiten, vor allem der schwarzen Bevölkerung unternommen. Und doch brodelt es noch immer unter der Oberfläche. Weitere gesellschaftspolitische Schritte sind erforderlich. Die Aufhebung der Affirmative Action durch den Supreme Court erfolgte meines Erachtens durch die falsche Instanz. Für die Gestaltung der immer vielfältiger werdenden amerikanischen Gesellschaft ist in erster Linie die Politik – also die Gesetzgebung und die Regierung – zuständig. „Früher zeigte das Gericht Zurückhaltung bei großen gesellschaftlichen Fragen“, stellte Christian Zaschke in der Süddeutschen Zeitung fest. „Dass das aktuelle Gericht nicht davor zurückschreckt, die Gesellschaft aktiv im konservativen Sinne umzugestalten, hat es im vergangen Jahr mit der Abschaffung des landesweiten Rechts auf Abtreibung bewiesen und nun mit der Abschaffung der Affirmative Action bestätigt“ (sueddeutsche.de, 29.6.2023: „Das verlängerte Arm der Republikaner“).

Blockbuster-Urteil  Nr. 2:  Weitere Einschränkung von LGBTQ-Rechten

In einer früheren Abhandlungen auf diesem Webblog habe ich dargelegt, wie die Themen des Culture War – Abtreibung, LGBTQ, Zensur von Schulbüchern, Kunst und Kultur, Bildungspolitik und Elternrechte – die politischen Auseinandersetzungen in den USA bestimmt haben. Sie werden wahrscheinlich auch im Wahlkampf 2024 eine Rolle spielen, jedoch nicht mehr im Zentrum der Diskussionen stehen. Ron DeSantis hatte seinen Wahlkampf um die Präsidentschaft zunächst voll auf diese Themen ausgerichtet, hat jedoch später einen thematischen Schwenk vollzogen. Davon soll im DeSantis-Kapitel noch die Rede sein. (Meine frühere Abhandlungen: „Culture War – Der Kampf um das Denken und Fühlen der Amerikaner“– 30.5.2023;  „Die „rote Welle“ blieb aus …“-- 12.1.2023).

Allgemein formuliert: Ein Ziel konservativer Politik im Culture War ist, den Menschen in den Vereinigten Staaten vorzuschreiben, wie sie ihr privates Leben zu gestalten haben. Die LGBTQ-Community ist in den letzten Jahren nach ganz oben auf der Hass-Liste der Culture-Warrior gerückt. Charles M. Blow, ein Kommentator der New York Times, beschreibt diese angelaufenen und noch kommenden Auseinandersetzungen als die „Schlacht des Jahrhunderts“. Zur rechtlichen Absicherung der gleichgeschlechtlichen Ehe konnte Präsident Joe Biden am 13.12.2022 den Respect for Marriage Act unterschreiben und damit in Kraft setzen. Die New York Times bezeichnete dieses Gesetz als eine „tektonische Verschiebung in der öffentlichen Meinung“, ein Meilenstein also zur Absicherung der Rechte von LGBTQ-Menschen. Das Gesetz war in beiden Kammern des Kongress mit Stimmen aus beiden Parteien beschlossen worden. Es verbietet den Bundesstaaten unter anderem, die Gültigkeit einer in anderen Bundesstaaten geschlossenen Ehe unter Bezug auf Geschlecht, Rasse oder Ethnie für nichtig zu erklären.

Doch die konservative Mehrheit im Supreme Court fand am 20.6.2023 einen Weg, um die rechtliche Stellung gleichgeschlechtlicher Ehen (same-sex marriage) wieder ein wenig zurückzudrehen. Ein auf den ersten Blick unbedeutend erscheinender Rechtsstreit entwickelte sich beim Supreme Court zu einem Musterfall des Culture War. Mit 6 : 3 Richterstimmen gab das Gericht Lorie Smith, einer evangelikalen Web-Designerin aus Colorado recht. Trotz eines Gesetzes des Bundesstaates Colorado, das die Diskriminierung von LGBTQ-Menschen durch Geschäftsbetriebe verbietet, die ihre Dienste der Öffentlichkeit anbieten, durfte und darf Lorie Smith sich aus religiösen Gründen weigern, für gleichgeschlechtliche Paare eine Website zu entwerfen. Der 1. Zusatzartikel der Verfassung, in dem die freie Religionsausübung festgeschrieben ist, verbiete es dem Bundesstaat Colorado, die Web-Designerin zur zwingen, ein Design zu entwerfen, das ihren Überzeugungen entgegensteht, beschied der Supreme Court.

Die unteren Gerichtsinstanzen haben bisher in der Regel zu Gunsten gleichgeschlechtlicher Paare entschieden, wenn ihnen Bäckereien, Floristen und andere Geschäfte ihre Dienste verweigerten.  Mit dieser Entscheidung, bei der zwei Grundrechte gegen einander abzuwägen waren – das Recht auf freie Meinungsäußerung und freier Religionsausübung und die LGBTQ-Rechte – hat der Supreme Court seine jüngste Praxis fortgesetzt, zu Gunsten religiöser Menschen und Gruppen, insbesondere konservativer Christen zu entscheiden, stellte dazu die New York Times fest. 

Auch bei diesem Urteil sind die künftigen Folgen schwer absehbar. Lorie Smith, die obsiegende Web-Designerin stellte dazu fest, dass – hätte der Staat gewonnen, dieser Künstlerinnen und Künstler würde zwingen können, Dinge zu tun, die im Widerspruch zu ihren Glaubensgrundsätzen stehen. Die Gegenseite geht davon aus, dass durch dieses Urteil ein Loch in alle Anti-Diskriminierungsgesetze geschlagen wird. Die Dienstleistungs- und Geschäftswelt kann sich nun weigern, zum Beispiel schwarze Menschen oder Muslime zu bedienen und dazu alle möglichen sonderbaren Gründe ernsthaft vortragen (Quellen: nytimes.com, 30.6.2023: „Gay Rights Ruling – Supreme Court Backs Web Designer Opposed to Same-Sex Marriage“; sueddeutsche.de, 30.6.2023:  “Supreme Court schränkt LGBTQ-Rechte ein und bremst Biden aus”).

Die Journalistin Kate Shaw weist in einem Gastbeitrag in der New York Times darauf hin, dass seit der Berufung der Richterin Amy Coney Barrett im Jahr 2020 der Supreme Court in den meisten Fällen mit religiöser Fragestellung den christlichen Klägern Recht gegeben hat. Kate Shaw befürchtet, dass in den nächsten Jahren die Religion einen noch höheren Status im Rechtssystem der USA erhalten könnte. Sie sieht dabei einen wesentlichen Unterschied zu früheren Entscheidungen des Gerichts: „Während bei historischer Betrachtung bei früheren Entscheidungen zur Religionsfreiheit Angehörige kleiner religiöser Gruppen vor Diskriminierung geschützt wurden, sind in den jüngsten Fällen die Gläubigen christlicher Mainstream-Religionen die Gewinner. 

Shaw weist darauf hin, dass die freie Religionsausübung zweifellos ein wichtiger amerikanischer Wert sei, der durch die Verfassung und die Traditionen geschützt werde. Sie fügt jedoch geradezu warnend hinzu: „Aber dies ist nicht der einzige solche Wert“ (nytimes.com, 8.7.2023: „The Supreme Court’s Disorienting Elevation of Religion“; Gastbeitrag von Kate Shaw).

Blockbuster-Urteil  Nr.  3:  Die amerikanische Bundesregierung darf Rückzahlungsverpflichtungen von Studentendarlehen nicht erlassen

Am 29.6.2023 entschied der Supreme Court mit der gleichen Mehrheit von 6 : 3 Richterstimmen, dass die Bundesregierung nicht berechtigt sei, weniger wohlhabenden Hochschulabsolventinnen und Absolventen ihre Schulden aus dem Studium teilweise zu erlassen. Die formalrechtliche Begründung: Dazu sei ein Gesetz erforderlich. Dies ist jedoch angesichts der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus nicht zu erwarten. 

Um die Auswirkungen dieser Entscheidung voll umfänglich zu verstehen, müsste ich ausführlich erläutern, was in den USA ein Hochschulstudium kostet und wie dies von den Studierenden finanziert wird. Die Süddeutsche Zeitung erklärte dies wie folgt: Junge Frauen und Männer können sich eine Ausbildung auf hohem Niveau nur leisten, indem sie sich Geld leihen … „Insgesamt sind mehr als 45 Millionen Menschen angesichts der Studiengebühren mit 1,6 Billionen Dollar verschuldet, das entspricht ungefähr der Wirtschaftsleistung von Brasilien oder Australien“ (sueddeutsche.de, 30.6.2023: „Supreme Court schränkt LGBTQ-Rechte ein und bremst Biden aus“). Angesichts der Covid-19 Epidemie hatte die Trump-Regierung die Rückzahlungsverpflichtungen im März 2020 ausgesetzt und Joe Biden hatte die Aussetzung verlängert. Die Zahlungen wurden ab Oktober diesen Jahres wieder fällig.  

Mit dem Student Loan Forgiveness Plan hatte Biden mehr als 20 Millionen Menschen – je nach Einkommen – die Rückzahlungsverpflichtung um 10 – 20 Millionen Dollar erlassen wollen. Sechs republikanische Bundesstaaten und zwei Einzelkläger hatten dagegen geklagt – „Die erzkonservative Mehrheit der Richterinnen und Richter gab ihnen mit 6 : 3 Stimmen recht“, schrieb die Süddeutsche Zeitung. 

Ähnlich wie das Urteil des Supreme Court vom 24.6.2022, mit dem das Recht auf Abtreibung gekippt wurde, wird auch diese Entscheidung politische Auswirkungen haben. Zum einen wohl an der Wahlurne und zum anderen bei künftigen Initiativen der Demokraten, Studentinnen und Studenten am Ende ihres Studiums nicht mit hohen Schulden in einen neuen Lebensabschnitt zu entlassen (nytimes.com, 1.7.2023: „Supreme Court Decisions on Education Could Offer Democrats an Opening“). 

Was steht beim Supreme Court noch an?   

In letzter Zeit entwickelt sich ein neues Arbeitsfeld für Verfassungsjuristen, nachdem innerhalb kurzer Zeit etwa 20 republikanisch regierte Bundesstaaten mehr oder weniger restriktive Vorschriften zur Beratung und Betreuung transgender Minderjähriger verabschiedet haben. „Die zunächst auf der politischen Ebene und in den Parlamenten geführten Auseinandersetzungen haben sich in die Gerichte verlagert“ (nytimes.com, 3.10.2023: „Young People Left in Limbo as Battle Over Transgender Care Shifts to Court“). In mindestens 14 Bundesstaaten haben Betroffene und LGBTQ-Organisationen Klagen eingereicht und damit auch die Umsetzung dieser Gesetze teilweise gestoppt. Eine Folge dieser Entwicklungen ist, dass bei der Transgender Care – ähnlich wie bei der Abtreibung – ein rechtlicher Flickenteppich mit unterschiedlichen Regelungen in den Bundesstaaten entstanden ist und weiter entsteht. „Das politische und rechtliche Chaos dürfte vom Supreme Court beigelegt werden, das gegenwärtig eine konservative Mehrheit von 6 : 3 hat und lange Zeit ein Schiedsrichter in Rechtsfragen über LGBTQ-Rechte war“, schreibt die NYT und nennt eine weitere Folge der gegenwärtigen unsicheren Rechtslage: „In der Zwischenzeit bewegen sich transgender Minderjährige in einem Schwebezustand, unsicher, ob sie ihre nächste Verschreibung über Pubertäts-Blocker oder für eine Hormon-Therapie einlösen können.“ 

Auch zum Thema Abtreibung sind nach dem Grundsatzurteil des Supreme Court vom 24.6.2022, mit dem das bisher geltende Recht au Abtreibung gekippt und die Entscheidungskompetenz den Bundesstaaten zugewiesen wird, noch nicht alle Schlachten geschlagen. In seiner neuen Sitzungsperiode wird sich der Supreme Court mit einer Klage gegen die vor mehr als 20 Jahren durch die Food and Drug Administration erfolgte Zulassung der Abtreibungspille Mifepristone befassen. Dieses Mittel wird bisher in mehr als der Hälfte der Fälle eingesetzt, um die Schwangerschaft zu beenden. 

Nach den „bemerkenswerten konservativen Siegen“ bei Entscheidungen des Supreme Court – die New York Times nennt beispielhaft die Aufhebung der Affirmative Action und die weitere Beschneidung von LGBTQ-Rechten – stellt die Zeitung die Frage, wie weit das Gericht gehen wird, um die „Macht der Exekutive“ – die Möglichkeiten des „Verwaltungsstaates“ durch Verordnungen der verschiedenen Regierungszweigen wie etwa der Food and Drug Administration – weiter zu beschneiden. Diese „Macht des Verwaltungsstaates“ ist den Konservativen in den Vereinigten Staaten seit langem ein Dorn im Auge. Berührt wird durch die anstehenden Gerichtsurteile nicht nur der Bereich der Lebensmittel- und Medikamentenaufsicht; betroffen wären auch die Aufsichtsbehörden für die Arbeitssicherheit und den Arbeitsschutz sondern auch der Umweltschutz. „Die jüngsten Entwicklungen deuten darauf hin, dass die sechs republikanisch vorgeschlagenen Richterinnen und Richter fortfahren, das Recht nach rechts zu verschieben“ (nytimes.com, 1.10.2023: „A Battered Supreme Court Returns to Confront a Challenging Docket“). Diese „Entmachtung der Exekutive“ mag auf den ersten Blick demokratisch klingen, eine Verschiebung von Kompetenzen, etwa im Umweltschutz, bedeutet jedoch auch, die jeweilige Fachkompetenz zurückzudrängen und – mit zweifelhaftem Ausgang – den Einfluss von Lobbyisten zu stärken.

Dass Entscheidungen des Supreme Court sich unmittelbar auswirken auf das politische Geschehen und auf Wahlen haben, ist spätestens seit dem Abortion-Urteil vom 24.6.2022 klar geworden. Es zeigte sich, dass die konservativen Richterinnen und Richter den Einstellungen der amerikanischen Gesellschaft hinterher hinken. Dieses Urteil hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Republikaner 2022 die Mehrheit im US-Senat verloren und im Repräsentantenhaus nur knapp halten konnten. Die Zwischenwahlen am 7.11.2023 in mehreren Bundesstaaten haben diesen Trend bestätigt. In Ohio stimmte eine satte Mehrheit der Wählerinnen und Wähler für die Absicherung des Rechts auf Abtreibung in der Verfassung des Staates. In Virginia war ein wichtiges Ziel des republikanischen Gouverneurs Glenn Youngkin, eine Abtreibung erst nach der 15. Schwangerschaftswoche zu verbieten. Er legte Wert auf die Feststellung, dies sei kein striktes Verbot sondern nur eine Limitierung. „Ein Verbot ist ein Verbot“, argumentierten die Demokraten. Ein weiteres Ziel Youngkins bei diesen Wahlen war, neben dem Repräsentantenhaus von Virginia auch den Senat des Bundesstaates zu erobern. Die Republikaner verloren am 7.11.2023 die Mehrheit in beiden Kammern (nytimes.com, 10.11.2023: „American Elections Are About Abortion Now“; Gastkommentar von Tom Bonier).

Ein Teil der GOP hat sich beim Thema Abtreibung in eine Sackgasse manövriert. „Wäre die Republikanische Partei eine normale politische Partei, wäre sie zu strategischen Anpassungen fähig … Aber betrachten sie die jüngste Debatte der republikanischen Kandidaten am 8.11.2023, bei der die Kandidaten weiterhin ihre Gegnerschaft zur Inklusion von transgender Menschen in den Alltag Amerikas betonten.“ … „Wenn Gott dich als Mann erschaffen hat, trittst du im Sport gegen Männer an“, erklärte Senator Tim Scott aus South Carolina bei der Zusammenfassung der Debatte (nytimes.com, 10.11.2023: „The G.O.P’s Culture War Shtick Is Wearing Thin With Voters“; Kommentar von Jamelle Bouie). Wenige Tage später, am 12.11.2023, hat Scott seine Bewerbung um die republikanische Präsidentschaftskandidatur zurückgezogen (nytimes.com, 12.11.2023: „Tim Scott Suspends '24 Campaigne, as His Sunny Message Failed to Resonate“).

Ermuntert vom jüngsten Erfolg in Ohio hat ein Zusammenschluss von Organisationen und Aktivistengruppen damit begonnen, in Florida die rund 900 000 Unterschriften für eine Petition zu sammeln, mit dem Ziel, das Recht auf Abtreibung auch da in der Verfassung zu verankern. Eine nicht ganz leichte Aufgabe.  Ähnlich wie in Ohio hatte in Florida der republikanische Gouverneur und Präsidentschaftsbewerber Ron DeSantis mit seiner republikanischen Mehrheit ein Gesetz durchgesetzt, das eine Abtreibung nach der 6. Schwangerschaftswoche verbietet. Gegen dieses Gesetz laufen Klagen; so lange ist sein Inkrafttreten ausgesetzt. In Florida gilt zur Zeit noch die bisherige 15-Wochen-Frist. Jedoch anders als in Ohio, wo die Verfassungsinitiative mit 57 Prozent der Stimmen erfolgreich war, sind in Florida 60 Prozent erforderlich, um erfolgreich zu sein. Die Träger der Initiative sind zuversichtlich. Umfragen ergaben, dass mehr als 70 Prozent der „Floridians“ der Initiative zustimmen würden (nytimes.com, 11.11.2023: „Ohio Voted to Protect Arbortion Rights. Could Florida Be Next?“).

Sollte die Initiative erfolgreich sein und es zu einer Abstimmung kommen, müsste Ron DeSantis, einer der vehementesten Culture Warrior, sein Sechs-Wochen-Gesetz verteidigen, für das er auch aus den eigenen Reihen Kritik erfahren hat. Donald Trump hat seinem Konkurrent DeSantis mitgeteilt, das Verbot einer Abtreibung ab der 6. Schwangerschaftswoche sei eine schlimme Sache und ein furchtbarer Fehler. Allerdings sagte Trump nichts über seine Vorstellungen in dieser Frage. Offenbar will er weder seine Unterstützer enttäuschen noch die Moderaten entfremden oder gar die Progressiven gegen sich mobilisieren (nytimes.com, 10.11.2023: „American Elections Are About Abortion Now“; Gastkommentar von Tom Bonier).

Ein weiteres Ergebnis der Zwischenwahlen bestätigt, dass sich die breite Bevölkerungsmeinung zu dieser Thematik wesentlich von den Vorstellungen der Republikaner unterscheidet. In Virginia wurde nach einem intensiven Wahlkampf der bundesweit Beachtung fand, Danica Roem von den Demokraten als erste transgender Frau in den Senat des Bundesstaates gewählt. Sie gewann die Mehrheit mit einem Vorsprung von weniger als 2 000 Stimmen. Ihre Opponenten hatten mehrere Millionen Dollar eingesetzt, ihre ihre Identität bekannt zu machen. „Ihnen bereitet ‘trans’ Angst“, kommentierte Danica Roem (nytimes.com, 8.11.2023: „Danica Roem Will Become the First Transgender State Senator in the South“).   

Mit einer verfassungsrechtlichen Frage im Zusammenhang mit den anstehenden Vorwahlen dürfte sich der Supreme Court in Bälde beschäftigen. Es geht um die Frage, ob Donald Trump in verschiedenen Bundesstaaten zu den republikanischen Vorwahlen zugelassen bzw. ausgeschlossen werden kann. In Colorado und Maine laufen entsprechende Verfahren mit dem Ziel, Trump auf der Grundlage von Zusatzartikel 14 Absatz 3 der US-Verfassung (Teilnahme an Aufstand oder Aufruhr) zu den Vorwahlen nicht zuzulassen, ein Vorgang, den es in der amerikanischen Geschichte noch nie gab.

Noch einmal zurück zur “Affirmative Action”

Beim Stichwort „Affirmative Action“ ging und geht es um die Grundsatzfrage, wie Ungleichheit in einer diversen Gesellschaft verhindert bzw. deren Folgen durch politisches Handeln ausgeglichen werden können. Diese Aufgabe ist komplex und gespickt mit Fallstricken – eine echte Herausforderung für die Politik. Der Supreme Court hat nun den bisherigen Lösungsansatz der Politik für nichtig erklärt. Was tun?

In einem Bericht der New York Times erläutert Thomas B. Edsall, warum die Demokraten dieses Urteil nicht für eine politische Kampagne nutzen, ähnlich wie sie es nach dem Abtreibungsurteil vom 24.6.2022 taten. Jenes Urteil löste unter moderaten und liberalen Wählerinnen und Wählern gleichermaßen einen Aufschrei aus, der das Wahlergebnis von 2020 wesentlich beeinflusst hat und auch 2024 noch eine Rolle spielen kann. Nach der Affirmative Action-Entscheidung vom Juni 2023, durch die eine auf „Rasse“ gestützte Bevorzugung von Bewerberinnen und Bewerbern bei der Aufnahme in ein College und eine Universität aufgehoben wurde, gab es nur einen schwachen Aufschrei. Die Mehrzahl der Amerikaner war und ist gegen die Aufhebung des Rechts auf Abtreibung, unterstützte jedoch nicht die Programme der Affirmative Action. 

Thomas B. Edsall hat zu diesem Komplex Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler befragt und Erhebungszahlen von Economist/You Gov veröffentlicht.  Demnach stimmten 59 Prozent dem Affirmative Action-Urteil des Supreme Courts zu; 27 Prozent waren dagegen. Die spezifische Frage, ob Colleges und Universitäten bei der Aufnahme unter anderen Kriterien auch die „Rasse“ des oder der Aufzunehmenden berücksichtigen sollten, beantworteten 25 Prozent mit „Ja“ und 64 Prozent mit „Nein“. Die politischen Reaktionen des Abtreibungsurteils waren nicht zuletzt deshalb so gravierend, weil „Pro Life“- Organisationen und auch der frühere Vizepräsident Mike Pence unmittelbar nach dem Urteil vom 24.6.2022, das die Regelungskompetenz auf die Bundesstaaten übertrug ankündigten, ihre Kampagne bis zum völligen Verbot jeglicher Abtreibung fortzusetzen. Dem gegenüber fand „Affirmative Action“ vor und nach dem Urteil von 2023 in der breiten Öffentlichkeit nur eine geringe Unterstützung.   

Die von Edsall befragten Wissenschaftler zitierten dazu verbreitete Entwicklungen und Einstellungen in der Öffentlichkeit: Es gab und gibt zwar einen Trend nach links wenn es abstrakt um die Frage der Gleichheit in der Gesellschaft geht, man stimmt jedoch den praktischen Maßnahmen bei der Umsetzung nicht immer zu. Im NYT-Bericht von Thomas B. Edsall steht wird dazu festgestellt: „Es gab beim Thema der Gleichheit eine kontinuierliche Bewegung nach links wenn es um die abstrakte Beschreibung ging, aber weit weniger Übereinstimmung, wenn die Gleichheitsagenda in spezifische Politik übersetzt wurde, etwa Busing oder Affirmative Action.“

Dies sehe zwar aus wie ein Widerspruch, vermerkt dazu der Politikwissenschaftler James A. Stimson von der University of North Carolina,  „… der entscheidende Punkt ist jedoch, dass sie (die breite Öffentlichkeit) die Verbindung zwischen dem Problem und seiner Lösung nicht herstellt. Deshalb hat die Affirmative Action eine sehr problematische Geschichte. Die Öffentlichkeit ist durchaus in der Lage, politische Ziele (etwa die Balance der Rassen in der höheren Bildung) zu unterstützen, sie lehnt jedoch die Mittel dafür ab“ (nytimes.com, 15.11.2023: „Overturning Roe Changed Everything. Overturning Affirmative Action Did Not“; Gastbeitrag von Thomas B. Edsall).   

In einem früheren Gastbeitrag in der New York Times zitiert Thomas B. Edsall verschiedene Wissenschaftler zu den Auswirkungen des Abtreibungsurteils vom 24.6.2022. Norman Ornstein vom American Enterprise Institute geht davon aus, dass diese Entscheidung der einzigartige Hilfefaktor für die Demokraten sein wird: „Die Tatsache, dass rote Staaten (Bundesstaaten mit republikanischer Mehrheit) sich in eine immer extremere Richtung bewegen – einschließlich des Verbots von Abtreibung nach Vergewaltigung und Inzest, mit Ansehen, wie Frauen verbluten nach einer unbehandelten Fehlgeburt, erkennen müssen, dass Ärzte in andere Bundesstaaten fliehen weil sie kriminalisiert werden – wird die Wählerinnen und Wähler in den Suburbs und junge Wählerinnen und Wähler befeuern.“ 

Robert M. Stein, ein Politikwissenschaftler an der Rice University stellt fest, dass die Mehrzahl der Wählerinnen und Wähler nach wie vor für das Recht auf Abtreibung eintreten, das unmittelbare Interesse an diesem Thema jedoch zurückgeht. Jedoch auch Stein fügt an, dass sich die republikanischen Gesetzgeber keinen politischen Gefallen tun, wenn sie unvermindert dabei sind, Abtreibung zu einer wichtigen Frage zu machen anstatt die Diskussion darüber zu dämpfen. „Die kürzliche Verurteilung einer Mutter in Nebraska, die ihrer Tochter Abtreibungspillen besorgt hatte, zeigt das wahre Gesicht und die Auswirkungen des Dobbs-Urteils und der Einschränkung des Rechts auf Abtreibung auf“ (nytimes.com, 27.9.2023: „This Is Going to Be the Most Important Election Since 1860“; Gastbeitrag von Thomas B. Edsall).

Der Wahlkampf läuft auf vollen Touren --  Gibt es eine Neuauflage Biden  ./.  Trump?

Eine Übersicht

Am Dienstag, 5. November 2024 wird in den Vereinigten Staaten gewählt. Weltweit beachtet wird zweifellos die wichtigste Entscheidung dieses Tage: Wer wird der nächste Präsident der USA? Ein knappes Jahr vor der Wahl deutet vieles darauf hin, dass es zu einer Neuauflage des Duells Biden  ./.  Trump  kommen wird. Dabei ist schwer abschätzbar, was Bidens Erklärung vom 5.12.2023 bedeutet: Falls Trump nicht kandidiert, werde er sich überlegen, ob er ins Rennen geht. Der Original-Wortlaut: „If  Trump wasn’t running, I’m not sure I’d be running“ – insbesondere das Wörtchen “If” läßt vieles offen und gibt Raum für Spekulationen. Etwa: Was wäre wenn am Ende Kamala Harris gegen Nikki Haley antreten würde? Zwei Frauen im Kampf um die US-Präsidentschaft … Das gab es in der Geschichte der USA noch nie (nytimes.com, 6.12.2023: „Biden Says ‚I’m Not sure I’d Be Running’ if Not for Trump“).  Ob neben diesen beiden wahrscheinlichen Kandidaten der Parteien noch weitere Bewerbe als „Unabhängige“ antreten werden, ist offen. Gegenwärtig gibt es Interessentinnen und Interessenten. 

Gewählt werden am 5.11.2024 darüber hinaus alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses in dem gegenwärtig die Republikaner eine hauchdünne Mehrheit haben. Gewählt werden auch 34 Mitglieder des Senats. In dieser Kammer des US-Kongresses haben die Demokraten gegenwärtig eine knappe Mehrheit. Über den Ausgang der Kongresswahlen will ich nicht spekulieren. Zur Wahl stehen am 5.11.2024 auf der Ebene der Bundesstaaten und auf kommunaler Ebene viele Mandats- und Funktionsträger. Interessant – auch für die „große“ Politik – können in verschiedenen Bundesstaaten Abstimmungen über ganz unterschiedliche Initiativen werden. So etwa in Ohio, wo eventuell über eine Initiative zur Absicherung des Rechts auf Abreibung in der Verfassung des Bundesstaates zu entscheiden ist.

Sorgen um das Niveau des Wahlkampfes

Bevor ich einzelne Aspekte der amerikanischen Politik darstelle, will ich eine Wahlkampfrede Donald Trumps vom 11.11.2023 in Claremont, New Hampshire, beschreiben, für die er in den USA viel Kritik erfahren hat und die in ihrer Diktion und in den Zielvorstellungen nicht nur Amerikanern sondern auch Europäern Sorgen machen kann. Bekanntlich hat Trump mit seiner Rede am 6.1.2021 seine Unterstützer zum Sturm auf das Kapitol angestachelt. Er ist deshalb inzwischen angeklagt. Die Rede in Claremont enthielt ähnlichen Sprengstoff und könnte eines Tages dazu beitragen, das vermeintliche „Patrioten“ das Recht erneut in die eigenen Hände nehmen um ihr Land zu „retten“. Auszüge aus der Rede in der Washington Post nachzulesen gibt Anlass zur Sorge.  Den Auftritt Trumps im Fernsehen zu verfolgen, ist beängstigend. Diese Rede Trumps hat in Amerika eine außergewöhnliche öffentliche Faschismus-Diskussion angestoßen, über die ich im noch zu veröffentlichenden Teil 2 dieser Ausarbeitung näher berichten werde. 

Dass Donald Trump seine Opponenten regelmäßig mit Spott und Geringschätzigkeit überzieht, zeugt von schlechtem Stil. Ron DeSantis nennt er immer wieder „Ron DeSanctimonious“. Er hat sich zur Freude seiner Anhänger bei einem Auftritt am 11.10.2023 darüber lustig gemacht, dass DeSantis Cowboy-Stiefel mit hohen Absätzen trage um größer zu erscheinen. Trump erweckt mit solchen den Eindruck, er müsse andere mit abfälligen Aussagen kleiner machen, um selbst groß zu erscheinen.

Zurück zur Rede Trumps am 11.11.2023 in Claremont, NH. Darin gab es Aussagen, die weit mehr waren als nur schlechter Stil. „Wir versichern euch, dass wir die Kommunisten, Marxisten, Faschisten und die radikalen linken Schläger ausrotten werden, die wie Ungeziefer innerhalb der Grenzen unseres Landes leben, die lügen und stehlen und bei Wahlen betrügen … Sie werden alles tun, ob legal oder illegal, Amerika und den Amerikanischen Traum zu zerstören“  (washingtonpost.com, 12.11.2023: „Trump calls political enemies ‚vermin’, echoing dictators Hitler, Mussolini“).

In der Rede beschrieb sich Trump wieder einmal als Opfer eines Systems, das darauf aus sei, ihn und seine Unterstützer zur Strecke zu bringen. Aus der Rede sei eine „Botschaft der Rache und des Grolls“ zu vernehmen gewesen als er sich schließlich als einen „stolzen Election Denier“ beschrieb, will heißen: Einer aus der großen Gruppe der Republikaner, die das Wahlergebnis von 2020 nicht anerkennen.

Dass Trump für seine politische Gegner den Begriff „Vermin“ (Schädlinge, Ungeziefer) verwendete, löste überaus kritische Reaktionen aus: „Dies ist die Sprache von Diktatoren, um Furcht einzuflößen“, sagte Timothy Naftali von der Schule für öffentliche Angelegenheiten an der Columbia University. „Wenn man Opponenten entmenschlicht, nimmt man ihnen ihr Recht auf sichere Teilnahme in einer Demokratie weil man damit sagt, sie seien keine Menschen. So handeln Diktatoren.“ Solche Formulierungen aus den Vereinigten Staaten, dem Musterland einer Demokratie nach Europa herüberschallen zu hören, machen sehr betroffen. Was kommt noch?

Die „Ungeziefer“ - Rede vom 11.11.2023 war nicht der erste rhetorische Fehltritt Trumps. In einem Interview zum Thema Einwanderung, Anfang Oktober, sagte er folgendes: „Niemand hat eine Vorstellung, woher diese Leute kommen, wir wissen, sie kommen aus den Gefängnissen. Wir wissen sie kommen aus Einrichtungen für Geisteskranke und Asylen für Schwachsinnige. Wir wissen, es sind Terroristen. Niemand hat so etwas je erlebt, was wir gerade erleben.  Dies ist sehr traurig für unser Land. Es vergiftet das Blut unseres Landes. Es ist sehr schlecht und die Leute kommen rein mit Krankheiten. Die Leute kommen mit allem Möglichen, das man haben kann.“ Beweise, dass die Einwanderer aus Gefängnissen und aus der Psychiatrie kommen, gibt es nicht (nytimes.com, 5.10.2023: „Trump Escalates Anti-Immigrant Rhetoric With ‚Poisoning the Blood“).

Trump benutzt eine leicht verständliche und bildhafte Sprache. Er macht deutlich, dass er keinerlei Empathie für Flüchtlinge und Einwanderer empfindet. Zu Ende gedacht will er sagen: Undokumentierte Einwanderer sind der Grund für das Übel der Welt; sie sollten nicht in die Vereinigten Staaten kommen, sie haben unser Mitleid nicht verdient. Trump appelliert damit an die Hartherzigkeit seiner Landsleute. Dabei kalkuliert er ein, dass er mit solchen Aussagen Widerspruch auslöst, im Zweifel sogar aus den eigenen Reihen. Nachdem er am 19.12.2023 bei einer Wahlkampfrede in Iowa ähnliche Aussagen gemacht hatte, wurde er von mehreren republikanischen Senatoren kritisiert, unter anderem von Mitch McConnell, dem republikanischen Minderheitenführer im Senat. Doch er erhielt auch Zuspruch, zum Beispiel von J. D. Vance, dem republikanischen Senator aus Ohio der sagte, „es sei objektiv und offensichtlich wahr, dass illegale Einwanderer das Blut des Landes vergiften.“

Der breite Widerspruch aus der Mitte der Gesellschaft störte Trump offenbar nicht. Seine Kritiker hielten im Zitate aus Hitlers „Mein Kampf“ entgegen und Trump entgegnete, er habe das Buch nie gelesen. Bereits am 16.12.2023 hatte er in New Hampshire ähnliche Aussagen gemacht. Mit solchen Sätzen erreicht Trump  seine Anhängerschaft. In der breiten Öffentlichkeit schaden sie ihm offensichtlich nicht. Aber wie reagieren seine evangelikalen Anhänger, die von Trump überzeugten Christen? Könnten sie angesichts solch unbarmherziger Aussagen Zweifel bekommen? Für sie baut Trump in seine Rede ein, dass die Christen in Amerika von den Demokraten attackiert würden. Er werde eine Task Force auf Bundesebene zur Bekämpfung anti-christlicher Vorurteile einrichten, denn „Die sind hinter den Christen her“ (nytimes.com, 16.12.2023: „Trump, Attacked for Echoing Hitler, Says He Never Read ‚Mein Kampf’“).

Vielleicht hatte man im Trump-Stab befürchtet, dass mit solchen Aussagen etwas aus dem Ruder laufen könnte und es gab aus der Kampagne Erklärungsversuche. Steven Cheung, der Sprecher der Trump-Kampagne bezeichnete die Aussagen als „normale Phrasen des alltäglichen Lebens. Wer glaubt, dies sei rassistisch oder fremdenfeindlich, der lebt in einer anderen Realität, angefressen von unsinniger Empörung“ (nytimes.com, 5.10.2023: Trump Escalates Anti-Immigrant Rhetoric With ‚Poisoning the Blood’“).

Ein drittes Beispiel für Trumps aufgeheizte Wahlkampfrhetorik sei noch erwähnt (Trump-Zitate aus nydirect@nytimes.com, 6.12.2023 / The Morning):

„2024 wird die Letzte Schlacht geschlagen.“

„Entweder Die gewinnen oder Wir gewinnen. Und falls Die gewinnen, werden wir kein Land mehr haben.“

„Unser Land geht zur Hölle …“

Trump hat seine Rhetorik weit über die Lautstärke der bisherigen zwei Kampagnen hinaus gesteigert. Er hat behauptet, dass „die mit Blut getränkten Straßen unserer einst großartigen Städte nun Senkgruben gewalttätiger Kriminalität“ seien und dass die Amerikaner „in der allergefährlichsten Zeit in der Geschichte unseres Landes“ leben.

Wahlkampf ist nicht zuletzt in den USA keine Sache mit Samthandschuhen. Doch diese Beispiele zeigen: Das Niveau Donald Trumps wird die amerikanische Gesellschaft weiter spalten. Ein Teil der Medien und der Zivilgesellschaft kritisiert zwar Trumps Ausfälle, doch dies stört Trump nicht. Im Gegenteil: Er betrachtet sich als Opfer. Seinen Fans scheint dies zu gefallen und ein größerer Teil der Republikanischen Partei nimmt es in Kauf. Die Demokraten mögen Trumps Ausfälle kritisieren, aber sie sind „die Anderen“. Solange sich in der GOP-Führungsebene kein breiter Widerstand regt, wird Trump weitermachen wie bisher.

Die New York Times berichtet, welche Folgen das aufgeheizte Klima in der tief gespaltenen amerikanischen Gesellschaft zeitigen kann. Beim FBI wächst die Sorge angesichts der Bedrohung seiner Agenten. Letztes Jahr erschossen Beamte einen Mann, der in das Büro des FBI in Cincinatti, OH einbrechen wollte. In Tennessee wird ein Mann beschuldigt, einen Angriff auf das Büro des FBI in Knoxville geplant zu haben. Er ist bereits im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Kapitol am 6.1.2021 angeklagt, wo er Polizisten angriff und geplant hatte, Bundesbeamte zu ermorden, die ihn überprüft hatten.

In den Sozialen Medien werden alle möglichen Bedrohungen veröffentlicht und dazu Fotos von Waffen gezeigt. Für Bundesbehörden und örtliche Institutionen besteht eine hohe Alarmstufe um Strafverfolgungsbehörden und Richter zu schützen, die in Strafsachen gegen Trump tätig sind. Ein besonders gravierender Fall ereignete sich im Bundesstaat Utah. Dort wurde am 9.8.2023 ein 75-jähriger Mann von FBI-Beamten erschossen, der bereits mehrfach durch Drohungen – unter anderem gegen Alvin L. Bragg, den Bezirksstaatsanwalt von Manhattan – in Erscheinung getreten war. Auf Facebook verspottete er das FBI: „An meine Freunde im Federal Bureau of Idiots: Ich weiß, ihr lest dies.“ Als Präsident Biden zu einer Veranstaltung in  Salt Lake City angekündigt wurde, postete er, er werde sein M24-Gewehr „entstauben“ und seinen Tarnanzug aus dem Schrank holen. Als die Polizei mit einem Durchsuchungsbefehl bei ihm vorsprach, kam es zu einem Schusswechsel, bei dem Mann tödlich getroffen wurde.

Dazu schreibt die New York Times: „Dieser Schusswechsel geschah zu einer Zeit außerordentlicher Polarisierung in der amerikanischen Politik. Die drei Anklagen des früheren Präsidenten Donald J. Trump sind Futter für seine Unterstützer und Verbündeten, die seine wachsenden rechtlichen Probleme für ihre Erzählung über das Justizministerium nutzen, das gegen Trump aufgerüstet werde, um den führenden Republikaner im Kampf um das Weiße Haus aus dem Rennen zu werfen. Trump und seine Unterstützer widersprechen den Einwänden gegen seine brandstifterische Kritik am Justizministerium und am FBI. Es würden dabei lediglich legitimen Sorgen angesprochen (nytimes.com, 6.8.2023: „Utah Man Accused of Threatening Biden Is Killed by F.B.I. Agent“).          

Wahlkampf Stufe Eins: Die Primaries – Der Kampf um die Kandidatur

Über alle Details des amerikanischen Wahlkampfes schreiben zu wollen, würde den Rahmen dieses Papier sprengen. Da sind die Eigengesetzlichkeiten der Primaries (Vorwahlen), bei denen in der Regel Mitglieder der jeweiligen Partei die Kandidatinnen oder Kandidaten für die Präsidentschaftswahl bestimmen.  Allerdings gibt es auch Bundesstaaten, zum Beispiel New Hampshire, in denen auch „Independent Voters“ bei den Primaries abstimmen dürfen. Erfahrungsgemäß spielen dabei weniger taktische Gesichtspunkte eine Rolle, etwa ob eine Bewerberin oder ein Bewerber in der späteren Wahl tatsächlich Chancen hat, gewählt zu werden – ob sie oder er „electable“ ist. In den Primaries stehen parteiliche und programmatische Gesichtspunkte im Vordergrund.  Im Zweifel gewinnt die Bewerberin oder der Bewerber, die oder der die ideologischen Vorstellungen der Partei am lautesten vertritt. 

Erwähnt sei noch das antiquierte System der Wahlmänner bzw. Wahlfrauen: Je nach Größe steht den Bundesstaaten bei der allgemeinen Wahl ein unterschiedliche Anzahl von Wahlmännern zu. Diese – und nicht die Wählerinnen und Wähler – bestimmen, wer Präsidentin oder Präsident wird. Wer im jeweiligen Bundesstaat die meisten Stimmen erhalten hat, erhält alle Wahlmännerstimmen des Bundesstaates. Gewählt ist nach diesem System, wer die meisten Wahlmänner-Stimmen erhält. Dabei ist es durchaus möglich, dass die oder der Gewählte nicht die Mehrheit aller Wählerstimmen im Land erhalten hat. Dies war z. B. bei der Wahl von Donald Trump im Jahr 2016 der Fall. Hillary Clinton hatte zwar die Mehrheit der Wählerstimmen erreicht, Trump jedoch die Mehrheit der Wahlmänner-Stimmen. So entscheiden letztlich 5 oder 6 Swing States, wer Präsident der USA wird.               

Zusammenfassend ist zu sagen: Wer Präsidentin oder Präsident der Vereinigten Staaten werden will, muss sich in zwei Wahlen zwei ganz unterschiedlichen Wählergruppen stellen. Die Wählerinnen und Wähler der Vorwahlen erwarten in erster Linie dezidierte Aussagen aus dem Programmkatalog der jeweiligen Partei. Die Bewerberin oder der Bewerber um die Kandidatur muss die Mitglieder der Partei „bedienen“. Eine ganz andere Strategie erfordert die eigentliche Wahl. Im Zweifel braucht der Kandidat dann auch Stimmen aus Bevölkerungsgruppen, die die Partei weniger im Blickfeld hat. Im Zweifel ein Drahtseilakt – die Kandidatinnen oder Kandidaten treten in den Vorwahl-Debatten der Parteien mit anderen Schwerpunkten auf als später im Präsidentschaftswahlkampf.

Nicht übersehen werden sollte die Macht und der Einfluss von Spendern und Geldgebern im Wahlkampf, denn der ist in Amerika eine äußerst kostspielige Sache. Allein die Werbung in den Medien, insbesondere im Fernsehen, verschlingt Millionen. So plant etwa Nikki Haley allein für die Vorwahl-Werbung durch das Fernsehen in Iowa und New Hampshire etwa 10 Mio. Dollar einzusetzen (cbsnews.com, 12.11.2023: „Nikki Haley’s campaiagn announces dollar 10 million in ad spending for Iowa and New Hampshire”). Die Vorwahlen der Republikaner in Iowa finden am 15.1.2024 und in New Hampshire am 23.1.2024 statt.

„Der Kampf um den Einzug ins Weiße Haus ist teuer“, stellt die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg in einem Dosier mit Fragen und Antworten zur US-Wahl im November 2020 fest. Darin werden Zahlen zu den Wahlkampfkosten genannt. Demnach wurden 2016 für den Wahlkampf um die Präsidentschaft aller Bewerberinnen und Bewerber knapp 2,6 Milliarden Dollar ausgegeben. Für 2020 werden die Kosten noch weit höher eingeschätzt:  Allein der Wahlkampf zwischen Biden und Trump kostete rund 5,2 Milliarden Dollar.

In den USA gibt es keine staatlichen Zuschüsse für die Parteien. Neben den unmittelbaren Spenden von Bürgerinnen und Bürgern und von Organisationen spielen die sog. Super PACs als riesige Geldsammelstellen eine wichtige Rolle. Allerdings verbieten diesen Steuervorschriften, aktiv in die Wahlkampfstrategie der jeweiligen Kandidaten, die von ihnen unterstützt werden, einzugreifen. Dass und wie dies dennoch tun, beschreibe ich im Abschnitt über Ron DeSantisMangelnde Geldmittel waren – neben anderen – ein Grund, dass der frühere Vizepräsident Mike Pence und auch der Senator Tim Scott aus South Carolina bereits aufgegeben haben. Aus dem noch verbliebenen Bewerberfeld werden im Laufe der Vorwahlen noch weitere folgen. 

Die ersten drei Fernsehdebatten der Republikaner

Die Republikanische Partei (GOP)  hat im Vorfeld der Primaries vier Fernsehdebatten der Bewerberinnen und Bewerber veranstaltet. Bei der ersten Debatte am 23.8.2023 waren Nikki Haley als einzige Bewerberin und 7 weitere Bewerber dabei. Am 27.9.2023 standen 7 Leute vor den Kameras (Nikki Haley und 6 Männer) und am 8.11.2023 waren es noch 5 Leute – Nikki Haley und 4 Männer. Die vierte und bis jetzt letzte Debatte fand am 7.12.2023 in Tuscaloosa, Alabama statt. Neben NikKi Haley standen Ron DeSantis, Chris Cristie und Vivek Ramaswamy auf der Bühne. 

Jamelle Bouie von der New York Times zog nach der vierten Debatte folgendes fast augenzwinkernde Fazit: „Nachdem niemand dieser Leute eine wirkliche Chance hat, der/die nächste republikanische Kandidat/Kandidatin für die Präsidentschaft zu werden, sollte man diese Bewertungen lediglich als Urteil über ihren Auftritt und weniger über ihre Eignung für das Amt betrachten. Auf dieser Grundlage hat Christie gute Werte für seine Fähigkeit verdient, klare und unkomplizierte Antworten auf die meisten Fragen zu geben und für seinen Versuch, DeSantis unter Druck zu setzen, Gleiches zu tun“ (nytimes.com, 7.12.2023: „’He’s a Clown! And Not Even One oft the Good Ones’: Winners and Losers of the G.O.P. Debate“).

Der Clown-Vergleich in dieser Überschrift stammt von Jamelle Bouie und bezieht sich auf Visvek Ramaswamy. Ergänzend schrieb Bouie: „Ich weiß nicht, was man sonst über jemand sagen kann, der im gleichen Satz erklärt, der 6. Januar sei ein Inside Job gewesen (die Straftat von jemand, der mit dem Opfer eng verbunden ist), die Verschwörungstheorie vom großen Bevölkerungsaustausch unterstützt und schließlich vorschlägt, dass jede Verschwörungstheorie, die zu hören ist, wahr sei.“

Gail Collins von der New York Times zitiert mit Blick auf Ramaswamy den Mitbewerber Chris Christie: „Er ist der widerwärtigste Aufschneider in Amerika.“

Donald Trump ist allen vier Debatten fern geblieben. Dies zeigt nicht zuletzt, was er von seinen Kontrahenten hält.

Zweck dieser Debatten, die vom Fernsehen in ganz Amerika ausgestrahlt werden ist, die Bewerber der breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Für was treten sie ein und für was nicht? Wie überzeugend treten sie auf, um ihre Standpunkte zu vertreten? Und vor allem sollen die Bewerber zeigen, dass sie in der Abfolge der Debatten and Statur gewinnen, überzeugender werden und sich von den Kontrahenten absetzen können. 

Dazu ein Beispiel: Nach der 3. Debatte am 8.11.2023 in Miami beurteilte David French von der New York Times den Bewerber Tim Scott wie folgt: „Ich weiß nicht, warum Scott noch immer im Rennen ist. Jeder andere auf der Bühne hat eine Nische. DeSantis ist noch immer Trumps Hauptkonkurrent und der Vertreter (French verwendet hier den Namen Avatar aus dem amerikanischen ‚Science-Fiction-Film „Aufbruch nach Pandora“) der neuen Rechten. Haley hat etwas Schwung und vertritt das, was von Reagan noch da ist. Christie attackiert Trump. Ramaswamy beruft sich auf Trump. Aber was macht Scott? Es gibt nichts Besonderes an seiner Kandidatur, und man erkennt keinen offensichtlichen Pfad, auf dem er entweder DeSantis oder Haley  und am wenigsten Trump überflügeln könnte“ (nytimes.com, 9.11.2023: „’She Certainly Beat All the Boys’: Winners and Losers of the Third G.O.P. Debate“).

Am 12.11.2023 hat Tim Scott, der Senator von South Carolina, das Rennen aufgegeben.

Wie schon bei den beiden vorherigen Debatten zogen acht Kolumnistinnen und Kolumnisten des Politik-Ressorts der New York Times auch nach der dritten Debatte am 8.11.2023 in Miami eine Bilanz. Sie setzten Nikki Haley bei allen drei Debatten an die erste Stelle ihrer Rangliste. „She certainly beat all the boys“ – „Sie hat die Jungs alle geschlagen“, stellte Gail Collins fest. Die zeitweilige UN-Botschafterin während der Trump-Präsidentschaft und frühere Gouverneurin von South Carolina hat die Debatten – parallel zu ihrem Wahlkampf genutzt, um sich bundesweit zu profilieren. In den Erhebungen verschiedener Institute und Universitäten konkurriert sie inzwischen mit Ron DeSantis um Platz Zwei, hinter Trump. Dieser liegt jedoch – noch immer mit großem Abstand – an der Spitze der republikanischen Bewerberliste. „Can Nikki Haley Beat Trump?“ – „Kann Nikki Haley Trump schlagen?“, fragte am 18.11.2023 der Kolumnist Ross Douthat (nytimes.com, 18.11.2023). Trump hat in der Vergangenheit lediglich DeSantis als seinen ernsthaftesten Konkurrent angegriffen. Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis er auch Haley ins Visier nimmt. Maggie Haberman von der New York Times rechnet, dass dies dann geschieht, wenn ihre Zustimmungswerte gegen 25 Prozent steigen und ihm gefährlich werden (Maggie Haberman auf CNN „The Situation Room“, 30.11.2023).

Nach der dritten Debatte am 8.11.2023 setzten die NYT-Kolumnisten Ron DeSantis auf den 2. Platz und damit hinter Haley, die sie bisher stets als „Gewinnerin“ der Debatte ausgewiesen hatten. Gail Collins bemerkte zu DeSantis vieldeutig, dass es sehr, sehr schwer vorstellbar sei, dass er sich nach oben bewegt – nach Irgendwohin. 

Auf Platz 3 steht Chris Christie, der frühere Gouverneur von New Jersey, der bisher Trump an konsequentesten kritisiert hat. Jamelle Bouie von der NYT schreibt zu Christies Bewerbung: „Chris Christie scheint zu wissen, dass er keine realistischen Chancen hat, der Kandidat der Republikaner zu werden.“

Als nächster in der Reihenfolge der New York Times folgt Senator Tim Scott aus South Carolina. Er hat jedoch am 12.11.2023, wenige Tage nach der Debatte, das Rennen aufgegeben. Der schwarze Senator schien für kurze Zeit so etwas wie ein Hoffnungsträger für Teile der GOP. Auch er war jedoch ein Bewerber, der keine Antwort auf die Frage fand: Wie umgehen mit Donald Trump?

An fünfter und letzter Stelle schließlich der Unternehmer Vivek Ramaswamy. Das diplomatische Urteil von Gail Collins über diesen Bewerber: „Wenn du ein ausgesprochener Außenseiter bist, musst du interessant und vor allem laut und irritierend sein.“ Ross Douthat formulierte wesentlich deutlicher:  „Da war ein nach Aufmerksamkeit suchender Troll“ (nytimes.com, 9.11.2023: „’She Certainly Beat All the Boys’: Winners and Losers of the Third G.O.P. Debate“).

Die Urteile nach der vierten Debatte

Bei der vierten und letzten Debatte am 7.12.2023 in Tuscaloosa, Alabama waren nur noch Nikki Haley und drei Männer dabei. In der Reihenfolge der „Gewinner“ und „Verlierer“ der New York Times gab es nur leichte Verschiebungen:

  1. Chris Christie -- „Dies war der beste Christie. Er brachte Ramaswamy zum schweigen, verteidigte Haley und anerkannte die Realität von Trump. Die republikanischen Primary-Wähler sollten Leute in die Arme schließen, die bereit sind ihnen unpopuläre Wahrheiten zu sagen. Aber es gibt nur sehr wenige Anzeichen, dass sie es tun.“;  ( Sarah Isgur, NYT).

  2. Nikki Haley -- „Sie wusste sie würde heute Abend eine Zielscheibe sein, und sie war es.  Sie hielt leidlich dagegen aber sie war nicht so scharf wie in den vorherigen Debatten. Ihre besten Momente waren ihre scharfen Erwiderungen;  ihr größter Vorteil war, dass ihre hauptsächlichen Angreifer, DeSantis und Ramaswamy mürrisch und unhöflich waren. Sie krtisierte Trump aber lediglich seine Politik und nie seinen Charakter“; (Peter Wehner, NYT).

  1. Ron DeSantis --  Ausweichend und sich an sein Skript haltend trottete DeSantis durch seine ermüdende Culture Warrior Nummer. Er gibt sich aufgeregter darüber, dass Trump Anthony Fauci nicht gefeuert hat als darüber, dass Trump angeklagt wurde, weil er versucht hat, eine Wahl zu kippen und wegen sexuellem Missbrauch für schuldig befunden wurde. Er versucht zu sehr, viel zu sehr, bei seiner Basis Eindruck zu machen. DeSantis ist ein schwacher Mann, der vorgibt stark zu sein“; (Peter Wehner, NYT).

  2. Vivek Ramaswamy --  „Er mag bei den anderen Kandidaten, bei den Zuschauern und bei den Experten verhasst sein aber er fährt fort, sich als den thematischen Nachfolger Trumps darzustellen – eine Rolle mit einer großen Wählerschaft in der heutigen G.O.P.“  (Daniel McCarthy, NYT).

       

Die Grundfrage für alle republikanischen Bewerber: Wie hältst du es mit Donald Trump?

Donald Trump hat die Spaltung der USA während seiner Amtszeit weiter vertieft, und er tut es noch. Obwohl in einer ganzen Reihe von Wahl-Einspruchsverfahren keine Beweise für seine stetig wiederholte Behauptung gefunden wurden, die Wahl am 3.11.2020 sei ihm „gestohlen“ worden, lässt er nicht locker, von der „gestohlenen Wahl“ zu reden und viele republikanischen Wählerinnen und Wähler glauben ihm. Trump hat inzwischen eine ganze Reihe von Strafverfahren mit insgesamt 91 Anklagepunkten am Hals, daneben noch Zivilverfahren und doch führt er in allen Umfragen mit großem Abstand vor seinen republikanischen Kontrahenten. Um Trump aus dem Rennen um die GOP-Kandidatur zu werfen, müssen DeSantis, Haley und wer auch immer, viele Wählerinnen und Wähler aus der Anhängerschaft Trumps zu sich herüberziehen. Aber wie kann das gelingen? Die Grundfrage für Mikki Haley und die anderen Bewerber ist theoretisch recht einfach: Wie stelle ich mich zu Trump? Doch in der Realität scheint noch niemand eine sinnvolle Strategie gefunden zu haben. Donald Trump hat durch sein Fernbleiben bei allen vier Debatten der Republikaner den Anderen gezeigt, was er von ihnen hält. Noch vor der letzten Debatte hat er das Republican National Committee aufgefordert, weitere Debatten abzusagen (edition.cnn.com, 29.11.2023: „Trump will attend super PAC fundraiser instead of 4th GOP debate“). Was also tun angesichts dieses „Elefanten“ im Zimmer? 

In dieser Situation sollte man erwarten, dass die Konkurrenten Trump angreifen oder den „Front-Runner“ zumindest kritisieren. Doch auch in der 3. Debatte am 8.11.2023 geschah dies kaum. „Erneut taten die Kandidaten wenig, um sich deutlich von Mr. Trump zu distanzieren, der sich der direkten Auseinandersetzung mit den Rivalen auf offener Bühne verweigert hat“ (nytimes.com, 9.11.2023: „6 Takeaways From the Republican Debate“). Steckt hinter diesem Verhalten womöglich Furcht vor Trump? Ein Beispiel dafür, was ausgesprochenen Kritikern geschieht – es liegt inzwischen zwar schon Jahre zurück – ist die Kongressabgeordnete Liz Cheney aus Wyoming. Sie vertrat zwar stramm konservative Grundsätze und stand als Vorsitzende der Republican Conference an dritter Stelle der Rangliste der Republikaner im Repräsentantenhaus. Doch Cheney sagte über Trump öffentlich, was andere – falls überhaupt – nur privat verlauteten. Ihre Fraktion hat sie gerügt und ihrer Posten entkleidet. Bei den Wahlen 2020 hat sie bereits in den Vorwahlen gegen die von Trump unterstützte Harriet Hageman verloren. Liz Cheney tat danach etwas, was Trump bis heute verweigert: Sie hat ihre Niederlage eingestanden. 

In ihrem jüngst veröffentlichten Buch „Oath and Honor – A Memoir and a Warning“ schreibt sie, dass ihr durchaus bewusst war, dass sie mit ihrer Kritik am damaligen Präsident Trump ihre politische Karriere aufs Spiel setzte. Sie tat es trotzdem. Der damalige Abgeordnete John Rutherford aus Florida warf ihr vor, sie sei aufsässig und stehe nicht zur „Marke“. Cheneys Antwort: „John, unsere Marke ist die Verfassung der USA.“ Es half ihr damals nicht, denn Trump hatte – und hat auch heute noch – die GOP fest im Griff und seine Fans stehen „bockelhart“ hinter ihm. Trump hat den Begriff Konservatismus in Amerika neu definiert und auf sich selbst zugeschnitten (nytimes.com, 30.11.2023: „6 Takeaways From Liz Cheney’s Book Assailing Trump and His ‚Enablers’“).

Die GOP-Kandidatin und die Kandidaten unterscheiden sich im Umgang mit dem „Front-Runner“ auf verschiedene Art und Weise:

  • Trump ignorieren; (Mike Pence tat dies zu Beginn seiner Kampagne)
  • Trump rechts überholen; (dies versuchte Ron DeSantis lange Zeit)      
  • Trump frontal angreifen; (dies tut Chris Christie noch immer)
  • Trump hofieren; (dies versucht Vivek Ramaswamy)
  • An Trump „schonend“ vorbeiziehen; (Nikki Haley sieht sich als Vertreterin der Nach-Trump-Generation).

Doch all dies half bisher den Kontrahenten Trumps wenig. Die Versuche, aus dem Trump-Reservoir die eine oder andere Wählergruppe herauszubrechen, hatte stets zur Folge, dass eine bisher gewonnene Gruppe verprellt wurde. 

Ron DeSantis hatte insgeheim darauf gesetzt, die verschiedenen Klageverfahren, die Trump am Hals hat, würden diesen schwächen. Doch dies ist bis jetzt nicht geschehen; das Gegenteil ist der Fall; DeSantis’ Umfragewerte brachen ein und er musste seine Kampagne inhaltlich und personell umbauen. Pence, Scott und Burgum sind inzwischen nicht mehr im Rennen. 

Im Sommer 2023 beschäftigte sich Astead W. Herndon, ein Politik-Journalist der New York Times, zusammen mit einem Kollegen mit der Frage, ob die Klageverfahren Trump nicht mehr oder weniger Spaß machen könnten, wirkten doch Kriterien wie „Showmanship“ und „Celebrity“ auf manche Wähler – vor allem im Wahlkampf 2016 – anziehend. Sie verwarfen jedoch diesen Gedanken angesichts der Tatsache, dass zu den Klage-Eröffnungsterminen, zum Beispiel in New York, weit weniger Trump-Fans gekommen waren als erwartet. Bei den Terminen war zu beobachten: „Trump sieht miserabel aus. Und obwohl sich die republikanischen Wähler hinter ihn stellten und obwohl er der Front-Runner beim Rennen um die republikanische Kandidatur ist und dies trotz der wachsenden rechtlichen Probleme – scheint er sich mit der Tatsache zu beschäftigen, dass seine Freiheit in Gefahr ist.“ Trump hat sich anschließend in die Opferrolle begeben und spricht weiter von der „gestohlenen Wahl 2020“  (nydirect@nytimes.com, - The Morning, 15.6.2023: „Trump’s political Style“).

Aus all dem lässt sich schließen: Trumps Kontrahenten wissen noch immer nicht, wie mit ihm umgehen. Die Lage ist bis jetzt ungewiss und die weitere Entwicklung – vor allem bei den Problemen Trumps – ist nicht absehbar. Ende November 2023, sieben Wochen vor den Primary-Wahlversammlungen (Caucuses) in Iowa, stellt CNN in einer Analyse fest, dass der frühere Präsident der überragende Favorit für die GOP-Präsidentschaftskandidatur sei und mit einer Wiederholung des Duells mit dem politisch angeschlagenen Päsident Joe Biden gerechnet werde. Zu der Ausgangsfrage: „Wie hältst du es mit Donald Trump?“ heißt es in der CNN-Analyse etwas mehrdeutig: „Haley und DeSantis versuchen dieses Jahr etwas Ähnliches: Sie nehmen Trump als politischen Riesen wahr, der der Erwähnung wert ist …“ (edition.cnn.com, 27.11.2023: „With seven weeks until Iowa caucuses, Republican primary stakes sharpen”).

Michelle Cottle von der New York Times beurteilt die aktuelle Lage ähnlich. Anders als 2016 erscheine Donald Trump gewissermaßen als der Amtsinhaber, dessen Dominanz unüberwindbar erscheint. In New Hampshire, wo die republikanischen Vorwahlen am 23.1.2024 stattfinden, gaben laut CNN-Poll Mitte November 2023 52 Prozent der dafür abstimmungsberechtigten Republikaner an, sich bereits endgültig entschieden zu haben. Ganz anders sind die Werte bei den „reinen“ Trump-Fans. Bei diesen haben sich bereits 83 Prozent endgültig entschieden. Die Kontrahenten Trumps können sich somit nur noch um 17 Prozent der „Trumpies“ schlagen. Wie „bockelhart“ und fest gefügt der Trump-Block in New Hampshire ist zeigt auch, dass 57 Prozent der republikanischen Primary-Wähler überzeugt sind, dass Trump die besten Chancen hat, die Wahl im November 2024 zu gewinnen. Sie akzeptieren nicht die Zweifel seiner Kontrahenten, dass Trump für die allgemeine Wählerschaft der USA nicht „wählbar“ sei. Mit anderen Worten: Die „Trumpies“ sind davon überzeugt, dass er – trotz seiner großen rechtlichen Probleme – in der breiten Wählerschaft ankommen wird (edition.cnn.com, 16.11.2023: „CNN Poll:  Trump holds significant lead in New Hamshire GOP primary, while Haley moves into second place“).

„Aber das Rennen ist noch nicht vorbei, noch keine einzige Stimme wurde abgegeben. Und trotz aller Vorteile für Trump schleppt dieser einiges schwere Gepäck mit sich herum, das der Primary einen Hauch von Instabilität verleiht,“, schreibt Michelle Cottle. Die Durchschnittswerte der Prognosen für New Hampshire waren am 18.12.2023 wie folgt: 

Trump 43,5 %;  Haley 18,9 %;  DeSantis  10,2 %;  Christie  12,3 %  und  Ramaswamy  7,3 %.

Michelle Cottle sieht DeSantis in einer schlechten Position: „Falls er in Iowa (dort finden die Vorwahlen bereits am 15.1.2024 statt) sowohl hinter Trump als auch hinter Haley landet und womöglich in New Hampshire ein zweites Mal besiegt wird – dort liegt er nach den Umfragen nur an vierter Stelle – ist seine Behauptung, (im Vergleich zu Trump) der besser Wählbare zu sein, erledigt.“ Cottle hält die Botschaft Haleys, das Gesicht einer neuen Generation zu sein, unbelastet vom Trump’schen Drama, als den besseren Erfolgspfad. „Ob sie damit viele Republikaner erreicht, ist jedoch die Millionen-Dollar-Frage“  nytimes.com, 25.11.2023: „Why the Next Seven Weeks Are So Critical in the Race for President“).

Um es schwäbisch auszudrücken: Nichts Genaues weiß man nicht. Doch in Iowa und New Hampshire werden entscheidende Weichen für die republikanische Kandidatur gestellt.  

… Und raus bist du! – Mike Pence, eine tragische Figur in Trumps Orbit

Mike Pence, der frühere Vizepräsident unter Donald Trump hat ein paar Worte zum Abschied verdient. Er hat Trump vier Jahre lang – im wahrsten Sinn des Wortes – treu und redlich gedient and ist am Ende zur tragischen Figur geworden. Mike Pence, ein gläubiger evangelikaler Christ, stand als Gouverneur von Indiana gerade in einem engen Renner um die Wiederwahl und fühlte sich geehrt, als 2016 Donald Trump bei ihm anfragte, ob er bereit sei, sein „Running Mate“ zu werden. Nach ein paar Tagen der Überlegung und nach Beratung mit seiner Frau Karen, nach Konsultationen mit politischen Freunden und Beratern und, wie er sagte – nach Zeiten des Gebets – war er bereit zu dienen und nahm das Angebot Trumps an, Vizepräsident der USA zu werden  (nytimes.com, 29.10.2023: „The Devil’s Bargain Pence Could not Escape“). Adam Nagourney, der Verfasser des NYT-Berichts, erwähnt auch den Titel der Pence-Memoiren: „So Help Me God“ („So wahr mir Gott helfe“).  Zweifellos hat Pence diesen Titel aus voller Überzeugung gewählt. Und Nagourney beschreibt auch anschaulich das zwiespältige Verhältnis von Pence zu Trump: Er fühlte sich nie ganz wohl angesichts der unbekümmerten Umgangsformen Trumps, jenes Playboys aus Queens, Geschäftsmannes und Casino-Betreibers, dessen Geschäfte in der Welt der Demokraten in New York erfolgreich florierten. 

Mike Pence brachte damals einen gewichtigen Geschäftsanteil in das Unternehmen „Präsidentschaft Trump“ ein: Die Stimmen der Evangelikalen, jener Wählergruppe in Amerika, die zwar politisch zu den Republikanern neigte, die jedoch mit Donald Trump und seinen Eskapaden zunächst nichts anfangen konnten. „Nun hatte er einen Sherpa der ihn leiten konnte und für Trumps Glaubwürdigkeit sorgte und dies spielte 2016 eine große Rolle“, sagt Tim Phillips, ein Konservativer und enger Freund und Berater von Pence. Der Vizepräsident mag versucht haben, Trump zu leiten, an die Öffentlichkeit ist davon nichts gedrungen. Im Gegenteil: Wohl mit Bauchkrümmen hat Mike Pence immer wieder geschwiegen oder Trump gar verteidigt. Ich erinnere mich an die Bilder im Fernsehen: Pence war zuständig für das Thema „Corona“ und trat mit entsprechenden Experten regelmäßig vor die Kameras. Nach einiger Zeit muss Trump die Bedeutung dieser öffentlichen Auftritte erkannt haben und übernahm die „Show“. Mit unbewegter Miene stand Mike Pence oft dabei, auch in jener Pressekonferenz als Trump den Experten die Frage stellte, ob es wohl helfe, gegen Corona ein Spülmittel zu injizieren …

Adam Nagourney schreibt in seinem NYT-Artikel, Pence habe nie gelernt, sein Verhältnis zu Trump zu ordnen und nennt tief greifende kulturelle und persönliche Unterschiede zwischen dem wortkargen Gouverneur aus dem Mittleren Westen und dem protzigen New Yorker, der nie nach den gleichen politischen Regeln spiele wie Pence. Zerbrochen ist die asymmetrische politische Beziehung als Trump – nachdem die legalen Einspruchswege gegen das Ergebnis der Präsidentschaftswahl vom 3.11.2020 ausgeschöpft waren – damit begann, einen perfiden Plan umzusetzen, in dem für den Vizepräsident eine entscheidende Rolle vorgesehen war. Der von Trumps Anwalt Kenneth Chesebro ausgeheckte Plan wurde bereits im zweiten Amtsenthebungsverfahren gegen Trump öffentlich bekannt und spielt nun vor allem im Strafverfahren Georgia ./. Trump und andere wegen des Versuchs, das Wahlergebnis von 2020 zu kippen, eine wesentliche Rolle. Die Anwälte Kenneth Chesebro, Sidney Powell und Jenna Ellis haben im Verfahren in Georgia bereits ein Schuldbekenntnis abgegeben und sich bereit erklärt, mit der Anklage zu kooperieren. 

Grob beschrieben sollten nach Chesebros Plan verschiedene Bundesstaaten – unter anderem Georgia, Arizona, Wisconsin u. a.—neben dem zum vorgeschriebenen Termin gemeldeten Wahlergebnis zu Gunsten Bidens ein zweites Wahlmännerverzeichnis (Alternate Elector Slate) zu Gunsten von Trump in Washington D. C. einreichen. Pence sollte dann in seiner Funktion als Präsident des Senats bei der förmlichen Feststellung der Ergebnisse aus den Bundesstaaten am 6.1.2021 die Ergebnisse aus den Staaten mit „doppelten Meldungen“ entweder zu Gunsten von Trump werten oder beide Meldungen zurückweisen und damit Trump Zeit für weitere rechtliche Anfechtungen verschaffen (nytimes.com, 8.8.2023: „Previously Secret Memo Laid Out Strategy for Trump to Overturn Biden’s Win“). Mike Pence hat sich jedoch standhaft geweigert, dieses zweifelhafte Spiel mitzuspielen. Der weitere Gang der Geschichte ist bekannt: Auf der Veranstaltung am 6.1.2021 in Washington D. C. forderte Trump seine Anhänger auf, zum Kapitol zu marschieren und „wie die Hölle“ zu kämpfen um ihr Land zu retten. Während des Sturms auf das Kapitol skandierten die Trump-Anhänger „Hang Mike Pence!“ und dieser musste zusammen mit anderen Abgeordneten über eine Hintertreppe unter Lebensgefahr an einen sicheren Ort gebracht werden.  m anschließenden zweiten Amtsenthebungsverfahren haben nur 7 republikanische Senatoren Trump schuldig gesprochen; zu wenig, um ihn künftig von der Begleitung öffentlicher Ämter auszuschließen. Er könnte, falls er die Wahl 2024 gewinnt, wieder Präsident der Vereinigten Staaten werden und sich womöglich selbst begnadigen.  

Wegen der „falschen Wahlmänner-Listen“ wurde im Juli 2023 gegen 16 Republikaner Anklage erhoben, die sich auf die getürkten Listen hatten setzen lassen.  Eine Grand Jury in Nevada erhob am 6.12.2023 Anklage gegen 6 Republikaner wegen der Fälschung und der Einreichung gefälschter Dokumente. Ihnen drohen im schlimmsten Fall 9 Jahre Gefängnis und 15 000 Dollar Geldstrafe. Kenneth Chesebro, der diesen Plan ausgeheckt hatte, ist als Zeuge aufgeboten. Er hat im ähnlichen Verfahren in Georgia seine Schuld eingestanden und sich zur Zusammenarbeit mit der Anklage bereit erklärt. Eine vertrackte Situation für die Angeklagten: Der „Erfinder“ der Masche steht ihnen als Kronzeuge gegenüber. Es wird in dem Verfahren wenig zu verheimlichen geben (nytimes.com, 6.12.2023: „Nevada Charges Republican Party Leaders in 2020 Fake Elector Scheme“).

Am 6.12.2023 wurde ein entsprechendes Verfahren gegen 10 „falsche Wahlmänner“ der Republikanischen Partei in Wisconsin mit einem Vergleich zu Ende gebracht. Die 10 Republikaner erklärten sich damit einverstanden, bei den Wahlen 2024 nicht als Wahlmänner zu dienen und akzeptierten den Sieg von Biden. Strafen wurden nicht verhängt (nytimes.com, 6.12.2023: „Fake Trump Electors in Wisconsin Accept Biden’s 2020 Win in Settlement“).  

Mike Pence hat sich lange Zeit schwer getan, sich öffentlich von Trump zu distanzieren, obwohl ihn dieser bereits am Neujahrstag 2021 telefonisch mit den Worten „Du bist zu ehrlich“ verspottet hatte. Im späteren Wahlkampf ließ Pence T-Shirts mit dem Aufdruck „Zu ehrlich“ verkaufen (sueddeutsche.de, 6.8.2023: „Trumps einstiger Helfer ist jetzt ein gefährlicher Kronzeuge“). Vorsorglich, noch bevor er eine Vorladung vor ein Bundesgericht erhalten hatte, wehrte er sich gegen eine solche. Erst am 2.8.2023 erklärte er, die amerikanische Öffentlichkeit, müsse wissen, dass ihn Trump und dessen Berater gedrängt haben, das Wahlergebnis zu kippen. In einer Wahlkampfrede an diesem Tag formulierte er sehr allgemein: „Jemand, der sich über die Verfassung stellt, sollte nie Präsident der Vereinigten Staaten sein.“ Als Retourkutsche antwortete Trump, er habe Mitleid mit Pence, der mit seinem Versuch, Präsident zu werden, keinen Fuß auf den Boden bringe (nytimes.com, 3.8.2023: „Pence Says Trump Pushed Him ‚Essentially to Overturn the Election’“). In der Tat kam die Pence-Kampagne nie richtig in Schwung.  Am 28.10.2023 hat er das Rennen aufgegeben. 

Muss man im Nachhinein mit Mike Pence Mitleid haben? Bret Stephens von der New York Times formulierte es so: „Es tut mir leid aber mir gefällt das ganze Gerede über „Mike Pence ist ein Held“ nicht. Er war mehr als vier Jahre Trumps treuer „Ermöglicher“, sein Bart für die Evangelikalen, sein stets nickender „Ja-Mann“. Er war acht Wochen lang stumm als sein Boss nach der Wahl von 2020 fleißig dabei war, das Ergebnis zu leugnen … Und wenn Pence am 6.1. versucht hätte, die Wahl zu kippen, hätte er jetzt selbst eine Klage am Hals“ (nytimes.com, 7.8.2023: Gail Collins und Bret Stephens – Das Zwiegespräch: „If Mike Pence Is a Big Hero, We’re in Big Trouble“). Mitleid oder ein Held? Trump hat bei Pence bestätigt, dass jemand von Trump so lange akzeptiert wird, als er dem Boss zu Willen ist. Wenn nicht, wird er zur tragischen Figur in Trumps Orbit.

Weitere Bewerber steigen aus

Am 4.12.2023 verabschiedete sich Doug Burgum, der Gouverneur von North Dakota aus dem Rennen um die republikanische Kandidatur. Ausgestiegen sind auch Will Hurd, der frühere Kongress-Abgeordnete aus Texas und Larry Elder, der konservative Talk-Radio-Host aus California (nytimes.com, 4.12.2023: „Doug Burgum, Wealthy North Dakota Governor, Ends White House Run“). Will Hurd  hat eine bedenkenswerte Botschaft hinterlassen: „Trumps Präsidentschaftskandidatur basiert auf dem Versuch, nicht ins Gefängnis zu kommen und seine Anhänger dazu zu bringen, seine Rechnungen zu bezahlen“ (sueddeutsche.de, 2.8.2023: „Wer sich über die Verfassung stellt, sollte niemals Präsident der Vereinigten Staaten sein“).  Schon seit längerer Zeit nicht mehr dabei sind Perry Johnson, ein Geschäftsmann aus Michigan und Francis Suarez, der Bürgermeister von Miami. Am 12.11.2023 hat auch Tim Scott, der afro-amerikanische Senator aus South Carolina seine Kampagne eingestellt.

Republikanische Parteifreunde raten inzwischen Chris Christie, dem früheren Gouverneur von New Jersey, ebenfalls aus dem Rennen zu gehen, denn er könnte Ron DeSantis und Nikki Haley in der Vorwahl in New Hampshire im Rennen gegen Donald Trump Stimmen wegnehmen. Doch Christie wird wohl in New Hampshire sein Standing noch austesten, denn dort dürfen die sog. Independants bei der Primary mit abstimmen und dies könnte für Christie von Vorteil sein (nytimes.com, 4.12.2023: „Some Republicans Have a Blunt Message for Chris Christie: Drop Out“). Er wird zumindest bis zu den Vorwahlen im Rennen bleiben um auszutesten, was für ihn noch „drin“ ist.

Ron DeSantis – Ein verblassender Stern

Es läuft in der Kampagne von Ron DeSantis seit einiger Zeit nicht mehr rund. Als er 2020 die Wiederwahl zum Gouverneur von Florida haushoch gewann, wurde er landesweit bekannt und galt als der aufgehende Stern der Republikaner für die Zeit nach Trump; und DeSantis ließ wissen, dass er höhere Ambitionen hat. Manche rieten ihm, mit dem Anlauf auf die Präsidentschaft noch bis 2028 zu warten, wenn Trump nicht mehr dabei ist. Doch DeSantis warf den Hut am 24.5.2023 in den Ring. Zunächst schien alles gut für ihn zu laufen; DeSantis galt auch als Hoffnungsträger für die Republikaner, die Trump nicht wollten. Aber nun, wenige Wochen vor den ersten Vorwahlen in Iowa und New Hampshire wird deutlich, dass seine Kampagne bisher wenig bewirkte. In Iowa liegt er mit weitem Abstand hinter Trump und in New Hampshire, wo die Republikaner am 23.1.2024 wählen, ist Nikki Haley mit 18,9 Prozent an ihm vorbeigezogen und er liegt mit 10,2 Prozent nur auf dem dritten Platz. In der Presse wird eine ganze Reihe von Gründe genannt. 

Das Verhältnis zwischen DeSantis und Trump ist angespannt. Vor der ersten Gouverneurswahl am 6.11.2018 hatte Trump für ihn eine Wahlempfehlung (Endorsement) ausgesprochen. Im Jahr 2020 ging DeSantis auf Distanz – er brauchte Trump nicht mehr und der nimmt so etwas übel. Er nennt seinen jetzigen Rivalen „DeSanctimonious“ (den Scheinheiligen) und überzieht ihn mit Spott. Während DeSantis im August 2023 auf dem Iowa State Fair in Des Moines Wahlkampf machte, ließ Trump über dem Gelände ein Flugzeug mit seiner Werbung kreisen. Und noch ein Flugzeug sei erwähnt, das über dem State Fair Gelände ein Werbeband zog: „Be Likable Ron!“ („Sei sympathisch Ron!“) stand darauf und verwies damit auf eine Schwäche von DeSantis, der bei seinen Auftritten oft „hölzern“ und unnahbar wirkt. Der Rat: „Be Likable Ron!“ stammt von dem republikanischen Kongressabgeordneten Matt Gaetz, der DeSantis 2018 auf den Gouverneurswahlkampf vorbereitete. Wer diesen Flieger kreisen ließ ist nicht bekannt (thedailybeast.com, 12.8.2023).

Programmatisch ist Ron DeSantis dem rechten Flügel der Republikanischen Partei zuzurechnen. Während seiner Zeit als Abgeordneter des Repräsentantenhauses gehörte er der konservativen Gruppe Freedom Caucus an. In Florida hat er, gestützt auf die republikanische Mehrheit im Parlament des Bundesstaats, mit der Umsetzung einer strikt sozial-konservativen Agenda begonnen: Ein Gesetz verbietet den Schwangerschaftsabbruch ab der 6. Woche – oft wissen Frauen zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass sie schwanger sind. Neue Regeln legen für den Bundesstaat fest, dass in Vorschulen und Schulen keine LGBTQ-Themen behandelt werden dürfen,  das sog. Don’t Say Gay – Gesetz. Unter der Überschrift „Stärkung der Elternrechte“ wurde eine Kampagne gestartet, durch die Schulbibliotheken verpflichtet werden, bestimmte Bücher auszusortieren oder unter Verschluss zu halten. Der Vorwurf der Zensur steht im Raum. Bei seinen Auftritten gab sich DeSantis als konsequenter Vorkämpfer des Culture War gegen den Woke-Mind-Virus, den er als eine „Form des kulturellen Marxismus“ bezeichnete – was immer man darunter auch verstehen mag. DeSantis kündigte an: „Florida is where woke goes to die“ – frei übersetzt: „Florida wird woke zur Strecke bringen.“ Eine Definition des Schlagworts  „woke“ lieferte er nicht. (Über diese Thematik habe ich in meinem Beitrag „Culture War – Der Kampf um das Denken und Fühlen der Amerikaner“ auf diesem Blog am 30.5.2023 berichtet).

Doch: Was in Florida ankam, hat offenbar in der landesweiten Präsidentschaftskampagne von DeSantis nicht so recht gezogen. „Woke“ und der Kampf gegen „Woke“ wurde zwar für manchen konservativen Politiker – nicht zuletzt für Ron DeSantiszur gängigen Metapher, um ihre Abneigung gegen „linke“ Ansichten über Rasse, Geschlecht und Sexualität zu verkünden, aber – so stellt die New York Times fest: „Der Kampf gegen „woke“ hat wahrscheinlich weniger politische Wirkung als sie denken.“ Dass DeSantis mit dem Schlachtruf „woke“ gegen Disneyland in Florida ins Feld gezogen ist, quittierte Christy Boyd (55) aus Pennsylvania mit der Anmerkung: „Wenn du nicht magst, was Disney tut, geh’ nicht hin. Die Regierung steht da nicht in der Verantwortung“  (nytimes.com, 6.8.2023: „Are G.O.P. Voters Tiring of the War on ‚Wokeness’?“). Die Vermutung der New York Times wird durch ein Ergebnis der Times/Siena Erhebung vom Juli 2023 bestätigt, bei der USA-weit potentielle Wählerinnen und Wähler der republikanischen Primaries befragt wurden. Bei einer hypothetische Wahlalternative zwischen einem Kandidat, bei dem die „Bekämpfung der radikalen Woke-Ideologie“ im Vordergrund steht und einem Kandidat, der sich auf „Recht und Ordnung auf unseren Straßen und an der Grenze“ konzentriert, sprachen sich nur 24 Prozent für den „Woke-Bekämpfer“ aus. Dabei ist besonders problematisch für Ron DeSanis, dass unter diesen auf die Bekämpfung von „woke“ programmierten Wählerinnen und Wähler 61 Prozent Trump bevorzugten und sich lediglich 36 Prozent für DeSantis aussprachen (nytimes.com, 31.7.2023: „Trump Crushing DeSantis and G.O.P. Rivals, Times/Siena Poll Finds“).

Darüber hinaus wurden aus der DeSantis Kampagne wiederholt finanzielle Probleme bekannt. „Never Back Down“, der Super PAC, der DeSantis unterstützt, hatte Ende Juni 2023 knapp 97 Millionen Dollar Cash auf der Hand. Wenige Wochen später, am 23.8. – dem Tag der 1. Debatte der Republikaner in Milwaukee, WI – erklärte Jeff Roe, der Top-Stratege von „Never Back Down“, einer Gruppe Geldgebern, man brauche dringend 50 Millionen Dollar. Ein großer Teil dieses Betrags solle bis zur 2. Debatte am 27.9.2023 ausgegeben werden. Allein für die Kampagne in Iowa, wo am 15.1.2024 die ersten Vorwahlen stattfinden, wolle man monatlich 5 Millionen Dollar ausgeben, denn DeSantis müsse Trump in den nächsten 60 Tagen schlagen und sich „jetzt“ von den übrigen Rivalen absetzen. 

Aber trotz hoher Wahlkampfausgaben war es bis dahin für DeSantis nicht gut gelaufen. Die New York Times meldete am 4.8.2023 folgende Prognose-Zahlen bei der republikanischen Wählerschaft:

  • Iowa: Trump  44 %, DeSantis  20 %,  Scott 9 %,  Ramaswamy 5 %, Haley  4 %,  Pence  3 %,  Burgum und Christie je um 1 %.
  • USA-Zahlen: Trump  54 %, DeSantis 17 %,  alle übrigen 3 %  oder weniger.

Die New York Times vermerkt dazu, dass die Bemühungen von DeSantis in Iowa zwar einen gewissen Effekt hatten, dass aber die Herausforderung, Trump hier zu schlagen, von einer ganzen Reihe von Faktoren abhänge (nytimes.com, 4.8.2023: „Trump Leads G.O.P. in Iowa, but His Hold is Less Dominant“).

Am 1.8.2023 berichtete die NYT: „Die Gruppe hinter Ron DeSantis hat mehr Geld als jene, die die Rivalen – einschließlich Trump – unterstützen. Das große Geldausgeben hat seiner Stellung bis jetzt nicht genutzt“ (nytimes.com, 1.8.2023: „DeSantis’s Super PAC Burned Through 34 Million Dollar as He Slid in Polls“).

Die Details über dieses „große Geldausgeben“ werden in einem Artikel der NYT vom 22.12.2023 beschrieben. „Never Back Down“ hatte die Wahlwerbung in den ersten Vorwahlstaaten (Iowa, New Hampshire und Nevada) in großem Stil aufgezogen. Mit 100 bezahlten Vollzeitkräften und 37 000 Freiwilligen wurden systematisch – oft auch mehrmals – potentielle republikanische Vorwähler aufgesucht und an der Haustür angesprochen. Allein in Iowa klopften die Wahlhelferinnen und Wahlhelfer mehr als 801 000 Mal an Haustüren. Die Vorbereitung dieser Aktivitäten war aufwendig und zeitraubend. Die Helfer mussten mit der Biographie von Ron DeSantis und seiner Familie vertraut gemacht werden; seine politischen Aktivitäten als Gouverneur von Florida studieren und die Praxis des „Haustür-Anklopfens“ üben.  Ziel dieser Aktivitäten war und ist vor allem, noch nicht entschiedene potentielle republikanische Wählerinnen und Wähler zu motivieren, zu den Vorwahlen zu gehen. Alles in allem: Ein mühsames Unterfangen, bei dem es auch zu Pannen kommt, die natürlich von den Kontrahenten und von den Medien ausgeschlachtet werden. Die „Tür-Klopfer“ kommen nicht alle von Iowa sondern von weit her, etwa von California oder Georgia; das kann zu Schwierigkeiten führen. Besonders amüsant erschien mir der Hinweis im NYT-Bericht, dass „Tür-Klopfer“ der DeSantis-Truppe zu erkennen gaben, dass sie eigentlich Trump für den besseren Kandidaten halten. 

Ein Satz im Bericht deutet an, mit welchem Problem Ron DeSantis in seiner Kampagne – und dies nicht nur in Iowa – zu kämpfen hat: „Tatsächlich könnte es sein, dass keine noch so große „Tür-Klopf-Aktion“ die größte Herausforderung für DeSantis überwinden kann: Er ist nicht Donald Trump.“ Eine wahrscheinlich ironisch gemeinte Feststellung. Doch sie gilt auch für Niki Haley und die übrigen noch im Rennen befindlichen Bewerber (nytimes.com, 22.12.2023: „How DeSantis’s Ambitious, Costly Ground Game Has Sputtered“). 

Wenige Tage vor Weihnachten gab es noch einen schlechte Nachricht für die DeSantis-Kampagne: Am 16.12.2023 trat Jeff Roe, der Chef-Stratege des Super PAC „Never Back Down“ zurück. Er ist nicht er erste, der wahrscheinlich wegen interner Meinungsverschiedenheiten zurücktrat oder entlassen wurde.  Donald Trump schrieb dazu auf seinem Social Media Kanal „Truth Social“: Jeff Roe is out – GAME OVER for DeSanctimonious” – “Jeff Roe ist weg – das Spiel ist aus für DeSanctimonious“ (nytimes.com, 16.12./17.12.2023: „Jeff Roe, Top Strategist for Star-Crossed DeSantis Super PAC, Resigns“).

Der Super PAC hat die DeSantis-Kampagne übernommen

Wie bereits angekündigt, will ich nun beschreiben, wie der Super PAC „Never Back Down“ im Sommer 2023 Schritt für Schritt die Regie über die DeSantis-Kampagne übernahm. Nicht zuletzt ein steuerrechtlicher Balanceakt, der Folgen haben könnte, denn ein Super PAC ist eine große Geldsammelstelle und berechtigt, vor allem teuere Anzeigenkampagnen zu finanzieren. Es ist ihm aber untersagt, die taktische Richtung einer Wahlkampagne zu bestimmen. In der Verbindung von DeSantis und „Never Back Down“ stellt sich bereits die Frage, was es bedeutet, dass der Super PAC die Wahlkampfveranstaltungen organisiert und DeSantis als „besonderer Gast“ mit dabei ist? In der New York Times wird dazu vermerkt, dass „Never Back Down“ etwas mache, das in der amerikanischen Politik erstmals geschieht: Die Gruppe „Never Back Down“ organisiere fast alle Bereiche der Präsidentschaftskampagne, obwohl ihr steuerrechtlich untersagt ist, dass sie die Strategie mit DeSantis und seinem Team koordiniert. „Ein Spitzentanz rund um die Vorschriften über die Wahlkampf-Finanzierung“, stellte die New York Times dazu fest. Bereits im Juli 2023 hat DeSantis mehr als ein Drittel seine Teams entlassen. Zu den Wahlkampf-Schwerpunkte ließ „Never Back Down“ potentielle Spender – und damit auch die DeSantis-Kampagne durch ein Memo wissen, man wolle Leute aus dem Trump-Lager mit Inhalten herüberziehen, die für sie ansprechend sind: Gesunder Menschenverstand, Ausdauer und Stabilität und einem Anführer mit einer Vision, einer Familie und mit Casey. Casey DeSantis, die Ehefrau von Ron DeSantis erwähnte Jeff Roe in diesem als Strategieanweisung dienenden Memo nicht ohne Grund: Als ehemalige Fernseh-Moderatorin ist sie besser in der Lage, den Kandidat an das Wahlvolk zu verkaufen, als der manchmal etwas hölzern auftretende Kandidat selbst. Und tatsächlich traten Ron und Casey DeSantis zusammen mit zwei ihrer drei Kinder im August 2023 beim Iowa State Fair in Des Moines gemeinsam auf.

Jeff Roes Memo für die Geldgeber war im Grunde eine kurze Regieanweisung an das DeSantis-Team. Aber wie konnte diese den Adressaten erreichen ohne die steuerrechtlichen Vorschriften für den Super PAC zu verletzen? Die New York Times erfuhr dies aus einer anonymen Quelle: Jeff Roe hatte das Memo auf der Website seiner Firma veröffentlicht. 

Mr. DeSantis sei darüber wütend gewesen (nytimes.com, 31.8.2023: „DeSantis Super PAC’s urgent plea to Doners:  ‚We need 50 Million Bucks’“). 

Ron DeSantis schlingert

Große programmatische Reden werden im US-Wahlkampf selten gehalten. Es geht für die oder den Kandidaten eher darum, möglichst viele Wählerinnen und Wähler persönlich zu erreichen, beim jeweiligen Auftritt einen guten Eindruck zu machen und sich durch kleine aber leicht verstehbare Nadelstiche vom politischen Gegner abzusetzen; eben: Als Person überzeugend zu wirken.

Nach dem Start seiner Kampagne im Frühjahr 2023 konnte der Gouverneur von Florida nicht genug davon bekommen, mit dem Begriff „woke“ in den Culture War zu ziehen. Doch nützten sich seine Aufrufe gegen „Wokeness“ rasch ab; die Umfragezahlen wurden für ihn nicht besser, im Gegenteil: Der Abstand zu Donald Trump wurde größer, nicht zuletzt weil DeSantis taktische Fehler machte. Die New York Times schrieb Anfang Juli 2023 von „Unforced Errors“. Zu der Zeit lag DeSantis etwa 30 Punkte hinter Trump, und der Sprecher seines Super PAC bekannte öffentlich, dass Trump der absolute „Front Runner“ sei und DeSantis ein „uphill battle“ – eine Schlacht gegen den Berg kämpfe. So musste sein Team Vorwürfen – auch von republikanischer Seite – entgegen treten, weil DeSantis ein provozierendes Video in Sozialen Medien geteilt hatte, das ursprünglich von einem anderen Twitter-Nutzer mit LGBTQ-Bildern zusammengemischt und gegen Trump eingesetzt worden war. Dieses ältere Video wurde weitgehend als „homophobes Machwerk“ betrachtet. Es beginnt mit einer Szene aus dem Jahr 2016, in der Trump erklärt, er werde alles in seiner Macht stehende tun, um LGBTQ-Menschen zu schützen. 

Das DeSantis-Team motzte das Video noch weiter auf, zog eine Verbindungslinie zu dem von mir in diesem Papier dargestellten „Urteil #2“ („Weitere Einschränkung von LGBTQ-Rechten“) und zeigte am Schluss Ron DeSantis mit funkelnden Augen und der Schlagzeile: „Der Pride Event in St. Cloud wurde abgesagt, nachdem DeSantis das Kinder-Schutzgesetz unterzeichnet hat.“ (Der Begriff Pride Event bezieht sich auf den Pride-Monat Juni in dem die LGBTQ-Community für Toleranz und Vielfalt wirbt). 

Diese Wahlkampf-Aktion – pointiert gegen Trump gerichtet – hatte versucht, den großen Unterschied zwischen DeSantis und Trump herauszustellen:  „Trump will die LGBTQ schützen aber DeSantis schützt die Kinder.“ Doch das Ganze ging total daneben und DeSantis bezog Kritik sowohl von Demokraten als auch von Republikanern. Sarah Longwell, eine moderate Politik-Strategin schrieb auf Twitter: „Die Berater, die meinen es sei effektiv,  Trump auf diese Weise „rechts zu überholen“, sollten gefeuert werden.“ Adam Kinzinger, der frühere republikanische Kongress-Abgeordnete und ausgesprochene Trump-Kritiker warf dem DeSantis-Team vor: „Skandal über Skandal ist die einzige Art und Weise, wie diese Kerle ihren Wahlkampf führen können“ (nytimes.com, 1.7.2023: „DeSantis, Seeking Attention, Uses L.G.B.T.Q. Issue to Attack Trump“).

Und zwischendurch stand auch noch das Wetter auf der anderen Seite: Als DeSantis am Unabhängigkeitstag (4. Juli 2023) in einer Parade in New Hampshire, jenem Bundesstaat mit einem frühen Vorwahl-Termin mitmarschierte, brach ein Unwetter los und das Fernsehen übertrug Bilder des triefenden Kandidaten.  

In einer Zwischenbilanz stellt die New York Times fest, dass sich DeSantis nicht als „natürlich begabter Wahlkämpfer“ präsentiert habe und ihm in den Umfragen der Sprung nach oben nicht gelungen sei. „Seine sorgfältig choreographierten öffentlichen Auftritte haben wenig Stoff für Schlagzeilen geliefert nachdem ihn seine Kampagne bis vor kurzem vor potentiellen ungeplanten unschönen Begegnungen mit Wählern und Medien abgeschirmt hat.  „Mit nur wenigen Worten beschreibt die New York Times den Unterschied zwischen Trump und DeSantis: Mr. Trump, dem begnadeten Showman, gelingt es immer wieder, die Aufmerksamkeit und die Berichterstattung der Medien auf sich zu ziehen und von seinen Rivalen wegzulenken und auch die Versuche anderer Kampagnen zu ersticken, ehe sie zu einer ernsten Gefahr werden“ (nytimes.com, 5.7.2023: „DeSantis Campaign Continues to Struggle to Find It’s Footing“).

Kein Zweifel, seine Berater und auch seine Opponenten kennen die Schwächen von DeSantis, wenn er in einer Debatte angegriffen wird. „DeSantis kann Schläge schlecht verdauen“, wird ein Chefstratege der Demokraten in der NYT  zitiert. Sein grundsätzliches Problem in einem Gespräch sei, dass er dann entweder angreife oder erkläre. Nie erzähle er eine Geschichte. „Er erreicht nie die Herzen der Menschen.“ Seine Berater haben ihm deshalb empfohlen, das Wort „likable“ (liebenswert, sympathisch) in Großbuchstaben auf seinen Notizblock zu schreiben (nytimes.com, 18.8.2023: „For DeSantis, an Unforced Error Amplifies a Daunting Debate Challenge.“).

Wer im Juli und August 2023 die Medienberichte über den Wahlkampf in den USA verfolgte, konnte, ja musste zu dem Schluss kommen, dass die Kampagne von Ron DeSantis, dem einstigen Hoffnungsträger der Republikaner, in einer Sackgasse steckt. DeSantis hatte finanziell und personelle Probleme und auch sein strategischer und programmatischer Ansatz zeigte keine Wirkung. Eine Umfrage der University of New Hampshire zeigte für diesen Bundesstaat, in dem die republikanischen Vorwahlen qm 23.1.2024 stattfinden werden, Donald Trump mit 37 Prozentpunkten an der Spitze, gefolgt von DeSantis mit 27 Prozent. Am 31.7.2023 veröffentlichte die New York Times die Zahlen ihrer Times/Siena-Umfrage für die gesamten Vereinigten Staaten. Demnach führte bei den republikanischen Wählerinnen und Wählern Donald Trump mit 54 Prozent, gefolgt von DeSantis mit 17 Prozent. Trump  hatte somit Ende Juli 2023 einen satten Vorsprung von 37 Prozent vor dem Gouverneur von Florida. Nikki Haley lag damals mit 3 Prozent auf dem 5. Platz. Sie hat sich zwischenzeitlich noch oben verbessert (nytimes.com, 31.7.2023: „Trump Crushing DeSantis and G.O.P. Rivals, Times/Siena Poll Finds“). Die Süddeutsche Zeitung überschrieb ihren Bericht über die Times/Siena-Umfrage mit: „Falsche Zielgruppe, falsche Strategie“ und erläuterte dazu: „Einerseits war es in Anbetracht der stagnierenden Umfragen dringend nötig, etwas zu ändern, andererseits wird nun noch deutlicher, dass DeSantis über keinerlei Charisma verfügt. Das ist für einen Präsidentschaftskandidaten, vorsichtig gesagt, nicht ideal. Zudem hat sein Team beschlossen, dass der Gouverneur sich nicht mehr darauf konzentriert, gegen ein eher vages Phänomen wie „das ‚woke’ Amerika“ zu wettern, sondern dass er hin und wieder auch über konkrete Politik spricht“  (sueddeutsche.de, 1.8.2023: „Falsche Zielgruppe, falsche Strategie“).

Am 8.8.2023 berichtete die New York Times, dass Gouverneur DeSantis seine Truppe erneut durcheinander wirbelte – zum dritten Mal in weniger als einem Monat: Die bisherige Managerin Generra Peck wurde entlassen und mit einem Loyalisten aus dem Büro des Gouverneurs ersetzt. Schon zuvor hatte er, nachdem die Spendeneinnahmen zurückgingen, die Personalstärke seiner Kampagne um ein Drittel reduziert. DeSantis, so die New York Times, suche noch immer nach einem Team und einer politischen Botschaft, die mit Donald Trump Schritt halten könne (nytimes.com, 8.8.2023: „DeSantis Upends Campaign Leadership as Trump Looms and Urgency Grows“). Wenige Tage zuvor stand in der New York Times der folgende deprimierende Satz: „Selbst Verbündete haben festgestellt, dass seine Kampagne bisher keine schlüssige Botschaft gefunden hat, warum die Wähler für ihn und nicht für Trump stimmen sollten (nytimes.com, 30.7.2023: „DeSantis Jabs at Trump’s Legal Trouble as He Resets His Campaigne“). Salopp ausgedrückt: DeSantis hat noch immer keine Antwort auf die Millionen-Dollar-Frage gefunden: Wie und mit welchem programmatischen Ansatz kann man sich als konservativer Republikaner von Trump absetzen und auch noch einen Teil seiner Wählerschaft mitnehmen?

Besonders schwierig ist dies für die Trump-Kontrahenten, nachdem dieser bis dato an keiner der vier Debatten der Republikaner teilgenommen hatte. Hier ein Beispiel, das DeSantis’ Schwierigkeiten mit der Trump-Problematik verdeutlicht: In einem Interview mit Jake Tapper, einem Star-Moderator von CNN am 17.7.2023 versuchte DeSantis, gegen Trump ein paar zarten Nadelstich zu setzen: Dieser hätte am 6.1.2021 etwas deutlicher Stellung beziehen sollen, um den Aufstand am Kapitol zu stoppen (nytimes.com, 18.7.2023: „DeSantis, in Rare CNN Interview, Defends His Struggling Campaign“). Am 30.7.2023 griff er das Thema Trump-Anklage erneut auf und formulierte vor Reportern den mehrdeutigen Satz: Hätte Trump den Sumpf ausgetrocknet, wie er einmal versprach, säße er nicht in der Tinte in der er heute sitzt“ (nytimes.com, 30.7.2023: „DeSantis Jabs at Trump’s Legal Trouble as He Resets His Campaigne“). Und schließlich, als habe er Trump wegen seines Verhaltens am 6.1.2021 nie auch nur im Geringsten kritisiert, erklärte DeSantis am 4.8.2023, er werde Trump begnadigen, sollte dieser wegen seiner Versuche, die Wahl von 2020 zu kippen, verurteilt werden (nytimes.com, 4.8.2023: „DeSantis Dismisses Trump’s 2020 Election Theories as False“).

Es wäre absolut vermessen, wollte ich versuchen, aus der Ferne DeSantis und anderen Ratschläge zu geben, wie sie mit Trump umgehen sollten. Doch ich frage mich, wie wirksam es sein kann, wenn DeSantis angesichts der 91 Anklagepunkte gegen Trump erklärt: „Ich meine es ist nicht fair“, und damit Trump in seiner Opferrolle noch bestätigt? So wird er niemand aus dem Trump-Pool zu sich herüber ziehen. Dazu müsste er einen klareren Ansatz finden, der diesen oder jenen Trump-Wähler nachdenklich macht (nytimes.com, 24.12.2023: „What Went Wrong for Ron DeSantis in 2023“). 

„Was lief falsch…?“ In einem ausführlichen Bericht beschrieben Shane Goldmacher, Nicholas Nehamas und die erfahrene NYT-Journalistin Maggie Haberman die vielfältigen Probleme der DeSantis-Kampagne. Sie bezeichneten die Entwicklungen zwischen dem DeSantis-Team und dem Super PAC „Never Back Down“ als eine „Implosion in Zeitlupe“, die selbst die eifrigsten Unterstützer leer und demoralisiert zurückließ. Jeff Roe von „Never Back Down“ hatte bereits im Juni 2023 düster prophezeit: „New Hampshire ist der Ort, wo Kampagnen sterben.“

Auf alle Fälle ist es interessant und spannend, den amerikanischen Wahlkampf aus der Ferne zu verfolgen. Er wird – in allen Details – später den deutschen Wahlforschern und Strategen als Studienobjekt dienen. Das Außergewöhnliche am gegenwärtigen Geschehen in den USA ist, dass ein sehr aussichtsreicher Bewerber mit einem großen Sack voll Anklagen beladen ist. Die republikanischen Kontrahenten versuchen – jede und jeder auf eigene Weise – Trump schonend zu behandeln, um sein Wählerreservoir nicht zu verärgern. Allerdings können sie die Kandidatur nur gewinnen, wenn es ihnen gelingt, aus diesem Reservoir Wählerinnen und Wähler „abzusaugen“. Ein noch nie zuvor da gewesener Balanceakt. Irgend wann müssen Haley & Co jedoch der Trump-Phalanx überzeugend erklären, warum Trump nicht noch einmal Präsident der Vereinigten Staaten werden darf. Mike Pence und Tim Scott und andere sind inzwischen aus dem Rennen. Nach den Vorwahlen in Iowa und New Hampshire dürften sich die Reihen weiter lichten.

Ron DeSantis ändert seine Programmschwerpunkte

In Florida hat es funktioniert. Dort hat Ron DeSantis als Gouverneur mit Hilfe der republikanischen Mehrheit im Parlament des Bundesstaates eine ganze Reihe von Cultur-War-Gesetze verabschieden lassen. Mit einer ähnlichen Agenda ist er ins Rennen um die republikanische Präsidentschaftskandidatur gezogen. Obwohl er etwa Mitte 2023 bereits wusste, dass er seinen Wahlkampf inhaltlich umstellen musste, hat er am 17.7.2023 in Tega Cay, South Carolina noch einmal seine längst „abgenutzten Themen“ vorgetragen: Die angebliche „Indoktrination“ von Kindern durch „linke“ Lehrer, die Notwendigkeit, das Militär an der südlichen Grenze einzusetzen, um die „Invasion unseres Landes“ zu stoppen und auch, wie sehr ihn Mr. Trump enttäuscht habe, dass er Dr. Anthony S. Fauci nicht gefeuert habe, der für die Bekämpfung von Covid-19 mit verantwortlich war. 

Einen Tag später zog er in einem Flugzeug-Hangar außerhalb von Columbia, South Carolina noch einmal seine alte Walze gegen all das ab, was er als „woke“ verdammte: Er schimpfte gegen die Programme zur Stärkung von Vielfalt (Diversity), Gleichheit (Equity) und Inklusion (Inclusion)  und die „politischen Woke-Aktionen“ wie etwa Drag Shows – das Verteidigungsministerium hatte diese bereits einen Monat zuvor untersagt. Ferner schlug er vor, das unter Trump bereits einmal verhängte Verbot, transgender Matrosen, Soldaten und Marines einzustellen wieder einzuführen und er versprach, die Übernahme der Kosten für die Geschlechtsumwandlung bei Mitgliedern im aktiven Dienst nicht weiter zu finanzieren. 

Besonders heftig stieg DeSantisam am gleichen Tag im Rahmen eines Interviews mit CNN noch einmal in den Culture War ein. Als der Moderator Jake Tapper die Frage stellte, wie er die etwa 1 Million transgender Erwachsene in Amerika behandeln wolle, wich DeSantis aus und sprach von einem „sehr, sehr kleinen Prozentsatz der Bevölkerung. „Ich würde jedermann respektieren aber ich würde die Gesellschaft nicht auf den Kopf stellen.“ Diese Aussagen zeigen, wie schwer sich DeSantis tat und noch immer tut, die wenig aussagekräftigen Culture-War-Themen aufzugeben. Hat er doch einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, die Geister des Culture War aus der Flasche zu lassen, die sich inzwischen in den republikanisch regierten Bundesstaaten ausgebreitet haben.

Pokern um die Ukraine

Im CNN-Interview am 18.7.2023 hatte Jake Tapper auch die Frage der Bereitstellung weiterer Mittel für die Ukraine aufgeworfen. Seit Wochen blockieren die Republikaner im Kongress die Freigabe weiterer Gelder, auf die die Ukraine dringend angewiesen ist. DeSantis hat auch hier nur sehr vage geantwortet:  „Das Ziel sollte ein nachhaltiger und dauerhafter Friede in Europa sein, ein Friede, der Aggression nicht belohnt.“ Als Außenpolitiker ist Ron DeSantis nie in Erscheinung getreten. Seine Antwort klingt ähnlich unbestimmt und gefährlich, wie die Aussage Trumps, als US-Präsident könne er den Ukraine-Krieg an einem Tag beenden.

Zwei Berichte in der Heilbronner Stimme vom 12.12.2023 machen deutlich, dass die USA und die EU beim Thema Unterstützung der Ukraine in der gleichen misslichen Situation sind und Gefahr laufen ihre geopolitische Glaubwürdigkeit zu verlieren. Am 12.12.2023 war Wolodymyr Selenskyj erneut in Washington D. C., um die Dringlichkeit weiterer Militärhilfe anzumahnen. Am gleichen Tag fand in Washington bei der konservativen Institution Heritage Foundation ein Treffen statt, bei dem es um ein Programm für eine erneute Trump-Präsidentschaft ging. Die Heilbronner Stimme zitierte aus einem Bericht der britischen Zeitung Guardian, wonach der ungarische Premier Viktor Orban bei der Veranstaltung der Heritage Foundation mit dabei war, um mit republikanischen Kongressabgeordneten über die endgültige Einstellung der Ukraine-Hilfe zu beraten (Heilbronner Stimme, 12.12.2023: „Verzweifelte Mission“). Was für eine Vorstellung: Der Ungar macht in Amerika Weltpolitik gegen die EU als „U-Boot“ Putins?

In der gleichen Ausgabe der Heilbronner Stimme berichtet die Europa-Korrespondentin Katrin Pribyl über das für den 14.12.2023 geplante Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel, auf dessen Tagesordnung u. a. die Freigabe weiterer 50 Milliarden Euro an die Ukraine stand. Dazu ist Einstimmigkeit erforderlich, doch der ungarische Premier hat angekündigt, nicht zuzustimmen (Heilbronner Stimme, 12.12.2023: „Warum der Gipfel wirklich scheitern könnte“). Orban lenkte nicht ein; über die Milliarden-Hilfe der EU soll auf einem Sondergipfel im Januar 2024 entschieden werden.

Was für eine irrwitziges Bild: Viktor OrbanKatrin Pribyl nennt ihn in ihrem Bericht den „europäischen Chefstörer“ und „Putins trojanisches Pferd“ in der EU – ist in Amerika und in Europa dabei, die von Putin angegriffene Ukraine über die Klinge springen zu lassen. Sollte ihm dies gelingen, würde er gewiss als Ehrengast zur Siegesparade nach Moskau eingeladen werden. Kann der Scholz-Trick mit der Kaffeepause im Januar noch einmal gelingen?

In einer Wahlveranstaltung – ebenfalls am 12.12.2023 – hat sich DeSantisn auch zu der Debatte über die amerikanische Hilfe für die Ukraine geäußert und spielte dabei Israel und die Ukraine gegen einander aus: Israel, der verlässliche Verbündete der USA im Mittleren Osten, stehe dort allein und brauche die Unterstützung der USA. Die Ukraine dagegen habe Europa und sei daher nicht mehr auf die USA angewiesen. DeSantis wiederholt damit die Vorgaben aus der Führungsriege der GOP und auch die von Trump, der bereit ist – vielleicht auch aus persönlicher Rache gegenüber SelenskyjPutin in diesem Konflikt freie Hand zu lassen. Anlass zur Sorge gibt dabei auch, dass die Bereitschaft der Amerikaner zur Unterstützung der Ukraine zu kippen droht. 55 Prozent der Amerikaner sind der Auffassung, der Kongress solle keine weiteren Hilfen bewilligen; 51 Prozent sagen, die USA hätten genug getan. Bei einer früheren CNN-Umfrage im Juli 2023 sagten 45 Prozent der Amerikaner, der Kongress solle weitere Hilfen bewilligen; 48 Prozent meinten damals, die USA sollten mehr tun. Im Februar 2022, kurz nach der russischen Invasion, meinten noch 62 Prozent, die USA sollten mehr leisten (edition.cnn.com, 4.8.2023: „CNN Poll: Majority of Americans opposes more US aid for Ukraine in war with Russia“).

Verwunderlich ist, dass sich die Internationalisten und erfahrenen Außenpolitiker der Republikaner im Senat auf das kurzsichtige Spiel des extremen Flügels im Kongress eingelassen haben. Dieser strebt ein „Tauschgeschäft“ mit den Demokraten an, bei dem weitere Ukraine-Hilfe mit Zugeständnissen bei der Migrationspolitik und dem weiteren Ausbau der Grenzanlagen zu Mexiko verknüpft werden. „Der Präsident der Ukraine richtete eine dringende Bitte um mehr Hilfe für sein Land im Kampf gegen Russland an Amerika, doch ihm wurde von Republikanern bedeutet, dass seine Probleme nicht in ihrem Fokus stünden“ (nytimes.com, 12.12.2023: „Republicans Sideline Zelensky With Border Demands, Imperiling Aid Package“). Und auch in Washington wurdegenau wie in Brüssel – über die weitere Hilfe für die Ukraine vor der Weihnachtspause nicht mehr entschieden.

Republikaner wie etwa der Senator Mitch McConnell wissen, dass es im Ukraine-Krieg um weit mehr als um die „Auslieferung“ von  Teilen oder der ganzen Ukraine an Russland geht, sondern um einen geostrategischen Konflikt – nicht etwa wie früher zwischen „Ost“ und „West“ – sondern zwischen autokratisch und demokratisch regierten Ländern. Adrienne Watson, die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats der USA bemerkte zur Kriegsentwicklung:  „Russland beobachtet die Debatte im Kongress sehr genau.“ Andere Experten ergänzten, dass Putin glaubt, dass seine Strategie, den Westen zu zermürben, langsam erfolgreich ist (nytimes.com, 12.12.2023: „Russia Has Suffered Staggering High Losses, U.S. Report Says“).

Mike Johnson, der vor kurzem neue gewählte Speaker of the House, der wiederholt gegen Hilfen für die Ukraine gestimmt hat, beschuldigte das Weiße Haus, es habe versäumt, den klaren Kurs zum Sieg der Ukraine zu erläutern, wie dies von den Republikanern als Voraussetzung für weitere Hilfe gefordert worden sei. Der republikanische Senator Lindsay Graham aus South Carolina erklärte Präsident Selenskyj bei dessen Besuch in Washington: „Es gibt hier ein Problem. Es hat nichts mit Ihnen zu tun“ (nytimes.com, 12.12.2023: „Biden Says Russia Is Celebrating U.S. Divisions Over Providing Aid to Ukraine”). Der demokratische Senator Jeff Merkley aus Oregon erinnerte die Republikaner an die Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs: „Appeasement wäre eine großer Fehler. Wir dürfen nicht Chamberlains Spuren folgen“ (CNN, 12.12.2023: „State of the Race“).

Und was noch?

Zum Schluss des ersten Teils dieses Papiers noch ein Blick auf verschiedene andere politische Inhalte der DeSantis-Kampagne: Am 31.7.2ß23 stellte der Gouverneur von Florida seinen „Politischen Plan für die amerikanische Wirtschaft“ vor. Wesentliche Schwerpunkte des Planes sind:

  • Abschaffung der Klimaschutzpolitik von Präsident Biden; Schwerpunkt weiterhin auf fossiler Energie;
  • Reduzierung der Beziehungen zu China;
  • Kürzung der Staatsausgaben.

(Quelle: sueddeutsche.de, 1.8.2023: „Falsche Zielgruppe, falsche Strategie“).

Vor allem beim Thema Klimawandel kommt Ron DeSantis angesichts seiner Präferenz für fossile Brennstoffe immer wieder in Erklärungsnot. Florida ist ein Bundesstaat mit viel schützenswerter Natur; Florida wird aber auch von Folgen des Klimawandels immer stärker heimgesucht. Die Wirbelstürme, die von der Karibik herüberziehen, werden gewaltiger und häufiger.

Während seiner Kampagne um den Gouverneursposten im Jahr 2018 hatte DeSantis versprochen, nicht nur die Gewässer und die Everglades von Florida zu schützen, er hatte auch anerkannt, das die Menschen zur Verschärfung des Klimawandels beitragen, der sie nun immer mehr bedroht. Inzwischen weisen Wissenschaftler immer wieder darauf hin, dass die wachsende Stärke der Hurricanes, die Florida heimsuchen, auf die von Menschen verursachte globale Erwärmung zurückzuführen ist, DeSantis hat sich jedoch auf die alte Linie der Republikaner zurückgezogen: Der Klimawandel sei ein natürliches Phänomen und werde nicht durch menschliches Verhalten – etwa durch das Verbrennen fossiler Energie – beschleunigt. Im August 2023 antwortete er auf die Frage nach seinem Klima-Plan: „Ich werde Joe Bidens grünes „New Deal“ zerreißen.“ DeSantis will zwar die Natur und Umwelt in Florida schützen und erhalten, denn hier sind Schwimmen, Boot fahren, Fischen und Jagen sehr populär und profitabel. Aber er will auch die einheimische Öl- und Gasproduktion steigern und den verpflichtenden Einsatz elektrischer Fahrzeuge bekämpfen.

Hinter solchen Vorstellungen steht die Tatsache, dass in den Vereinigten Staaten die Ursachen des Klimawandels und was dagegen zu tun sei oft nicht als wissenschaftliche Fragen behandelt sonder politisch definiert werden. Etwa die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung ist zwar der Ansicht, dass der Klimawandel „zumeist“ durch menschliches Handeln verursacht wird. Die Einstellung der Anhänger der beiden politischen Parteien zeigen jedoch ein völlig unterschiedliches Bild: Nur 22 Prozent der Republikaner halten den Klimawandel als von Menschen gemacht; bei den Demokraten sind es 75 Prozent. 

DeSantis dürfte klar sein, dass er angesichts der beim Thema Klimawandel tief gespaltenen Gesellschaft mit forcierter Klimapolitik bei der republikanischen Wählerschaft nicht punkten kann. Die New York Times berichtet dazu: „Im Wahlkampf spricht DeSantis nicht oft darüber, welche Umweltpolitik er als Präsident machen würde. In allgemeinen Formulierungen gibt er zu bedenken, dass es gut wäre, die Emissionen auf fossilen Brennstoffen zu verringern und fügt dann an, dass der freie Markt dafür besser geeignet sei als Regierungsinitiativen. Mit anderen Worten: DeSantis hat entweder keine eigenen klimapolitischen Vorstellungen oder spricht ganz bewusst nicht darüber (nytimes.com, 8.9.2023: „DeSantis, Leading a State Menaced by Climate Change, Shrugs Off the Threat“).

Die Vielschichtigkeit der klimapolitischen Herausforderungen in Florida wird in einem umfangreichen Bericht der New York Times beschrieben. Es geht dabei um das Anlegen großer Kreuzfahrtschiffe im Hafen von Key West und die damit zusammenhängenden Fragen und Probleme. (Sie werden ähnlich auch in Venedig sichtbar). Im Jahr 2020 hatten Umwelt-Aktivisten in der Region von Key West drei Initiativen durchgebracht, mit dem Ziel, die umgebende See besser zu schützen und die Passagierzahlen der Kreuzfahrtschiffe auf 1 500 Personen täglich zu begrenzen. Vor Corona haben jährlich knapp 1 Million Passagiere mit Kreuzfahrtschiffen Key West besucht; nicht zuletzt ein Beschäftigungs- und Einkommensfaktor für die Insel. Allerdings hat der Gesetzgeber des Bundesstaates – mit Zustimmung von Gouverneur DeSantis – die Restriktionen ein Jahr später wieder aufgehoben. Inzwischen hat ein gut betuchter Hotelbesitzer, der auch einen der Piers von Key West betreibt, beim Bundesstaat beantragt, den Hafen erweitern zu dürfen, um noch größere Schiffe mit höheren Passagierzahlen bedienen zu können. Die Entscheidung darüber ist für den Gouverneur nicht zuletzt deshalb pikant, weil verschiedene Firmen des privaten Pierbesitzers der DeSantis-Kampagne knapp 1 Million Dollar gespendet haben. Noch komplizierter wurde das Ganze, als die Umweltorganisation „Safer Cleaner Ships“ feststellte, dass die Firma falsche Angaben über ihre Einnahmen gemachte hatte und dadurch höhere Steuern und Ausschiffungsgebühren vermieden hat. Auf Rückfrage der New York Times wurde vom Staat mitgeteilt, die Sache sei untersucht worden und werde nicht weiterverfolgt.

Auch bezüglich der Größe der in Key West anlegenden Kreuzfahrtschiffe gibt es offene Fragen. Schon in der Vergangenheit kamen größere Schiffe an die Piers als dies die bestehenden Verträge erlaubten. Dafür hat der Staat im vergangenen Jahr eine temporäre Erlaubnis erteilt. Durch den jetzigen Antrag, größere Schiffe zuzulassen, soll dieses Problem gelöst werden. Der Gouverneur wollte darüber mit seinem Kabinett noch im Dezember 2023 entscheiden (nytimes.com, 25.11.2023: „DeSantis Faces Critical Decisions on Cruise Ships in Key West“). (Über eine neue Entscheidung Floridas konnte bis dato im Netz kein Hinweis gefunden werden).

Wie sehr Ron DeSantis immer wieder versucht, der „bessere Trump“ zu sein, zeigt seine jüngste Aussage zum Affordable Care Act – dem unter Obama eingeführten Krankenschutz; das Gesetz wird deshalb „Obama Care“ genannt. Donald Trump hatte 2017, während seiner Präsidentschaft, versucht, „Obama Care“ aufheben zu lassen, war jedoch im Kongress gescheitert. Nun hat er angekündigt, falls er gewählt werde, es erneut zu versuchen. Ron DeSantis hat – gewissermaßen als das „Echo“ Trumps – am 3.12.2023 angekündigt, „Obama Care“ durch ein anderes Gesetz zu ersetzen. Im amerikanischen Sozialsystem gibt es zweifellos noch viel Luft nach oben. Doch weder Trump noch DeSantis haben Vorschläge gemacht, was an Stelle von „Obama Care“ kommen soll. Auch bei diesem Vorhaben steckt sowohl Trump als auch DeSantis in einer politischen Zwickmühle, denn „Obama Care“ ist in Amerika populär. Bei einer Umfrage im Mai 2023 befürworteten 59 Prozent den Affordable Care Act. Allerdings – so die New York Times – kann die Ankündigung, das Gesetz zu „ersetzen“, in den republikanischen Primaries einen Vorteil bringen, denn nur 26 Prozent der Republikaner unterstützen dieses Gesundheitsgesetz (nytimes.com, 3.12.2023: „DeSantis Says He Would Pass a Bill to ‚Supersede’ Obamacare“).

Christian Zaschke, der Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in New York hat im August 2023 folgenden Zwischenbilanz über die DeSantis-Kampagne gezogen: „Zum Start seiner Kampagne galt DeSantis als der einzige republikanische Politiker, der dem hohen Favoriten Trump gefährlich werden könnte. Gut zwei Monate später gilt er in weiten Teilen Washingtons als der überschätzteste Kandidat im Feld“ (sueddeutsche.de, 1.8.2023: „Falsche Zielgruppe, falsche Strategie“).

Die ersten Vorwahlen der Republikaner finden am 5.1.2024 in Iowa statt. Eine am 11.12.2023 veröffentlichte Umfrage zeigt ein schlechtes Bild für die Trump-Kontrahenten: „Der Einzige, der im ersten Wahl-Staat an Boden gewonnen hat, ist Mr. Trump.“ Dieser liegt bei 51 Prozent – im Oktober waren es noch 43 Prozent. An zweiter Stelle liegt in Iowa Ron DeSantis mit 19 Prozent, gefolgt von Nikki Haley mit 16 Prozent. Haley hat seit Oktober zwar Boden gut gemacht, doch nach der jüngsten Umfrage machte sie keine weiteren Fortschritte. DeSantis hatte sich zunächst weniger auf Iowa konzentriert, wo er prominente Wahlempfehlungen erhalten hat. Doch angesichts seiner Schwäche in New Hampshire, wo er nur an vierter Stelle liegt, erwartet seine Kampagne ein starkes Ergebnis in den Caucus-Veranstaltungen in Iowa. Eine neue Unterstützergruppe hat dort begonnen, Werbeanzeigen gegen Nikki Haley zu schalten. Anders als ursprünglich DeSantis konzentriert sich Haley auf New Hampshire. Sie ist dort die stärkste Konkurrentin von Trump, liegt jedoch noch weit hinter diesem (nytimes.com, 11.12.2023: „Trump Gains in Iowa Poll, and DeSantis Holds off Haley for a Distant Second“).

Nachdem Trump in Iowa seinen Vorsprung zu DeSantis auf über 30 Prozent ausgebaut hat, hat dieser seine Angriffe auf Trump etwas verschärft. Am 10.12.2023 warf er Trump auf „X“ (früher Twitter) Feigheit vor weil er sich bisher geweigert hat, an den Debatten der Republikaner teilzunehmen. Allerdings hat dieser Vorwurf bei der republikanischen Wählerschaft nicht gezogen (nytimes.com, 11.12.2023: „DeSantis Accuses Trump of ‚Cowardice’ for Refusing to Dabate Rivals“).

Nach den Vorwahlen in Iowa am 15.1.2024, New Hampshire am 23.1.2024 und Nevada am 6.2.2024 werden wir klarer sehen. Wahrscheinlich wird sich dann das Bewerberfeld weiter lichten.

Fortsetzung folgt ...

 

Vorschau auf Teil 2:

  • Die voraussichtlichen Kontrahenten: Biden vs. Trump;
  • Die beiden Parteien: Demokraten und Republikaner;
  • Die Faschismus-Diskussion in den Vereinigten Staaten;
  • Was wäre wenn? Die Folgen einer Wahl Trumps für die USA und Europa.                 
Heinrich Kümmerle hat auf diesen Beitrag reagiert.
Heinrich Kümmerle

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  • Ergänzung: Die Inflation ist stärker als vor dem Euro?

    Nein. Seit 25 Jahren gibt es den Euro. Das Eurosystem (EZB + Nationale Zentralbanken) haben das Inflationsziel zwischen 1999 und 2020 im Durschnitt deutlich besser erreicht als es davor der Fall war. Die Phase der jetzigen Inflation in Folge der Corona-Krise und der Lieferengpässe und der Energiekrise hat die Preise weltweit 2021, 2022 getrieben. Die Inflation sinkt seit Ende 2022 kontinuierlich und nähert sich wieder den 2 % an.
    Darüber hinaus hat die gemeinsame Währung Europa Stabilität in diversen Krisen gegeben.
    Die gemeinsame Währung stützt den Binnenmarkt und hat Deutschland geholfen, starke Exportleistungen zu erzielen.

  • Zum Protokoll des Gesprächskreises „Europa jetzt!“ würde ich gerne hinzufügen, dass wir Teilnehmer auch darüber debattiert haben, wie „selbstverständlich“ Europa gerade für uns jüngeren geworden ist. Viele von uns kennen es gar nicht anders. Reisen ohne Grenzen, zahlen in Euro, keine Zollgebühren beim Onlineshopping, anders kennen wir es fast nicht. Es gilt, diese Freiheiten aufzuzeigen um das Interesse an Europa zu wecken.
    Ebenso war sich der Großteil der Gruppe einig, dass wir keine Angst haben, sondern Bedenken und Unsicherheit empfinden, wenn wir die aktuellen Entwicklungen beobachten.

    • Wie wir feststellen durften ist die Halbwertszeit solcher Runden nicht ausreichend, um ein Forum nur annähernd zu füllen. Wo die Unverbindlichkeit zum Prinzip erhoben wurde, muss man tatsächlich über ganz neue Kommunikationskanäle nachdenken.