Die „rote Welle“ blieb aus …

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Beitragsfoto: Trump-Anhänger kurz vor der Erstürmung des US-Kapitols | © Tyler Merbler – https://www.flickr.com/photos/37527185@N05/50812356151/

Anders als die Überschrift vermuten lässt, ist aus meinem „Blick auf die amerikanischen Zwischenwahlen“ eine umfangreiche Ausarbeitung geworden. Das Wahlergebnis vom 8. November 2022 war außergewöhnlich. Doch ebenso spannend war — und ist noch immer — wie die amerikanischen Medien um die Deutung dieses Ergebnisses ringen. Zu beobachten war ein politisches Schauspiel, das nach dem Tag der Wahl in mehreren Etappen über die politische Bühne ging. Der letzte Höhepunkt wurde mit dem Spektakel zur Wahl des Speakers of the House erreicht.

Ursprünglich wollte ich den Text mit einem optimistischen Ausblick abschließen. Das das Gerangel der Republikaner um den Speaker-Posten lässt nur noch einen „Silberstreif“ am politischen Horizont der USA zu. „Amerika schlingert“, hatte ich meine Betrachtung vom 29.9.2022 überschrieben. Mir scheint, das Land schlingert noch immer. Die Beobachtung der politischen Entwicklungen in Amerika bis zur nächsten Wahl 2024 bleibt spannend.

Ein Blick auf die amerikanischen Zwischenwahlen – Einleitung

Vor den amerikanischen Zwischenwahlen am 8.11.2022 (den sog. Midterms) – aber auch danach – fiel mir immer wieder die Feststellung einer Bekannten ein: „Die Amis sind zu allem fähig …“ – so weit, so gut. Doch die Aussage meiner Bekannten ging noch weiter und galt daher auch für die Zeit nach dem 8.11.2022: „… die sind auch im Stand und wählen Donald Trump ein weiteres Mal zum Präsident.“ 

In der Tat: „Die Amis sind zu allem fähig …!“ Am 8.11.2022 haben sie – entgegen vieler Prognosen der Demoskopen ein kleines Wunder vollbracht: Die „rote Welle“ – Rot ist die Farbe der Republikaner – ist ausgeblieben. Über die Gründe dafür will ich an anderer Stelle schreiben. Und Donald Trump? Er hat am 15.11.2022 seine erneute Kandidatur für 2024 angekündigt. Die New York Times überschriebt dazu ein Editorial: „America Deserves Better Than Donald Trump“ – „Amerika verdient etwas Besseres als Donald Trump.“ Mit zwei ernsthaften Kontrahenten aus der eigenen Partei kann bis jetzt gerechnet werden.

Trumps früherer Vizepräsident Mike Pence hat mit ähnlichem Unterton wie die New York Times angemerkt: „Ich denke, wir haben bessere Wahlmöglichkeiten“ und setzte sich damit klar von Donald Trump ab, dem er vier Jahre lang treu und redlich als Vizepräsident gedient hatte, bis ihm Trump den Fehdehandschuh hinwarf, weil er nicht bereit war, Trump mit eindeutig ungesetzlichen Mitteln zum Wahlsieg zu verhelfen. 

„Hängt Mike Pence!“ hatte der von Trump aufgehetzt Mob am 6.1.2021 beim Sturm auf das Kapitol skandiert. „Dies ist der Grund für meinen Entschluss, dass wir getrennte Wege gehen sollten“, sagte Pence am 15.11.2022 bei einem Interview mit dem TV-Sender ABC-News. Fragen nach Trumps Charakter wich er dabei aus, deutete aber unmissverständlich an, er selbst denke „mit Gebeten“ darüber nach zu kandidieren und wenn dies bedeute, seinen früheren Chef herauszufordern, „dann sei es so“ (nytimes.com, 15.11.2022: Pence on Trump’s 2024 Run: „I Think We’ll Have Better Choices“. Ferner: sueddeutsche.de, 15.11.2022: „Mike Pence erwägt Kandidatur gegen Donald Trump“).

Der zweite ernsthafte Kontrahent um eine Nominierung zum Präsidentschaftskandidat der Republikaner 2024 dürfte Ron DeSantis, der souverän wieder gewählte Gouverneur von Florida sein. Trump hatte Florida 2020 mit einem Vorsprung von 4 Prozent gewonnen; DeSantis dagegen bei den Wahlen am 8.11.2022 mit einem Vorsprung von 20 Prozentpunkten – und zwar ohne die Unterstützung des früheren Präsidenten Donald Trump. „Allerdings weiß DeSantis um das fragile Ego des Ex-Präsidenten und wird seinen Erfolg zunächst nicht als Kampfansage an Trump deklarieren“, sagte Knut Dethlefsen, der Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington D. C. in einem Interview. Eine andere Politik würde es jedoch unter einem Präsidenten Ron DeSantis nicht geben. Er wäre für die Republikaner der geeignete Kandidat, Trump als Person hinter sich zu lassen ohne seine ideologischen Ansätze über Bord zu werfen. „DeSantis ist momentan der „bessere, weil erfolgreichere Trump“, sagt Knut Dethlefsen (IPG-Pressedienst, 11.11.2022: „DeSantis ist der bessere Trump“; Interview mit Knut Dethlefsen; die Fragen stellte Nikolaos Gavalakis). Ron DeSantis ist strategisch und taktisch klug genug, in aller Ruhe abzuwarten. Er kann die in den Medien und in der Republikanischen Partei angelaufene Diskussion um die Mitverantwortung Trumps am schlechten Abschneiden der G. O. P. bei den Midterms genüsslich beobachten.

Ebenfalls abwarten und den sich anbahnenden Raufereien bei den Republikanern zusehen kann der amtierende Präsident Joe Biden. Obwohl er als Präsident nur von 40 – 45 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner positiv beurteilt wird, stimmt er freudig in die begeisterten Aussagen aus seiner Partei über das Wahlergebnis ein. Es mag Europäer auf den ersten Blick verwundern, dass die Demokraten in den USA als Wahlsieger beschrieben werden, obwohl sie ihre bisherige Mehrheit im Repräsentantenhaus verloren haben.  Knut Dethlefsen von der Friedrich-Ebert-Stiftung erklärt jedoch mit wenigen Worten, was bei den Midterms geschehen ist: „Den Demokraten ist es gelungen, historische Trends zu brechen. Sie haben für eine Partei, die den Präsidenten stellt, das beste Zwischenwahlergebnis in 20 Jahren eingefahren.“ Präsident Joe Biden hat zwar angedeutet, 2024 noch einmal in den Ring steigen zu wollen – insbesondere falls der Kontrahent Donald Trump sein sollte. Endgültig entschieden hat er sich bis jetzt noch nicht. „Ich fühle mich gut und ich blicke in die nächsten Jahre“, sagte Biden in Phnom Penh, als er dort erfuhr, dass die Demokratin Catherine Cortez Masto den Senatssitz in Nevada erneut gewonnen, und dadurch die Mehrheit ihrer Partei im Senat besiegelt hatte. Biden hat angekündigt, über die Feiertage mit seiner Frau darüber zu sprechen, ob er 2024 nochmals antreten werde. Allerdings gibt es auch in der Demokratischen Partei kritische Stimmen.  Biden wurde am 20.11.2022 achtzig Jahre alt. Er hat zwar die Republikaner erneut zur Zusammenarbeit aufgefordert und seine Bereitschaft dazu angeboten. Doch dazu wird es angesichts der knappen Mehrheit der G. O. P. im Repräsentantenhaus und der lautstarken MAGA-Gruppe nur schwerlich kommen, denn diese kleine Gruppe besitzt eine starke Entscheidungsmacht wenn es um Mehrheiten bei der Festlegung der politischen Ziele und Taktiken der Republikaner geht. Aus Kreisen der G. O. P. wurden bereits Untersuchungsausschüsse gegen den Präsidenten und seinen Sohn Hunter Biden angekündigt;  gewissermaßen als Retourkutsche für die beiden Impeachmentverfahren gegen Trump. Entsprechende Verfahren gegen Biden und die Vizepräsidentin Kamala Harris und weitere Kabinettsmitglieder planen nun die Republikaner (Heilbronner Stimme, 18.10.2022: „Streit und Stillstand“).   

„In einem solchen Umfeld kann es einfacher sein, Unterstützung für Untersuchungsausschüsse zu erreichen als für größere Gesetzesvorhaben“, schreibt die New York Times. Um den kommenden Herausforderungen begegnen zu können, rüsten auch die Demokraten im Kongress und das Weiße Haus auf. Zusätzliches Personal soll dafür eingestellt und engere Verbindungen zu Netzwerken und Gruppierungen wie etwa „Media Matters“, „American Bridge“ und „Facts First“ sollen geknüpft werden (nytimes.com, 17.11.2022: „Republicans Lay Out Biden Investigations, but Democrat-Aligned Groups Promis Counteroffensive“). 

All dies sieht nicht nach mehr Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg aus. Im Gegenteil: Beide Parteien bereiten sich auf weitere innenpolitische Auseinandersetzungen vor und es wird genau das eintreffen was die Heilbronner Stimme als „Streit und Stillstand“ beschrieben hat. Dazu wird der Wahlkämpfer Trump immer wieder Öl ins Feuer gießen. Amerika droht weiterhin zu schlingern … mit Auswirkungen auf die Verbündeten in Europa und in anderen Teilen der Welt.

Um Trumps sprunghafte und oberflächliche Weltsicht und die oft hinterhältige Art des Umgangs mit Freund und Feind zu verstehen, empfehle ich die Lektüre der Trump-Bografie „Täuschung – Der Aufstieg Donald Trumps und der Untergang Amerikas“ – Originaltitel: „Confidence Man: The Making of Donald Trump and the Breaking of America“ von Maggie HabermanDie Pulitzer-Reisträgerin arbeitet seit 2015 für die New York Times und war während der Trump-Präsidentschaft Mitglied des NYT-Teams für das Weiße Haus. Ihr Buch beginnt nicht erst 2016 mit der Wahl Trumps zum 45. Präsident der Vereinigten Staaten. Haberman beschreibt seine viel weiter zurückliegenden Anfänge als kleiner Immobilienmakler im Geschäft seines Vaters im New Yorker Stadtteil Queens. Dort lernte er – man könnte es als „Bauernschläue“ beschreiben – mit allen möglichen Tricks, Gemeinheiten, Spenden an beide Parteien und auch mit Frauengeschichten bekannt zu werden und ein weit verzweigtes Netzwerk von Verbindungen aufzubauen, das ihm bis heute immer wieder hilft, problematische Situationen zu „meistern“. Das Ergebnis hat Trump einmal so beschrieben: „Ich könnte mitten auf der Fifth Avenue stehen und jemand erschießen, und ich würde keine Wähler verlieren.“ Ob dies heute noch gilt, ist fraglich.    

Habermans Beschreibung von Trumps Überlegungen, die zur Auswahl von Mike Pence als Kandidat für die Vizepräsidentschaft führten, lässt ahnen, was später im Weißen Haus hinter den Kulissen ablief und warum selbst Regierungsmitglieder relativ häufig aus Trumps Team ausschieden. Haberman berichtet:

„Die meisten Republikaner wollten nach der Art und Weise, wie er seinen Wahlkampf geführt hatte, nicht mit ihm zusammen antreten.  Ein Gefühl, das mehr oder weniger auf Gegenseitigkeit beruhte.  Trump hatte seine berufliche Laufbahn im Schoß eines Familienunternehmens verbracht und neigte von Natur aus dazu, jedem zu misstrauen, insbesondere Außenstehenden.  Sein Konzept von Beziehungen gründete in erster Linie auf dem Aspekt der Dominanz.“   

(ZITIERT AUS MAGGIE HABERMAN: „TÄUSCHUNG – DER AUFSTIEG DONALD TRUMPS UND DER UNTERGANG AMERIKAS“;  SEITE 337FF)

Ursprünglich mochte Trump Mike Pence nicht – Haberman bezeichnet ihn als „einen der prominentesten evangelikalen Politiker des Landes“, denn Pence hatte zuvor den Konkurrenten Ted Cruz unterstützt.

Das Ende der Geschichte ist wohl ein Musterbeispiel für Trumps Art des Umgangs mit Freunden und Mitarbeitern und wie er diese mit  Halbwahrheiten ein zweideutigen Aussagen gegen einander ausspielte:  Binnen weniger Tage hatte Trump Pence dazu gebracht, eine Position anzunehmen, die er ihm nie offiziell angeboten hatte, und ihn gebeten, darüber zu schweigen; gleichzeitig hatte er einem seiner alten Freunde gesagt, dass er sich noch nicht entschieden habe, und eine ausgeklügelte Inszenierung im Live-Fernsehen ausgeheckt, um diese Behauptung zu untermauern und so die direkte Konfrontation mit Christie so lange wie möglich zu vermeiden. Nachdem er sich selbst Spielraum gelassen hatte, um sich aus der Entscheidung herauszuwinden, und nachdem er andere gezwungen hatte, mentale und emotionale Energie für seine Entscheidung aufzuwenden, tat Trump schließlich genau das, was er schon zu Beginn angedeutet hatte: Er wählte jemanden, der eine Lücke schloss, die er selbst bei den evangelikalen Wählern nicht füllen konnte, und von dem – was am wichtigsten war – niemals zu befürchten stand, dass er aus Trumps Schatten heraustreten würde“

(ZITIERT AUS MAGGIE HABERMAN: „TÄUSCHUNG – DER AUFSTIEG DONALD TRUMPS UND DER UNTERGANG AMERIKAS“;  SEITE 337FF)

Diese Beschreibung deutet bereits an, dass die Rolle des späteren Vizepräsidenten früh darauf angelegt war, was der treue Mike Pence dann am Ende werden sollte: Eine tragische Figur in Donald Trumps Orbit.

Die Demokraten haben das Repräsentantenhaus verloren und den Senat gewonnen

Es wäre vermessen, hier alle Ergebnisse und Aspekte der Midterms im Detail darstellen zu wollen. Gewählt wurden am 8.11.2022 alle 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses, 35 Senatorinnen und Senatoren, die Gouverneure in 36 Bundesstaaten und viele weitere Mandatsträger auf der Ebene der Bundesstaaten und auf der örtlichen Ebene. So wurde zum Beispiel mit der Demokratin Karen Bass erstmals eine Frau zur Bürgermeisterin von Los Angeles gewählt. John Fetterman, Kandidat der Demokraten, schaffte in Pennsylvania den Sieg über den von Donald Trump unterstützten Mehmet Oz und legte damit einen wichtigen Grundstein für den Bestand der Mehrheit der Demokraten im Senat. Dieser Sitz in Pennsylvania war bisher von einem Republikaner besetzt.

Nach langjähriger Erfahrung und nach den eigenen Erwartungen hätten die Republikaner am 8.11.2022 sowohl die Mehrheit im Senat gewinnen und auch einen haushohen Sieg im Repräsentantenhaus einfahren müssen. Doch das Wahlergebnis war anders. Daraus ergeben sich eine Reihe von grundsätzlichen Fragen:

  • Die Demoskopen hatten den Demokraten und Joe Biden eine deftige Niederlage vorhergesagt und die Republikaner hatten eine „rote Welle“ erwartet. Warum sind diese Prognosen und Erwartungen nicht eingetreten? Warum wurden vor allem die hohen Erwartungen der Republikaner nicht erfüllt?
  • Lange hatte es den Anschein als stünden sich die Themenfelder „Erhaltung des demokratischen Regierungssystems der USA“ und „Wirtschaft und Inflation“ diametral und Wahl entscheidend gegenüber. Welche Themen waren den Wählerinnen und Wähler noch wichtig und spielten womöglich eine entscheidende Rolle?
  • Der frühere Präsident Donald Trump hatte eine große Zahl von Kandidatinnen und Kandidaten tatkräftig unterstützt oder gar selbst ins Rennen geschickt. Die Bedingung für Trumps Unterstützung war, dass sie die „Große Lüge“ Trumps Vorstellung von der „gestohlenen Wahl 2020“ unterstützten. Die Trump-Kandidaten haben häufig „underperformed“ – „unterdurchschnittlich abgeschnitten“ oder gar verloren. Ziehen die Republikaner daraus Lehren und im Zweifel welche? Werden sie Donald Trump 2024 erneut ins Rennen schicken?
  • Welche Auswirkungen hat das Wahlergebnis auf die Innen- und Außenpolitik der USA und damit auch auf Europa?

Die Ergebnisse der Midterms 

Senat (zur Wahl standen 35 der 100 Sitze)  

Künftige Sitzverteilung: 
Demokraten: 51 (bisher: 50)
Republikaner: 49 (bisher: 50)

(Siehe dazu jedoch den Hinweis zum Austritt der Senatorin Kyrsten Sinema aus der demokratischen Senatsfraktion im folgenden Abschnitt dieses Kapitels).

Bereits mit dem Wahlergebnis am 8.11.2022 hatten die Demokraten mit den zunächst erreichten 50 Sitzen ihre bisherige knappe Mehrheit im Senat halten können. In Georgia war am 6.12.2022 eine Stichwahl zwischen dem bisherigen demokratischen Senator Raphael Warnock und dem von Trump unterstützten Republikaner Herschel Walker erforderlich; der Demokrat Warnock hat seinen Sitz erfolgreich verteidigt. Seine Partei steht damit in der nächsten Legislaturperiode im Senat um einen Sitz besser da als zuvor. Die Demokraten sind künftig nicht mehr auf die Stimme der Vizepräsidentin Kamala Harris in deren Funktion als Vorsitzende des Senats angewiesen.

Der Republikaner Herschel Walker hatte es trotz Trumps Unterstützung nicht geschafft und Mitch McConnell, der Minderheitenführer im Senat, sollte recht behalten, als er bereits vor der Wahl die Qualität mancher republikanischer Kandidaten kritisierte.

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Breaking News – 9.12.2022

Die demokratische Senatorin Kyrsten Sinema aus Arizona hat Chuck Schumer, dem Mehrheitsführer der Demokraten im Senat am 8.12.2022 mitgeteilt, dass sie die Demokratische Partei verlassen werde. Wie sich dies im neuen Senat auf die Mehrheitsverhältnisse auswirken wird, lässt sich noch nicht absehen. Eine psychologische Schwächung für die Demokraten ist dies allemal. 

Bis jetzt hat Kyrsten Sinema noch nicht mitgeteilt, ob sie auch die demokratische Fraktion des Senats verlassen will. Sie hat jedoch den Übertritt zur Fraktion der Republikaner ausgeschlossen. Die New York Times berichtet, dass Sinema ihre Ausschussposten behalten werde, die sie als Mitglied der Demokraten erhalten hat. Dies lässt den Schluss zu, dass sie auch als unabhängige Senatorin ähnlich operieren wird, wie die beiden unabhängigen Senatoren Bernie Sanders aus Vermont und Angus King aus Maine. Allerdings sind beide noch Mitglied der demokratischen Senatsfraktion. Sinema hat bisher den größten Teil der Biden-Agenda unterstützt, so beispielsweise das erst vor kurzem verabschiedete Gesetz zur Absicherung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Kritisch war sie bei Fragen der Finanz- und Steuerpolitik; widersprochen hat sie bisher – zusammen mit Senator Joe Manchin III aus West Virginia die Versuche der Demokraten, die Anwendung der Filibuster-Regel im Senat weiter einzuschränken. „Die Demokraten glauben – oder hoffen – dass sich im Kongress wenig verändern wird“, schreibt die New York Times. (Quellen: nytimes.com, 9./12.12.2022: „Kyrsten Sinema Says She will Leave the Democratic Party“; nytimes.com, 9.12.2022: „Sinema Adds Intrigue and Democratic Fury to Arizona’s 2024 Senate Race”; sueddeutsche.de, 9.12.2022:  “Demokratin Kyrsten Sinema will künftig als unabhängige Senatorin auftreten”).

Repräsentantenhaus (zu wählen waren alle 435 Mitglieder des House;  zur Mehrheit sind 218 Sitze erforderlich)

Künftige Sitzverteilung:   
Republikaner: 222 (bisher: 213)
Demokraten: 213 (bisher: 222)

Anmerkung der New York Times zu diesem Ergebnis: „Die Republikaner haben die Mehrheit im Repräsentantenhaus gewonnen, jedoch mit einer viel geringeren Sitzzahl, als die Parteiführung erwartet hatte.“

Gouverneurswahlen (in 36 der 50 US-Bundesstaaten standen die Gouverneure zur Wahl)

Die Ergebnisse sollen hier nicht im Detail dargestellt werden. Darüber, wie einige der von Donald Trump unterstützten Kandidatinnen und Kandidaten abgeschnitten habe, berichte ich an anderer Stelle. Hinweisen will ich jedoch auf die heiß umkämpfte Wahl in Arizona, wo die von Trump unterstützte Republikanerin Kari Lake das Rennen gegen ihre demokratische Kontrahentin Katie Hobbs knapp verlor. Der bisherige republikanische Gouverneur Doug Ducey durfte wegen der in Arizona geltenden Amtszeitbegrenzung nicht mehr antreten. Mit dem Sieg von Katie Hobbs, der früheren Innenministerin von Arizona, haben die Demokraten den Republikanern den Gouverneursposten des Bundesstaates abgenommen.

Während der Stimmenauszählung wechselte die Führung mehrfach. Am Ende siegte Hobbs mit einem Vorsprung von 17.117 Stimmen. Lake hatte ihren Wahlkampf sehr stark auf Donald Trump ausgerichtet und immer wieder von der „gestohlenen Wahl“ gesprochen. Sie unterstützte Trumps unbewiesene Behauptung, Biden habe die Wahl nur durch massiven Betrug gewonnen. Und ebenfalls wie ihr Vorbild und Mentor weigerte sich Lake, ihre Niederlage anzuerkennen und zog vor Gericht mit der Begründung, die Wahl 2022 sei fehlerhaft und korrupt abgelaufen. Kurz vor Weihnachten entschied der Maricopa County Superior Court, das Gericht habe keine „eindeutigen und überzeugenden Beweise für ein Fehlverhalten“ gefunden, das sich auf das Ergebnis der Gouverneurswahl in Arizona ausgewirkt hätte. Zugleich bestätigte das Gericht den Sieg der Demokratin Katie HobbsDie Reaktion der Verliererin: Lake kündigte umgehend an, Berufung gegen die Entscheidung einzulegen. (Quellen: nytimes.com, 21.12.2022: „Kari Lake Will Present Election Fraud Claims in an Arizona County Court“; Deutsche Welle – dw.com, 25.12.2022: „Trump-Getreue scheitert mit Wahlanfechtung”).     

Versuch einer Erklärung des Wahlergebnisses

Es wird noch einige Zeit dauern, bis die Expertinnen und Experten aus Politik, Wissenschaft und Medien – insbesondere auch die Wahlforscher, die mit ihren Prognosen mäßig bis stark „daneben“ lagen — all die Gründe untersucht haben, die zum Wahlergebnis am 8.11.2022 führten. „Entgegen aller politischen Erfahrungen und der üblichen Midterm-Trends, dass die Partei gestärkt wird, die gerade nicht an der Macht ist, haben die Demokraten mit der Wiederwahl der Senatorin Catherine Cortez Masto von Nevada am Sonntag (12.11.2022) ihre hauchdünne Mehrheit im Senat gesichert“, schrieb die New York Times. Obwohl die Mehrheit im Senat sehr gering sei, — weit entfernt davon, um entscheidende Gesetzesvorlagen durchzusetzen – sei sie eine Rettungsleine für Präsident Biden und hindere die Republikaner daran, seine Agenda völlig zu zertrümmern oder gar ein Impeachment-Verfahren und ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn und andere Regierungsmitglieder in Gang zu setzen (nytimes.com, 13.11.2022: „Democrats’ Senate Victory Hands Biden a Critical Guardrail Against G. O. P.“). Biden gelang damit das beste Midterm-Ergebnis eines Präsidenten in den letzten 20 Jahren. In einer ersten Stellungnahme bezeichnete er am Tag nach der Wahl das Ergebnis als einen „guten Tag für die Demokratie.“ Er wolle seine politischen Kurs nicht verändern und deutete an, 2024 wieder ins Rennen um die Präsidentschaft einzusteigen.

Chuck Schumer, der gegenwärtige und auch künftige Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, bezeichnete das Ergebnis als „Weckruf der Amerikaner an die Republikaner, den Flirt mit der Autokratie zu beenden und mit der Zeit verschwenderischen Diskussion um eine „verlorene Wahl“ aufzuhören. Es sei an der Zeit, zu arbeiten und etwas zu Wege zu bringen (nytimes.com, 13.11.2022: „Democrats’ Senate Victory Hands Biden a Critical Guardrail Against the G. O. P.“). Ähnlich äußerte sich auch Larry Hogan, der Trump-kritische republikanische Gouverneur von Maryland: „Mit Ausreden, Lügen und giftiger Politik lassen sich keine Wahlen gewinnen.“ Trump selbst brauchte längere Zeit, bis er sich zum Ausgang der Midterms äußerte. Zugeschaltet zu einem Treffen der Republican Jewish Coalition, das vom 18. – 20.11.2022 in Las Vegas stattfand, suchte Trump in gewohnter Manier den Misserfolg der Republikaner bei anderen und nicht bei sich selbst. Er kritisierte das Roe vs. Wade – Urteil des Supreme Court, mit dem das Recht der Frauen, über einen Schwangerschaftsabbruch selbst zu entscheiden, kassiert wurde. Den Begriff „Abortion“ (Abtreibung) vermied er dabei und auch die Tatsache, dass das Urteil durch die in seiner Amtszeit ernannten drei neuen Richterinnen und Richter des Supreme Court entscheiden gestützt wurde. Zum häufig schlechten Abschneiden der von ihm unterstützten Kandidatinnen und Kandidaten sagte Trump ebenfalls nichts und schwieg auch zum Thema „Sturm auf das Kapitol“ am 6.1.2021, der von ihm persönlich angeheizt worden war. 

Im Bericht der New York Times über Trumps Auftritt in Las Vegas wurde vermerkt, dass er „Standing Ovations“ erhielt. Bei der gleichen Veranstaltung, bei der sich frühere Weggefährten Trumps – Mike PompeoRon DeSantis, Nikki Haley, Mike Pencemehr oder weniger deutlich von Trump absetzten, nannte Gouverneur Larry Hogan Trump einen „electoral loser“ (Wahlverlierer) und teilte die Republikanische Partei in drei Gruppen ein:

  • 30 Prozent „die hard“ Trump-Unterstützer;
  • 20 Prozent, die Trump nicht ausstehen können;
  • 50 Prozent überzeugbare Wähler.

Zweifellos geschah am 8.11.2022 für die Demokraten, die Schlimmes befürchtet hatten, etwas Außergewöhnliches, für die Republikaner aber etwas Enttäuschendes, denn sie hatten sich bedeutend mehr erhofft. Etwas vergröbert und ohne auf einzelne entscheidende Ergebnisse eingehend könnte man sagen:  Die Einen haben nicht richtig gewonnen und die Anderen nicht richtig verloren. Yuval Levin vom American Enterprise Institute versuchte, das Wahlergebnis mit dem Satz zu beschreiben: „Die Demokraten errangen einen Senatssitz in einem Bundesstaat, weil der republikanische Kandidat Trump außergewöhnlich ähnlich war, während sie eine kleine Handvoll Sitze im Repräsentantenhaus verloren.“ Levin bezieht sich dabei auf das Ergebnis in Pennsylvania, wo der Demokrat John Fetterman den von Trump unterstützten Mehmet Oz besiegte und die Republikaner dadurch einen bisher innegehabten Sitz im Senat verloren. Levin blickt voraus zur Wahl von 2024, die bisher überwiegend von Fragen um Donald Trump beherrscht wurde. Im Senat stehen 2024 33 Sitze zur Wahl. Die Demokraten müssen 23, die Republikaner „nur“ 10 Sitze verteidigen und Levin wagt die Prognose, dass die Republikaner in zwei Jahren „almost certain“ (fast sicher) die Mehrheit im Senat gewinnen werden. Er schrieb dazu, dass die Demokraten verrückt sein müssten, in der kommenden Legislaturperiode die Filibuster-Regel im Senat aufzuheben – jene Bestimmung in der Geschäftsordnung, dass bei bestimmten Entscheidungen im Senat nicht die einfache Mehrheit sondern 60 Stimmen für einen Beschluss erforderlich sind. Ein auf den ersten Blick interessanter taktischer Aspekt. Er würde jedoch auch in Zukunft die bisherige gegenseitige Blockade zwischen den beiden Parteien fortsetzen. Ich bin zu weit vom „Schlachtfeld“ entfernt, um eine Prognose zu wagen. Meines Erachtens ist jedoch nicht nur die Filibuster Regel, sondern eine Reihe weiterer Punkte – etwa das Wahlmänner-System bei der Präsidentenwahl – verantwortlich für die Schwächen des politischen Systems der USA.

Den Republikanern rät Levin, die Lektion aus der kürzlichen Wahl zu lernen: Damit zu beginnen, den Trumpismus hinter sich zu lassen. Ob sie dazu stark und entschlossen genug sind, wird sich zeigen müssen. Nicht angesprochen bei seiner Wahlanalyse hat Levin die Auswirkung bestimmter Wahlkampfthemen auf das Ergebnis; etwa die Tatsache, dass das Thema Abtreibung Frauen und junge Menschen in hoher Zahl in die Wahllokale brachte – sie haben überwiegend die Demokraten gewählt. (nytimes.com, 17.11.2022: „Democrats Lost the Midterms, Too“; Gastbeitrag von Yuval Levin).

Die Midterms brachten meines Erachtens für die USA eine neue Art der Unübersichtlichkeit. Die insbesondere seit der Trump-Präsidentschaft akut gewordenen Fragen nach der Zukunft des demokratischen Systems in den Vereinigten Staaten und auch die Fragen, welche strukturellen Reformen – etwa beim Wahlsystem – erforderlich sind, sind nach wie vor unbeantwortet. Offen ist die entscheidende Frage, ob die politischen Kräfte angesichts der gegenseitigen Blockade-Situation überhaupt in der Lage sind, grundlegenden Reformen anzugehen.

Die New York Times schreibt von einem „gemischten Ergebnis“ der Midterms: „Die Wahlen brachten kein eindeutiges Mandat für Biden, waren jedoch auch nicht jene Zurückweisung, die viele seiner Vorgänger bei Midterms hinnehmen mussten. Wir erleben, wie einem alternden Präsident, der manchmal als gebrechlich angesehen wird, beeinträchtigt durch die höchste Inflation in vier Jahrzehnten, durch einen Krieg in Übersee, der die Energiemärkte durcheinanderbringt und durch ärmliche Umfragezahlen die Erwartungen dennoch übertraf …“ (nytimes.com, 9.11.2022: „Biden Celebrates Beating the Odds, but He Faces a New Challenge“).    

Wahlkampfthemen: Demokratie, die „Große Lüge“ und andere Mythen

Mit zwei öffentlichkeitswirksam inszenierten Reden im Laufe des Wahlkampfs hat Präsident Joe Biden vor den Gefahren für die Demokratie und das freiheitliche Regierungssystem der USA eindringlich gewarnt. Am 1.9.2022 warf er dem früheren Präsident und den „MAGA-Republikanern“ vor, die absoluten Grundlagen der Republik zu bedrohen. Wenige Tage vor dem Wahltermin griff Biden diese Thematik in einer Rede am 2.11.2022 in der Union Station in Washington D. C. erneut auf. Biden war besonders aufgebracht über den gewalttätigen Einbruch eines Verfechters der „Großen Lüge von der gestohlenen Wahl“ in das Anwesen von Nancy Pelosi, der Sprecherin des Repräsentantenhauses, in San Francisco am 28.10.2022. Der Einbrecher hatte entsprechende Utensilien dabei um Nancy Pelosi zu entführen; er wollte ihr die Kniescheiben zertrümmern. So wie der Mob beim Sturm auf das Kapitol am 6.1.2021 hatte der Einbrecher gerufen: „Wo ist Nancy?“ Sie war jedoch nicht im Haus. Ihrem Ehemann, dem 82 Jahre alten Paul Pelosi hat der Einbrecher mit einem Hammer schwere Verletzungen beigebracht. 

Mit den Worten: „Ein aufgestachelter Mob, angeheizt durch einen Präsidenten, der wieder und wieder die „Große Lüge“ wiederholt, die Wahl von 2020 sei gestohlen worden“, nahm Biden Bezug auf das Geschehen in Washington D. C. im Januar 2021. „Eine Lüge hat die politische Gewalt und die Einschüchterung von Wählern in den letzten zwei Jahren gefährlich ansteigen lassen.“

Biden wird in seiner Rede am 2.11.2022 sehr deutlich. Er benennt Ross und Reiter. Niemand kann später sagen er oder sie habe „Nichts“ gewusst: „Die extremen MAGA-Elemente in der Republikanischen Partei – wie ich schon früher erklärt habe – eine Minderheit in jener Partei, jedoch deren treibende Kraft. Sie versuchen erneut, woran sie 2020 gescheitert sind – die Rechte der Wähler zu unterdrücken und das Wahlsystem selbst zu untergraben. Dies bedeutet, sie verneinen euer Recht zu wählen und wollen entscheiden, ob eure Stimme überhaupt zählt.“ Biden beschrieb eindringlich die Gefahren für Amerika, warnte seine Landsleute, forderte sie zur Wachsamkeit auf. Von Beginn an habe es für die Demokratie in Amerika keine Garantie gegeben. „Jede Generation hat sie verteidigen müssen, schützen müssen, wählen müssen. Denn darum geht es bei der Demokratie. Es ist eine Wahl, eine Entscheidung des Volkes, durch das Volk, für das Volk.“ Biden zitiert hier die berühmte Formulierung, mit der Präsident Abraham Lincoln anlässlich der Einweihung des Nationalfriedhofs auf dem Schlachtfeld von Gettysburg am 19.11.1863 die amerikanische Demokratie beschrieben hat (Gettysburg Address). (Zitate aus der Biden-Rede vom 2.11.2022: nytimes.com, 2.11.2022: „Here’s a full transcript of President Biden’s speech on democracy“;   nytimes.com, 2./3.11.2022: “Biden Warns That ‘Big Lie’ Republicans Imperil American Democracy” sueddeutsche.de, 3.11.2022: “Biden warnt vor Bedrohung der Demokratie in Amerika”).

Wer sind diese „MAGA-Republikaner“, die die amerikanische Demokratie bedrohen und vor denen Biden so eindringlich warnt? Mit einer umfangreichen Beschreibung der Trump-Ikone Marjorie Taylor Greene gibt Robert Draper im Sunday Magazine der New York Times eine Antwort auf diese Frage (nytimes.com, 17.10.2022: „The Problem of Marjorie Taylor Greene – What the rise of the far-right congresswoman means for the House, the G. O. P and the nation).

Marjorie Taylor Greene konnte am 8.11.2022 in einem sicheren Wahlkreis in Georgia ihren Sitz im Repräsentantenhaus mit rd. 30 Prozent Vorsprung verteidigen. Ihr Wahlkampf-Slogan vor zwei Jahren hatte gelautet: „Save America – Stop Socialism“. Bei den Midterms 2022 legte sie noch einen drauf und kämpfte mit dem Aufruf: „Save America – Stop Communism“. Trump hatte sie bereits 2020 als eine „große Gewinnerin“ bezeichnet. 

Taylor Greenes Liste aller möglicher Kontroversen ist bei Wikipedia länger als die Beschreibung ihrer politischen Karriere selbst. Bei ihrer Siegesfeier nach den Vorwahlen 2020 hatte sie angekündigt, die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, aus dem Kongress zu jagen und verwendete dabei das Wort „Schlampe“ (Bitch). Als Kritik dafür auch aus den eigenen Reihen kam, wäre es an der Zeit gewesen, sich zu entschuldigen. Doch, ähnlich wie ihr Vorbild Trump sagte sie am nächsten Tag bei einem Radio-Interview: „In einem aufgeheizten Augenblick habe ich einen schmutzigen Ausdruck verwendet. Aber ich nehme nichts zurück. Ich entschuldige mich nicht.“ Kevin McCarthy, der künftige Sprecher des Repräsentantenhauses wird nicht nur Erfreuliches mit der selbstbewussten Abgeordneten erleben. Im Bericht von Robert Draper wird sie mit der Aussage zitiert: „Ich brauche keine Führungsposition.  Ich glaube ich habe bereits eine, ohne sie zu haben.“

Die 48 Jahre alte Greene bezeichnet sich als christliche Nationalistin (Christian Nationalist) und erklärt, dies bedeute nichts anderes als eine „Christin, die ihr Land liebt.“ Auf andere angesprochen, die zu diesem Begriff Aussagen gemacht haben, erläuterte sie Robert Draper, sie habe nichts über den Hintergrund des Begriffs „Christian Nationalism“ gewusst. Draper bezweifelt dies und zitiert andere „Christliche Nationalisten“:  „Trenne nicht Gott und die Regierung“, sagte der rechtsgerichtete Pastor und erfolgreiche christliche Autor Dutch Sheets. Ein Gebet für Greene beendete Sheets mit den Worten: „Du bist wirklich auserwählt, Du wirst nichts Falsches tun, in Jesu Namen, Amen!“ Rob McCoy, ein anderer weit rechts stehender Pastor beendete ein Gespräch mit Greene mit den Worten: „Ich bitte Gott, eines Tages möge sie die Präsidentin der Vereinigten Staaten werden.“ 

Greene glaubt, dass das Christliche im heutigen Amerika verfolgt wird. Sie will das Schulgebet einführen und plädiert dafür, dass die amerikanischen Präsidenten ein christliches Beispiel setzen. Über Jesus sagt sie: „Er kämpfte gegen das, was falsch war. Er warf die Geldwechsler aus dem Tempel. Er stürzte ihre Tische um. So kämpfte er gegen alles, was falsch war.“ 

„Obwohl Greene bereitwillig eingesteht, eine „Sünderin“ zu sein, beschreibt sie die Demokraten immer wieder mit dem Begriff „gottlos“, Nancy Pelosi, eine praktizierende Katholikin, eingeschlossen“, schreibt Robert Draper. Pelosi unterstütze das Recht auf Abtreibung und dies schließe aus, dass sie eine wahre Christin sei. Und doch, so berichtet Draper, bewundere sie Pelosi für die Art und Weise, wie sie Macht ausübt. Dazu Greene, sollte es ihr je gelingen, das Amt des Speakers of the House zu erreichen: „Ich würde mit eiserner Faust regieren.“ 

Robert Draper hat diese etwas ungeordnet klingenden Aussagen Greenes dem 77 Jahre alten evangelisch-methodistischen Pastor Emanuel Cleaver aus Missouri vorgelegt, der als Demokrat seit 2005 Kongressabgeordneter ist. Cleavers kurze Antwort: „Ich denke, sie glaubt dies wirklich über uns. Aber, ich sage mir immer wieder: Aufrichtigkeit allein macht eine schwache Lehre nicht stärker.“ 

Meine Ausgangsfrage zu all dem war: „Wer sind diese „MAGA-Republikaner“, die die amerikanische Demokratie bedrohen und vor denen Biden so eindringlich warnt?“ Greenes Denkgebäude, ihre Weltsicht und ihre Aussagen mögen für viele Europäer seltsam und verworren klingen. Auf das gegenwärtige Europa übertragen etwa so wie die Verschmelzung der Vorstellungswelt eines extremen Brexiteers mit dem religiösen Sendungsbewusstseins der ungarischen Fidesz-Nationalisten, die sich berufen fühlen, das Christliche Abendland zu verteidigen. Doch in Amerika scheint diese oberflächliche Mischung von Politik und Religion anzukommen. Donald Trump stellte sich am 1.6.2020 mit einer Bibel vor die St. John’s Church in Washington D. C. Dafür gab es zwar viele Proteste. Die galten möglicherweise aber nicht so sehr der erhobenen Bibel als der Tatsache, dass Trump den Platz vor der Kirche durch die Polizei von Demonstranten frei räumen ließ.  

Wie ihre Wahlslogans zeigen, kämpft Greene gegen die kommunistische Unterwanderung der USA. Sie glaubt an die große Weltverschwörung, wonach viele Mitglieder der Regierung aktiv den Satan verehren und dass das „globale Übel der Welt“ von der Saudi-Königsfamilie zusammen mit jüdischen Milliardären, etwa George Soros oder den Rothschilds finanziert werde. Das Bedrohliche für die USA und darüber hinaus verdeutlicht die Aussage des Methodistenpastors Emanuel Cleaver„Ich denke sie glaubt dies wirklich.“  Cleaver verwendet hier den Begriff „believe“ und sagt weiter: „Die Menschen vermischen häufig ihre politischen Vorstellungen mit religiöser Leidenschaft. Dies ermöglicht es ihnen zu denken, sie seien Gottes Agenten.“

Den Sturm auf das Kapitol am 6.1.2021 – für viele Amerikaner ein sehr dunkles Kapitel in der amerikanischen Geschichte – interpretiert Marjorie Taylor Greene ganz anders:

  • Der Auslöser: Für Greenes Denkansatz galt und gilt noch immer, dass Trump die Wahl 2020 gewonnen hat und ihm der Sieg „gestohlen“ wurde. In einem Interview bezeichnete sie den 6.1.2021 als „unser 1776-Moment“ und zog damit eine Verbindungslinie vom Sturm auf das Kapitol zur amerikanischen Revolution und zur Unabhängigkeitserklärung vom 4.7. 1776, dem höchsten Feiertage der Vereinigten Staaten.
  • Einen Tag nach dem Aufstand reflektiert Greene die Ereignisse etwas anders: „Die letzte Nacht und der frühe Morgen waren vielleicht einer der traurigsten Tage meines Lebens. Drei Tage nach dem Beginn meiner Aufgabe als neues Kongressmitglied (….) wurde unser Kapitol angegriffen und die Schuld dafür auf den Präsident geschoben, den ich liebe, und ich weiß, er ist nicht schuld; und dann wurden all die Menschen beschuldigt, die ihn unterstützt hatten, 75 Millionen Menschen, die Präsident Trump unterstützt haben und seine harte Arbeit ehrlich anerkannt haben und die America-First-Politik und all das Andere um „Make America Great Again.“ Dann bricht es heraus und sie äußert ihre tiefe Überzeugung, dass die Wahl „gestohlen“ wurde; die wenige Tage zuvor neu ins Repräsentantenhaus eingezogene Abgeordnete macht den eigenen Parteifreunden indirekte Vorwürfe: „Es war schrecklich einsam da drinnen, im Grunde mit ansehen zu müssen, wie die Wahl gestohlen wurde, die Zertifizierung der Abstimmung des Electoral College für Joe Biden und Kamala Harris obwohl wir wussten, dass die Wahl gestohlen war, und die Demokraten arbeiteten so intensiv daran, aber auch manche Republikaner, da waren auch Republikaner dabei.“ (Greene beschreibt hier den in der US-Verfassung vorgeschriebenen Vorgang der Zertifizierung des Wahlergebnisses unter Leitung von Vizepräsident Mike Pence. Trump hatte Pence tagelang unter Druck gesetzt, die Ergebnisse aus mehreren Bundes-Staaten zurückzuweisen. Pence hat dies verweigert weil er nach der Verfassung dazu nicht berechtigt ist).

Ich will noch einmal zum Stichwort „1776“ zurückkommen; es hat sich zur Metapher bei den amerikanischen Rechten entwickelt, wenn sie über Umsturz und Revolution fabulieren. Mit solchen Grübeleien von einer „zweiten amerikanischen Revolution“ beschäftigten sich bereits 2020 einige Männer in Michigan. Doch sie redeten nicht nur von einer „zweiten Revolution“, sonder machten bereits konkrete Pläne. Die Gruppe wollte Gretchen Whitmer, die Gouverneurin von Michigan, gewaltsam entführen, das FBI konnte jedoch rechtzeitig eingreifen und Schlimmes verhüten. 

Ein Gericht hat am 27.12.2022 Adam Fox, den Rädelsführer der Gruppe, zu 16 Jahren Haft verurteilt und beschrieb diesen nicht nur als Gefahr für die Sicherheit von Gretchen Whitmer sondern auch für die Demokratie in Amerika. 

Angestoßen wurde die Gruppe durch die damaligen Covid-19 Maßnahmen des Bundesstaates Michigan; der Angeklagte Adam Fox hatte Whitmer als „Tyrannin“ bezeichnet. Er hatte Verbindungen zur sogenannten Boogaloo-Bewegung, die den Umsturz der Regierung propagiert hatte, an einem Training mit schweren Waffen teilgenommen und damit begonnen, das Umfeld der Gouverneurin zu erkunden. Die Anklage hatte eine lebenslange Haftstrafe gefordert und damit begründet, man müsse Andere, die ähnliche Pläne verfolgen, abschrecken. Das Gericht begründete die geringere Strafe damit, dass Fox nicht vorbestraft war (nytimes.com, 27.12.2022: „Man Sentenced to 16 Years in Prison for Plotting to Kidnap Michigan’s Governor“).

Am 28.12.2022 wurde ein weiteres Mitglied dieser Gruppe zu einer Haftstrafe von 19 Jahren und 7 Monaten verurteilt (nytimes.com, 28.12.2022: „Man Receifes Nearly 20 Years in Prison for Plot to Kidnap Gov. Gretchen Whitmer“). 

Diese ausführliche Beschreibung des Denkens und der Einstellungen von Marjorie Taylor Greene im New York Times Magazine und die daraus entstehenden Folgen – nicht zuletzt das, was am 6.1.2021 geschah – machen meines Erachtens deutlich, warum Präsident Biden und die Demokraten um die Demokratie in Amerika besorgt sind. Die künftige Rolle, die Greene und die M. A. G. A-Fraktion bei den Republikanern im Repräsentantenhau spielen wird, ist eine Messlatte dafür, ob es der G. O. P. gelingt, sich von Donald Trump zu lösen. Nach Greenes erstem Wahlsieg, 2020, in einem ländlichen Bezirk in Georgia hatte der nüchterne Stratege und Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell, solche Ansichten als „Krebsgeschwüre“ in der Partei bezeichnet, die bei der nächsten Wahl gewiss korrigiert würden. Er mag dabei übersehen haben, wohin sich die Republikanische Partei während der Trump-Präsidentschaft entwickeln würde.

Es war gewiss absehbar, dass Biden die vom republikanischen Gouverneur Larry Hogan aus Maryland als „die-hard“ Trump-Unterstützer beschriebenen Republikaner mit seinen Demokratie-Reden nicht erreichen würde. Wichtig waren die Reden trotzdem

  • als Anruf an die vielleicht nicht sehr große Zahl der Nachdenklichen;
  • als Aufruf an die eigene Basis, dass der Gang zur Wahl dringend nötig sei;
  • als Beleg für spätere Zeiten, dass – sollte die Demokratie in Amerika tatsächlich Schaden nehmen – es warnende Stimmen gab.

Der Supreme Court lieferte ein Thema, das die Wahlbeteiligung anheizte

Es gibt eine alte Weisheit: Hinterher ist man immer schlauer … Dieser Weisheit mussten mancher republikanischen Kandidatinnen und Kandidaten Tribut zollen, nachdem der Supreme Court am 24.6.2022 das durch ein früheres Urteil verbriefte Recht auf Abtreibung aufgehoben und die Regelungskompetenz an die Bundesstaaten verwiesen hatte. Über Jahrzehnte hinweg hatten viele Republikaner gegen das Urteil Roe vs. Wade von 1973 gekämpft. Jetzt war das Ziel erreicht und Roe vs. Wade gekippt – doch außer dem Jubel der Abtreibungsgegner ging eine Welle der Entrüstung und des Protestes durch Amerika.

Als schließlich im konservativen Kansas am 2.8.2022 eine Initiative scheiterte, das Abtreibungsverbot in der Verfassung des Bundesstaates zu verankern, wurde vielen Republikanern die Brisanz dieses Themas bewusst. Manche Kandidatin und mancher Kandidat hat die bisherige Einstellung zu Abortion und gegen Pro Choice auf der eigenen Internetseite nach Kansas gestrichen oder „weicher“ formuliert. Don Balduc, der republikanische Senatskandidat in New Hampshire hielt das Thema Abtreibung für einen Versuch der Ablenkung von den „wirklich wichtigen Dingen“ (nytimes.com, 12.10.2022: „Abortion Is Motivating Voters, but Republicans Would Rather Change the Subject“).

Es half Don Balduc nicht. Er verlor das Rennen gegen seine demokratische Kontrahentin Maggie Hassan mit 10 Prozent Rückstand. Auch Herschel Walker, der republikanische Senatskandidat in Georgia, wurde vom Thema Abtreibung eingeholt. Im Wahlkampf trat er als absoluter Abtreibungsgegner auf, wollte Abtreibung nicht einmal in Fällen von Vergewaltigung, Inzest oder zur Rettung des Lebens der Mutter zulassen. Sein Credo bekam Risse, als eine frühere Freundin erklärte, er habe für eine Abtreibung Geld bezahlt und auch versucht, sie zu einer zweiten zu bewegen. Walker verlor am 8.11.2022 gegen den bisherigen Senator Raphael Warnock nur knapp und unterlag schließlich bei der erforderlichen Stichwahl am 6.12.2022.

Das Urteil des Supreme Court vom 24.6.2022 brachte Rückenwind für die Demokraten und veränderte die Situation für die Republikaner grundlegend. Über viele Jahre hinweg hatten sie ihren Standpunkt ganz generell mit „Pro Life und gegen Abtreibung“ beschrieben. Nun mussten sie für die anstehenden Regelungen auf der Ebene der Bundesstaaten konkrete Vorschläge machen. Doch sie hatten keine klaren Vorstellungen dazu entwickelt: „Urplötzlich wurden die republikanischen Gesetzgeber mit schwierigen und emotionalen Stichworten konfrontiert: Vergewaltigung von Kindern, lebensbedrohliche medizinische Komplikationen während der Schwangerschaft oder die erschütternde Diagnose, dass sich der Fötus in einem seltenen aber bedrohlichen Zustand befindet. (…) In solchen Diskussionen mussten die Republikaner erkennen, wie die einst einfache Möglichkeit, die eigenen Unterstützer zu mobilisieren, sich auf eine andere Ebene verlagert hat.“

Was sollten und konnten die Republikaner nun in Sachen Abtreibung tun? „Eine Frage – viele Antworten“,  stellte die New York Times in ihrer täglichen News-Zusammenfassung The Morning fest. „Es kommt ganz darauf an, wen man fragt“ (nytimes.com, 12.10.2022: „Republicans spent decades trying to end Roe, but the realaity of banning abortion has become a burden on the party“). Entstanden ist daraus – und diese Entwicklung wird sich fortsetzen – ein Flickenteppich von Regelungen, je danach, welche Partei in welchem Bundesstaat die Mehrheit hat. In den demokratisch regierten Staaten gibt es häufig eine durch die Verfassung oder durch Gesetz abgesicherte Regelung ähnlich dem, was Roe vs. Wade vorgegeben hatte. In den republikanisch regierten Staaten reicht die Spanne der Regelungen vom totalen und ausnahmslosen Abtreibungsverbot bis hin zu ganz verschiedenen Ausnahmen, etwa bei Vergewaltigung, Inzest oder bei Gefahr für das Leben der Mutter. Die Folgen sind bereits absehbar: Viele Gerichtsverfahren und ein sog. „Abtreibungstourismus“ zwischen den Bundesstaaten. Eine Befriedung der amerikanischen Gesellschaft wurde durch das Urteil des Supreme Court vom 24.6.2022 nicht erreicht.

In allen Bundesstaaten, in denen am 8.11.2022 ein Referendum zum Thema Abortion anstand, siegten die Befürworter des Rechts auf Abtreibung (Pro Choice) und dies selbst in republikanisch regierten Staaten wie Kentucky oder Montana und auch in einem „Swing-State“ wie Michigan. „Die Abschaffung von Roe vs. Wade half, den Senat blau zu halten (Blau ist die Farbe der Demokraten). Sie hat beinahe verhindert, dass die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus erreichten. Exit-Befragungen deuten darauf hin, dass Abortion knapp hinter Inflation als dem wichtigsten Thema der Wahl lag und 76 Prozent derer, für die Abtreibung der wichtigste Punkt war, wählten die Demokraten“ (nytimes.com, 21.11.2022: „The Pro-Life Movement Made a Bargain With Trump, and It Has Paid Dearly“; Gastbeitrag von David French).

David French, der Verfasser dieses NYT-Gastbeitrags bekennt sich zur Pro-Live-Bewegung. Als Abtreibungsgegner gibt er interessante Einblicke in das Dilemma in das Pro Life geraten ist: „Diejenigen unter uns, die in den rechtlichen Schützengräben gegen Roe kämpften glauben, dass es (Roe) sowohl verfassungsrechtlich unbegründet und fundamental ungerecht war. Die Verfassung sah nie vor, dem Staat den Schutz des ungeborenen Lebens zu verbieten. Aber die rechtlichen Argumente gegen Abtreibung sind nicht die gleichen wie die moralischen Argumente.“ Eine bemerkenswerte Erkenntnis – im Nachhinein – und French fährt fort: „Mit der Aufhebung von Roe (durch das Urteil vom 24.6.2022) wurde nicht die Abtreibung verboten, sondern die Möglichkeiten der Legislative stark ausgeweitet, diese zu regulieren und einzuschränken.“ Und nun beschreibt French die Konsequenzen für die Pro-Life-Bewegung aus dem Urteil:  „Die Übereinkunft der Pro-Life-Bewegung mit dem Trumpismus um Roe zu beenden kostet uns einen hohen Preis, weil die Diskussionen sich nun aus dem Gerichtssaal in die Herzen und Denkwelt alltäglicher Wähler verlagert.“ Mit anderen Worten: Bei der Diskussion um Abtreibung auf der Ebene der Bundesstaaten geht es nicht mehr darum, mit Rechtsargumenten neuen Richter zu überzeugen sondern um Politik und Wahlkampf, mit all ihren Eigengesetzlichkeiten. Und so beschreibt French das Dilemma mancher weitsichtigen Aktivisten der Pro-Life-Bewegung: „Das Ethos der von Trumpisten dominierten Republikanischen Partei ist grundsätzlich unvereinbar mit dem Ethos einer gesunden Pro-Life-Bewegung. Der Grund dafür ist einfach:  Der Trumpismus basiert auf Feindseligkeit: Die Pro-Life-Bewegung basiert auf Liebe, einschließlich der Liebe für den bittersten politischen Gegner. (Vielleicht eine idealisierte Beschreibung, denn die Anfeindungen von Frauen vor den Türen von Kliniken durch Pro-Life-Aktivisten wurde nicht immer liebevoll geführt. Doch seine Beobachtung ist gewiss richtig: Die Verlagerung der Auseinandersetzungen aus dem Gerichtssaal in die Landesparlamente und schließlich in die Wahlkämpfe wird diese Auseinandersetzungen grundlegend verändern ).

Anschließend beschreibt French seine Einstellung gegenüber Donald Trump: „Donald Trump verdient Anerkennung dafür, dass er die Richter nominiert hat, die dazu beitrugen, Roe zu revidieren. Es ist während seiner Präsidentschaft noch etwas anderes passiert. Zum ersten Mal seit der Carter-Präsidentschaft ist die Abtreibungsrate in Amerika gestiegen. Zum ersten Mal seit 30 Jahren hat sich die Zahl der Abtreibungen erhöht. Die Abtreibungsrate während der Pro-Life-Präsidentschaft von Reagan, Bush und Bush ist gefallen. Sie fiel auch während der Pro-Choice-Präsidentschaft von Clinton und Obama. Sie ging jedoch nach oben unter Donald Trump.“ 

Eine bemerkenswerte Feststellung, die deutlich macht, dass während der Trump-Präsidentschaft in der amerikanischen Gesellschaft und im Bereich des Moralischen Entwicklungen angestoßen wurden, deren Nachwirkungen weit über die sichtbaren schlimmen Ereignisse – wie etwa am 6.1.2021 – hinausreichen. Der Pro-Life-Aktivist French hat offenbar erkannt, dass er mit seinem moralischen Ansatz der Liebe mit den Vertreterinnen und Vertretern im politischen Raum – insbesondere mit denen, die im weiteren Verlauf der Diskussionen nach dem Urteil vom 24.6.2022 ihre Internetseiten veränderten – die neuen Probleme nicht lösen kann. Er scheint zu ahnen, dass die Zukunftsvorstellungen von Teilen der Pro-Life-Bewegung, die für mehr Hilfen und Beratung schwangerer Frauen plädieren, in den Händen von „Christlichen Nationalistinnen“ wie etwa Marjorie Taylor Greene nicht gut aufgehoben sind. Wie weit dies in der gesamten Pro-Life-Bewegung bereits erkannt wurde, kann ich nicht einschätzen. Früher oder später werden die Republikaner im Repräsentantenhaus ihre alten Forderungen, die eh schon schwache amerikanische Krankenversicherung weiter abzubauen, wieder hervorholen. Wie wird Pro-Life reagieren, wenn es dabei auch um Leistungen für Schwangere geht? 

Pro-Life wird künftig die Zusammenarbeit mit den Demokraten suchen müssen. Allerdings schreibt French über das Ethos der bisherigen Opponenten, der Pro-Choice-Bewegung nichts. Es wäre interessant zu erfahren, ob und wie er und die Pro-Life-Bewegung sich eine Zusammenarbeit mit den Demokraten vorstellen könnte. Ein erster Schritt könnte die „rhetorische Abrüstung“ sein. Der bisher immer wieder gebrauchte Vorwurf des „Kindesmords“ sollte aus dem Wortschatz von Pro-Life gestrichen werden.   


Zwischenkapitel: Nicht die Wechselwähler, sondern die Wahlbeteiligung entscheidet

Einen interessanten Aspekt, der weit über das Thema Abortion hinausgeht, behandelt Ezra Klein, ein Meinungskolumnist der New York Times. Mit vielen Zahlen belegt er einen seit langem laufenden Prozess in der amerikanischen Gesellschaft:

1952 waren nur 50 Prozent der Wählerinnen und Wähler der Auffassung, es gäbe große Unterschiede zwischen den Demokraten und den Republikanern. 1984 waren 62 Prozent dieser Meinung, 2004 waren es 76 Prozent und 2020 sahen 90 Prozent der Wählerschaft große Unterschiede zwischen den beiden Parteien. Unterschiede zeigen sich auch im gegenseitigen persönlichen Umgang zwischen den Mandatsträgern und dem Führungspersonal. So ließ etwa Donald Trump im Wahlkampf 2016 seine Fans zum Stichwort „Hillary Clinton“ skandieren: „Sperrt sie ein! Sperrt sie ein!“ Der politische Gegner wurde inzwischen zum Feind und schließlich zum Staatsfeind.

Ezra Klein zieht daraus den Schluss: „Diese Unterschiede zwischen den Parteien machten Wechselwähler nicht nur zur gefährdeten Art, sondern zu bizarren Wesen. Wie durcheinander müssen deren Vorstellungen von Politik sein, dass sie regelmäßig zwischen Republikanern und Demokraten pendeln können?“  (nytimes.com, 22.11.2022:  „Three Theories That Explain This Strange Moment“). 

Dieses Festgemauert-Sein der Wählerschaft in Parteien, die untereinander kaum noch fähig sind, Kompromisse zu finden, hat eine merkwürdige Folge: Nicht die Partei wird eine Wahl gewinnen, die möglichst viele Wechselwählerinnen und Wähler von der anderen Seite herüberzieht – dazu ist der Abstand zwischen der jeweiligen Programmatik viel zu groß geworden. Gewinnen wird die Partei, die ihre Basis mobilisieren kann, zur Wahl zu gehen. Genau dies ist den Demokraten am 8.11.2022 zum großen Teil gelungen. „The Democrats have showed up“ – die Wählerschaft der Demokraten ging in die Wahllokale oder machte von der Briefwahl Gebrauch, wird in einer weiteren Analyse der New York Times vermerkt. „Bei einer typischen Midterm-Wahl wie etwa 2010 oder 2014 sinkt die Wahlbeteiligung um etwa 20 Prozent, verglichen mit der Präsidentschaftswahl. Mit dem Abtreibungsurteil des Supreme Court vom 24.6.2022 erhielten die Demokraten ein Wahlkampfthema mit dem alles, was bisher für die Zwischenwahlen galt, auf den Kopf gestellt wurde. „Die Demokraten fanden plötzlich ein Thema, um ihre Wählerbasis anzuheizen. Vor dem Urteil hatten viele Republikaner in den Vorwahlen ihren Kandidatenstatus gewonnen, weil sie für Pro Life und gegen Abtreibung argumentierten. Nach dem Urteil mussten sie mit ansehen, wie sich viele Frauen und junge Menschen für die Wahl registrieren ließen. Die Demokraten erkannten die Wirkung dieses Themas. Im Rahmen einer Wahl-Nachbetrachtung bei CNN wurde erwähnt, dass die Demokraten über 350 Millionen Dollar für Wahlwerbung mit dieser Thematik ausgaben (CNN, 25.12.2022;  „Inside Politics“).

Einen Warnschuss gab es für die mit dem Thema Abortion operierenden republikanischen Kandidatinnen und Kandidaten, als die Republikaner im konservativen Bundesstaat Kansas am 2.8.2022 versuchten, das dort in der Verfassung verankerte Recht auf Abtreibung durch ein Referendum zu kippen und damit eindeutig scheiterten. Manche Kandidatin und mancher Kandidat erkannten die Wirkung dieses „Game-Changers“ und entfernten ihre bisherigen rigorosen Aussagen gegen Abtreibung auf ihren Internet-Seiten ganz oder spülten sie weich.

David French verweist in seinem bereits zitierten Gastbeitrag in der New York Times auf Exit-Befragungen. Demnach stand das Thema Abtreibung für viele an zweiter Stelle unmittelbar hinter dem Thema Inflation. Es hat den Republikanern beinahe die knapp erreichte Mehrheit im Repräsentantenhaus gekostet. In welchen Bundesstaaten und in welchem Umfang diese Exit-Befragungen liefen, teilte French nicht mit.

Michelle Goldberg, beschrieb das Dilemma der Republikaner bei diesem Thema in ihrer NYT-Kolumne mit einem Satz: „Wenn es um das Recht auf reproduktive Wahlfreiheit geht, haben die Republikaner ganz einfach die Verbindung zu den Werten eines signifikanten Teils der Wählerschaft verloren.“ (nytimes.com, 9.11.2022 „Republicans Did Not Read the Room“).


Inflation – Das Wahlkampfthema der Republikaner

Worüber machen sich die Amerikaner die meisten Sorgen? Welche Themen haben die Midterms entschieden? Manchmal hatte ich den Eindruck, die Zukunft der Demokratie in den Vereinigten Staaten werde an den Zapfsäulen der Tankstellen entschieden. Die Inflation im Land wurde am Anstieg der Benzinpreise gemessen. Doch offenbar waren viele Wählerinnen und Wähler klug genug, um zu erkennen, dass nicht der Präsident im Weißen Haus oder die Demokraten im Kongress, sondern Putin und der Angriff auf die Ukraine für die Wirtschaftsprobleme – nicht nur in den USA – verantwortlich war und ist.

Nach der Wahl lässt sich dieser Satz leicht niederschreiben. Zunächst hatten die Wahlforscher ermittelt, dass die steigenden Preise für Benzin, Lebensmittel und Mieten die Wählerschaft am meisten bewegt. Doch anfangs sprach man im Weißen Haus – ähnlich wie bei der EZB – von der Inflation als einem vorübergehenden Phänomen. Im Februar 2022 forderte eine Gruppe demokratischer Senatoren Präsident Biden auf, die Bundessteuer auf Gas einzufrieren.  Am 16.8.2022 unterschrieb der Präsident den Inflation Reduction Act mit dem neben hohen Ausgabebeträgen für den Klimaschutz und für Energie der Preis für Insulin gedeckelt und Medicare (ein Teil des amerikanischen Gesundheitssystems) ermöglicht wird, den Preis für verschreibungspflichtige Medikamente selbst auszuhandeln. Doch, so stellten die Wahlforscher fest, „die Wähler wissen kaum etwas über dieses Gesetz und was darin steht.“ In Europa ist der Inflation Reduction Act vor allem deshalb bekannt geworden, weil durch das Gesetz womöglich Wettbewerbsnachteile für europäische Firmen auf dem amerikanischen Markt entstehen.

Am 9.11.2022 – am Tag nach der Wahl – veröffentlichte die New York Times einen Bericht, unter anderem mit der für die Demokraten nicht gerade optimistischen Botschaft: „Inflation hat die Wahl dominiert, während die Demokraten nach Antworten suchten“ (nytimes.com, 9.11.2022: „Five Takeaways From a Red Wave That Didn’t Reach the Shore“). Auch Zeitungen bei uns übernahmen gegen Ende des Wahlkampfs diesen für die Demokraten negativen Touch. Am 4.11.2022 schreib die Süddeutsche Zeitung: „Die Menschen in den USA leiden unter der Inflation. Das könnte ein Vorteil für die Republikaner sein: Je höher die Preise, desto weniger Zustimmung erfährt Präsident Joe Biden.“ Zur Untermauerung dann: Laut einer Umfrage der konservativen Tageszeitung Wall Street Journal von Anfang November werde deswegen genau das eintreffen: Die Republikanische Partei werde die Mehrheit im Kongress gewinnen. Und das, weil Wählerinnen und Wähler, die Politik nicht sehr intensiv verfolgen, auf ihr Portemonnaie schauten. Wer aufs Portemonnaie schaue, sei um die Inflation besorgt – und damit bereit, Kandidaten der Oppositionspartei zu wählen (sueddeutsche.de, 4.11.2022: „Als er die Regierung übernommen hat, hat er alles ruiniert“).

Bemerkenswert ist hier der Verweis auf „Wählerinnen und Wähler, die Politik nicht sehr intensiv verfolgen“.  Offenbar gab es am Ende davon doch nicht so viele Uninteressierte, wie das Wall Street Journal  vermutet hatte.

Wie bereits dargelegt, gab es neben dem Themenkomplex Wirtschaft / Inflation auch andere wichtige Wahlkampfthemen. Da war die Bedrohung des freiheitlich demokratischen Systems, die durch den Sturm auf das Kapitol am 6.1.2021 unübersehbar wurde. Die verschiedenen Themen waren für die unterschiedlichen Alters- und Gesellschaftsgruppen unterschiedlich wichtig und haben die Wählerschaft unterschiedlich mobilisiert. Ich will noch einmal auf das Thema Abtreibung zurückkommen. In den Medien besteht große Übereinstimmung darüber, dass dieses Thema den Wahlkampf völlig verändert hat. Die New York Times schrieb von einem Gamechanger (nytimes.com, 9.11.2022: „Five Takeaways From a Red Wave That Didn’t Reach the Shore“).  

Die Süddeutsche Zeitung beschreibt das Wechselbad der Gefühle bei den Wählerinnen und Wählern: „Erst schien es vor einigen Monaten nach dem Aus von Roe v. Wade, dass diese Diskussion die Demokratische Partei retten könnte. Dann sah es so aus, als ginge es zugunsten der Republikaner mittlerweile vor allem um die enorm gestiegenen Preise an den Zapfsäulen und im Supermarkt. An diesem Wahldienstag schließlich zeigte sich, dass die Republikaner die Empörung über das revidierte Abtreibungsurteil durch den Obersten Gerichtshof doch unterschätzt hatten und die Demokraten von der Mobilisierung profitierten.“  (sueddeutsche.de, 10.11.2022: „Wie die Abtreibungsdebatte die Midterms mitentschied“).

Inflation oder Abtreibung? Welches Thema hat wesentlich zum Wahlergebnis der Midterms beigetragen? Der Verlauf und der Ausgang des Rennens um den Senatssitz in New Hampshire zeigt beispielhaft, wo am Ende ein wesentlicher Schwerpunkt lag. Die Republikaner hatten sich große Chancen ausgerechnet, den Sitz mit ihrem von Donald Trump unterstützten Kandidaten, dem früheren General Don Bolduc zu gewinnen. Die demokratische Senatorin Maggie Hassan war bei der letzten Wahl erstmals in den Senat gewählt worden und stand 2022 erstmals zur Wiederwahl. Der Wahlkampf entwickelte sich zu einem Mustergefecht um das entscheidende Wahlkampfthema. Bolduc machte in einer heftigen Kandidatendebatte am 17.10.2022 seine Opponentin pauschal für die Inflation verantwortlich. Das Thema Abtreibung bezeichnete er bereits zuvor als „Ablenkungsmanöver“ von den wirklich wichtigen Problemen.“ Die Einwohner von New Hampshire seien wegen der Inflation gezwungen, zwischen „Heizen“ und „Essen“ zu entscheiden.

Nach dem Bericht der New York Times über die Debatte zeigte Maggie Hassan beim Thema Inflation Schwächen und versuchte, dieses Thema zu umgehen – ähnlich wie dies Don Balduc beim Thema Abtreibung versucht hatte. Die Wählerinnen und Wähler in New Hampshire konnten somit klar entscheiden, was für sie wichtig war: Am Ende gewann Hassan den Senatssitz mit einem Vorsprung von 10 Prozent. Die Unterstützung von Trump hatte Bolduc nichts genutzt, ihm vielleicht sogar geschadet. Er hatte im Wahlkampf mehrdeutige Aussagen zu Trumps Lieblingsthema, der „gestohlenen Wahl“ gemacht. In der Vorwahl, bei der er die republikanische Kandidatur gewonnen hatte, lehnte er das Ergebnis von 2020 vehement ab – im Wahlkampf selbst sagte er, die Wahl sei fair und frei gewesen. (Berichte zum Wahlkampf in New Hampshire: nytimes.com, 12.10.2022: „Abortion Is Motivating Voters, but Republicans Would Rather Change the Subject“; nytimes.com, 27.10.2022: „Hassan’s challenger, Don Bolduc, goes on the offensive, but stumbles into contradictions”).

In nächster Zeit ist mit weiteren Wahlanalysen zu rechnen, mit deren Hilfe letztlich klar wird, welches Thema entscheidend war. Überwiegend demokratisch gewählt haben die, für die das Thema Abtreibung besonders wichtig war. Sie sind in großer Zahl zur Wahl gegangen.

Donald Trumps Kandidaten waren häufig schwach

Wie kaum ein anderer früherer Präsident hat sich Donald Trump in den Wahlkampf der Miderms eingebracht, um nicht zu sagen eingemischt. Schon bei den Vorwahlen zur Aufstellung der Kandidaten der Republikaner war Trump gezielt aktiv. Sein Privatanwesen in Mar-a-Lago in Florida wurde zum Wallfahrtsort für Kandidatinnen und Kandidaten und solche, die dies werden wollten. Trump wurde damit zu so etwas wie einem „Königsmacher“. Er bereitete damit ganz offensichtlich seine eigene Kandidatur für 2024 vor und hatte dabei nicht in erster Linie zum Ziel der Partei kompetente und Erfolg versprechende Kandidaten zu „liefern“.

Nach einer umfangreichen Darstellung der Süddeutschen Zeitung hat Trump für die Vorwahlen 199 Bewerberinnen und Bewerber für den Senat, das Repräsentantenhaus und für Gouverneursposten unterstützt. Davon haben 189 die Vorwahlen gewonnen, wurden also zu offiziellen Kandidaten der G. O. P.  Auf den ersten Blick für die Trumpisten ein sehr gutes Ergebnis. Die SZ untersuchte dieses Ergebnis etwas näher: „Bei 70 Prozent der Trump-Kandidaten war von vornherein klar, dass sie sich in den Vorwahlen durchsetzen würden. Trump heftete sich quasi als Trittbrettfahrer an ihre ohnehin erfolgreiche Kampagne, manchmal nur wenige Tage vor dem Wahltermin. Teilweise gab es auch keinen innerparteilichen Herausforderer.“

Interessant ist eine weitere Zahl des SZ-Berichts: 137 der Trump-Kandidaten wurden als sog. „Election Deniers“ beschrieben; Wahlleugner oder Wahlskeptiker, die meinen, Biden sei nicht der rechtmäßige Präsident. Trump legte bei der Unterstützung von Kandidatinnen und Kandidaten zwei Kriterien zugrunde:

  1. Ist „sein“ Kandidat bereit, den Mythos von der „gestohlenen Wahl“ zu vertreten?
  2. Hat ein Kandidat irgendwann zuvor Trump kritisiert oder gar bei der Zertifizierung der Wahl Bidens mitgewirkt. Traten solche Kandidaten wieder an, unterstützte Trump bei den Vorwahlen die Gegenkandidaten.

Ein besonderes Beispiel der Fallgruppe 2 gab es bei der Gouverneurswahl in Georgia. Dort stand der republikanische Amtsinhaber Brian Kemp zur Wiederwahl. Doch Kemp hatte sich Trump 2020 verweigert und die Wahl Bidens zertifiziert. Er war dadurch bei Trump in Ungnade gefallen und dieser unterstützte – gewissermaßen zur Vergeltung – bei den Vorwahlen den Gegenkandidaten David Perdue, doch dieser verlor haushoch gegen Kemp, der am 8.11.2022 erneut zum Gouverneur von Georgia gewählt wurde. Pikant ist dabei, dass Kemp im Wahlkampf von Trumps früherem Vizepräsident Mike Pence unterstützt worden war.  Sein Verhalten wurde als Schritt gedeutet, sich von seinem früheren Chef abzusetzen.

Bei den von Trump unterstützten Kandidatinnen und Kandidaten für das Repräsentantenhaus zeigt sich ein ähnliches Bild: Trump förderte 149 Republikaner, 105 davon leugneten den Wahlausgang von 2020, weitere 9 äußerten Zweifel. Ein Beispiel für „Trumps Rache“ war seine Unterstützung für Harriet Hageman, die den Sitz von Liz Cheney übernahm. Allerdings wurde Cheney nicht nur von Trump „abgestraft“ – sie war eine der 10 republikanischen Kongressabgeordneten, die für das Impeachment-Verfahren gegen Trump wegen seiner Verflechtungen in den Sturm auf das Kapitol am 6.1.2021 gestimmt hatte. Bereits am 12.5.2021 wurde Liz Cheney von der G. O. P.-Fraktion im Repräsentantenhaus aus der Fraktionsspitze abgewählt und geradezu zum Abschuss freigegeben. „Mit ihr wird aus der republikanischen Fraktion eine Stimme verschwinden, die Grundwerte der Demokratie mit Prinzipientreue verteidigt“, schrieb die Süddeutsche Zeitung. Ihre Nachfolgerin Harriet Hageman hatte – ganz im Sinne Trumps – die Präsidentschaftswahl 2020 als „Hohn“ und als „manipuliert“ bezeichnet (sueddeutsche.de, 2.11.2022: „Trumps getreue Kandidaten“).

Im Senat war die Schwäche der Trump’schen Kandidaten besonders folgenreich für die Republikaner. Trump hatte von den am 8.11.2022 zur Wahl stehenden 35 Senatorinnen und Senatoren 23 Republikaner unterstützt. Am Ende haben die Demokraten den Republikanern in Pennsylvania einen Senatssitz abgenommen und damit ihre bisherige hauchdünne Mehrheit ausbauen können. Der von Trump unterstützte Mehmet Oz verlor in Pennsylvania gegen den Demokrat John Fetterman. Der ebenfalls von Trump unterstützte Herschel Walker verlor am 6.12.2202 in Georgia die Stichwahl gegen den demokratischen Amtsinhaber Raphael Warnock

Diese Stichwahl in Georgia ist aus mehreren Gründen interessant: Raphael Warnock war in einer Nachwahl am 5.1.2021 als erster Afro-Amerikaner aus Georgia in den Senat gewählt worden. Nun konnte er seinen Sitz am 8.11./6.12.2022 verteidigen. Er gilt als ein aufgehender Stern bei den Demokraten, nicht zuletzt wegen seiner Fähigkeit der Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg.  Die New York Times bezeichnet den bisherigen leitenden Pastor an der Ebenezer Baptist Church in Atlanta – der Kirche in der einst Martin Luther King predigte – als tief gläubigen Mann und als politischen Praktiker, der längst begriffen hat, „dass Kirchenarbeit nicht an der Kirchentür endet sondern dort erst anfängt.“ Die Republikaner sehen Warnocks politische Fähigkeiten zwiespältig. Er sei „der beste Darsteller, den es je in Georgia gegeben habe“, sagte Brian C. Robinson, der Sprecher des früheren republikanischen Gouverneurs Nathan DealMit seinem Talent stehe er ganz oben bei Clinton und Obama (nytimes.com, 7.12.2022: „A Pastor and Politician Who Sees Voting as a Form of Prayer“). Man wird von Senator Raphael Warnock aus Georgia in Zukunft gewiss noch hören.

Als Gegenkandidat hatten die Republikaner ebenfalls eine Afro-Amerikaner, den früheren Football-Star Herschell Walker aufgestellt, der von Trump unterstützt wurde. Was diese Niederlage „seines“ Kandidaten für Trump bedeutet, fasste die New York Times wie folgt zusammen: „Die Niederlage von Mr. Walker, der von Mr. Trump handverlesen war, ist der Höhepunkt eines desaströsen Jahres für den früheren Präsident, der sich als republikanischer Königsmacher sah, nur um mit ansehen zu müssen, wie seine Senatskandidaten in Nevada, Arizona, Pennsylvania und New Hampshire sowie seine Gouverneurskandidaten in Arizona, Michigan, Pennsylvania und Georgia entweder bereits in den Vorwahlen oder letzten Monat bei der Wahl geschlagen wurden“ (nytimes.com, 6./7.12.2022: Warnock Beats Walker, Giving Democrats 51st Senate Seat“).

Mit den nun durch Warnock erreichten 51 Stimmen im Senat können die Demokraten zwar die ominöse Filibuster-Regel nicht überwinden, dafür sind 60 Stimmen nötig. Doch es wird etwas leichter für sie, ihre Kandidaten für wichtige Regierungsämter und Richterstellen durchzubringen, für die eine Zustimmung des Senats erforderlich ist. Auch bei der Besetzung der Ausschüsse des Senats sind die Demokraten im Vorteil. Es entsteht nun ein Gegengewicht für den Fall, dass die Republikaner versuchen sollten, mit ihrer Mehrheit im Repräsentantenhaus der Regierung mit Untersuchungsausschüssen das Leben schwer zu machen (nytimes.com, 6./7.12.2022: Democrats Didn’t Just Win Georgia. They Secured a Firmer Grip on the Senate.“).

Die Niederlagen der Trump-Kandidaten in verschiedenen Bundesstaaten habe ich bereits kurz angesprochen. Besonders schmerzlich waren für Trump und die Republikaner die Ergebnisse in New Hampshire und Nevada. In New Hampshire hatten die Republikaner gehofft, den Sitz im Senat den Demokraten abnehmen zu können. Doch der von Trump unterstützte Kandidat Don Bolduc verlor die Wahl.  Genauso zerstoben die republikanischen Hoffnungen in Nevada. Dort verlor der Republikaner Adam Laxaltdie bisherige Senatorin Catherine Cortez Masto konnte den Sitz für die Demokraten behaupten.

In den entscheidenden Auseinandersetzungen haben die Trump-Kandidaten nicht geschafft, was die Parteibasis in den jeweiligen Vorwahlen gehofft hatte. Der alt gediente Taktiker und Vorsitzende der republikanischen Minderheitsfraktion im Senat, Mitch McConnell hat recht behalten; er hat bereits vor der Wahl die „Qualität“ der republikanischen Kandidaten beklagt. Die New York Times formulierte so: „Trump sattelte für die Republikaner schwache Kandidaten“ (nytimes.com, 9.11.2022: „Five Takeaways From a Red Wave That Didn’t Reach the Shore“).

Noch einmal zurück zur Stichwahl in Georgia. Thomas Spang, der USA-Korrespondent der Heilbronner Stimme benennt in einem Kommentar, wer für die Niederlage dort verantwortlich ist: Trump habe sich in Georgia verzockt und den Demokraten geholfen. „Diesmal half der Ex-Präsident Warnock, indem er mit Herschel Walker einen Kandidaten förderte, der weder intellektuell noch charakterlich dem Amt gewachsen schien, für das er sich bewarb. (…) Einmal mehr unterschätzte Trump die Intelligenz der Wähler. (…) Die historische Wahl Raphael Warnocks ist ein weiterer Nagel im Sarg des Trumpismus“ (Heilbronner Stimme, 8.12.2022: „Wähler unterschätzt“; Kommentar von Thomas Spang).

Hinweis: Am 8.12.2022 hat die demokratische Senatorin Kyrsten Sinema aus Arizona mitgeteilt, dass sie die Demokratische Partei verlassen werde und als Unabhängige weiterhin im Senat bleiben werde. Näheres habe ich als Breaking News – 9.12.2022 im Abschnitt „Die Ergebnisse der Midterms“ beschrieben. Die genauen Folgen lassen sich noch nicht absehen, da noch offen ist, ob Sinema weiterhin Mitglied der demokratischen Senatsfraktion bleibt, so wie bereits bisher zwei unabhängige Senatoren.

Sarah Palin und Kari Lake – Vom Scheitern zweier Trump-Ikonen

Besonders aufmerksam verfolgten die Medien das Rennen um den Gouverneursposten in Arizona, wo die absolute Trump-Untertützerin Kari Lake für die Republikaner kandidierte und das Geschehen in Alaska, wo die frühere Ikone der Tea Party – Bewegung Sarah Palin versuchte, die Scharte vom Sommer 2022 auszuwetzen, als sie die Nachwahl um einen vakant gewordenen Sitz im Repräsentantenhaus verlor. Beide Kandidatinnen wurden von Donald Trump unterstützt und beide haben die Wahl am 8.11.2022 verloren. Bei beiden mögen ihre politischen Aussagen und die aggressive Art ihres Auftretens zur Niederlage beigetragen haben. Zusätzlich hat sich die enge Anlehnung an Donald Trump ebenfalls negativ ausgewirkt.

In Arizona wollte die frühere Nachrichtensprecherin des konservativen Fernsehsenders Fox News in Phoenix, AR den Gouverneursposten für die Republikaner verteidigen. Der bisherige Amtsinhaber, Doug Ducey, durfte nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten.

Kari Lake vertrat das volle Programm der MAGA-Republikaner: Sie wollte Dr. Anthony Fauci, den herausragenden Corona-Experten der USA verhaften lassen, propagierte wissenschaftlich ungeprüfte Covid-19-Therapien und unterstützte Trumps „Große Lüge“, dass das Ergebnis der Wahl 2020 gefälscht worden sei. Kari Lake wiederholte Trumps rhetorische Ausfälle gegen Immigranten und versprach, gegen die „Invasion“ an der südwestlichen Grenze Arizonas die Trump’sche Mauer fertig stellen zu lassen.    

Auf den Schlachtfeldern des Culture War agierte sie besonders gern. Sie lobte ein Gesetz des Bundesstaates Arizona aus dem Jahr 1864 und kritisierte medizinische Eingriffe bei Transgender-Menschen. In anderen Bundesstaaten, etwa in Arkansas, Tennessee und Florida, wurde die Hormonbehandlung von Transgender-Minderjährigen bereits gesetzlich verboten. In Arkansas hatte der republikanische Gouverneur Asa Hutchinson sein Veto gegen das Verbotsgesetz vom April 2021 eingelegt, wurde jedoch im Landesparlament mit der erforderlichen Mehrheit durch die eigenen Parteifreunde überstimmt. Beim Bundesgericht in Little Rock, AR ist erstmals in Amerika ein Verfahren zur Überprüfung eines solchen Verbotsgesetzes anhängig  (nytimes.com, 4.12.2022: „After Arkansas Trial, Judge Weighs Legality of Ban on Care for Transgender Youth“).     

In Anlehnung an Trump, bezeichnete sie Nachrichten-Reporter als „die rechte Hand des Teufels.“ Frühere TV-Kolleginnen und Kollegen hatten Kari Lake ganz anders in Erinnerung. Sie sei für mehr Waffenkontrolle und für liberale Vorstellungen beim Thema Immigration und Drag Queens eingetreten und habe Barack und Michelle Obama bewundert und zum Obama-Wahlkampf gespendet. Die New York Times schreibt von einer Metamorphose von der frühere Kollegen und Bekannte schockiert seien. Zitiert wird u. a. Richard Stevens, der als bekannte Drag Queen Barbra Seville öffentlich auftritt. Stevens teilte mit, Kari Lake habe ihn früher als Kommentator zu L. G. B. T. Q.-Fragen in ihre Sendungen eingeladen und sie habe öfter seine Drag-Shows besucht. Er sei sogar in Lakes Haus als Barbra Seville aufgetreten – in Anwesenheit der Kinder.

Offenbar erkannte Kari Lake die Folgen dieser Metamorphose. Sie beklagte den Verlust alter Freunde und erklärte ihren Fans, sie könne nicht verstehen, dass ihre früheren TV-Kollegen nun sie und auch Donald Trump unfair attackierten. „Aber ich will euch etwas sagen: All die patriotischen und Amerika liebenden Freunde, die ich gewonnen habe, entschädigen mich millionenfach für die, die ich verlor.“ 

Kari Lake gestaltete ihre Auftritte nach Trump’schem Muster, mit eingestreuten Filmschnipseln, unterlegt mit Musik. Über ihre hässlichen Entgleisungen will ich an anderer Stelle berichten. Im Wahlkampf kam Barack Obama zur Unterstützung der Gegenkandidatin Katie Hobbs nach Phoenix und zog voll bitterer Ironie eine Verbindungslinie von Trump zu Lake: „Hätten wir nicht gerade erst jemand gewählt, dessen wesentliche Qualitäten beim Fernsehen lagen, könnten wir (mit Kari Lake) einen Versuch wagen“ (nytimes.com, 5.11.2022: „In Arizona, Kari Lake Worked in Local TV News. Now She Calls Reporters ‚Monsters’“).

Der Wahlkampf um den Gouverneursposten in Arizone verlief heftig. Bei der Stimmenauszählung wechselte die Mehrheit mehrfach. Am Ende gewann die leise redende frühere Sozialarbeiterin und Innenministerin Katie Hobbs mit knapper Mehrheit. Die beiden Kandidatinnen hätten unterschiedlicher nicht sein können. Kari Lake: laut und im Stil von Trump aggressiv und durch langjährige TV-Erfahrung geschult für große Auftritte vor der Kamera – sie bezeichnete Katie Hobbs als Feigling und Hühnchen, weil diese sich geweigert hatte, eine Debatte mit Lake auf großer Bühne zu führen. Hobbs bevorzugte kleinere Veranstaltungen, Haus-Partys, Gespräche am Runden Tisch.

Die Themenschwerpunkte der beiden Kandidatinnen ließen sich klar zuordnen:

  • Inflation, sichere Grenzen und „gestohlene Wahl“ bei Lake;
  • Recht auf Abtreibung und Sicherung der Demokratie bei Hobbs.

Und ähnlich wie durch das Urteil des Supreme Court vom 24.6.2022 wurde die Auseinandersetzung am 23.9.2022 völlig neu programmiert, als ein Richter ein Gesetz aus dem Jahr 1864 vom Staub der Geschichte befreite und dadurch in Arizona Abtreibungen so gut wie ausnahmslos verboten waren. Kari Lake bezeichnete das alte Gesetz als „a great law“ – „ein großartiges Gesetz“ und erklärte, als Gouverneurin werde sie weitere Einschränkungen unterstützen. Katie Hobbs bezeichnete die nun aus dem Hut gezogenen Verbotsregelungen von 1864 als „Gesetz aus der Zeit des alten Westens“ und kündigte an, das Verbotsgesetz zu widerrufen (nytimes.com, 29.9.2022: „In Tight Arizona Governor’s Race, a Democrat Looks to Abortion to Win“).

So war die Bühne für die Entscheidung am 8.11.2022 bereitet. Vermutlich hat auch Kari Lake die Brisanz des Themas Abortion unterschätzt und sie verlor die Wahl. Das Ergebnis lautete: Hobbs – 50,4 Prozent;  Lake – 49,6 Prozent. Der von Trump erwartete Aufstieg eines neuen Sterns am MAGA-Himmel dürfte damit zunächst beendet sein. Den weiteren Abstieg des Sterns am früheren Tea Party Himmel will ich in aller Kürze beschreiben.

Sarah Palin trat erstmals 2006 ins Rampenlicht einer breiten amerikanischen Öffentlichkeit, als sie 2006 überraschend zur Gouverneurin von Alaska gewählt wurde. Zwei Jahre später, 2008, holte sie John McCain als Running Mate (Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin) in sein Team, doch McCain verlor die Wahl gegen Barack ObamaJohn McCain hat die Berufung von Sarah Palin später als Glücksspiel bezeichnet. Die New York Times schrieb von einem Hail Mary Pass – jenem letzten Versuch beim American Football, ein Spiel kurz vor dem Abpfiff noch durch einen Passwurf – einfach weit nach vorne – entscheiden zu wollen. 

Palin verschwand auch nach der verlorenen Wahl nicht völlig aus der Öffentlichkeit. Als Tea Party Ikone und als Fox News Star blieb sie präsent. Sie hat schon früh einer Art der politischen Rhetorik den Boden bereitet, die Jahre später Donald Trump zur Vollendung bringen sollte. Palin sprach von den „Blaublütigen“ in der Führung der Republikanischen Partei. Trump sprach von den „RINOs“ – Republicans in Name only“ – Republikanern nur dem Namen nach“.  Palin sprach von den „Lame-Stream-Media“ in Verballhornung des Begriffs „Main-Stream-Media“. Trump bezeichnete die Medien, die ihn kritisch beschrieben als „Fake News“ und „Feinde des Volkes“. Palin kam an durch ihre Biederkeit, gab den Leuten das Gefühl, „Sie ist eine von uns“. Sie war eine berufstätige Mutter, hatte einen kleinen Sohn mit Down Syndrom, eine Tochter, die im Teenager-Alter schwanger wurde, gerade als die Mutter 2008 landesweit in die Öffentlichkeit trat und einen Sohn, der bei der US-Army im Irak diente (nytimes.com, 23.11.2022: „Sarah Palin Loses as the Party She Helped Transform Moves Past Her“). 

Der Versuch eines Wiedereinstiegs in die große Politik scheiterte für Palin zunächst im Sommer 2022. Nach dem Tod eines republikanischen Kongressabgeordneten fand am 16.8.2022 in Alaska eine Nachwahl statt, die die Demokratin Mary Peltola gegen Sarah Palinobwohl diese von Donald Trump unterstützt wurde – gewann. Erstmals seit 50 Jahren holten die Demokraten diesen Sitz im Repräsentantenhaus, doch mit dem Ende der Legislaturperiode musste Peltola am 8.11.2022 erneut antreten und gewann erneut. Mary Peltola ist die erste Vertreterin der indigenen Bevölkerung Alaskas im Repräsentantenhaus. Sie legt besonderen Wert auf die traditionelle enge Zusammenarbeit von Demokraten und Republikanern in Alaska. Peltola und Palin sind befreundet. Nach ihrem ersten Einzug in den Kongress nahm sie sofort Verbindung zu den beiden Mitgliedern Alaskas im Senat auf.      

Mit der erneuten Niederlage dürfte die politische Karriere Sarah Palins zunächst beendet sein. Doch ihre Erbinnen sitzen in den Startlöchern. „Obwohl sie verloren haben könnte“, schrieb die New York Times noch vor dem Wahltag, „hat sie im weiteren kulturellen Sinn den Krieg gewonnen. Eine neue Generation republikanischer Frauen steht bereit, ihr komplexes Vermächtnis fortzuführen.“ Als Palin-Imitatorinnen nennt die NYT Michele Bachmann aus Minnesota und Christine O’Donnell aus Delaware. Auch sie stehen inzwischen nicht mehr im politischen Rampenlicht. Aktuell stehen nun Lauren Boebert aus Colorado, Marjorie Taylor Greene aus Georgia und Kari Lake aus Arizona an der Front.

Die Fehltritte von Sarah Palinsie hat von „Going Rogue“ gesprochen und sich als „Mama Grizzly“ empfunden – mögen, wenn nicht verziehen, so doch zum großen Teil vergessen sein. Die der neuen Generation weiblicher Rauhbeine bei den Republikanern sind es nicht. Bei der diesjährigen Konferenz der Moms for Liberty (Mütter für Freiheit), unter dem Motto „Joyful Warriors“ (Freudige Kämpferinnen) hielt Floridas Gouverneur Ron DeSantis die Hauptansprache. Die „Joyful Warriors“ könnten womöglich 2024 zusammen mit DeSantis in der vordersten Reihe der Republikaner stehen (nytimes.com, 5.11.2022: „The Unruly Heirs of Sarah Palin“).

Warum haben sich viele Demoskopen geirrt?

Wahlforscher und Demoskopen werden nicht müde, immer wieder zu betonen, dass sie das Endergebnis einer Wahl, das was nach der Auszählung aller Stimmen verkündet wird, nicht vorhersagen können. Sie seien nicht im Besitz einer gläsernen Wunderkugel, mit der man in die Zukunft blicken kann. „Das Interesse an Wahlumfragen ist groß. Aber Vorsicht: Diese zeigen nur Stimmungsbilder, sind aber keine Voraussagen des Wahlergebnisses“, erklärte die Brandenburgische Zentrale für politische Bildung in einem Papier zur Bundestagswahl 2017. „Wahlumfragen zeigen uns Stimmungsbilder. Sie liefern uns Hinweise, wie die Stimmungslage aktuell im Land ist. Wir erfahren, wie bestimmte Politiker bewertet werden, welche Themen die Menschen umtreiben. Insofern haben Wahlumfragen nicht nur diesen strategisch-spielerischen Aspekt, ‚Wie geht die Wahl eigentlich aus’ sondern sie sind auch für die Politik immer wieder ein wichtiges Instrument, um zu erfahren, was die breite Bevölkerung eigentlich denkt“ (Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung, August 2017: „Wahlumfragen – wie aussagekräftig sind sie wirklich?“)


Zwischenbemerkung: Von der unterschiedlichen Bedeutung von Wahlprognosen in den USA und bei uns:

Im amerikanischen Zweiparteiensystem geht es um „Rot“ oder „Blau“ – für die Demoskopen also eine relativ einfache Ausgangssituation. Die Medien finden damit geradezu automatisch zu der aktuellen politischen Programmatik der beiden Parteien: Was bedeutet es etwa, wenn die Demokraten gewinnen? Was wird geschehen, wenn die Republikaner gewinnen?

In Deutschland und anderen Ländern mit einem Mehrparteiensystem ist die Bewertung einer Wahlprognose komplizierter. Politiker und Medien stehen in Gefahr, sich in Spekulationen über „Wer“ mit „Wem“ zu verirren und verlieren darüber die politischen Inhalte und Konsequenzen aus den Augen.

Obwohl diese Erkenntnisse bekannt sind, verleiten Wahlprognosen nicht nur die Politik sondern auch die Medien und andere Träger der öffentlichen Meinung immer wieder dazu, eine Verbindungslinie zum (tatsächlich möglichen) Wahlausgang zu ziehen. Das geschieht nicht nur bei uns, sondern auch in Amerika.

Je näher der Wahltag (8.11.2022) kam, desto schlechter wurden die Prognosen für die Demokraten und desto besser schienen die Siegesaussichten der Republikaner. Am weitesten hatte sich Kevin McCarthy, der Fraktionsvorsitzende der Republikaner im Repräsentantenhaus und künftige Speaker of the House aus dem Fenster gelehnt. Er hatte – allerdings bereits 2021 – den Gewinn von über 60 Sitzen für die Republikaner vorhergesagt (nytimes.com, 16.11.2022: „How Is It Possible That We Are Still Talking About This Man?“). In den Tagen nach dem 8.11.2022, als immer mehr Ergebnisse einliefen, kippten all diese Prognosen. Viele Demoskopen, Politiker und auch Journalisten hatten sich geirrt. Manche gestanden ihre Fehleinschätzungen ein.    

Wie ich gehofft hatte, gibt es inzwischen erste Untersuchungen über die besondere Rolle des Demoskopen bei den Midterms 2022. Die New York Times veröffentlichte am 31.12.2022 einen umfangreichen Bericht mit der Überschrift: „The ‚Red Wave’ Washout: How Skewed Polls Fed a False Election Narrative“ — „Die ‚Rote Welle’ Pleite: Wie verzerrte Umfragen eine falsche Wahlerzählung schufen“ (nytimes.com, 31.12.2022). Der Bericht enthält eine ausführliche Analyse, gestützt auf eigene Untersuchungen der NYT und Aussagen von Politikern und Wahlforschern. Ich will an dieser Stelle den NYT-Bericht nur grob zusammenfassen:

Den Republikanern nahe stehende Prognosefirmen und Institutionen wie etwa Fox News mit dessen Moderator Sean Hannity und Steve Bannons Podcast „War Room“ puschten sich gegenseitig mit der ihrer Ansicht nach zu erwartenden “Roten Welle” derart hoch, bis sie schließlich einen „Roten Tsunami“ verkünden konnten. Der Sieg der Republikaner ist jedoch bei Weitem nicht so hoch ausgefallen. 

Details aus dem Bericht der New York Times werde ich am Schluss dieses Kapitels zitieren. Zunächst will ich hier meinen ursprünglichen Text, den ich vor der Veröffentlichung der NYT niedergeschrieben habe, unverändert wiedergeben – gewissermaßen als ein etwas ungeordnetes Beispiel des Versuchs zur Beantwortung der Frage: „Warum haben sich viele Demoskopen geirrt?“ Die Auszüge und Zitate aus dem NYT-Bericht sollen dann den Versuch etwas ordnen.

Der konservative Kolumnist der New York Times, Ross Douthat, fasste seine Überraschung über den Wahlausgang in diesen vielsagenden Feststellungen zusammen: „Ich versagte es mir zu den Midterms 2022 zu viele spezifischen Vorhersagen zu machen, doch ich bin sicher, die Leser konnten erkennen, was ich erwartete: Meine Kolumnen vor der Wahl strichen insbesondere die Probleme der Demokraten heraus und weniger die Schwierigkeiten der G. O. P. (Republikaner)“ (nytimes.com, 11.11.2022: „The 2022 results show why it’s always smarter to bet on gridlock“; Kommentar von Ross Douthat“).

Die NYT-Meinungskolumnistin Michelle Goldberg begann ihren Kommentar am Tag nach der Wahl mit dem Satz: „Ich gebe es zu: Ich ließ mich durch die Rechten und durch politische Analysten, die auf die Rechten hörten, austricksen.“ An anderer Stelle schrieb sie, dass es wohl einige Zeit dauern werde, um herauszufinden, warum die Republikaner schlechter abschnitten als erwartet. „Vielleicht kümmern sich die Menschen doch mehr um die Integrität unserer Demokratie, als ihnen die „Weisen“ zugestehen wollen. Vielleicht wurden sie auch abgeschreckt durch die Art und Weise, wie sich Republikaner über den Angriff auf den Ehemann von Nancy Pelosi lustig machten.“

In der letzten Phase des Wahlkampfs wurde intensiv darüber diskutiert, welches Thema letztlich die Wahl entscheiden würde: Inflation oder Abtreibung? Michelle Goldberg beschreibt, wie schwer sich das liberale Magazin Politico bei der Beantwortung dieser Frage tat. Nach dem Verfassungsreferendum in Kansas am 2.8.2022, bei dem eine überwältigende Mehrheit gegen die Streichung des Rechts auf Abtreibung aus der Verfassung gestimmt hatte, zeigten die Prognosen ein extrem enges Rennen vor allem in einigen umstrittenen Bundesstaaten. Eine von Politico in Auftrag gegebne Umfrage ergab für den Kongress 48 Prozent für die Demokraten und 43 Prozent für die Republikaner. Doch Politico schlug die eigenen Zahlen in den Wind und überschrieb seine Titelstory: „Die Wählerschaft erscheint bereit, die Demokraten für die Wirtschaftslage verantwortlich zu machen – Inflation.“

Doch die Entscheidung des Supreme Court vom 24.6.2022 rückte das Thema Abtreibung ins Zentrum des Wahlkampfes der Demokraten. Die Republikaner stellten dem das Thema Inflation entgegen und schienen damit gut zu fahren. Die Süddeutsche Zeitung nannte folgende Rangfolge wichtiger Wahlkampfthemen:

                      Inflation                31 Prozent

                      Abtreibung           27 Prozent

                      Kriminalität          11 Prozent

                      Waffenpolitik       11 Prozent

                      Migration              10 Prozent

(sueddeutsche.de, 25.11.2022: „Wie die Abtreibungsdebatte den Demokraten geholfen hat“).

Doch diese Zahlenreihe lässt nur ganz allgemeine Rückschlüsse zu. In fünf Bundesstaaten stand das Thema Abtreibung buchstäblich mit auf dem Wahlzettel. In Kalifornien, Vermont und Michigan stimmten die Wählerinnen und Wähler dafür, das Recht auf Abtreibung in der jeweiligen Verfassung zu verankern. In Kentucky und Montana wurden weitere Verschärfungen abgelehnt. In Georgia und Pennsylvania trug dieses Thema wesentlich für den Gewinn des jeweiligen Senatssitzes durch die Demokraten bei und in Michigan hat die demokratische Gouverneurin, Gretchen Whitmer, damit ihren Posten erfolgreich verteidigt. 

Abortion / Abtreibung wurde zum „Gamechanger“ im Wahlkampf und die Abtreibungsgegner haben zusammen mit den Republikanern diesen Effekt womöglich durch ihre Freudentänze am 24.6.2022 vor dem Supreme Court und durch die Ankündigung strengerer Gesetze in mehreren Bundesstaaten noch verstärkt. Ein Gipfelpunkt war wohl erreicht, als in manchen Bundesstaaten sogar die Verteilung von Informationen über Abtreibung unter Strafe gestellt werden sollte. In Oklahoma wurden Mitarbeiter in Bibliotheken davor gewarnt, Minderjährigen bei der Suche nach Informationen zum Thema zu helfen. 

Angesichts all dieser Entwicklungen konnten die Demoskopen zwar feststellen, dass sich Frauen und jüngere Wählerinnen und Wähler in großer Zahl in die Wählerlisten eintragen ließen. Doch wie sollten sie ihre Prognose-Samples bezüglich Alter und Geschlecht verändern, um sie der neuen, nicht genau definierbaren Realität anzupassen? „Junge Amerikaner haben in Rekordzahlen bei den Midterms teilgenommen – und die politische Landschaft entscheidend beeinflusst“, schrieb die SZ. 

Die New York Times benannte ein spezifisch technisches Problem: „Die öffentlich Meinung zum Thema Abtreibung ist schwer zu messen, denn es kommt darauf an, wie die Frage gestellt wird (nytimes.com, The Morning;  12.10.2022: „How voters feel“). Die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung warf 2017 nochmals die Frage auf, warum die Wahlumfragen bei der amerikanischen Präsidentenwahl 2016 nicht treffsicher waren: „Bezogen auf Trump oder auch rechtsextreme Parteien gibt es auch das Argument, dass Menschen einfach falsch antworten, weil sie nicht zugeben wollen, dass sie eine rechte oder rechtsextreme Partei wählen. Stattdessen geben sie an, eine andere Partei zu wählen oder gar nicht zur Wahl zu gehen. Ob die Befragten ehrlich antworten, weiß man nicht. Wenn auf diese Weise bestimmte Parteien systematisch benachteiligt oder bevorteilt werden, kann auch das zu Abweichungen zwischen Umfragen und Endergebnissen führen.“

In der Heilbronner Stimme steht dieser treffende Satz: „Umfragen sind das eine, Wahlergebnisse, das andere“ (Heilbronner Stimme, 10.12.2022: „Scharfe Rhetorik, aber kein Scharfmacher“).

The ‚Red Wave’ Washout: How Skewed Polls Fed a False Election Narrative“ – “Die ‘rote Welle’ Pleite: Wie verzerrte Umfragen eine falsche Wahlerzählung schufen” (nytimes.com, 31.12.2022)

Wie bereits angekündigt, hier nun einige Zitate und Erläuterungen aus der kritischen Untersuchung der New York Times, warum die Prognosen mancher / vieler Demoskopen zu den Midterms, verglichen mit den tatsächlichen Ergebnissen, schlicht falsch waren. 

Den aufmerksamen Leserinnen und Lesern mag aufgefallen sein, dass ich bei meinen bisherigen Erklärungsversuchen die schwer einschätzbaren Folgen des Gamechangers Abortion, technische Fragen oder falsche Angaben der befragten Wählerinnen und Wähler nannte, jedoch die fachgerechte und objektive Arbeit der Demoskopen nicht in Zweifel zog. Schon in der Überschrift der New York Times wird angedeutetes ist von „verzerrten Umfragen“ die Rede – dass vor allem den Republikanern nahe stehende Institute zusammen mit rechten Medien wie etwa Fox News versuchten, Stimmungen zu Gunsten der Republikaner zu erzeugen und zu verstärken. Welche Auswirkungen diese Aktivitäten tatsächlich auf das Wahlergebnis hatten, bedarf weiterer genauer Untersuchungen.

Michelle Goldberg von der New York Times hat diese Taktik im Nachhinein erkannt und zugegeben, dass auch seriöse Medien und objektive Journalistinnen und Journalisten darauf „reingefallen“ sind. Sie schrieb am Tag nach der Wahl: „Ich gebe es zu: Ich ließ mich durch die Rechten und durch politische Analysten, die auf die Rechten hören, austricksen.“ 

Im Bericht der NYT vom 31.12.2022 werden die Prognosezahlen überparteilicher Institute in einer Reihe von Wahlkreisen mit denen der den Republikanern nahe stehenden Instituten verglichen. Beim Rennen um den Sitz im Senat standen sich in Washington State die Senatorin Patty Murray (D) und die Herausfordererin Tiffany Smiley (R) gegenüber. Das den Republikanern nahe stehende Institut Trafalgar Group ermittelte Ende September einen Vorsprung für Murray mit 2 Punkten; im Oktober meldeten zwei weitere, den Republikanern nahe Institute, Murray nur noch ganz knapp vorn, ein weiteres Institut sprach von einem toten Rennen. Dem gegenüber meldete ein angesehenes örtliches Institut im September Murray mit 13 Punkten in Führung;  im Oktober waren es immer noch beruhigende 8,5 Prozent und am Ende siegte Murray mit 14,6 Prozentpunkten Vorsprung.   

Ähnliche Unterschiede bei den Zahlen der verschiedenen Institute fand die NYT auch aus den umkämpften Bundesstaaten Pennsylvania, New Hampshire und Colorado (In allen drei Bundesstaaten gewannen die Demokraten am Ende den Sitz im Senat).

„Zusammen mit anderen politischen Faktoren zum Vorteil der Republikaner – etwa die Inflation und das geringe Ansehen des Präsidenten – wurden die verzerrten Vorhersagen rasch zum unentrinnbaren politischen Narrativ: Eine republikanische Welle bei der Wahl würde das Land in Hurrikan Stärke treffen“, heißt es im Bericht. Dazu werden zwei weitere Faktoren genannt: Die den Republikanern nahe stehenden Institute veröffentlichten ihre Prognosen mit weit geringerem Zeitabstand als ihre überparteilichen Kollegen.  Das ermöglichte es Medien wie etwa Fox News in ihrer Berichterstattung immer wieder „einen draufzulegen“.  Der virtuelle „Bazar der Prognosen“ – so nannte es ein Stratege der Republikaner – wurde zum großen Teil durch nach rechts orientierte Demoskopen mit undurchsichtigen Methoden am Leben gehalten, die zum Teil durch absolut parteiische Gruppen unterstützt wurden und vom lautstarken Anheizen durch Trump profitierten. Eine bemerkenswerte Beschreibung der Situation durch einen Insider!

Fox News betreibt ein eigenes demoskopisches Institut, das in der Fachwelt respektiert ist. Ab September verwendete jedoch Sean Hannity in seiner Show nicht die Zahlen des eigenen Instituts, sondern die von Trafalgar und Insider Advantage. Die sagten voraus, dass die Republikaner in Pennsylvania, Arizona und Georgia gewinnen würden. „Unerwähnt blieb, dass das Fox News Institut, dessen Zahlen in den reinen Nachrichten-Sendungen verwendet wurden, für alle diese Staaten ein Rennen zugunsten der Demokraten vorhersagte.“ Ausgerüstet mit solchen verzerrten Prognosen sagte zum Beispiel Steve Bannon in seinem Podcast „War Room“ wiederholt den Gewinn von 50 – 100 Sitzen im Repräsentantenhaus für die Republikaner voraus. Bannon stützte sich auch auf Richard Baris, dessen Institut in Fachkreisen nicht sehr angesehen ist. Baris sprach immer wieder von einem Erdrutsch zu Gunsten der Republikaner. Mitte Oktober sprach er davon, dass „die Dämme kurz vor dem Zusammenbruch stünden“

Der Bericht beschreibt ausführlich, welche Folgen die verzerrten Prognosen bei den Beteiligten hatten: Veränderung der Strategien, stärkerer oder schwächerer Spendenzufluss, Umleitung der Wahlkampfgelder der Parteien in andere Staaten, Resignation oder noch größerer Ansporn bei den Wahlkampfhelfern usw. Darüber soll hier nicht im Detail berichtet werden. Die Journalisten der New York Times haben verschiedene Institute um Stellungnahmen zu der Thematik gebeten. Robert Cahaly von der Trafalgar Group verweigerte ein persönliches Interview, teilte aber in einer kurzen Stellungnahme mit, dass falsche Vorhersagen in diesem Geschäft passieren können.

Schrille Töne im Wahlkampf und danach

Misstrauen, Intoleranz, Hass und Gewalt sind Begriffe, die Amerika noch lange Zeit beschäftigen wird. Die Welt dort draußen – insbesondere dort, wo die USA nicht Vorbild, sondern der Gegner ist, beobachtet all das, was in Amerika Schlimmes und die Demokratie Beschädigendes geschieht, gewiss mit stiller Freude. Die in sich selbst verbissenen Kräfte in der amerikanischen Gesellschaft scheinen die Schadenfreude der Potentaten da draußen aber nicht zu bemerken oder sie kümmern sich nicht um das, was dort draußen über ihr Land gedacht, geredet und geschrieben wird. Dass Donald Trumps „Big Lie“, die Lüge von der „gestohlenen Wahl, schlimme Folgen hatte und noch immer hat, ist bekannt. Die „Große Lüge“ wirkte sich auch auf den Wahlkampf und die Zeit danach aus.

Zu beschreiben wäre die verbale Gewalt in der amerikanischen Politik und über die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses zum Sturm auf das Kapitol am 6.1.2021, bei dem fünf Menschen ihr Leben verloren und viele Polizisten verletzt wurden. Zu schreiben wäre hier auch über den menschenverachtenden Waffenwahn, dem beinahe täglich vor allem Schulkinder zum Opfer fallen. Sie können nicht der Preis für die Freiheit sein. 


Zwischenkapitel: Der „AR-15 Kult“: Mehr Zorn, mehr Angst, steigende Waffenverkäufe

Die New York Times beschäftigte sich vor Kurzem in einem ausführlichen Editorial mit dem Waffenwahn in den Vereinigten Staaten. Das AR-15-Sturmgewehr wurde zu einem Symbol dieses Wahns. Es wird geschätzt, dass etwa 25 Millionen Gewehre dieses Typs in Amerika im Umlauf sind. Bei den meisten Mass Shootings, etwa in Las Vegas, Uvalde, Sandy Hook und Buffalo, waren die Killer mit solchen Gewehren bewaffnet.

Das Editorial zieht eine Verbindungslinie vom Waffenwahn zur gewalttätigen Rechten und zur Republikanischen Partei. „Das AR-15 wurde zum gewichtigen Markenzeichen rechts gerichteter Wähler. Allein mit dem Verkauf von Gewehren des Typs AR-15 hat die amerikanische Waffenindustrie in den letzten 10 Jahren rund 1 Milliarde Dollar erlöst und tat alles, dessen Status als beinahe mystisches Symbol von Macht, überzogenem Patriotismus und Männlichkeit zu pflegen.“ Dies sei besonders erschreckend in einer Zeit, in der gewalttätige politische Rhetorik und tatsächliche politische Gewalt in den Vereinigten Staaten ansteigen. 

Die NYT belegt mit Zahlen, dass der Waffenwahn vor allem Menschen im Umfeld der amerikanischen Rechten und der Republikanischen Partei betrifft. „Das einschüchternde Zur-Schau-Stellen von Waffen ist kein Phänomen der beiden Parteien. Es ist beinahe ausschließlich ein Problem auf der rechten Seite des Parteienspektrums.“ Die New York Times untersuchte mehr als 700 Demonstrationen, bei denen Teilnehmer offen Waffen trugen, und fand heraus, dass bei etwa 77 Prozent dieser bewaffneten Demonstrationen rechtsgerichtete Ansichten propagiert wurden – etwa gegen die Rechte von L. G. B. T. Q.- Personen, gegen das Recht auf Abtreibung, Gegnerschaft zu Rassengerechtigkeit und die Unterstützung der „Großen Lüge“ Trumps über die Wahl von 2020. 

Die amerikanische Waffenlobby spendete von 1989 – 2022 50,5 Millionen Dollar an Partei-Organisationen und Kandidaten für Wahlen auf der Bundesebene. 99 Prozent der direkten Spenden gingen an Republikaner. Die New York Times sieht einen Bürgerkrieg innerhalb der Republikanischen Partei zwischen denen, die für die Demokratie und die friedliche politische Auseinandersetzung eintreten, und denen, die für den rechten Extremismus stehen. „Dieser Konflikt hat Auswirkungen auf uns alle; der Waffen-Fetischismus ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Konflikts.“  

Im Editorial der NYT wird darauf hingewiesen wie wichtig es ist, zwischen der großen Mehrheit gesetzestreuer Waffenbesitzer und der kleinen Gruppe der Extremisten zu unterscheiden. Nur etwa 30 Prozent der Waffenbesitzer haben ein AR-15 oder ein vergleichbares Gewehr. „Die Mehrheit unterstützt verstehbare Waffenrestriktionen und lehnt politische Gewalt ab. Doch: „Die Amerikaner müssen noch für ein lange Zeit mit einer großen Menge Waffen leben. Gegenwärtig sind mehr als 415 Millionen Waffen im Umlauf, darunter 25 Millionen halbautomatische Militärgewehre (…) Bei guter Pflege und Aufbewahrung sind Waffen, die heute hergestellt werden, noch in Jahrzehnten feuerbereit. Jeden Monat stellen die Amerikaner zusätzlich etwa 2 Millionen weitere in die Arsenale des Landes“ (nytimes.com, 10.12.2022: „America’s Toxic Gun Culture“;  Editorial der New York Times.

Doch trotz dieser unvorstellbaren Zahlen gibt es auch Hoffnung für die Kämpfer für Waffenkontrolle und besseren Schutz vor Mass Shootings.    

Der Journalist Dave Cullen – er hat Bücher über die Mass Shootings an der Columbine High School in in einem Vorort von Denver, CO und an einer Schule in Parkland, FL geschrieben – verfasste am 13.12.2022 einen optimistischen Gastbeitrag in der New York Times. Er erwartet vom neuen Kongress – über den am 23.6.2022 im Senat mit Hilfe von 15 Republikanern verabschiedeten Bipartisan Safer Communities Act hinaus – weitere Gesetze. Der Kernsatz in seinem Gastbeitrag lautet: „Zum ersten Mal seit Jahrzehnten nehmen Republikaner im Kongress unsere Forderung ernst. Endlich zeigen sie weniger Angst vor der NRA (der Lobby Organisation der Waffenindustrie und der Waffenbesitzer) als vor uns“ (nytimes.com, 13.12.2022: „Republicans Are Breaking With the N.R.A., and It’s Becaus of Us“).

Wie dringend es ist, diesem Optimismus tatsächlich weitere gesetzliche Maßnahmen folgen zu lassen, zeigen jüngst veröffentlichte Zahlen. Demnach sind Waffen die häufigste Todesursache bei amerikanischen Kindern und Jugendlichen. Aus der Altersgruppe von 1 – 19 sterben in den USA, umgerechnet auf 1 Million Menschen, 56,2 Menschen durch Waffen. In Kanada sind es 6,2, in Frankreich 3,1, in Australien 1,6 und in Deutschland 1 Person. Dazu der erschütternde Satz: „Hätten die USA eine Waffen-Todesrate (was für ein deprimierender Begriff!) vergleichbar mit Kanada, wären seit 2010 26.000 weniger Kinder zu Tode gekommen. Aber der Trend ging in die umgekehrte Richtung: Die Zahl der durch Waffen umgekommenen Jugendlichen und jüngeren Kinder ging in den USA nach oben während sie andernorts sinken (…)  In den USA gibt es mehr Waffen als Menschen“ (nytimes.com, The Morning, 15.12.2022: „Gun violence and children“).


Zurück nun zum Ausgangsthema dieses Abschnitte, den „schrillen Tönen“ im amerikanischen Wahlkampf, zur „Großen Lüge“, mit der Trump und seine Anhänger den Sturm auf das Kapitol ausgelöst haben, bei dem mehrere Menschen zu Tode kamen und viele Polizeikräfte verletzt wurden. Der erhobene Zeigefinger aus Europa erscheint mir nicht angebracht. Auch in Deutschland gibt es Anhänger von Verschwörungsphantasien und Gruppierungen, die das freiheitlich demokratische System zerstören wollen. Die Heilbronner Stimme berichtet, dass im Krisenjahr 2022 die Zahl politisch motivierter Kriminalität in Baden-Württemberg gestiegen ist. Zitiert wird Thomas Strobl, der Innenminister des Landes mit den Worten: „Aus hasserfüllten Gedanken werden Worte und aus Worten Taten“ (Heilbronner Stimme, 3.1.2023: „Gewaltpotenzial auf hohem Niveau“).    

In Amerika gibt es viele ernste Stimmen, die die Probleme des Landes ansprechen und auf Veränderungen drängen und es gibt Anzeichen für Veränderungen (die vielen Amerikanern als zu langsam erscheinen): In Georgia wurde der erste schwarze Senator des Bundesstaates gewählt, und Alaska schickt die erste indigene Abgeordnete ins Repräsentantenhaus. „In Amerika wächst eine hoch politische Generation heran“, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Nicht nur bei Wahlen, sondern auch bei Teilnehmerinnen und Teilnehmern an Protesten oder Diskussionen über Politik unter Freunden wird eine starke Zunahme bei der Generation festgestellt, die jetzt das Stimmrecht erreicht. (sueddeutsche.de, 27.11.2022: „Die selbsternannten Retter der Demokratie“). 

In der Republikanischen Partei scheinen die Stimmen zu wachsen, die sich kritisch mit Donald Trump und der MAGA-Politik auseinandersetzen. Doch noch ist offen, welche Richtung in der G. O. P. künftig das Sagen hat und ob Donald Trump ihr nächster Präsidentschaftskandidat sein wird. Noch ist offen, ob die Beispiele von Menschenverachtung, die ich nun ansprechen will, der Abglanz des Trumpismus oder die künftige Normalität sein werden.

Wahlkampf in Amerika ist kein freundliches Gerangel mit Samthandschuhen. Heftige kritische Auseinandersetzungen mit der politischen Programmatik der Opponenten gehört nicht nur in den USA zum politischen Alltag. Wer in die Politik einsteigt, muss Auseinandersetzungen um die Sache aushalten können.  Doch insbesondere seit der Präsidentschaft Trumps kam ein weiteres Moment dazu: Persönliche Angriffe und die geringschätzige Herabwürdigung von Politikerinnen und Politikern waren und sind fester Bestandteil seiner Art der Auseinandersetzung geworden. Im Wahlkampf 2016 hat er Hillary Clinton stets mit geringschätzigen Beiworten belegt. Gleiches tat er 2020 mit Joe BidenNancy Pelosi, die Mehrheitsführerin der Demokraten im Repräsentantenhaus und Speaker of the House, war für Trump stets die „Crazy Nancy“.  Solche Anwürfe kamen und kommen bei Trump-Kundgebungen stets gut an. Kein Wunder, dass auch Trump-Imitatoren wie etwa Marjorie Taylor Greene diese „Gewohnheiten“ des Vorbilds übernommen haben. Taylor Greene hat Pelosi öffentlich als „Schlampe“ („Bitch“) bezeichnet und meinte, sich dafür nicht entschuldigen zu müssen.

Diese Art des Umgangs mit den politischen Opponenten hat langfristige Folgen. Als am 28.10.2022 ein Anhänger von Verschwörungstheorien und Trump-Fan – die New York Times beschrieb den Eindringling als „angefressen von Dunkelheit“ – in das Privathaus von Pelosi in San Francisco eindrang und Pelosis Ehemann schwer verletzte, fiel mir ein Satz aus Heinrich Heines Tragödie „Almansor“ ein. (Das Theaterstück wurde 1823 veröffentlich und bezieht sich auf die Verbrennung von 5.000 Werken der islamischen Theologie, die der Erzbischof von Toledo 1499 befohlen hatte): „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ (Bei Wikipedia wird Heinrich Heines „Almansor“ näher beschrieben). Übertragen auf das Geschehen in San Francisco: Am Anfang stehen die Worte, dann folgen die Taten. Irgendjemand fühlt sich schließlich berufen, der schwarze Racheengel zu sein, der das Land und seine Kultur retten will. 

Dass ein Trump-Fan in das Pelosi-Grundstück eindrang, ausgerüstet mit allem Gerät, um Nancy Pelosi zu entführen und ihr die Kniescheiben zu zerschmettern, zeigt geradezu beispielhaft, wie Hass durch Worte getrieben und schließlich zur Tat wird. Hoffentlich führt all dies nicht zu einem schlimmen Gewohnheitseffekt: Man muss die miesen Aussagen nur oft genug wiederholen und kaum jemand nimmt mehr Anstoß. Trump und Taylor Greene entschuldigen sich nicht mehr dafür. Im Gegenteil: Taylor Greene fand nach dem Pelosi-Einbruch noch hämische Bemerkungen.

In einem ausführlichen Bericht beschreibt die New York Times, wie Nancy Pelosi über die Jahre hinweg zur Zielscheibe der Dämonisierung und Entmenschlichung durch die Republikaner wurde. Es begann 2006, kurz vor ihrer Wahl als erste Frau in die Position als Speaker of the House. Damals produzierten die Republikaner eine Film-Parodie über ein übles Empire der Demokraten, das von „Darth Nancy“ angeführt wurde – anklingend an „Darth Vader“, einem Schurken aus den Filmen des „Kriegs der Sterne“. 2009 veröffentlichte das Rebulican National Committee einen Werbe-Spot, der Pelosis Gesicht zeigte, eingerahmt von der Trommel eines Revolver; ein Schuss war zu hören und das Blut floss über die Leinwand. Hier gab es Anklänge an den James Bond Film „Goldfinger“. 

Bei den Vorwahlen der Republikaner zum Senat im Jahr 2020 benutzte ein Kandidat von Arizona Werbespots im Stil der „Spaghetti-Western“. Darin gab es die Figur der „Crazyface Pelosi“, Messer schwingend, maskiert und mit großen Insektenaugen, auf die der Kandidat schießt.

Die NYT beschreibt die Folgen dieser jahrelangen Kampagne gegen die mächtigste Frau in Washington – die Sprecherin des Repräsentantenhauses steht hinter dem Vizepräsident an zweiter Stelle in der Rangfolge nach dem Präsident – wie folgt: „Die Sprache und die Bilder haben dazu beigetragen, dass auf der Rechten das Feuer des Zorns gegen Ms. Pelosi ständig angeblasen wurde mit einem giftigen Gebräu von Verschwörungstheorien und Falschinformationen, die im Internet und in den sozialen Medien blühten – kaum widersprochen vonseiten gewählter Republikaner. Ms. Pelosi ist nun eine der am meisten bedrohten Kongressmitglieder des Landes.“ Nach dem Angriff am 28.10.2022, bei dem ihr 82 Jahre alter Ehemann Paul Pelosi einen Schädelbruch und weitere Verletzungen erlitt, verurteilten viele republikanische Politiker zwar die Gewalttat – der frühere Vizepräsident Mike Pence äußerte sein Mitgefühl für Paul Pelosi jedoch kaum jemand erwähnte den brutalen politischen Diskurs, der die noch nie da gewesene Welle von Drohungen gegen politische Mandatsträger hervorgebracht hat (nytimes.com, 30.10.2022: „Pelosi, Vilified by Republicans for Years, Is a Top Target of Threats“).

In mehreren NYT-Berichten wird der 42 Jahre alte Angreifer David DePape als instabile Person beschrieben, die „Gamergate“ und extrem rechten Verschwörungstheorien verfallen sei. Bekannte beschrieben DePape als einsames Individuum, das sehr besorgniserregenden Gedanken verfallen sei. „Gamergate“ ist eine Website, über die man Zugang zu Verschwörungstheorien wie „Pizzagate“ und „QAnon“ erhält. Er sei von der rechten Trump’schen Politik vereinnahmt gewesen. (Informationen und Zitate aus: nytimes.com, 30.10.2022:  Who Ist he Mann Accused of Attacking Nancy Pelosi’s Husband?”; nytimes.com, 20.11.2022:  How the Pelosi Attack Suspect Plunged Into Online Hatred”).   

Die Attacke eines ausgesprochenen Trump-Fans auf Nancy Pelosi wenige Tage vor der Wahl kam für die Republikaner zweifellos zur Unzeit. Mehrfach berichtete die NYT über sehr unterschiedliche Reaktionen und Interpretationen. Donald Trump vermutete sogar, dass der Einbruch inszeniert wurde, um den Republikanern bei der Wahl zu schaden. Mehrere Varianten geisterten durch die Medien und die Republikanische Partei; so etwa:

  • Paul Pelosi habe den Einbrecher gekannt. Trump vermerkte, die Berichte darüber seien nicht vollständig und betätigte sich als Ermittler: Die Scheibe am Haus sei von innen eingeschlagen worden;
  • Devin Nunes, ein früherer Kongressabgeordneter, verbreitete den falschen Hinweis, der Einbrecher sei in Unterwäsche gewesen. Daraus entstanden mehrere Gerüchte über eine persönliche Beziehung des Einbrechers mit Paul Pelosi, die sich hartnäckig hielten und verbreitet wurden; das Stichwort „männliche Prostitution“ kam hinzu und geisterte durch konservative Medien.

„Innerhalb von Stunden nach der brutalen Attacke auf Paul Pelosi, dem Ehemann der Sprecherin des Repräsentantenhauses, begannen Aktivisten und rechtsgerichtete Medien damit, unbegründete Behauptungen in Umlauf zu bringen – die meisten unheimlich und viele homophob (feindlich gegen Homosexuelle) – mit dem Ziel, Zweifel über das Geschehen zu wecken (…) Der reichste Mann der Welt (Elon Musk, der neue Chef von Twitter) half dabei, die Geschichten zu verbreiten. Aber keine davon war wahr.“ (nytimes.com, 5.11.2022: „How Republicans Fed a Misinformation Loop About the Pelosi Attack“; nytimes.com, 1.11.2022:  „With Falsehood and Ridicule About Pelosi Attack, Republicans Mimic Trump”)

In der NYT vom 5.11.2022 wird über Tucker Carlson, einem Moderator des rechtsorientierten TV-Senders Fox News, berichtet, der ebenfalls angezweifelt hatte, dass alle Details des Einbruchs öffentlich gemacht worden seien. Am 2.11.2022 forderte Carlson die Ermittler auf, die Aufnahmen der Schulterkameras der Polizisten zu zeigen (als, ob die Polizei bereits beim Einbruch dabei gewesen wäre …). Und an die Kritiker von Verschwörungstheorien gerichtet, fügte Carlson an: „Wir sind nicht die Verrückten; ihr seid Lügner. Es ist nicht falsch, Fragen zu stellen. Punkt.“

Und schließlich gab es Stellungnahmen, die witzig klingen sollten: Kari Lake, die republikanische Kandidatin für den Gouverneurposten in Arizona  kommentierte den Vorfall in einem Wahlkampfinterview: „Nancy Pelosi, nun, sie wird gut beschützt, wenn sie sich in D. C. (Washington) aufhält. Aber offenbar hat ihr Haus sehr wenig Schutz.“ Dazu wird im Bericht vermerk: „Die Menge brach in Gelächter aus und der Interviewer musste so sehr lachen, dass er das Gesicht hinter seinen Notizen verbarg“ (nytimes.com, 4.11.2022: „This Is What Happens When Republicans Tear Off Their Masks“; Kommentar von Jamelle Bouie).  

Meinungen … Lügen…?  Ich habe keinen Account bei Twitter und bin auch sonst nicht in den Sozialen Medien unterwegs. Ich bin erschrocken und ratlos über die Lawine von Meinungen, Vermutungen, Dichtungen und glatten Lügen, die zum Pelosi-Einbruch durch die USA und die Köpfe vieler Amerikaner geisterten. Dort wird das verfassungsmäßig verbriefte Recht auf freie Meinungsäußerung sehr hochgehalten. Arber sind falsche Geschichten und Lügen schützenswerte Güter? Das Gefährliche daran ist dies zeigt der Pelosi-Einbruch exemplarisch: Das Gift verbreitet sich in Windeseile und setzt sich in vielen Köpfen fest, und die später veröffentlichten Ermittlungsdetails haben kaum noch eine Chance: So entstehen Fake News! Und viele merken es gar nicht.

Der Culture War geht weiter

Nach Erkenntnissen der Wahlforscher haben zwei Bereiche die Wählerinnen und Wähler besonders bewegt: Die so genanten „Bread and Butter“ Themen – dazu gehörten die Stichworte Inflation, die Preisentwicklung an den Zapfsäulen der Tankstellen und im Supermarkt. Sie standen mit 31 Prozent an erster Stelle der Nennungen, gefolgt vom Stichwort Abtreibung aus dem Themenbereich des Culture War, mit 27 Prozent (sueddeutsche.de, 25.11.2022: „Wie die Abtreibungsdebatte den Demokraten geholfen hat“). Das Thema Abtreibung wird auch künftig die Parlamente und Gerichte in vielen Bundesstaaten weiter beschäftigen. Eine Reihe republikanischer Politiker musste erkennen, dass mit der Forderung nach weiteren Einschränkungen und Verboten keine Wahlen zu gewinnen sind. 

Die New York Times beschreibt in einem ausführlichen Bericht, dass die Kontrahenten damit begonnen haben, die Erfahrungen aus dem Wahlkampf und der Wahl auszuwerten und ihre künftigen Strategien zu entwickeln. Die NYT  beschreibt die gegenwärtige Situation so: „Aktuell brachten die Midterms wenig, um für die mehr als 34 Millionen Frauen im gebärfähigen Alter eine Abtreibung zu ermöglichen, die in den Staaten leben, die seit der Aufhebung von Roe die Abtreibung verboten haben. Weitere Staaten haben eine Abtreibung im Frühstadium der Schwangerschaft weiter eingeschränkt. Eine Vertreterin der Organisation Planned Parenthood (Geplante Elternschaft) stellte lapidar fest: „Vor der Wahl gab es 18 Bundesstaaten, in denen Abtreibung verboten war; nach der Wahl gab es 18 Bundesstaaten in denen Abtreibung verboten war.“ 

Doch der Bericht weist auch darauf hin, dass die Demokraten in Michigan, wo eine Initiative zur Absicherung von Abtreibung in der Verfassung siegte, zum ersten Mal seit 40 Jahren die Mehrheit im Landesparlament erreichten und – noch weit weniger erwartet  — auch in Pennsylvania die Mehrheit in der Legislative gewannen. Dort hatten die Wählerinnen und Wähler angegeben, dass Abtreibung der wesentliche Faktor war, zur Wahl zu gehen; weit mehr als das Thema Wirtschaft. Die Republikaner hatten in Pennsylvania für Mai 2023 ein Referendum geplant, um das Recht auf Abtreibung abzuschaffen. „Als ein Ergebnis der Midterms wird diese Frage sicher nicht auf dem Wahlzettel erscheinen“, schreibt die New York Times (nytimes.com, 10.12.2022: „The New Landscape of the Abortion Fight“).

Doch während vieles darauf hindeutet, dass das Thema Abortion zwar nach wie vor die Menschen und die Politik beschäftigen wird, dürfte es nicht mehr im Vordergrund der Auseinandersetzungen stehen. An seine Stelle wird – gewissermaßen als Ersatz – der Angriff auf die L. G. B. T. Q.-Community und der Versuch, deren Bürgerrechte zu beschneiden, in den Vordergrund treten. Die L. G. B. T. Q.-Community wird künftig ganz oben auf der Hass-Liste der Culture Warriors stehen. Eines der Ziele im Culture War ist, andere Menschen per Gesetz vorschreiben zu lassen, wie sie ihr privates Leben zu gestalten haben. Dabei geht es nicht in erster Linie um den Schutz von Leben, Gesundheit und Eigentum, sondern um die Machtausübung über Andersdenkende und Menschen mit anderem Lebenszuschnitt.

Die New York Times berichtet, wie die L. G. B. T. Q.-Community immer mehr in Bedrängnis und in einen „Zustand der Belagerung“ kommt. Dabei sind viele der „Truppen“ aktiv, die beim Sturm auf das Kapitol am 6.1.2021 dabei waren und die sich auch sonst als Hüter und Retter des Landes berufen fühlen. Allein für das Wochenende 2./4.12.2022 berichtet die NYT von drei gravierenden Vorfällen:  

  • In Columbus, OH versammelten sich Mitglieder der Proud Boys, viele davon bewaffnet, außerhalb einer Drag-Veranstaltung;
  • Neo-Nazis protestierten bei einer ähnlichen Veranstaltung in Lakeland, Fla.;
  • In South Florida fand eine Anti-L. G. B. T. Q.-Kundgebung statt, an der ebenfalls die Proud Boys teilnahmen.

„Und all dies gerade einmal zwei Wochen nachdem fünf Menschen – zwei davon transgender, ein dritter homosexuell – in einem L. G. B. T. Q.-Club in Colorado Springs getötet worden waren“, wird dazu in dem Bericht vermerkt.

Verglichen mit 2020 wurden 2022 zwölfmal so viele Anti-L. G. B. T. Q.-Vorfälle registriert. (…) Nachdem rechtsextreme Aktivisten im Sommer damit begonnen hatten, das Boston Children’s Hospital in den Sozialen Medien anzugreifen, weil dort transgender Minderjährige behandelt werden, hat die Klinik wiederholt Bombendrohungen erhalten.“

Experten für politische Gewalt sagen, dass hetzerische Sprache Angriffe wahrscheinlicher macht und Extremismus-Experten stellten fest: „Dies war ein weiterer Monat in einem Jahr, in dem sich Einschüchterung und Gewalt gegen homosexuelle und transgender Amerikaner weiter ausgebreitet haben – wesentlich angetrieben durch hetzerische politische Botschaften.“ 

Das neue Betätigungsfeld der Culture Warriors besteht nicht nur aus Einschüchterung und Gewalt. In Florida wurde gesetzlich verboten, mit Kindern im Kindergartenalter und mit Schulkindern bis zur 3. Klasse das Thema „sexuelle Orientierung“ und „geschlechtliche Identität“ zu behandeln. Der republikanische Senator Ted Cruz aus Texas hat Präsident Biden vorgeworfen, er unterstütze die „Genitalverstümmelung bei Kindern“ und die Kongressabgeordnete Marjorie Taylor Greene aus Georgia erklärte, die „kommunistischen Groomer“ wollten der profitorientierten Medizinindustrie erlauben, den „konfus gemachten Kindern die Genitalien abzuschneiden.“ (Taylor Greene benutzt hierbei nicht nur politisch ungereimte Zuschreibungen und eine hässliche Sprache. Sie verwendet hier auch den vieldeutigen Begriff „Groomer“. Im Lexikon wird er mit „Pferdepfleger“ und „Stallbursche“ übersetzt. In den USA wird er auch verwendet für jemand, der oder die sich in sexueller Absicht Kindern nähert. Dies ist ein Beispiel für die Versuche, die L. G. B. T. Q.-Community mit Kindesmissbrauch und Pädophilie in Verbindung zu bringen).

„Konservative“, so wird im NYT-Bericht erläutert, „geben an, sie wollten Kinder vor unwiderruflichen Behandlungen bewahren und sicherstellen, dass der Frauensport fair bleibe. Während der Midterms argumentierten rechtsgerichtet Gruppen in Anzeigen, dass Transition Care „radikale Geschlechtsexperimente“ seien und wenn erlaubt werde, dass transgender Sportlern in Mannschaften auftreten, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen, der Mädchen-Sport zerstört werde. 

Unmittelbar anschließend an diese Beschreibung der konservativen Ziele und der Art des Argumentierens erläutert die Redakteurin Maggie Astorvielleicht im Wissen um die Brisanz des Themas mit dem in Klammern gesetzten Satz und erklärt, um was es tatsächlich geht: „Die Behandlung transgender Minderjähriger wird unterstützt durch Medizinverbände und hat offensichtlich die Suizidgefährdung verringert – nur wenige transgender Frauen und Mädchen suchen die Teilnahme am Frauen- und Mädchensport.“  

Auch die amerikanische Organisation Planned Parenthood beschäftigt sich seriös und nicht mit billigen Schlagworten mit dem Thema Transition. Auf ihrer Website beantwortet Planned Parenthood unter der Überschrift: „What do I need to know about transitioning?“ eine Reihe „üblicher Fragen“ und schreibt unter anderem: „Bei Transitioning geht es um Veränderungen, damit Sie in Ihrer geschlechtlichen Identität leben können.“ Angemerkt wird, dass es sich dabei entweder um einen langwierigen Prozess handeln oder dass dieser Prozess auch über eine kurze Zeitspanne laufen kann. Ausführlich erläutert werden die einzelnen Schritte dieses Prozesses (Quelle: planned parenthood.org: What do I need to know about transitioning?).

Vergleicht man solche seriösen und der Beratung der betroffenen Menschen dienenden Aussagen mit jenen des Senators Ted Cruz oder von Marjorie Taylor Greene, kann man ahnen, welch schlimme Vorstellungen durch obszöne Bemerkungen auf einer Wahlkampfveranstaltung erzeugt werden können. Um Beratung und seriöse Information geht es den Culture Warriors  nicht. Die Fragen besorgter Eltern oder Großeltern dürften im Getöse einer solchen Veranstaltung kaum beantwortet werden. Tröstlich ist, dass republikanische Kandidatinnen und Kandidaten, die auf Themen des Culture War setzten, wenig erfolgreich waren. Tudor Dixon versuchte dies im Kampf um den Gouverneursposten in Michigan und verlor haushoch gegen Gretchen WhitmerDie Organisation American Principles Project gab für Anzeigenkampagnen rd. 15 Millionen Dollar aus, doch die unterstützten Culture War Kandidaten zogen meist den Kürzeren  (nytimes.com, 10.12.2022: „Transgender Americans Feel Under Siege as Political Vitriol Rises“).   

Saubere Schulbücher – Verunsichertes Büchereipersonal – und immer wieder Trump

Auf  einem anderen Feld waren die Culture Warriors erfolgreicher; vielleicht haben sie dort die Rezepte Viktor Orbans übernommen. Der „Krieg“ wird auf die örtliche Ebene verlegt, es geht um Lerninhalte, um Schulbücher und um die Werke, die in den Regalen der Schulbüchereien stehen. Eine Vertreterin der Florida Citizens Alliance, einer konservativen Vereinigung, die sich mit Erziehungsfragen beschäftigt, sagte dazu;  „Uns geht es nicht um das Verbot von Büchern sondern um den Schutz der Unschuld unserer Kinder. Wir wollen, dass die Eltern entscheiden, was die Kinder bekommen und nicht, dass die staatlichen Schulen unsere Kinder indoktrinieren.“ Diese Formulierungen machen die Vorstellungswelt deutlich, die hinter der Verteidigung des Elternrechts steht: „Die da oben“ indoktrinieren unsere Kinder, das „Andere“ soll in den Schulen nicht behandelt werden. Hier erscheint die oft wiederholte Vorstellung: Die Eltern wissen am besten, was gut ist für ihre Kinder – entgegen der Erfahrung von Erziehungsfachleuten, die an dieser Vorstellung zweifeln lassen, weil Eltern nicht alles wissen können. Am Ende steht das Stichwort „Zensur“ im Raum.

In einem Bericht der New York Times wird erwähnt, dass es in USA mindestens 50 Organisationen gibt, die Bücher aus Bibliotheken entfernen wollen. PEN America hat 300 örtliche Gruppierung näher untersucht und festgestellt, dass davon 73 Prozent nach 2020 gegründet wurden. Beschrieben wird das Wirken mehrerer Mitglieder des Schulbeirats in einem Schulbezirk in Texas, die von der Organisation Patriot Mobile Action unterstützt wurden. Diese drängten darauf, die Critical Race Theory und die L. G. B. T. Q.-Indoktrination aus den Schulen zu entfernen. Nach 3 Monaten hatten die 9 Mitglieder des Schulbeirats durchgesetzt, dass Bücher, die vulgäre Ausdrücke, Gewalt, Beschreibungen von Sex oder Nacktheit enthalten, entweder ganz verboten oder eingeschränkt verwendet werden. Etwa 20 Bücher wurden aus den Schulen des Bezirks verbannt, darunter Titel von Toni Morrison, Margaret Atwood und  mehrere Romane, in denen L. G. B. T. Q.-Personen vorkamen. Eine Mutter berichtet aus einer Sitzung des Schulbeirats: „Die Eltern hatten keine Organisation hinter sich. Wir konnten es mit diesen Leuten nicht aufnehmen.“

Ich kann mir vorstellen, wie emotionsgeladen und spannungsreich solche Diskussionen laufen und erinnere mich an die hitzigen Gefechte in den Leserbriefspalten, als 1963 der Ingmar Bergman Film „Das Schweigen“ in den Kinos angelaufen war. Die „Aktion Saubere Leinwand“ ist bei uns längst Geschichte – in Texas und anderswo ist die „Aktion Saubere Schulbücherei“ aktuelle Gegenwart. Der Culture War ist in USA an mehreren Fronten in vollem Gang (Informationen und Zitate aus nytimes.com, 12.12.2022: „A Fast-Growing Network of Conservative Groups Is Fueling a Surge in Book Bans“). 

Und ob es nicht genug Aufregung im Land gäbe, sorgt der frühere Präsident immer wieder für Zündstoff und neue Schlagzeilen. Trumps Grund dafür ist klar: Seit er seine Absicht erklärt hat, 2024 erneut für die Präsidentschaft zu kandidieren, muss sein Name immer wieder in den Medien erscheinen. Der jeweilige Anlass scheint ihm dabei zweitrangig zu sein. Großen Wirbel verursachte Trumps Einladung zweier ausgesprochener Antisemiten nach Mar-a-Lago: Kanye West und Nick Fuentes. In der New York Times wird Fuentes mit der Aussage zitiert: „Die Gründerväter hatten nie beabsichtigt, dass Amerika zum Zufluchtsort für nicht weiße Menschen wird.“ Und speziell über Juden sagte er: „Ich sehe Juden nicht als Europäer und ich sehe sie nicht als Teil der westlichen Zivilisation vor allem, weil sie keine Christen sind.“ Verständlich, dass angesichts solcher hanebüchenen Aussagen bei den jüdischen Organisationen in den USA die „roten Linien“ überschritten sind. Die orthodoxen Juden hatten in der Vergangenheit Trumps Anbandelungen mit dem extrem rechten und antisemitischen Rand der US-Gesellschaft „übersehen“ und hingenommen, nachdem er seinen Freund Benjamin Netanyahu immer wieder unterstützt hatte, etwa durch die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem oder durch sein Stillschweigen nach dem weiteren Aufbau jüdischer Siedlungen in der West Bank. Eine etwas verschachtelte Aussage von Morton Klein, dem Vorsitzenden der rechtsgerichteten Gruppierung Zionist Organization of America zeigt das Dilemma, in das Trump seine bisherigen jüdischen Unterstützer gestürzt hat: „Ich bin ein Kind von Überlebenden (des Holocaust). Ich sorge mich sehr für meine Leute. Donald Trump ist kein Antisemit. Er liebt Israel. Er liebt die Juden. Aber er schwenkt ein zum Mainstream und legitimiert den Judenhass und die Judenhasser.“

Ähnliche Befürchtungen äußerten auch Vertreter anderer jüdischer Organisationen, und damit wurde die Dinner-Einladung nach Mar-a-Lago weit mehr als ein „einfaches Abendessen“ mit Trump, nicht zuletzt für jüdische Republikaner.  Die aktuelle Debatte wirft für die Juden in Amerika ein Schlaglicht auf Entwicklungen, die sich in den nächsten Jahrzehnten als sehr unangenehm herausstellen könnten: „Die Normalisierung des Antisemitismus ist da“, stellte Jonathan Greenblatt,der Vorsitzende der Anti-Defamation League fest.

Trump versuchte, nach dem Ausbruch des Entrüstungssturms, sich in gewohnter Weise herauszureden: Er habe den weißen Rassisten (White Supremacist) Nick Fuentes nicht gekannt und dem Musiker Kanye West helfen wollen. Doch diese Masche zog nicht mehr. Der republikanische Senator Bill Cassidy von Louisiana schrieb auf Twitter: Indem Präsident Trump rassistische Antisemiten zum Dinner einlädt, ermuntert er andere rassistische Antisemiten. Diese Einstellungen sind unmoralisch und sollten nicht akzeptiert werden. Dies ist nicht die Republikanische Partei.“ Die republikanische Senatorin Susan Collins aus Maine verurteilte die Dinner-Einladung ebenfalls. Asa Hutchinson, der republikanische Gouverneur von Arkansas – ihm wird Interesse an einer Präsidentschaftskandidatur 2024 nachgesagt – beschuldigte den früheren Präsidenten, er bestärke den intoleranten Extremismus im Land. Und der frühere Vizepräsident Mike Pence bescheinigte seinem früheren Chef, er habe ein „zutiefst schlechtes Urteilsvermögen“ bewiesen und sollte sich dafür entschuldigen, dass er mit den beiden Rassisten zu Abend gegessen habe. (Quellen und Zitate aus: nytimes.com, 28.11.2022: „Jewish Allies Call Trump’s Dinner With Antisemites a Breaking Point“; sueddeutsche.de, 29.11.2022: „Mike Pence fordert Entschuldigung von Donald Trump”; nytimes.com, 29.11.2022: New York Times – The Morning:  „Trump’s far-right embrace“).

Mike Pence sagte aber auch, er glaube nicht, dass Trump ein Antisemit, Rassist oder Fanatiker sei, sonst wäre er nicht sein Vizepräsident geworden. Er mag damit recht haben. Aber Trump akzeptiert die Nähe von Rassisten und Antisemiten immer dann, wenn es ihm opportun erscheint. Er braucht auch die Stimmen dieses Teils der amerikanischen Gesellschaft für seinen Versuch, 2024 wieder Präsident zu werden. Berührungsängste zu den extremen Rändern der amerikanischen Gesellschaft kennt er dabei nicht.  

Der Respect of Marriage Act – Ein Lichtblick im Culture War

Nachdem der Supreme Court am 24.6.2022 sein Jahrzehnte altes Urteil eingestampft und damit das Recht auf Abtreibung außer Kraft gesetzt hatte, stand plötzlich die Frage im Raum, wie andere Rechte abgesichert werden können, die „nur“ durch Entscheidungen des Supreme Court gestützt sind. Kurz nach der Entscheidung am 24.6.2022 hatte der Richter Clarence Thomas laut darüber nachgedacht, das Gericht sollte sich auch mit anderen früheren Entscheidungen, etwa mit dem Urteil von 2015 nochmals beschäftigen, das ein Recht auf gleichgeschlechtliche Eheschließung eingeräumt hat. Im Kongress, insbesondere bei den Demokraten, leuchteten viele Warnlampen auf – es galt, den Fehler, der beim Thema Abtreibung gemacht wurde, nicht noch einmal zu machen. Dringend musste ein gesetzlicher Schutzschirm aufgespannt werden, damit nicht auch dieses Recht der konservativen Mehrheit des Supreme Courts zum Opfer fallen würde.

Es ist faszinierend, die Berichte darüber nachzulesen, wie eine Gruppe demokratischer Abgeordneter und Senatoren alle Hebel in Bewegung setzten und in kürzester Zeit den Respect of Marriage Act entwarfen und die nötigen Mehrheiten in beiden Häusern des Kongress zusammenbrachte.

Im Repräsentantenhaus war dies einfacher. Dort hatten die Demokraten zu der Zeit noch eine leichte Mehrheit. Anders im Senat, wo beide Parteien je 50 Sitze hatten. Die Stimme der Vizepräsidentin würde nicht ausreichen, um die Filibuster-Regel zu überstimmen. Dazu benötigten die Demokraten mindestens 10 republikanische Senatorinnen und Senatoren. Chuck Schumer, der demokratische Mehrheitsführer im Senat, wollte nichts dem Zufall überlassen und gab die Parole aus, dass außer diesen 10 Stimmen noch ein zusätzlicher Puffer nötig sei, denn – sollten etwa durch Covid-19 auch nur zwei Demokraten ausfallen, müssten sofort zwei weitere Republikaner die Lücke schließen. 

Die Demokratin Tammy Baldwin aus Wisconsin begab sich auf eine intensive Lobby Tour. In der New York Times wird Baldwin als sanft redende liberale Demokratin beschrieben. Sie wurde 1999 als erste Frau in den Kongress gewählt, die sich öffentlich dazu bekannte, lesbisch zu sein. Als der Republikaner Marco Rubio aus Florida bei CNN das Projekt als „dumme Zeitverschwendung“ bezeichnete, sprach ihn Baldwin im Aufzug an. Die gemeinsame Aufzugfahrt wurde als „konfrontativ“ beschrieben. Und als ihr republikanischer Kollege Ron Johnson aus Wisconsin erklärte, er sei nicht gegen das Gesetz, reichte ihr diese Aussage nicht aus; womöglich könnte sich Johnson der Stimme enthalten und dies würde der Sache nichts nützen. 

Das Unternehmen Respect for Marriage Act startete im Juli 2022, als sogar 47 Republikaner den Gesetzentwurf der Demokraten im Repräsentantenhaus unterstützten. Dies sind zwar weniger als ein Viertel der Republikaner im House, schrieb die NYT, aber doch eine überraschend hohe Zahl: „Die Unterstützung über die Parteigrenzen hinweg war groß genug, um das Vorhaben nicht nur zur bloßen Übung für die Berichterstatter, sondern zu einem ernsthaften gesetzgeberischen Vorhaben zu machen.“ 

Am 4.8.2022 berichtete die NYT, dass 5 republikanische Senatsmitglieder ihre Unterstützung zugesagt hatten, darunter Lisa Murkowski aus Alaska und Susan Collins aus Maine. Bei Collins liefen die Fäden in der republikanischen Senatsfraktion zusammen. Neben Tammy Baldwin bearbeitete die (damals noch) demokratische Senatorin Krysten Sinema aus Arizona über ihre Verbindungen zu den Republikanern weitere Mandatsträger der „anderen Seite“. Auch Sinema ging auf Ron Johnson zu, der dem konservativen Flügel der Republikaner im Senat zugerechnet wird. Letztlich ging es um die rechtliche und gesellschaftliche Stellung von mehr als 1,1 Millionen gleichgeschlechtlichen Ehen, die seit 2015 geschlossen worden waren.  Was würde geschehen, wenn diese Ehen durch eine weitere Entscheidung des Supreme Court aufgehoben würden? Auch Ron Johnson war schließlich an Bord. Er hatte empfohlen, dem Gesetzentwurf ja nichts „widerwärtiges“ anzufügen und Baldwin hatte ihm versichert, sie werde nichts tun, was die Annahme gefährdet, aber: „wahrscheinlich haben wir unterschiedliche Auffassungen, was unter „widerwärtig“ fällt.  

Die Bemühungen nahmen ein gutes Ende: Bei einer Probeabstimmung im Senat am 16.11.2022 stimmten 12 Republikaner zusammen mit den 50 Demokraten für das Gesetz, zwei Stimmen mehr, als zur Überstimmung der Filibuster-Regel nötig würden. Das Ergebnis der Schlussabstimmung im Senat war 61 – 36 für das Gesetz. Allerdings, so der Bericht der New York Times, stimmten mehr als 7 von 10 Republikanern, darunter auch der Minderheitenführer Mitch McConnell aus Kentucky, dagegenIm Repräsentantenhaus hatten 258 Abgeordnete für das Gesetz gestimmt, darunter 39 Republikaner. Am 13.12.2022 setzte Präsident Biden das Gesetz durch seine Unterschrift in Kraft. Es verbietet den Bundesstaaten unter anderem, die Gültigkeit einer in anderen Bundesstaaten geschlossenen Ehe mit Bezug auf Geschlecht, Rasse oder Ethnie für nichtig zu erklären. 

Die Süddeutsche Zeitung beschreibt die Bedeutung dieses Gesetzes – weit über den eigentlichen Inhalt hinaus – wie folgt:  „Der Respect for Marriage Act war allerdings das letzte Gesetz, das durch ein von den Demokraten dominiertes Repräsentantenhaus ging. Im Januar übernahmen die Republikaner im Haus die Mehrheit. Sie haben zwei Jahre der Blockadepolitik in Aussicht gestellt. Womöglich hat Joe Biden daher in dieser Woche den für ihn letzten wegweisenden Moment der Legislaturperiode erlebt.“ Die New York Times schreibt mit Blick auf die gleichgeschlechtliche Ehe von einer „tektonischen Verschiebung in der öffentlichen Meinung“. Und die demokratische Senatorin Tammy Baldwin beschreibt den Grund für den Sinneswandel bei ihren republikanischen Kolleginnen und Kollegen so: „Meine republikanischen Kollegen kennen immer mehr schwule Menschen, die verheiratet sind. Sie sehen ein, dass der Himmel deshalb nicht eingestürzt ist. Einige waren sogar bei der Trauungszeremonie dabei. Einige wissen vielleicht inzwischen, dass es ohne diese Heiratsurkunde ihrer Cousine nicht möglich gewesen wäre, ihre Frau in der Klinik zu besuchen, denn sie wäre amtliche eine Fremde gewesen.“

(Quellen: nytimes.com, 4.8.2022: „Pitching G. O. P. on Gay Marriage Bill, Tammy Baldwin Leaves Nothing to Chance”; nytimes.com, 8./11.12.2022: „Prominent Gay Republicans Helped Smooth the Way for Marriage Bill”; nytimes.com, 16/18.11.2022: „Backdrop for Vote on Same-Sex Marriage Rights: A Big Shift in Public Opinion”; nytimes.com, 29.11.2022: „Same-Sex Marriage Bill Passes Senate After Bipartisan Breakthrough”; nytimes,com, 13.12.2022: „Biden Signs Bill to Protect Same-Sex Marriage Rights”; sueddeutsche.de, 14.12.2022: „Wie Joe Biden die gleichgeschlechtliche Ehe vor dem Supreme Court schützt”).

Und was kommt jetzt?

Bis hierhin habe ich beschrieben, was im Zusammenhang mit den Midterms am 8.11.2022 und danach geschah. Zur Vorhersage der weiteren Entwicklungen ab Januar 2023 wäre die berühmte Glaskugel nötig, die ich aber nicht besitze. Einiges lässt sich zwar vermuten und man kann auch spekulieren, doch am Ende bleiben viele offene Fragen (Nicht zuletzt seit dem Chaos im Repräsentantenhaus, wo es den Republikanern trotz ihrer Mehrheit nur schwer gelang, einen Speaker of the House zu wählen). 

Auch die beiden NYT-Kolumnisten Gail Collins und Bret Stephens stellten kurz vor Weihnachten in ihrem wöchentlichen „Zwiegespräch“ die Frage „Was bringt das neue Jahr?“ und begannen mit Flachsereien: Gail Collins sagte voraus, dass die Republikaner ihr Versprechen, das Defizit zu verringern, nicht einhalten werden und dass Trump mit seinem himmelstürmenden Verkauf digitaler Sammelbildchen auf die Nase fallen werde. Dazu Bret Stephens: „Hör’ auf Gail, das sind doch sichere Wetten!“

Bret Stephens sagte dann voraus, dass Präsident Biden nach den Feiertagen ankündigen werde, 2024 nicht wieder zu kandidieren, vor allen, nachdem es immer wahrscheinlicher nicht zu einer Neuauflage mit dem früheren Gegner (Trump) kommen werde. Ferner sagte Stephens voraus, dass Kevin McCarthy nicht der künftige republikanische Speaker of the House sein werde (nytimes.com, 19.12.2022: The Conversation:  „Out With the Old and in With the … What Exactly?”).  Beide Fragen berühren zwei wichtige Zukunftsthemen der USA: Was wird im Kongress passieren, in dessen zwei Kammern ab Januar 2023 unterschiedliche Mehrheiten bestehen? Und: Was wird bei der Wahl 2024 geschehen?

Man kann über all dies spekulieren – bei Kevin McCarthy hat sich Bret Stephens geirrt – doch am Ende bleiben beide Fragen offen. Sicher ist nur, im Repräsentantenhaus wird es ab 3.1.2023 umgekehrte Mehrheiten geben:

                   – Republikaner      222 Sitze            (vorher 213 Sitze)

                   – Demokraten        213 Sitze            (vorher 222 Sitze)

Die Demokraten haben über ihre künftige Fraktionsführung bereits entschieden. Nancy Pelosi, die langjährige Fraktionsvorsitzende und Sprecherin des Repräsentantenhauses, wird die Führung der künftigen Minderheitsfraktion in jüngere Hände abgeben. Bereits am 30.11.2022 haben die Demokraten ihr neues Führungstrio installiert – im Zeichen großer Einigkeit per Akklamation – wie die New York Times berichtet, wurde Hakeem Jeffries (52) aus New York als erster schwarzer Abgeordnete in eine solche Führungsposition bestellt. Ihm zur Seite stehen Katherine Clark (59) aus Massachusetts und Pete Aguilar (43) aus California. (Quellen: nytimes.com, 30.11.2022: „In a Show of Unity, House Democrats Elect Hakeem Jeffries Minority Leader”; sueddeutsche.de, 30.11.2022: „Demokrat Jeffries ist erster schwarzer Fraktionschef“).


Zwischenbemerkung:

Am Ende des Berichts der Süddeutschen Zeitung wird vermerkt: „McCarthy dürfte es allerdings nicht so einfach haben wie Jeffries, hinter dem sich die Demokraten relativ geschlossen versammelt haben. Der Republikaner McCarthy muss Abweichler fürchten – bei der dünnen Mehrheit seiner Partei im Repräsentantenhaus durchaus ein Problem.“ Diese Prognose traf ein. Am 3.1.2023 begannen die Republikaner vor den Augen der Welt bei der Wahl des Speaker of the House ein seit 100 Jahren nicht mehr da gewesenes Schauspiel aufzuführen. 1923 waren zur Wahl des Speakers letztmals mehrere Wahlgänge nötig. 

Den unmittelbar folgenden Teil des Textes habe ich vor dem Beginn dieses Schauspiels geschrieben und will darin keine Änderungen vornehmen. Der Text zeigt die Zerrissenheit der Mehrheitsfraktion im House. Kurz nach dem 3.1.2023 scheint die Entwicklung auf dem Höhepunkt angelangt zu sein. In den Medienberichten steht immer wieder das Stichwort „Chaos“. 

Die republikanische Mehrheitsfraktion des Repräsentantenhauses hat über den wichtigen Posten des Speaker of the House, noch nicht entschieden. Kevin McCarthy aus California, der diesen Posten seit Langem anstrebt, hat offenbar die erforderlichen 218 Stimmen in seiner Fraktion noch nicht beisammen obwohl die Republikaner im House 222 Sitze haben. 

Thomas Spang, der USA-Korrespondent der Heilbronner Stimme stellt fest, McCarthy müsse einen Balanceakt vollführen, denn er müsse die Donald Trump nahe stehenden Abgeordneten eng einbinden, damit er überhaupt der House-Sprecher werden könne. „Keine einfache Aufgabe angesichts der kompromisslosen Haltung und knapper Mehrheiten“ (Heilbronner Stimme, 18.11.2022: „Streit und Stillstand“).

In der Tat steckt in einem „gespaltenen“ Kongress die Gefahr des Stillstands. „Republikaner und Demokraten dürften sich in den kommenden Jahren gegenseitig blockieren. Neue Gesetze oder Reformen sind nicht zu erwarten“, befürchtet Thomas SpangEr nennt als mögliche Bereiche des Stillstands in der Innenpolitik den Klimabereich, die erforderliche Aufstockung des Personals bei den Steuerbehörden und die Alters- und Krankenversicherung. Als Retourkutsche für die beiden Impeachment-Verfahren gegen Trump haben republikanische Kongressabgeordnete Untersuchungsausschüsse und womöglich ebenfalls Impeachment-Verfahren gegen Regierungsmitglieder, selbst gegen Präsident Biden, angekündigt. Wichtig für die Demokraten im House war es, die Arbeit des Untersuchungsausschusses zum Sturm auf das Kapitol noch vor Weihnachten 2022 abzuschließen und den umfangreichen Bericht an das Justizministerium zu senden.  Dies geschah am 19.12.2022. Eine weitere Untersuchung dieses in der US-Geschichte einmaligen Ereignisses wird es mit der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus nicht geben. Im Gegenteil: Sie wollen die Ergebnisse des Ausschusses in der neuen Legislaturperiode nochmals aufrollen. Der republikanische Abgeordnete Andy Biggs aus Arizona hat die Ergebnisse des Ausschusses als „letzten politischen Stunt“ bezeichnet. Er beabsichtige, „ihre Dokumente zu überprüfen, ihre Lügen zu veröffentlichen und die Dinge richtig stellen (nytimes.com, 19.12.2022: „Jan. 6 Panel Accuses Trump of Insurrection and Refers Him to Justice Dept.“).

Auch in der amerikanischen Außenpolitik sind Änderungen zu erwarten. Thomas Spang zitiert Kevin McCarthy, der angekündigt hat, er werde keinen Blankoscheck für die Ukraine ausstellen. Die absolute Trump-Unterstützerin Marjorie Taylor Greene ging noch einen Schritt weiter: Es werde unter republikanischer Führung für die Ukraine „keinen Penny mehr für die Ukraine geben.“ Spang stellt dazu fest, dass damit der Streit mit den republikanischen „Falken“ im Senat programmiert sei. Angesichts solch rigoroser Ansagen aus dem House wird sich auch Europa auf härtere Zeiten einrichten müssen, zumindest könnte die aggressive und fordernde Sprache aus den Trump-Zeiten wieder alltäglich werden. 

Man könnte den Eindruck gewinnen, der Senat mit seiner demokratischen Mehrheit und mit dem Trump-kritischen Minderheitenführer Mitch McConnellfalls er seinen Posten behält — werde künftig zum Pol der Ruhe in der amerikanischen Politik, zumindest in der Außenpolitik werden. Die angekündigten Untersuchungsausschüsse des Repräsentantenhauses kann er nicht verhindern, doch er kann etwaigen „Eskapaden“ der MAGA-Gruppe des Repräsentantenhauses Zügel anlegen. Wichtig für die Demokraten im Senat wird sein, dass sie zusammen mit dem demokratischen Präsident auch künftig wichtige Regierungsposten und vor allem Richterstellen besetzen können. Die konservative Mehrheit im Supreme Court ist zwar installiert, sie wird aber nicht weiter wachsen. 

Was wird aus der G. O. P., der Grand Old Party, die zwar eine hauchdünne Mehrheit im Repräsentantenhaus erhalten hat, die Midterms aber, gemessen an ihren Erwartungen, nicht gewann, weil ihr Donald Trump schweren Schaden zugefügt hat? Außergewöhnliche Einblicke in den gegenwärtigen „Zustand“ der Republikaner vermittelte ein ausführliches Interview, das der NYT-Kolumnist Ezra Klein am 2.12.2022 mit Michael Brendan Dougherty,  dem wichtigsten Autor der konservativen Zeitschrift National Review führte.  Dougherty, ein Insider also, ist der Meinung, dass die G. O. P. sowohl 2018 als auch 2020 und 2022 unterdurchschnittlich abgeschnitten hat. Seine Begründung: Es gibt Wählerinnen und Wähler, die hoch motiviert sind, gegen Donald Trump zu stimmen; und wenn der republikanische Kandidat als Stellvertreter Trumps auftritt, wird dieser abgestraft. (Eine komplizierte Begründung dafür, dass Trump in Wirklichkeit den Republikanern schadet. Allerdings wird dies nur selten klar ausgesprochen). 

Den gegenwärtigen Zustand der G. O. P. beschreibt Dougherty recht plastisch: „Die Republikanische Partei ist weder Fisch noch Fleisch. Dies bedeutet, sie ist weder populistisch genug, um die Koalition ohne Trump zu einen und sie ist nicht traditionell konservativ genug, um die Romney-Koalition von 2012 wieder zu einen.  Damit ist sie gespalten in zwei unterschiedliche Teile ihrer selbst, während die Demokraten noch immer zusammenstehen, zum Teil aus Angst vor Donald Trump.“ Er wiederholt hier die bereits zitierte Feststellung:  Trump schadet der eigenen Partei. Er nützt den Demokraten, weil er sie zusammenhält und er schadet der G. O. P. weil er sie auseinander treibt. An anderer Stelle des Interviews beschreibt dies der Insider Dougherty so – und Kevin McCarthy kann inzwischen ein Lied dazu singen: „Die Hauptakteure bei den Republikanern stehen an den Rändern (…) da ist nichts in der Mitte; die Republikanische Partei ist so etwas wie ein Doughnut mit einem Loch in der Mitte … in der Mitte ist ein Vakuum der Autorität.“ Die Gesprächspartner Klein und Dougherty sind damit beim Kernproblem der Republikaner aber bis zu einem  gewissen Grad auch bei einem Kernproblem des amerikanischen Zweiparteien-Systems angelangt. Bei der Republikanische Partei steht gegenwärtig niemand in der Mitte, der oder die über Parteigrenze hinweg verhandeln kann – und sollte doch ein Kompromiss gelingen, gibt es niemand, der die Übereinkunft intern durchsetzen kann. Die beiden Gesprächspartner trauen diese im amerikanischen System so wichtige Aufgabe – Kompromisse auszuhandeln und umzusetzen – Kevin McCarthy nicht zu. (Eine derart klare Beschreibung des amerikanischen Dilemmas habe ich selten gelesen). 

Gegen Ende des Interviews wagt Dougherty zu Gunsten von Ron DeSantis, dem Gouverneur von Florida, die Aussage: Er sieht außer DeSantis keine andere Persönlichkeit, die die Republikanische Partei vereinen könne.  DeSantis sei gegenwärtig eine besondere Figur in der G. O. P. Doch bei genauerem Lesen fiel mir das Wörtchen „gegenwärtig“ („right now“) auf – will heißen, dass auch der Insider Dougherty keine uneingeschränkte Vorhersage für 2024 wagt. An anderer Stelle sagte er für den nächsten Wahlkampf der Republikaner ein weiteres „Rodeo der Clowns“ voraus, bei dem 30 Leute aus einem Minibus steigen und um Aufmerksamkeit konkurrieren. (nytimes.com, 2.12.2022: Transcript: „Ezra Klein Interviews Michael Brendan Dougherty“).

Was geschieht bis 2024?

Donald Trump hat am 15.11.2022 erklärt, er wolle 2024 noch einmal für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten kandidieren. Er ist bis jetzt der Einzige, der dies öffentlich angekündigt hat. Joe Biden hat zwar eine gewisse Neigung signalisiert, noch einmal in den Ring zu steigen, nicht zuletzt gegen Trump, den er 2020 klar besiegt hat. Doch Biden hat seine Überlegungen noch nicht abgeschlossen. Genauso wie der frühere Vizepräsident Mike Pence, auch der bei den Republikanern aussichtsreich gehandelte Gouverneur von Florida, Ron DeSantis und manch anderer oder manch andere bei den beiden Parteien.

Trump hat sich erklärt und wird in den nächsten zwei Jahren keine Ruhe geben. Es sei denn, die Republikaner erkennen die erneute Chance, die ihnen der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses 6. Januar 2021 bietet und sagen sich von ihrem bisherigen Frontmann los. Doch ich bezweifle dies. Eine oder Einer allein wird die Rolle des Brutus nicht übernehmen wollen. In der letzten Sitzung des Ausschusses am 19.12.2022 hat zwar die (nun) ehemalige republikanische Abgeordnete Liz Cheney erklärt, „niemand, der sich so (wie Trump) verhält, darf je wieder ein öffentliches Amt begleiten“ (Heilbronner Stimme, 21.12.2022:  „Trump zeigt sich unbeeindruckt“). So oder ähnlich mag zwar manches G. O. P.-Fraktionsmitglied insgeheim ebenfalls denken, doch Liz Cheney, der „Verräterin“,  die längst aus dem Führungsglied der Republikaner entfernt wurde und die inzwischen nicht mehr im Repräsentantenhaus sitzt, wird kein Republikaner folgen wollen. Das „Problem Trump“ scheint sich mehr und mehr zum Mühlstein am Hals der Republikaner zu entwickeln. 

Es mag sein, dass die schleichende Entwicklung des Trump’schen Machtverlustes weiter voranschreitet, bis eines Tages womöglich – nach neuen Kalamitäten oder einer neuen Ungeschicklichkeit – die Trump-Stimmung in der G. O. P. kippt und der Ruf „Enough is Enough“ auch aus der Wählerschaft schallt. Nach knapp zwei Monaten ist die Kampagne ins Trudeln geraten; im Dezember erschienen täglich neue schlechte Nachrichten für Trump, stellte die Süddeutsche Zeitung fest und meinte dabei vor allem den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses, in dem strafrechtliche Schritte gegen den früheren Präsidenten empfohlen wurden. Dabei werden vier Verbrechen genannt: Anstiftung zum Aufruhr, Vorbereitung einer Verschwörung, Behinderung des Kongresses bei der Feststellung des Wahlergebnisses von 2020 und um die Verbreitung der Lüge vom weit verbreiteten Wahlbetrug, obwohl ihm immer wieder erklärt worden war, diese Behauptung sei falsch und er dies auch intern akzeptiert hat. Der Ausschuss empfahl dem Justizministerium und dem Sonderermittler Jack Smith, die Untersuchungen auch „auf Andere“ auszuweiten. Dabei werden fünf Namen genannt, u. a. Mark Meadows, der letzte Stabschef Trumps im Weißen Haus und Trumps Anwalt Rudolph W. GiulianiErmittelt und eventuell angeklagt sollen auch 4 republikanische Kongressabgeordnete, die sich geweigert hatten, Vorladungen des Ausschusses zu folgen, darunter Jim Jordan aus Ohio, über dessen neue Aufgabe noch zu berichten ist.

Doch – so lautet einer der Kernsätze des Berichts: „Im Zentrum des 6. Januar stand ein Mann, der frühere Präsident Donald Trump, dem viele folgten. Keines der Ereignisse des 6. Januar wäre geschehen ohne ihn.“   Wie es nun weitergeht, muss das Justizministerium und der Sonderermittler Jack Smith entscheiden (nytimes.com, 19.12.2022: „Jan. 6 Panel Accuses Trump of Insurrechtion and Refers Him to Justice Dept.“;  sueddeutsche.de, 19.12.2022: „US-Ausschuss empfiehlt strafrechtliche Verfolgung Trumps“). 

Wo steht die G. O. P.?  Wie geht sie um mit Trumps Ankündigung, 2024 wieder Präsidentschaftskandidat sein zu wollen? Frank Bruni, ein Meinungskolumnist der New York Times, überschrieb seinen Kommentar mit der Frage: „Haben die Republikaner etwas gelernt aus ihrem Tanz mit the Donald?“ Und so schätzt Bruni die gegenwärtige Stellung von „the Donald“ ein: „Donald Trump ist fertig“ höre und lese er und er habe keinen Grund, das nicht zu glauben. „Als er am Dienstag (15.11.2022) in Mar-a-Lago seine Kandidatur für 2024 bekannt gab, klang er weniger wie ein aufsteigender Phoenix, sondern mehr wie ein Ballon, dem die Luft entweicht. Ich konnte beinahe hören, wie ihm das Helium-Gas entwich.“

Bruni stellt seiner Einschätzung die Reaktionen vieler Republikaner gegenüber – und er bezeichnet diese Reaktionen als falsch: „sie lehnen ihn nicht deshalb ab, weil er das Land ungezählte Male erregt und gefährdet hat, nicht wegen seiner Angriffe auf die Würde und weil er ein Feind der Demokratie ist, nicht weil er fast alles und fast jeden herabwürdigt, der sich ihm entgegenstellt. Sie sind nur sauer, weil er ein Verlierer ist.“ Bruni sieht die Versuche in seiner eigenen Partei, sich von Trump zu distanzieren nicht als Auseinandersetzung oder gar Abrechnung mit dem Trumpismus, sondern als das Abrücken von einem, der keine Erfolge (mehr) liefert. „Es geht um Zahlen und nicht um Moral (…) Die Republikaner reden von Trump wie von einer Aktie, die an Wert verloren hat (….) Die Partei hat sich aber so wenig verändert, wie er. Nur die Zahlen sind anders“ (nytimes.com, 17.11.2022: „Have Republicans Learned Anything From Their Dance With the Donald?”).

Christian Zaschke, der Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Washington, sieht dies ähnlich. Er überschrieb seinen Kommentar mit: „Donald Trump, das Gesicht der Niederlage“. Der Ex-Präsident sei schon lange eine Belastung für die Republikaner. „Nach den verpatzten Zwischenwahlen wagen sich dessen Gegner endlich aus der Deckung. Ob das was bringt? Ausgang offen.“ sueddeutsche.de, 11.11.2022: „Donald Trump, das Gesicht der Niederlage“; Kommentar von Christian Zaschke).Trump mag erledigt sein, so scheint es, doch der Großteil seiner Fans ist noch da. 

Die Auseinandersetzung der G. O. P. mit dem Trumpismus hat noch nicht ernsthaft begonnen. Wirkliche Konsequenzen haben nur die beiden republikanischen Kongressabgeordneten Liz Cheney und Adam Kinzinger gezogen – sie waren die einzigen Republikaner, die im Untersuchungsausschuss 6.1.2021 mitarbeiteten und wurden deshalb zu den Outlaws ihrer Partei. Im neuen Kongress ab 3.1.2023 sind beide nicht mehr dabei.

Fast nebenbei – es war eben so eine übliche Trump-Entgleisung – berichten die Medien darüber, dass der frühere Präsident die Außerkraftsetzung der Verfassung vorgeschlagen hat um das Wahlergebnis von 2020 doch noch zu verändern. Er verbreitet noch immer die Botschaft von der „gestohlenen Wahl“: „Ein so gewaltiger und umfangreicher Wahlbetrug erlaubt es, alte Regeln, Bestimmungen und Artikel außer Kraft zu setzen, selbst die in der Verfassung“, schrieb Trump am 3.12.2022 auf seinem Netzwerk „Social Trust“. Die New York Times berichtet, es habe Verurteilungen von beiden Seiten des politischen Spektrums gegeben:  „eine Flut von den Demokraten und ein paar Tropfen von den Republikanern“ (nytimes.com, 4.12.2022:  „Trump’s Call for ‚Termination’ of Constitution Draws Rebukes“). 

Trump redet und schreibt fast täglich über „gewaltigen Wahlbetrug“. Ross und Reiter hat er bisher nicht genannt, weil er es nicht kann. Er hat seine Kandidatur für 2024 öffentlich angekündigt. Biden und Pence haben eine mögliche Kandidatur angedeutet, aber noch nicht endgültig entschieden. Wer sonst noch in den Startlöchern stehen könnte, ist offen. Genauere Aussagen – über das Spekulative hinaus – sind meines Erachtens erst in einem halben Jahr möglich. In den kommen zwei Jahren kann noch viel geschehen.

Ein schwacher Speaker of the House – Die Republikaner erzeugen Chaos

Nach Rekord verdächtigen 15 Wahlgängen – 1923 brauchte es 9 Wahlgänge; der absolute Rekord wurde 1856 mit 133 Wählgängen aufgestellt – wurde der Republikaner Kevin McCarthy in den frühen Morgenstunden des 7.1.2023 zum Speaker of the House gewählt. Eine Gruppe von extrem rechten „Rebellen“ in der Republikanischen Fraktion hatten einen Machtkampf inszeniert in dessen Verlauf sich McCarthy erst nach spektakulärem Fingerhakeln (so bezeichnete es die NYT), nach schwerwiegenden politisch-inhaltlichen Zugeständnissen und nach der Zusage wichtiger Ausschussposten, bei der extremen Never Kevin Gruppe durchsetzen konnte. Falls dies wirklich ein Sieg war, hat ihn McCarthy teuer erkauft. Ein Abgeordneter kann künftig allein eine Vertrauensabstimmung über den Speaker erzwingen. McCarthy ist in den nächsten zwei Jahren abhängig von einer kleinen aber lauten Minderheit in seiner eigenen Partei. Matt Gaetz aus Florida, einer der Wortführer der Never Kevins sagte in einem Interview mit CNN: McCarthy wird in einer Zwangsjacke regieren müssen!“ Er wird ein schwacher Speaker sein.

Was im Repräsentantenhaus in Washington ab Dienstag, 3.1.2023 ablief, hatte es so seit 100 Jahren nicht mehr gegeben: Die Republikaner haben zwar eine nur hauchdünne Mehrheit im House, doch es gelang ihnen nicht, im ersten Anlauf einen Speaker aus ihren Reihen zu wählen. Kevin McCarthy hatte das Amt seit langem angestrebt, aber fünf Abgeordnete – die ursprüngliche Never Kevin Gruppe, hatte bereits zuvor angekündigt, McCarthy nicht zu wählen. Bei nur vier Abweichlern hätte er die erforderliche Mehrheit von 218 Stimmen noch erreichen können, doch im Laufe des Wahldramas war die Zahl seiner Gegenstimmen bis auf 21 gestiegen. (Anzumerken ist, dass ein Sitz im Repräsentantenhaus gegenwärtig unbesetzt ist. Die Demokraten standen mit ihren 212 Abgeordneten während aller 15 Wahlgänge hinter ihrem Fraktionsführer Hakeem Jeffries.

Zunächst noch ein Blick zurück: In meinen Augen hatte Kevin McCarthy spätesten nach dem 6.1.2021 seine politische Glaubwürdigkeit verloren, als er unmittelbar nach dem Sturm auf das Kapitol den abgewählten Präsidenten für das Geschehen mit verantwortlich machte, nur um kurze Zeit später nach Mar-a-Lago zu Trump zu reisen, um so etwas Abbitte zu leisten und erneute Treue zu schwören. Was für mich wie ein Kniefall aussah, mag McCarthy selbst notwendig erschienen sein, um seine Hoffnungen auf den Speaker-Posten am Leben zu erhalten. Er hatte kurz nach dem 6.1.2021 wohl erkennen müssen, dass die große Mehrheit der republikanischen Abgeordneten selbst nach diesem Ereignis, in dessen Zusammenhang fünf Menschen zu Tode kamen, immer noch hinter Trump standen. Sie interpretierten das Geschehen – je nach eigenem Gusto – als legitime freie Meinungsäußerung und Demonstration, übernahmen Trumps „Große Lüge“ oder schwiegen einfach. So kehrte auch McCarthy zurück ins Trump-Lager und stimmte zusammen mit vielen anderen aus seiner Fraktion gegen die Eröffnung des zweiten Impeachment-Verfahrens gegen Trump. Dadurch hat er sich zwar jenen unwürdigen Rauswurf aus der Fraktion erspart, wie er der angesehenen Liz Cheney bereitet wurde. Hätte es im Januar 2021 tatsächlich eine Revolution der Republikaner gegen Trump gegen, wäre McCarthy wohl ganz vorn in der neuen Führungsriege gestanden.  Doch diese Revolution gab es nicht und der reumütige Kevin McCarthy hat sich mit seinem Wunsch, Speaker of the House zu werden, wieder in die Reihe der Trump-Unterstützer eingereiht. 

Zwei Jahre später zeigte sich: Nur Trumpist zu sein, reicht den „wahren Trumpisten“ nicht mehr aus. Sie ließen McCarthy bei der Speaker-Wahl 14 Mal über die Klinge springen. Deshalb wurden diese vier Tage im Januar 2023 zum entwürdigenden Schauspiel nicht nur für McCarthy sondern für die Demokratie in Amerika. Doch bei näherem Hinsehen erkennt man bemerkenswertes: Donald Trump hatte vor und während dieses Dramas mehrfach zu Gunsten McCarthys eingegriffen, hatte sich also – lange Zeit erfolglos – gegen die Super-Trumpisten um Matt Gaetz und Lauren Boebert gestellt. Marjorie Taylor Greene, die Trump-Ikone aus Georgia stand – so wie Trump – an der Seite von McCarthy und kritisierte öffentlich den Extremismus einiger Kolleginnen und Kollegen. Der neue Speaker hat ihr dafür einen Posten in einem wichtigen Ausschuss versprochen. Die Trump-Ikone Lauren Boebert aus Colorado blieb bis zum Schluss auf der Seite der Never Kevins und hat sogar Trump für seine Haltung kritisiert. Dies zeigt: Der Riss im republikanischen Lager ist tiefer geworden und geht inzwischen selbst quer durch das Lager der früheren absoluten Trump-Unterstützer. Der republikanische Abgeordnete Ryan Zinke aus Montana hat das Geschehen so beschrieben: „Von außen gesehen sieht es aus wie Chaos. Von innen ist es Chaos“ (nytimes.com, 6./7.1.2023: „McCarthy Wins Speakership on 15th Vote“).

Noch schärfer formulierte der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman in der New York Times: „Weder ich noch irgend jemand anders weiß, was noch kommen wird. Aber eins ist sicher: Amerika ist schon jetzt weniger groß als zu der Zeit war, als Nancy Pelosi im House herrschte, und es versinkt jeden Tag mehr.“  Krugman knüpft an eine Formulierung an, die Trump bei Kundgebungen gerne gebraucht: „Die Welt lacht über uns.“ Und Krugman fährt fort – man spürt neben der Ironie auch tiefe Sorge – dass die Trump-Untertützer dabei sogar meinen, dass auch die Globalisten im Land über Amerika lachen. „Die Ironie zeigt sich darin, dass es der MAGA-Bewegung gelungen ist – über die wildesten Träume der finsteren Globalisten hinaus (falls es sie überhaupt gibt) – Amerika alles andere als groß zu machen. Jetzt lacht die Welt wirklich über uns und ist gleichzeitig entsetzt.“ In Abwandlung eines Bibelworts stellt Krugman die besorgte Frage:  „Was nützt es einem Mann, selbst wenn er die eigene Seele verlöre und dennoch nicht genug Stimmen erhält um Speaker of the House zu werden?“ (nytimes.com, 5.1.2023: „Making America the Opposite of Great“;  Kommentar von Paul Krugman). Und Peter Burghardt beschreibt das Geschehen als “Showdown auf dem Kapitolshügel“: „Das Drama erzählt eine Menge über Amerika und dessen Republikaner. Man kann das Szenario bizarr finden oder bedrohlich. Jedenfalls haben die Amerikaner da ganz offensichtlich ein mindestens parlamentarisches Problem (…) Die Republikaner machen sich, das Parlament, ja das Land abhängig von extremistischen Schreihälsen“ (sueddeutsche.de, 6.1.2023: „Die Frau mit der Pistole“;  Kommentar von Peter Burghardt).

Am frühen Morgen des 7.1.2023 hatte Kevin McCarthy endlich die erforderliche Mehrheit zusammengebracht, doch der Preis dafür war hoch und die Auswirkungen lassen sich noch nicht absehen.  In einer ersten Einschätzung schreibt die New York Times, „dass die Konzessionen, die McCarthy den Rebellen gemacht hat, seine Macht immens einschränken und das Repräsentantenhaus zu einer schwerfälligen Institution machen werden, in der sich angesichts der knappen Mehrheit und der Lust der rechten Fraktion am Durcheinander bereits jetzt zeigen, wie schwierig die Kontrolle ist.“ McCarthy hat unter anderem zugestimmt, dass ein einziger Abgeordneter genügt, um eine Vertrauensabstimmung über den Speaker zu erzwingen mit dem Ziel, diesen abzusetzen. Darüber hinaus hat er den Ultrakonservativen der Fraktion ein Drittel der Sitze im mächtigen Rules Committee zugestanden, in dem darüber entschieden wird, welche Gesetzesinitiativen überhaupt das Plenum erreichen und wie sie dort behandelt werden. Ferner sollen bereits beschlossene Ausgabengesetze nochmals überprüft und offen debattiert werden. Jeder Abgeordnete soll dabei das Recht haben, eine Abstimmung über Änderungen zu beantragen (nytimes.com, 6./7..1.2023: „McCarthy Wins Speakership on 15th Vote“). Mir fällt dazu die Ansage von Majorie Taylor Greene ein, es werde unter republikanischer Führung „keinen Penny mehr für die Ukraine geben.“ Die Glaubwürdigkeit und die Verlässlichkeit der USA stehen damit auf dem Spiel. Gerade einmal zwei Jahre nach dem Sturm auf das Kapitol am 6.1.2021 bot Washington D. C. ein Schauspiel, das Anlass zu ernster Sorge ist. 

In der New York Times wird auf den Widerspruch speziell in der republikanischen Finanzpolitik hingewiesen:  „In den Obama-Jahren haben die Republikaner mit dem Aufstieg der Tea Party Bewegung  Ausgabenbeschränkungen als Gegenleistung für die Aufhebung der Schuldenobergrenze gefordert. Während der Trump-Präsidentschaft haben sie diese Forderung nicht mehr erhoben und die Schuldenobergrenze bedingungslos erhöht. Dieser Praxis will die neue Mehrheit im Repräsentantenhaus dieses Jahr widersprechen“ (nytimes.com, 4.1.2023: „What the Far-Right Republicans Want:  To Remake Congress and the Government“).

Charles Blow, ein Kolumnist der New York Times beschreibt den gegenwärtigen Zustands der Republikanischen Partei – der Text liegt inzwischen auch in deutscher Übersetzung vor: „Die durch und durch peinliche Unfähigkeit der Republikanischen Partei, nach mehreren Versuchen einen Sprecher des US-Repräsentantenhauses zu wählen, ist eine Krise, die sie selbst verursacht hat. Spätestens seit der Präsidentschaft von Barack Obama hat die Republikanische Partei eine Stärkung ihrer rechten Flanke erlebt, deren Aufgabe nicht darin bestand, Politik zu machen, sondern Fortschritt zu verhindern, und deren Taktik eher Zerstörung als Diplomatie hieß. (…) Sie (die rechte Randgruppe) lernte ihre Lektion aus den Palin-Jahren: Spektakel erzeugt Ruhm, der wiederum Macht erzeugt, die Einfluss und möglicherweise Kontrolle bringt“ (IPG-Pressedienst, 5.1.2023: „Gekommen, um Feuer zu legen“; Kommentar von Charles Blow. Originaltext: nytimes.com, 4.1.2023: Charles Blow: „The Burn-It-All-Down Republican Caucus“).

Über all diesem Chaos zu Beginn der 118. Legislaturperiode wurde die Lügengeschichte des in New York erstmals ins Repräsentantenhaus gewählten republikanischen Abgeordneten George Santos zur kaum beachteten Randnotiz. Santos hatte sich einen wunderbaren Lebenslauf zusammengestrickt, der größtenteils erlogen war. Ab dem 3.1.2023 saß er nun im Sitzungssaal des Repräsentantenhauses und nahm am Wahlkrimi teil; er hat 15 Mal für Kevin McCarthy gestimmt. Santos’ Betrügereien dürften nun wieder in die Schlagzeilen kommen und womöglich wird der Druck auf ihn so stark, dass er zurücktritt – mit der Folge, dass die Mehrheit der Republikaner im House womöglich noch kleiner wird.

In Bälde steht den Republikanern weiteres Ungemach ins Haus. Ende Januar soll der / die Vorsitzende des 168 Mitglieder zählenden Republican National Committees neu gewählt werden. Diesen Posten könnte man als den des Vorsitzenden der Republikanischen Partei beschreiben. Im Vergleich zum Vorsitzenden einer Partei in Deutschland hat der RNC Chairman bzw. die RNC Chairwoman jedoch weit weniger Macht als ein Kollege oder eine Kollegin in Deutschland. Politische Entscheidungen werden weniger im RNC sondern im Weißen Haus und in der Führungsspitze der beiden Kongresskammern getroffen. Das RNC ist für die Organisation der Vorwahlen zuständig, nicht aber für die Aufstellung der Kandidatinnen und Kandidaten.  Eine weitere wesentliche Aufgabe des RNC ist das Einholen von Parteispenden und die Unterstützung der Kandidatinnen und Kandidaten.

Ronna McDaniel, die gegenwärtige Vorsitzende des RNC macht den Job seit 2016 – „hand picked by Mr. Trump / Hand verlesen durch Donald Trump. Doch sie ist nicht unumstritten. Harmeet Dhillon aus California – ebenfalls eine Trump-Ikone und nun gestützt von der äußersten Rechten der G. O. P. wird gegen McDaniel antreten; eine Konstellation, die stark an das gerade beendete Drama um den Posten des Speakers of the House erinnert. Die NYT erwartet eine hässliche innerparteiliche Auseinandersetzung zwischen „den Rechten“ und „den Noch-weiter-Rechten“ in der Republikanischen Partei. Es hat den Anschein, als solle McDaniel an Stelle von Trump für das schlechte Abschneiden der Republikaner bei den Midterms verantwortlich gemacht werden: „Viele in der Partei haben damit einen Sündenbock für die Auseinandersetzungen in der G. O. P. gefunden, der nicht Trump heißt“, schreibt die New York Times (nytimes.com, 28.12.2022: „Race for G. O. P. Chair Obscures the Party’s Bigger Problems“).

Doch egal wie diese Auseinandersetzung für Ronna McDaniel ausgehen wird, es könnte sein, dass sie in einem völlig anderen Zusammenhang wieder im Rampenlicht erscheinen wird. Als Vorsitzende des RNC war sie mit eingeschaltet bei einem besonderen Coup Donald Trumps, mit dem er das Wahlergebnis 2020 kippen wollte. John Eastman, einer der für Trump arbeitenden Anwälte hatte den Plan entwickelt, durch zusätzliche Wahlmänner-Listen aus einzelner Bundesstaaten, die neben den offiziellen Listen nach Washington geschickt wurden, Verwirrung zu stiften und womöglich die Zurückweisung der Wahlergebnisse dieser Staaten zu erreichen. Eastman hatte dazu McDaniel aufgefordert, diese Ersatz-Listen zu erstellen. Dieser Versuche gingen schief, doch der Untersuchungsausschuss 6.1.2021 hat darüber auch Ronna McDaniel befragt. Ihre Aussagen könnten bei den weiteren Ermittlungen des Justizministeriums und des Sonderermittlers Jack Smith noch eine Rolle spielen (nytimes.com, 2.1.2023: „Trying to Trademark ‚Rigged Election’, and Other Revelations From the Jan. 6 Transcripts“).

Ein Silberstreif am politischen Horizont

Kevin McCarthy ist nach 15 Wahlgängen und zahlreichen Blessuren zum Speaker of the House gewählt worden. Die kleine Rebellengruppe in der G. O. P. hat demonstriert, wie man die hauchdünne Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus innerparteilich nutzen kann, um eigene Forderungen durchzusetzen.  Eine dieser Forderungen wurde rasch umgesetzt: Am 10.1.2023 hat das House die Gründung eines Unterausschusses des Justizausschusses mit umfassenden Befugnissen beschlossen. Jim Jordan, der scharfzüngige Trump-Unterstützer aus Ohio wird diesen Unterausschuss leiten. Seine Aufgabe: Zu untersuchen wie die Demokraten durch die Einschaltung des Justizministeriums, des FBI und sonstiger Geheimdienste versucht haben, Konservative einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen – von der örtlichen Ebene der Schulbeiräte bis ganz oben zum Präsidenten. Das neue Gremium trägt den viel sagenden Namen Select Subcommittee on the Weaponization of the Federal Government (Unterausschuss zur Untersuchung der Aufrüstung der Bundesregierung). Entsprechend harsch war die Reaktion der Demokraten im Repräsentantenhaus. Jim McGovern aus Massachusetts verglich das neue Gremium mit dem von Senator Joe McCarthy in das 1950er-Jahren geleiteten House Un-American Activities Committee (Ausschuss für Unamerikanische Aktivitäten), mit dem Jumping Joe McCarthy damals Kommunistenjagd in großem Stil betrieb und Schauspieler und Wissenschaftler an den Pranger stellte (nytimes.com, 10.1.2022: „Divided House Approves G. O. P. Inquiry Into Weaponization of Government“).  

Im Verlauf der Verhandlungen mit den Rebellen hatte McCarthy versprochen, diesen Unterausschuss finanziell und personell so auszustatten, wie den früheren Untersuchungsausschuss zum Sturm auf das Kapitol. „Wir werden den Sumpf zur Rechenschaft ziehen angefangen vom Rückzug aus Afghanistan über den Ursprung von Covid bis zur Verwendung des FBI als Waffe“, sagte McCarthy unmittelbar nach seiner Wahl (nytimes.com, 8.1.2023: „House Republicans Prepariang Broad Inquiry Into F.B.I. and Security Agencies“).

Was auf den ersten Blick wie die Rache der Republikaner aussieht, die Demokraten für all das Ungemach, das sie Donald Trump nach Auffassung seiner Anhänger während und nach seiner Amtszeit angetan haben, könnte jedoch zum Gradmesser dafür werden, ob und wie weit die Republikaner Trump und MAGA hinter sich lassen. Die Aufforderung mancher Republikaner:  „Let’s move on!“, lasst uns den Blick auf die Zukunft richten, dürfte in nächster Zeit lauter werden. Wie würde sich dies auf Jim Jordans Unterausschuss zum Schutz vermeintlich verfolgter Konservativer auswirken?

Eine Hoffnung oder nur Wunschdenken? Am 8.11.2022 – also genau am Wahltag, veröffentlichte die Heilbronner Stimme ein Interview mit der Rechtsanwältin und Unternehmensberaterin Sandra Navdi. Im Oktober 2022 ist ihr drittes Buch mit dem Titel „Die DNA der USA: Wie tickt Amerika“ erschienen. Die Überschrift der Heilbronner Stimme lautete: „Wir erleben die Tyrannei einer Minderheit.“ Navidi beschreibt die amerikanische Gesellschaft wie folgt:

„Fast nirgendwo auf der Welt ist die Spaltung der Gesellschaft so ausgeprägt wie in den USA. Das liegt vor allem am Zwei-Parteien-System, das Deutschland undenkbar wäre. Allerdings sind die Demokraten hier sehr breit aufgestellt, von sehr links bis konservativ. Bei den Republikanern ist das anders. Fast alle Gemäßigten haben die Partei verlassen, ihre Karriere aufgegeben oder gehören einer „oppositionellen Minderheit an.“

(Zitate aus Heilbronner Stimme, 8.11.2022: „Wir erleben die Tyrannei einer Minderheit“;  Interview mit Sandra Navidi). 

Die vergangene Wahl beschreibt Navidi als „ideologischen Kampf, bei dem es um Demokratie gegen Autokratie geht:

„Die Republikaner äußern zunehmend, worum es ihnen wirklich geht: Diskriminierung, Rassismus, Antisemitismus. Wir erleben hier die Tyrannei einer Minderheit, denn die Mehrheit der Bevölkerung vertritt humanistische Werte.“

(Zitate aus Heilbronner Stimme, 8.11.2022: „Wir erleben die Tyrannei einer Minderheit“;  Interview mit Sandra Navidi). 

Angesichts dieser Zustandsbeschreibung – es ist der kritische Blick auf die USA von außen – wird die Erleichterung des NYT-Kolumnist Thomas L. Friedman verstehbar, die er am 9.11.2022 – also am Tag nach der Wahl – in der Überschrift seines Kommentar so anklingen lässt: „America Dodged an Arrow“ – „Amerika ist einem Pfeil entkommen“. Im ersten Abschnitt seiner Betrachtung vertieft Friedman seinen Seufzer der Erleichterung mit sarkastisch klingenden Sätzen: „Ihr könnt den Umzug nach Kanada verschieben. Ihr könnt auf den Anruf bei der Botschaft von Neuseeland verzichten um zu erfahren, wie man dort die Staatsbürgerschaft erhält. Die Wahl am Dienstag war der wichtigste Test seit dem Bürgerkrieg darüber, ob das System unserer Verfassung – die Fähigkeit des friedlichen und gesetzmäßigen Machtwechsels – intakt bleibt. Und es sieht so aus als wären wir davongekommen – ein wenig angekratzt, aber OK.“

Friedman beschreibt die Schwächen und Probleme des Landes: Das altmodische Wahlsystem, das Gerrymandering, die sozialen Netzwerke, die bewirken, dass der Dialog im Land ständig vergiftet und die Gesellschaft mehr und mehr gespalten wird und dass die beiden Pfeiler der Demokratie — Wahrheit und Vertrauen – ständig erodieren. Er verweist auf das Geschehen am 6.1.2021, das Putin und Xi Jinping ermöglicht, ihren Bürgerinnen und Bürgern zu erklären: „So geht es zu in der Demokratie. Wollt ihr so etwas?“

„Nicht alles ist in Ordnung“, schreibt Friedman. Aber diese Wahl könnte ein Anzeichen dafür sein, dass wir wenigstens vom Rand jenes Abgrunds zurückkriechen, weil viele Amerikaner sich noch immer zum Lager der Unabhängigen und Zentristen zählen, die nicht ständig den Kümmernissen und Fantasien von Donald Trump nachhängen wollen und erkennen, dass diese die G. O. P. verrückt machen und das ganze Land  beunruhigen“ nytimes.com, 9.11.2022; Thomas Friedman„America Dodged an Arrow“).

Meine Zuversicht stützt sich auf zwei positive Entwicklungen, die die Midterms mit entschieden haben:

  • Das große Engagement von Frauen bei dieser Wahl;
  • Die überdurchschnittliche Zunahme jüngerer Wählerinnen und Wähler.

Wieder – wie bereit 2020 – haben Frauen zu dem unerwarteten Ergebnis der Midterms wesentlich beigetragen“, schreibt Gail Collins, eine Meinungskolumnistin der New York Times und ruft 2023 zum „Jahr der Gouverneurinnen“ aus. Ab 2023 werden 12 Gouverneurinnen im Land amtieren – bisher sind es neun  (nytimes.com, 21.12.2022; Gail Collins: „Women Are on the March“)

„Junge Amerikaner haben in Rekordzahlen bei den Midterms teilgenommen – und die politische Landschaft entscheidend beeinflusst.“  In Amerika wächst eine hochpolitische Generation heran (sueddeutsche.de, 27.11.2022: „Die selbsternannten Retter der Demokratie“).

Thomas Friedman fasste die Situation der USA so zusammen: „Wir haben keinen hundertprozentigen Gesundheitspass erhalten, aber wir erhielten die Diagnose, dass unsere politischen weißen Blutkörperchen ordentlich arbeiten und die wuchernde Infektion zurückgeschlagen haben, die unser ganzes Wahlsystem bedrohen. Aber die Entzündung ist immer noch da und deshalb rät der Arzt: „Verhaltet euch gesund, baut eure Stärke auf und kommt in 24 Monaten wieder zu einer erneuten Untersuchung.“

Eine Schlussanmerkung des Kongressabgeordneten Adam Schiff

Der Schlussbericht des Untersuchungsausschusses zum Sturm auf das Kapitol wurde am 22.12.2022 veröffentlicht. Ein gewichtiges Werk von über 800 Seiten. Die Süddeutsche Zeitung überschreibt ihren Bericht mit: „Donald Trump hat diesen Mob nach Washington gerufen.“ Ihn, Trump, bezeichnet der Bericht als den Hauptverantwortlichen für die Ereignisse am 6.1.2021, in deren Zusammenhang fünf Menschen ihr Leben verloren.

Darüber hinaus verweist Adam Schiff aus California, ein Mitglied des Untersuchungsausschusses auf einen weiteren Aspekt, der bisher wenig Beachtung gefunden hat. Schiff lenkt den Blick auf das Verhalten vieler republikanischer Abgeordneter, nachdem die unterbrochene Sitzung zur Feststellung des Wahlergebnisses fortgesetzt wurde: „Vergesst nicht, dass viele Republikaner im Kongress Trumps Lügen ermöglicht haben“, überschreibt er einen Gastbeitrag in der New York Times. Adam Schiff verweist noch einmal auf die Versuche Trumps, die seiner Meinung nach „Gestohlene Wahl“ zu seinen Gunsten umzudrehen. Etwa den Versuch, ihn durch die Parlamente in mehreren Bundesstaaten zum Sieger erklären zu lassen; die Versuche, durch die Einreichung zusätzlicher Wahlmänner-Listen – parallel zu den offiziellen Meldungen – Verwirrung zu stiften und den Vizepräsident Mike Pence womöglich zur Zurückweisung der Ergebnisse mancher Bundesstaaten zu veranlassen. Schiff zitiert auch den inzwischen berühmt gewordenen Satz Trumps, mit dem er Brad Raffensperger aus Georgia zum Wahlbetrug auffordern wollte: „Finde mir genügend Stimmen, damit ich Georgia gewinne.“ Trumps Justizminister Bill Barr hatte Trump intern erklärt, dass es den „außerordentlichen Wahlbetrug“, von dem er dauernd sprach, nicht gegeben hat. Im Untersuchungsausschuss hat Barr diese Betrugsgeschichten als „Bullshit“ bezeichnet.

All dies ist längst bekannt und im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses in großer Ausführlichkeit dargestellt. Für all diese Versuche, das Wahlergebnis 2020 umzudrehen, ist letztlich Donald Trump verantwortlich. Doch eines wirft Adam Schiff seinen republikanischen Kolleginnen und Kollegen im Repräsentantenhaus vor: Dass sie am 6.1.2021, nach dem Sturm der Trump-Unterstützer auf das Kapitol, bei dem die Polizei viele Verletzte zu beklagen hatten, nach Wiederaufnahme der Sitzung „da weitermachten, wo sie zuvor aufgehört hatten: Sie lehnten die Wahlergebnisse in wichtigen Bundesstaaten weiter ab. Schiff zitiert dazu ein Statement von Liz Cheney, die von ihrer Partei als Verräterin abgestraft wurde: „Der Tag wird kommen, an dem Donald Trump nicht mehr da ist aber euer unehrenhaftes Verhalten wird bleiben.“  (nytimes.com, 22.12.2022: „Adam Schiff: „Don’t Forget That Many Republicans in Congress Enabled Trump’s Big Lie“).            

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