Die Wahlen in den USA betreffen auch Europa

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Beitragsfoto: US Flagge | © Pixabay

Nur mit großer innerer Anteilnahme kann ich in diesen Tagen über die Vereinigten Staaten schreiben. Das Corona-Virus hat dort bis jetzt über 105 000 Menschenleben gefordert; 40 Mio. Männer und Frauen wurden arbeitslos und verloren dadurch oft auch den Krankenschutz. Und dann starb am 25.5.2020 George Floyd durch brutale Polizeigewalt in Minneapolis. Ausgerechnet im wunderbaren Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota, dem Land der 10 000 Seen am Oberlauf des Mississippi. Nach einem Jahr Schulbesuch in den 1950er-Jahren und vielen seitherigen Besuchen ist mir die Stadt zur zweiten Heimat geworden.  

Die Gewalttat eines Polizisten reichte aus, um das ganze Land in Aufruhr zu versetzen. Dies zeigt, wie dünn die Deckschicht in der amerikanischen Gesellschaft noch immer –- oder schon wieder –- ist, unter der Rassismus und Gewalt verborgen liegen. Im Jahr 2019 gab es in den gesamten Vereinigten Staaten 1 099 sog. „Police Killings“. Und als ob das Land nicht schon genug gebeutelt wäre, gibt es einen sprunghaft agierenden Präsident, der trotz Corona und deren Folgen und trotz Polizeigewalt, die nicht nur in Minneapolis ein Problem ist, sich mit Twitter ein „Kämpfle“ liefert, weil dort (endlich) der Wahrheitsgehalt eines Tweets von Trump hinterfragt wurde.  

Amerika präsentiert sich als ein tief zerrissenes Land, das regiert wird mit den alten Rezepten weißer Konservativer. Eine Schlagzeile der New York Times am 31.5.2020 lautete: „In Days of Discord, a President Fans the Flames“ – „In Tagen der Zwietracht bläst ein Präsident in die Flammen“. Am 31.5.2020 berichtete die New York Times, dass es Proteste in mindestens 75 Städten der USA gab; einen Tag später hatte der Protest gegen Polizeigewalt alle 50 Staaten der USA erfasst. Auf den meist selbstgefertigten Postern stand „Gerechtigkeit für schwarzes Leben“, „Ohne Gerechtigkeit kein Friede“, „Bekämpft den Rassismus –- Bekämpft den Faschismus“… Und der Präsident redete von „Mob“ und kritisierte die Gouverneure, nicht „tough“ genug –- nicht „hart“ genug zu sein. Inzwischen will er das Militär gegen die Demonstranten einsetzen. Trump kann oder will nicht verstehen, was die tieferen Ursachen all dessen sind. Amerika bräuchte dringend an der Spitze einen Versöhner und hat einen Anheizer. Es zeigt sich immer mehr, wie wertvoll Barack Obama für das Land war.

Am 3. November d. J. wird in den USA gewählt. Die Bürgerinnen und Bürger müssen dann entscheiden, wie sich ihr Land und ihre Gesellschaft in den nächsten vier Jahren weiterentwickeln soll. Mit Ratschlägen von außen sollte man zurückhaltend sein. Doch das Ergebnis der amerikanischen Wahlen wird sich auch auf Europa und auf unser Land auswirken. Die jüngste außenpolitische „Großtat“ Trumps war die Ankündigung des Rückzugs aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Der wievielte Rückzug aus einer internationalen Organisation war dies? Die USA stiegen aus dem Pariser Klimaabkommen aus, dem 197 Staaten angehören. Dann der Ausstieg aus dem INF-Vertrag über die Abrüstung atomarer Mittelstreckenraketen, der Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran und die Aufkündigung des Open-Skies-Abkommen. Was kommt als nächstes?

Anfangs erschien Trumps Außenpolitik mehrdeutig. Da waren die showmäßig inszenierten Treffen mit Wladimir Putin und mit dem Nordkoreaner Kim Jong Un. In Washington faselten manche bereits vom Friedensnobelpreis. Aber was ist aus all dem geworden? Rasch zeigte sich, dass der sprunghafte Präsident nichts hält von all den Tugenden erfolgreicher Außenpolitik: Geduld, Ausdauer, diplomatisches Geschick und enge Kooperation mit den Verbündeten. Kurt Kister überschrieb am 24.5.2020 einen Kommentar in der Süddeutschen Zeitung: „Trump kündigt Abkommen lieber auf, als sie zu verbessern“. Im Kommentar steht der Begriff „Aggressiver Isolationismus“ und eine Beschreibung der jetzige amerikanischen Außenpolitik: „Die gegenwärtige Regierung in Washington hat, so scheint es, an guten Beziehungen zu Moskau oder Peking genauso wenig Interesse, wie an einem freundlichen Verhältnis zu Berlin oder Paris. Seit Trumps Amtsantritt ist diese Haltung der globalen Äquidistanz in jedem Jahr schlimmer geworden.“ Außenpolitik, so scheint mir, ist für die Trump-Regierung nicht der Blick auf die Entwicklungen in der Welt; Außenpolitik ist vielmehr zur Funktion der amerikanischen Innenpolitik geworden. So kann Trump etwa an einem Tag gegen die Polizeigewalt und die chinesischen Pläne zur Kontrolle Hongkongs scharfe Reaktionen ankündigen. Wenige Tage später aber mit dem Militäreinsatz gegen die Demonstranten für „Black Lives Matter“ im eigenen Land drohen. „Trump erklärt Amerika den Krieg“, berichtet dazu die Süddeutsche Zeitung am 2.6.2020.

Auch über die Ziele und die Art der amerikanischen Außenpolitik entscheiden die Wählerinnen und Wähler am 3.11.2020 und Europa muss sich auf zwei mögliche Resultate einstellen. Sollte Trump abgewählt werden, lässt sich eine Richtungsänderung nicht einfach durch Knopfdruck erledigen. Das in der Außenpolitik so notwendige gegenseitige Grundvertrauen ist nach vier Jahren Trump nachhaltig beschädigt. Zwar könnten die USA wieder Mitglied der WHO werden, die sie 1948 mitgegründet haben. Doch jeder wird fragen, wie langen bleiben die Amis da? Was geschieht nach der nächsten Präsidentenwahl? Trump hatte sich offenbar erhofft, durch den Austritt der USA würden Mängel in der jeweiligen internationalen Organisation schlagartig behoben. Doch einer der wegläuft, ist für die Verbliebenen kein kompetenter Gesprächspartner mehr. Mit jedem weiteren Rückzug kommen die USA in die Rolle des Störenfrieds am Rande des Sandkastens. Mit dieser geschwächten Position muss auch ein neuer Präsident rechnen, der sein Land wieder in die internationale Gemeinschaft zurückführen will. Er wird misstrauisch willkommen geheißen.

Und was ist, wenn Donald J. Trump am 3. November 2020 als Präsident der Vereinigten Staaten wiedergewählt wird? Die Historikerin und Pulitzer-Preisträgerin Heather Ann Thompson wagt einen Blick in die Zukunft: „Ich denke wir leben tatsächlich in einer Zeit, in der die Dinge noch spannungsvoller werden, bevor sie friedlicher werden.“ Pessimismus spricht auch aus einer Aussage der Kolumnistin Michelle Goldberg. Sie schrieb am 29.5.2020 in der New York Times: „Niemand weiß, wie schlimm die Dinge werden, sicher ist nur, dass in der Trump-Ära Ereignisse, die an einem Tag wie ein Albtraum erscheinen, am nächsten Tag fast normal sind.“ Die Details über solche Entwicklungen können in dem Buch von Steven Levitsky und Daniel Ziblatt „Wie Demokratien sterben“ nachgelesen werden.  

Was bleibt für Europa? Die Einsicht der Kanzlerin: „Europa muss sein Schicksal selbst in die Hand nehmen!“, ist aktueller denn je. Wird Trump am 3.11.2020 wiedergewählt, wird er sich –- befreit von der Last, sich noch einmal den Wählern stellen zu müssen –- wieder der EU „zuwenden“, von der er nicht viel hält. Er wird mehr Geld fürs Militär fordern, mehr Importe amerikanischer Waren und gegen die russische Gas-Pipeline wettern. Er wird seinem Freund Boris Johnson in der letzten Phase der Brexit-Verhandlungen beistehen und den Europagegnern und Skeptikern als Vorbild dienen. Vier weitere Jahre Trump wären zu lang, um sie einfach auszusitzen. Deshalb müssen die „Starken“ in der EU noch mehr Führungsstärke zeigen und einen noch größeren Willen zur gemeinsamen Problemlösung in den Bereichen der Wirtschafts- und Finanzpolitik, im Sozialen, in Kunst und Kultur und vor allem darin, junge Menschen in Europa zusammenzubringen. Die künftigen Aktionsfelder werden die selben wie bisher sein: Der Balkan, der nahe und mittlere Osten und Afrika.

Ich lege diesem Beitrag zwei Bilder bei, die das wunderbare Minneapolis von einer besseren Seite zeigen.

Fotos: Hans Müller


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