Beitragsfoto: Kino
Das Kino war schon immer ein guter Ort, um dem Alltag zu entfliehen. Und wenn man dabei eher für sich alleine sein möchte, guckt man sich künstlerisch etwas wertvollere Filme an — zumindest in Heilbronn klappt das ganz gut.
Der gestrige Anlass war der Start der diesjährigen „The Met: Live in HD“ Saison, was inzwischen zu einem regelrechten Familienereignis wurde. Kontinenteübergreifend sitzt man in einem Kino und manche dabei vielleicht sogar in der Metropolitan Opera selbst und schaut annähernd zeitgleich dasselbe Stück. Und nach der Oper endet für manche dann der Tag während wiederum andere erst in denselben starten; schöner kann die Welt kaum beieinandersitzen!
Als Start in die diesjährige Saison haben die Verantwortlichen die „Les Contes D’Hoffman“ gewählt, eine Oper von Jacques Offenbach. Die von Offenbach 1851 erstmals in Paris aufgeführte Oper basiert auf verschiedenen Erzählungen E. T. A. Hoffmanns, wobei ich es für die Oper als wichtig erachte, dass Hoffmann für seine „Gespenstergeschichten“ berühmt wurde.
„Les Contes D’Hoffman“ zählt fast zu den großen Opern, so äußerte sich gestern Marco Armiliato, der Dirigent dieser Aufführung. Übrigens, diese Aufführung war sein 500. Stück, das er an der Met dirigiert hat; damit dürfte seine Meinung durchaus Gewicht haben. Mich hätte es dabei sehr interessiert, ob es auch seine Lieblingsfassung der Oper gewesen ist und wie viel er bei dieser Zusammenstellung zu sagen hatte. Dass die Oper tatsächlich mit zu den berühmteren gehört, wird dadurch unterstrichen, dass selbst ich zwei oder drei Arien mitsummen konnte. Zumindest aber zählt diese Oper unter die dreißig am häufigsten aufgeführten, was durchaus Rückschlüsse auf deren Beliebtheit beim Publikum zulässt.
Da es von der Oper unterschiedliche Bearbeitungen und Fassungen gibt, versprach ich mir von der Met-Aufführung entweder eine bearbeitete Urfassung zu erleben oder mit einer von der Fachwelt als mustergültig akzeptierten Bearbeitung konfrontiert zu werden. Leider weiß ich bis dato noch nicht, welche ich gestern gesehen habe; auch bei den Erklärungen, die die Met Live in HD-Aufführungen begleiten, wurde ich nicht fündig.
Und so versuche ich mich an einer eigenen Rezension. Hauptunterschied bei den Aufführungen dürfte die Frage sein, ob sie in drei Akten, dann aber mit Prolog und Epilog oder in fünf Akten aufgeführt wird. Die Met hat sich für ersteres entschieden. Dann die Frage in welcher Reihenfolge die drei Lieben Hoffmanns auftreten, hier entschied man sich zwar für den Mainstream, wählte aber für jede der drei Lieben eine eigene Sängerin: Erin Morely gab die Olympia — für mich die beste Sängerin des Abends. Pretty Yende spielte die Antonia und ganz folgerichtig auch noch die Stella. Clémentine Margaine gab die Giuletta und dürfte zumindest meines Erachtens die schlechteste dieser drei Sängerinnen gewesen sein. Da wohl heutzutage eine einzige Sängerin mit diesen drei Rollen zu stark beansprucht würde, hatte ich volles Verständnis für dieses Arrangement; hatte insgeheim aber gehofft, dass die Met Pretty Yende auch als Antonias Mutter auftreten lässt — was die Techniker sicherlich hinbekommen hätten.
Wiederum ganz selbstverständlich spielte Christian Van Horn alle vier Bösewichte, was er sehr gut kann und gemäß der eigenen Aussage auch liebend gerne gibt. Ich durfte Christian Van Horn bereits 2022 in Lucia di Lammermoor erleben und höre ihn seither sehr gerne. Auch dieses Mal hat er nicht enttäuscht.
Der eigentliche Bösewicht des Stücks ist aber Hoffmanns Muse, die ihm auch als sein Freund Nicklausse ganz übel mitspielt. Diese Rolle wurde wohl rein zufällig mit einer russischen Sängerin Vasilisa Berzhanskaya besetzt — die Anna Netrebko ist derzeit bekanntlich als Truppenbetreuerin unterwegs. Gesanglich war Vasilisa Berzhanskaya aber eine Freude, auch wenn sie mir mein Lieblingslied des Stücks, welches sie zusammen mit Clémentine Margaine sang, voll und ganz verdarb.
Benjamin Bernheim, welcher den E. T. A. Hoffmann gab, dürfte neben Erin Morely der beste Sänger des Abends gewesen sein.
Zum Schluss des Stücks brachte Barlett Sher, die die Oper inszenierte, den Chor nochmals in den Vordergrund, was zwar für das Publikum ein sehr guter Schluss ist aber E. T. A. Hoffmann nicht gerecht werden dürfte; mir war der Schluss des Stücks einfach zu gefällig.
Das Bühnenbild von Michael Yeargan gefiel mir ganz gut und die Kostüme von Catherine Zuber waren eine richtige Augenweide.
Da es vor ein paar Jahren Aufführungen der Oper gab, die als zu frivol angesehen wurden, was passieren kann, wenn eine Kurtisane (Giuletta) im dritten Akt mit im Spiel ist, sorgte Barlett Sher nicht nur dafür, dass sich auch Baletttänzer mit an den gezeigten gymnastischen Übungen beteiligten, sondern auch der eine oder andere Slapstick mit eingebaut wurde. Einer davon entstammt Disneyland in Anaheim. Hier hat Sher eine sehr bekannte Szene aus der Themenfahrt „Pirates of the Caribbean“ mit eingebaut — für solche kleine Spielereien liebe ich die Metropolitan Opera einfach!
Im zweiten Akt zeigte Barlett Sher, dass sie wie ich ein Fan von „Chitty Chitty Bang Bang“ ist, einer musikalischen Komödie, die Ken Hughes bereits 1968 inszenierte und noch heute immer wieder einmal im Fernsehen läuft; übrigens das gleichnamige Buch wurde von Ian Fleming geschrieben.
Barlett Shers Olympia ist eine Kopie der ins dortige Schloss eingedrungenen Truly Scrumptious, die im Film von Sally Ann Howes gespielt wird. Auf alle Fälle aber war Erin Morely, die die Olympia gab, sehr hörenswert, und ich musste erneut bedauern, dass ich ihren Höhenflügen einfach nicht mehr folgen konnte — was für eine Stimme!
„Belle nuit, ô nuit d’amour,
Jules Barbier, Auszug aus der „Barcarolle“
‘Souris à nos ivresses,
Nuit plus douce que le jour,
Ô belle nuit d’amour!“
One thought on “Hoffmanns Erzählungen”
„Chitty Chitty Bang Bang“ – eine britische Produktion von UA und nicht Disney, wie gerne geglaubt wird. Gleichwohl der Hauptdarsteller Dick van Dyke, der nächstes Jahr seinen 100sten feiert, in beiden Produktionen einer der Hauptdarsteller ist und auch Musik und Libretto jeweils aus der Feder der Sherman-Brüder stammen. Chitty hat mehr Gemeinsames mit James Bond und den Tollkühnen Männern (Fröbe, Hill, Llewelyn, …). „From the ashes of desaster grow the roses of success“ – Ehrensache, dass die DVD bei jedem Ingenieur im Regal steht. Und im O-Ton klingt es noch besser.
Übrigens gibt es vom Sandmann auch nette Fernseh-Produktionen wie z. B. 1983 mit dem jungen Christoph Waltz, den wir später – Zufall? – als bösen Bruder von 007 wieder sehen durften. 😎