Beitragsfoto: Sonnenaufgang in den Karpaten | © Vitalii Bashkatov auf Shutterstock
Trotz vollem Alltag schaffte es meine bessere Hälfte, mich heute ins Stadtbad zu schleppen, eine kleine Auszeit sozusagen. Im Sportbecken angekommen wurde ich freudig von zwei Schwimmmeistern begrüßt, die mich darauf aufmerksam machten, dass ich heute ohne jegliche Probleme meine Bahnen ziehen könne. Auch ich schaute erfreut auf das leere Becken und dann auch wieder ein wenig melancholisch drein, denn zehn Jahre Heilbronn blieben auch bei mir nicht ohne Folgen — ich bin nun nicht mehr flexibel und trainiert genug, um mich ganz spontan in die Fluten zu stürzen und meine Kilometer abzuspulen.
Und so wackelte ich vergnügt ins ebenfalls leere Außenbecken und genoss Sonne, Wasser und Ruhe — so lange, bis mich meine bessere Hälfte weckte und mich daran erinnerte, dass es heute noch genügend zu tun gibt.
Zwischenzeitlich wurde ich nicht nur von Thomas Michl gefragt, warum ich mich nicht zum heutigen Tag äußere, ein Tag, der nicht nur für uns Deutsche ein ganz besonderer ist — aber auch für all jene Deutsche, die ihre Staatsbürgerschaft nur geerbt, gekauft oder anderweitig bekommen haben. Für uns Deutsche, auch die künftigen, gilt die Aussage von Richard von Weizsäcker: „Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen.“ Wer dies nicht möchte, der sollte, nein, der müsste seine deutsche Staatsbürgerschaft zurückgeben!
Ich hatte zwei Großväter und einen Großonkel, die als deutsche Soldaten den Zweiten Weltkrieg überlebten, ein Großvater gehörte zur kämpfenden Truppe und war stolz darauf, die Moskauer Straßenbahn gesehen zu haben. Der andere Großvater schaffte es als Lebenskünstler, sich auch als Soldat von sämtlichen Kampfhandlungen fernzuhalten. Und der Großonkel sich gerade noch einmal als „Bilderbucharier“ und SS-Obersturmbannführer in Berlin durch Flucht der russischen Gefangenschaft zu entziehen.
Für alle drei war der 8. Mai 1945 befreiend! Mindestens einer der dreien empfand den Tag als Niederlage, was man durchaus verstehen kann. Bis heute aber kenne ich keinen einzigen Soldaten, der das Ende eines Krieges als bedrückend empfunden hat; selbst mein US-amerikanischer Onkel war als mehrfach dekorierter Offizier froh darüber, als der Vietnamkrieg zu Ende war.
Was uns nun aber zur eigentlichen Frage bringt, ob für uns Deutsche der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung ist oder nicht? Dies ist für uns Deutsche allerdings nur eine rein rhetorische Frage!
Wir alle sind Angehörige eines Staates und haben mit der Anerkennung unserer Staatsbürgerschaft auch dessen Grundlagen u. a. unser Grundgesetz akzeptiert — kein einziger Deutscher wird gezwungen, deutscher Staatsbürger zu sein! — was uns z. B. von der heute wieder so beliebten DDR unterscheidet.
Wer gerne sein vermeintliches Deutschtum ausleben möchte, der kann dies gerne in Ländern dieser Welt machen, wo weiterhin solche Menschen hoch geschätzt werden — mir fällt gerade nur keines ein.
Und wer als vermeintlich ethnisch Deutscher Deutschland für sich alleine haben möchte, der sollte sich erst einmal ganz genau umschauen. Mein Großonkel, noch am Ende seines Lebens gut 190 cm lang, drahtig, blauäugig und blond gelockt, merkte einmal an, dass er gerne wüsste, wo und wann die „Arier“ falsch abgebogen seien? Hätte er sich bereits in seiner Jugend einmal so richtig umgesehen, wäre ihm wohl vieles erspart geblieben.
Wer bereits als junger Mensch einer Wahnvorstellung hinterherläuft, der braucht überhaupt nicht mehr falsch abzubiegen, denn er war noch nie auf der richtigen Spur!
„Es ist ein großer Unterschied, ob jemand eine Verfehlung nicht begehen will, oder es nicht kann.“
Seneca, 14. Buch, 90. Brief (2023: 833)