Zeit für ein Gedicht

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Beitragsfoto: Kaffeegenuss | © Pixabay

Aktuell ist es kaum noch auszuhalten, denn jene, die die letzten fünf Jahre im Gemeinderat saßen, kämpfen erneut mit allen Mitteln darum, um weitere fünf Jahre mit dabei zu sein. Manche verlieren gar ihren letzten Nerv. Erstaunlich oder gar tragisch mit anzusehen ist es, wenn selbst jene um ihr doch so geliebtes Ämtchen kämpfen, die nicht einmal guten Glaubens sein können, dass sie die kommende Amtszeit noch in Gänze erleben werden.

Man könnte doch so leicht auch diesen armen Menschen helfen, wenn man einfach nur die Amtszeit auf zwei Perioden begrenzen würde; dabei spreche ich nicht einmal von weiteren kleinen entsprechenden Helferlein wie Transparenz und Leistungsnachweisen. Das hätte auch den großen Vorteil für alle, nämlich dass immer wieder frischer Wind in die alten Gemäuer käme und mittel- bis langfristig insgesamt die Qualität eines Gemeinderats besser werden würde, denn keiner könnte sich dann mehr darauf verlassen, sein gesamtes Leben möglichst bequem in einem Gemeinderat fristen zu können.

Da bekannter Weise menschliches Verhalten nur durch Katastrophen oder gar Kriege geändert werden kann, werden wir dennoch hoffentlich so schnell keine einzige Änderung erleben. Die dritte Alternative Vernunft und Bildung habe ich schon sehr lange für uns als völlig abwegig ausgeschlossen.

Deshalb heute dieses Gedicht von Christian Fürchtegott Gellert, der sein Gedicht gleich nach einem Stoiker benennt. Übrigens, im 18. Jahrhundert zählte Gellert zu den meistgelesenen Menschen seiner Zeit.

Epiktet

Verlangst du ein zufriednes Herz:
So lern′ die Kunst, dich stoisch zu besiegen,
Und glaube fest, daß deine Sinnen trügen.
Der Schmerz ist in der That kein Schmerz
Und das Vergnügen kein Vergnügen.
Sobald du dieses glaubst: so nimmt kein Glück dich ein
Und du wirst in der größten Pein
Noch allemal zufrieden sein.
„Das“, sprichst du, „kann ich schwer verstehen.
Ist auch die stolze Weisheit wahr?“
Du sollst es gleich bewiesen sehen;
Denn Epiktet stellt dir ein Beispiel dar.

Ihn, als er noch ein Sklave war,
Schlug einst sein Herr mit einem starken Stabe
Zweimal sehr heftig auf das Bein.
„Herr“, sprach der Philosoph, „ich bitt′ Ihn, laß Er′s sein,
Denn sonst zerschlägt Er mir das Bein.“ –
„Gut, weil ich dir′s noch nicht zerschlagen habe:
So soll es“, rief der Herr, „denn gleich zerschlagen sein.“
Und drauf zerschlug er ihm das Bein.
Doch Epiktet, anstatt sich zu beklagen,
Fing ruhig an: „Da sieht Er′s nun!
Hab′ ich′s Ihm nicht gesagt, Er würde mir′s zerschlagen?“

Dies, Mensch, kann Zenos Weisheit thun!
Besiege die Natur durch diese starken Gründe.
Und willst du stets zufrieden sein:
So bilde dir erhaben ein,
Lust sei nicht Lust und Pein nicht Pein.
„Allein“, sprichst du, „wenn ich das Gegenteil empfinde,
Wie kann ich dieser Meinung sein?“
Das weiß ich selber nicht; indessen klingt′s doch fein,
Trotz der Natur sich stets gelassen sein.

Christian Fürchtegott Gellert, Gellerts moralische Gedichte und Lieder, Karlsruhe (1774)

Mit Zenon von Kition und Epiktet führt Christian Fürchtegott Gellert gleich zwei Stoiker in seinem Gedicht mit auf, was besonders Detlef Stern freuen dürfte.

„Man ist ja nicht nur, was und wieviel man aus sich selber macht, man ist auch, was und wieviel die anderen aus einem machen.“

Walter HAllstein, Die Europäische Gemeinschaft (1973: 398)

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