Beitragsfoto: Kaffeegenuss | © Pixabay
Immer noch das Bild des letzten Blog-Beitrags im Kopf, muss ich einfach an ein Gedicht von Erich Kästner denken — manche Verknüpfungen lassen einen nur wundern. Dann aber wunderte ich mich sogleich darüber, dass ich dieses Gedicht nicht sofort im Weblog fand; es muss wohl einem „Update“ zum Opfer gefallen sein.
Warum die drei Männer überhaupt auf den Schienen entlang gehen, ist mir dabei durchaus bewusst; auch ich marschierte einmal mit einem Kameraden (10,6 Sekunden auf 100 Meter, allerdings auf der Tartanbahn) den Schienen entlang. Warum ich dabei aber auf das Gedicht von Erich Kästner „Das Eisenbahngleichnis“ komme, kann ich nun nicht so richtig nachvollziehen.
Aber egal, hier nun das Gedicht.
Das Eisenbahngleichnis
Wir sitzen alle im gleichen Zug
und reisen quer durch die Zeit.
Wir sehen hinaus. Wir sahen genug.
Wir fahren alle im gleichen Zug.
Und keiner weiß, wie weit.Ein Nachbar schläft, ein andrer klagt,
ein dritter redet viel.
Stationen werden angesagt.
Der Zug, der durch die Jahre jagt,
kommt niemals an sein Ziel.Wir packen aus, wir packen ein.
Wir finden keinen Sinn.
Wo werden wir wohl morgen sein?
Der Schaffner schaut zur Tür herein
und lächelt vor sich hin.Auch er weiß nicht, wohin er will.
Er schweigt und geht hinaus.
Da heult die Zugsirene schrill!
Der Zug fährt langsam und hält still.
Die Toten steigen aus.Ein Kind steigt aus, die Mutter schreit.
Die Toten stehen stumm
am Bahnsteig der Vergangenheit.
Der Zug fährt weiter, er jagt durch die Zeit,
und keiner weiß, warum.Die erste Klasse ist fast leer.
Ein feister Herr sitzt stolz
im roten Plüsch und atmet schwer.
Er ist allein und spürt das sehr.
Die Mehrheit sitzt auf Holz.Wir reisen alle im gleichen Zug
Erich Kästner, Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke (1936)
zur Gegenwart in spe.
Wir sehen hinaus. Wir sahen genug.
Wir sitzen alle im gleichen Zug
und viele im falschen Coupé.
Das Gedicht wurde erstmals 1931 in der Zeitschrift „Simplicissimus“ veröffentlicht. Ich hoffe, es gefällt meinen Lesern so gut wie mir selbst.
2 thoughts on “Zeit für ein Gedicht”
Vielleicht fährt der Zug ja in Dürrenmatts Tunnel …
21 Jahre Verspätung schafft nicht einmal die Deutsche Bahn 😉