Neusprech

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Beitragsfoto: Buchseite aus 1984 | © George Orwell

1949 war das „Newspeak“ von George Orwell noch eine reine Vorahnung auf das, was uns Menschen noch bevorstehen wird. Auch wenn sich Orwells Befürchtungen bisher nur in Ansätzen und auch nicht in allen Ländern dieser Welt durchgesetzt haben, so muss man doch eingestehen, dass sein Neusprech immer mehr an Bedeutung gewinnt und dessen Einführung in vielen Sprachen — ganz besonders im Deutschen — immer weiter an Schwung aufnimmt; wahrscheinlich hilft uns Deutschen dabei die generelle Affinität zu allem Totalitären — deswegen ist das Neusprech gerade auch bei unserer Jugend so sexy!

Das Neusprech ist inzwischen die Bezeichnung für Sprachformen oder sprachliche Veränderungen, welche unsere Sprachen manipulieren und ganz bewusst so ändern, dass damit Tatsachen verborgen werden oder rein ideologische und damit die politischen Ziele der Befürworter des Neusprechs verschleiert werden können. Darüber hinaus sollen durch eine regelrechte Sprachplanung und eine durch die Politik veranlasste Sprachveränderung sämtliche sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten beschränkt und letztendlich damit auch die Freiheit des Denkens aufgehoben werden.

Angefangen hat diese Entwicklung mit den Spracheuphemismen, wobei die „Raumpflegerin“ oder das „Verteidigungsministerium“ noch zu den erträglicheren Veränderungen gehören, die tatsächlich aber rein der Tatsachenverschleierung dienen.

Schlimmer wurde es als man damit begann, aus fast jedem Hilfsarbeiter einen Assistent Manager zu machen oder getreu dem Motto einer heute noch bekannten Volkspartei „Bildung darf nicht anstrengen!“ sämtliche Bildungsabschlüsse ad absurdum führte.

Von da aus war es nicht mehr weit, um durch Sprachverbote — genauer gesagt durch das Verbot, bestimmte Wörter in unserer Sprache zu benutzen — die deutsche Sprache und das damit einhergehende Denken weiter einzuschränken.

Etliche Kinderbücher dürfen inzwischen nicht mehr vorgelesen werden, bevor sie nicht sprachlich angepasst wurden — und damit meine ich nicht an die derzeit gültige Rechtschreibung.

Inzwischen werden schon Normalbürger regelrecht kriminalisiert, nur weil sie an ihrer Muttersprache und althergebrachten Begrifflichkeiten oder gar gesellschaftlichen Konventionen festhalten.

Der krönende Abschluss, um unser Deutsch völlig durch das Neusprech zu ersetzen ist nicht, dass es inzwischen nur noch den Infinitiv, den Nominativ und den Akkusativ gibt, sondern dass man nunmehr auch dem grammatikalischen Geschlecht der Nomen den Garaus macht.

Das Drollige dabei ist die Begründung, dass man damit den Sexismus ausrotten möchte, wobei dieser doch gerade auch in jenen Sprachen vorhanden ist, deren Nomen über kein grammatikalisches Geschlecht verfügen; dies ist dann aber auch der Beweis, dass es den Befürwortern des Neusprechs nicht um Emanzipation oder Mündigmachung der Bürger geht, sondern gerade um das Gegenteil, nämlich durch sprachliche Veränderung dem Totalitarismus die Steigbügel zu halten.

Niemals hätte ich daran gedacht, dass wir uns, indem wir uns immer weiter vom Jahr 1984 entfernen, damit zugleich auch immer weiter an dasselbe annähern.

Bei George Orwell mussten noch Eurasien und Ostasien als Sündenböcke herhalten, um den „Großen Bruder“ zu lieben, bei uns reicht bereits das grammatikalische Maskulinum aus, um einer ganz neuen alten Welt den Weg frei zu machen.

„But it was all right, everything was all right, the struggle was finished. He had won the victory over himself. He loved Big Brother.”

George Orwell, Nineteen Eighty-Four (2009: 1175)

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