Deutsche Ansprache

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Beitragsfoto: Ein Appell an die Vernunft

Geschichte wiederholt sich sicherlich nicht, aber da wir Menschen seit einigen Tausend Jahren immer noch dieselben sind, weil die Evolution langsamer verläuft, als wir es uns vorstellen können, handeln wir Menschen in ähnlichen Situationen wie bereits schon unsere Vorfahren. Schon alleine deswegen lohnt sich auch immer wieder der Blick zurück auf unsere Menschengeschichte.

Vor gar nicht allzu langer Zeit — es gibt noch Zeitzeugen — fanden in Deutschland Wahlen statt und zwar die Reichstagswahl am 14. September 1930. Damals kam die SPD als stärkste Partei auf 24,5 %, das Zentrum in einer Union mit der Bayerischen Volkspartei bekam 14,8 % und die Kommunisten 13,1 %. Die liberalen Parteien dümpelten zwischen 3 % und 5 % herum, wobei sie noch von der rechten Ecke mit 7 % überholt wurden. Der damalige Schock war aber der Zugewinn von 15,5 % der Wählerstimmen, welcher die Nationalsozialisten bei dieser Wahl mit insgesamt 18,3 % auf den zweiten Platz hinter der SPD katapultierte.

Thomas Mann, ein ausgewiesener und noch heute anerkannter Bildungsbürger, nahm diesen Schock zum Anlass, um im Zuge einer Autorenlesung in Berlin dort dann auch und zwar im Beethovensaal am 17. Oktober 1930 eindeutig zum Wahlausgang Stellung zu beziehen. Noch heute gehört sein Appell an die Vernunft zu seinen politischsten Werken, wobei mir ganz persönlich diese seine „Deutsche Ansprache“ Thomas Mann näher gebracht hat, als es seine „Buddenbrooks: Verfall einer Familie“ aus dem Jahr 1901 jemals vermochten. Tragischer Weise handeln beide Werke vom gesellschaftlichen Verfall, den der Literaturnobelpreisträger von 1929 schon sehr lange vorausgesehen hatte.

Thomas Mann hielt diese Rede oft unterbrochen von besorgten Bürgern und Menschen in SA-Uniformen und musste vor diesen am Ende seiner Rede flüchten. 1933 ging er ins Exil und konnte sich auch nach 1945 nicht mehr so richtig mit seinen Landsleuten anfreunden — er hatte wohl erkannt, dass die besorgten Bürger weiterhin ihr Unwesen trieben, diese hatten einzig und alleine nur ihre Hemden gewechselt.

Der S. Fischer Verlag brachte Manns Rede noch 1930 in einem kleinen, nicht einmal DinA 5 großen Heftchen heraus. Auf 31 Seiten nimmt Thomas Mann eindeutig Stellung und lobt dabei auch die Sozialdemokraten, die nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg Verantwortung übernommen haben und sich nicht wie die für diesen Krieg tatsächlich Verantwortlichen einfach nur davonstahlen. Bemerkenswert auch seine Analyse, dass die Pariser Verträge eine Demokratie in Deutschland fast unmöglich machen und so schnell wie möglich diese angepasst sowie auch die Reichsfinanzen saniert werden müssen.

Als deutschen ja gar europäischen Schicksalsschlag sieht er den viel zu frühen Tod im Jahr zuvor von Gustav Stresemann an, einem liberalen Politiker, der von der SPD gestützt wurde und fast eine friedliche Revision des Versailler Vertrages erreicht hätte. Auf jeden Fall aber brachte er Deutschland bereits 1926 — acht Jahre nach Kriegsende — in den Völkerbund. Sein Tod darf als Anfang vom Ende der Weimarer Republik gesehen werden.

Thomas Mann nimmt in seiner Rede kein Blatt vor den Mund und erklärt, dass „der Ausgang der Reichstagswahlen nicht rein wirtschaftlich erklärt werden [kann]“ (1930: 11). Er erkennt, wie übrigens die Föderalisten auch, dass der Nationalismus die größte Gefahr für jede Demokratie ist. Und dieser Nationalismus, gepaart mit dem Verlust sämtlicher bürgerlicher Werte, schafft „eine neue Seelenlage der Menschheit, die mit der bürgerlichen und ihren Prinzipien: Freiheit, Gerechtigkeit, Bildung, Optimismus, Fortschrittsglaube, nichts mehr zu schaffen [hat]“ (1930: 15).

„Gespeist also von solchen geistigen und pseudogeistigen Zuströmen, vermischt sich die Bewegung, die man aktuell unter dem Namen des Nationalsozialismus zusammenfaßt und die eine so gewaltige Werbekraft bewiesen hat, vermischt sich, sage ich, diese Bewegung mit der Riesenwelle exzentrischer Barbarei und primitiv-massendemokratischer Jahrmarktsroheit, die über die Welt geht, als ein Produkt wilder, verwirrender und zugleich nervös stimulierender, berauschender Eindrücke, die auf die Menschheit einstürmen.“

Thomas MAnn (1930: 17)

Zum Schluss seiner Rede prophezeit er nach heutigem Wissen, dass es unser Unglück bedeutet, wenn die bürgerlichen Glücksansprüche wie Freiheit, Geistigkeit, Kultur keine Lebensmöglichkeit mehr besitzen.

Und was damals schon gegolten hat, das gilt auch heute noch!

Wir Demokraten, vom Bildungsbürger bis hin zum Arbeiter, wissen alle, was wir zu tun hätten. Wir wissen auch, was geschieht, wenn wir dies unterlassen. Es liegt an uns, was mit unserem Land, Europa und der Welt geschieht. Es ist an der Zeit, dass wir uns alle wieder besinnen, einer nach dem anderen und zu jenen Werten zurückkehren, die jedes Land und jede Gesellschaft nach vorne bringen. Dazu gehören auch Fleiß, Ehrlichkeit und Anstand.

Und in diesem Sinne sollte man heute Thomas Manns Rede, gehalten im Advent des größten Unglücks der bisherigen Menschengeschichte, verstehen. Wir allesamt — ob Deutscher oder nicht — können uns kein weiteres solches Unglück erlauben!

Hier nun ein Mehrwert für meine Leser.


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Weitersagen:

  • Und wie sagte Orson Welles in „The Third Man“ ?
    „In Italy, for thirty years under the Borgias, they had warfare, terror, murder and bloodshed, but they produced Michelangelo, Leonardo da Vinci and the Renaissance. In Switzerland, they had brotherly love, they had five hundred years of democracy and peace – and what did that produce? The cuckoo clock.“