Wirkmacht stärken

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Beitragsfoto: Bürger | © Ints Vikmanis, Shutterstock

Eine Bürgerbewegung wird nicht zu einer solchen, weil sich dort Bürger bewegen, sondern einzig und alleine, weil diese darin organisierten Bürger Herausforderungen annehmen, ergo diese Herausforderungen bewegen und die Gesellschaft damit insgesamt verändern.

Eine solche Bürgerbewegung sind die Europäischen Föderalisten, zumindest waren sie es bis zum Ende der 1950er-Jahre einmal. Ihre Wirkmacht hat sich 1948 am deutlichsten bemerkbar gemacht, als europäisch gesinnte Bürger aus ganz Europa und weit darüber hinaus in Den Haag zusammenkamen und letztendlich die Berufspolitik zwangen, die Welt für immer zu verändern.

Historiker der jüngeren Zeitgeschichte fragten sich von Anfang an, ob es den Föderalisten gelänge, in unseren Gesellschaften die Wirksamkeit zu erreichen, die der Liberalismus, der Patriotismus oder gar der Nationalismus sowie die unterschiedlichen Pan-Bewegungen vorab erzielten.

Nicht nur Kirian Klaus Patel zieht in seinem Buch „Projekt Europa — eine kritische Geschichte“ heute das Fazit, dass zwar 1945 fast alle Europäer keinen Krieg mehr wollten, aber auch zum überwiegenden Teil an einer Lösung dieses Problems, nämlich durch die Europäische Idee, kaum Interesse zeigten, sondern einzig und alleine an deren positiven Auswirkungen für das eigene, ganz persönliche Wohlergehen.

So waren es die Europäischen Föderalisten, welche sich ganz im Bewusstsein, nunmehr die richtige Lösung für die meisten gesellschaftlichen Probleme zu haben, vehement für Freiheit, Demokratie und Föderalismus einsetzten und die Vereinigten Staaten von Europa forderten. In den Anfangsjahren gelang es ihnen sogar immer wieder, Hunderttausende Mitbürger für diese Idee zu gewinnen und diese Bürger sogar auf Straßen und Plätzen in ganz Europa für proeuropäische Aktionen zu versammeln.

Die Optimisten unter den Föderalisten sahen sich damit als größte europäische Bürgerbewegung bestätigt und schufen im Glauben, die meisten Mitbürger hinter sich zu wissen, nicht nur neue Ideen wie zum Beispiel den Kommunalismus, Städtepartnerschaften oder eine Stärkung der Regionen, sondern auch Fakten, indem sie die Berufspolitik zu immer weiteren Zugeständnissen in Richtung eines europäischen Bundesstaates und allgemein gültiger Menschen- als auch europäischer Bürgerrechte zwangen.

Die Berufspolitik ging anfangs auch ohne Wenn und Aber auf die Forderungen der Föderalisten ein, konnte sich aber über die vergangenen Jahrzehnte hinweg mit dieser Europa und unsere Demokratien begründenden Bewegung und deren Ideen dahingehend verständigen, dass diese Ideen zwar von beiden Seiten als grundsätzlich gültig anerkannt wurden, aber die daraus resultierenden und notwendigen Maßnahmen und Umsetzungen weiter ausdifferenziert, bürokratisiert und in Endlosschleifen demokratischer und administrativer Prozesse gebracht wurden.

Damit konnte die Berufspolitik dem Bürger wieder das Initiativrecht entziehen und gewann zudem ihre Eigenständigkeit zurück. Dieses Spiel wurde gleich zu Beginn von einigen Bürgern — Altiero Spinelli sei hier beispielgebend genannt — erkannt, und die Zivilgesellschaft versucht bis heute vergeblich, die Initiative zurückzugewinnen.

Liebhaber administrativer Prozesse und von Institutionen bei den Europäischen Föderalisten sahen dies allerdings anders und propagierten den Sonderweg der Teilhabe, nämlich als Verband auf die Berufspolitik beständig einzuwirken und damit in einer Art Partnerschaft die gemeinsamen Ziele zu erreichen. Über Jahrzehnte hinweg wurde dieses System durch Kooptionen, Parlamentariergruppen oder dem Wechsel von Verbands- zu Parlamentsarbeit und wieder zurück, nur um einige Beispiele zu nennen, weiter ausgebaut, verfeinert und damit institutionalisiert.

Aber auch in diesem Modell behielt die Berufspolitik weiterhin die Initiative, da sie administrativ immer besser aufgestellt ist, als es die Bürgerschaft jemals selbst sein kann. Erschwerend kommt hinzu, dass im Gegensatz zu den Europäischen Föderalisten die Berufspolitik ihre Ideen und Ziele nicht an der Europäischen Idee an sich ausrichtet, sondern einzig und alleine an der derzeitigen und vermeintlichen Mehrheitsmeinung; was in dieser Partnerschaft dazu führte, dass die Europäischen Föderalisten — ins System eingebunden — ihre ureigene Wirkmacht in der Bevölkerung und damit auch auf die Politik einbüßten und deshalb eher die Berufspolitik auf die Europäischen Föderalisten als umgekehrt Einfluss nahm.

Somit lässt sich auch erklären, warum manche Ziele bis heute nicht erreicht werden konnten, und wenn diese auch nach 70 Jahren zumindest noch von Teilen der Bürgerschaft eingeklagt werden, mit dem lapidaren Hinweis „Rom wurde auch nicht an einem Tage erbaut“ erneut ad acta gelegt werden.

Die Realisten in der Bürgerbewegung geben dabei gerne zu Protokoll, dass damit doch die Mehrheitsmeinung, wenn nicht gar Überzeugung von 1945, dass es seither keinen Krieg — zumindest bei uns — mehr gab, erfüllt sei, und sich die Europäischen Föderalisten auch bis heute nicht — oder nicht mehr — über das Endergebnis, wie die Vereinigten Saaten von Europa letztendlich aussehen sollen, einig sind.

Die Optimisten in der Berufspolitik geben hingegen zu Protokoll, dass die Europäischen Föderalisten gerne der Berufspolitik gleich mehrere vollständig ausgearbeitete und zusätzlich mit Funktionsgarantie versehene Alternativen präsentieren könnten, über die dann von den Parlamentariern abzustimmen wäre.

Letztendlich würde damit eine weitere Schleife in der Entstehungsgeschichte eines vereinten Europas hinzugefügt werden, die gut und gerne weitere Jahrzehnte Stoff für Diskussionen bietet und sowohl Verantwortlichkeiten als auch Zuständigkeiten erneut verwässert.

Erschwerend kommt heute hinzu, dass es im Gegensatz zum Krieg oder dessen Abwesenheit Probleme und Herausforderungen gibt, die sich nicht mit Endlosschleifen institutioneller und parlamentarischer Arbeit lösen lassen und welche sich auch nicht von selbst lösen werden, wie Umwelt & Klimawandel oder Ressourcenknappheit & Bevölkerungswachstum von aktuellen Pandemien ganz zu schweigen.

Deshalb ist es nunmehr an der Zeit, dass wir Europäischen Föderalisten auf unsere Idee und unsere Konzepte bestehen, sowohl die Vereinigten Staaten von Europa als auch eine Bundesverfassung für Europa bei unseren Mitbürgern bewerben und bei der Berufspolitik wieder einklagen. Und sobald wir mit unseren funktionierenden Ideen wieder Wirkmacht erreichen, wird auch die Berufspolitik handeln und uns Bürgern entsprechend ausgearbeitete Vorschläge und Modelle anbieten, schon alleine deswegen, um selber wieder die Initiative zurückgewinnen zu können.

Dieses Mal dürfen wir allerdings unsere Volksvertreter ganz im Besonderen und die Berufspolitik im Allgemeinen nur dann vom Haken lassen, wenn beide definitiv auch geliefert haben!

Wir wollen die Vereinigten Staaten von Europa! Und unser Motto bleibt dabei weiterhin: Ein vereintes Europa in einer vereinten Welt.

„Von einem gewissen Punkt an gibt es keine Rückkehr mehr. Dieser Punkt ist zu erreichen.“

Franz Kafka, Beim Bau der Chinesischen Mauer, Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg (1931, 5)

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