Yourope – wir alle sind Europa!

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Beitragsfoto: Europakarte mit Netzwerk | © TheAndrasBarta auf Pixabay 

Beim diesjährigen Neujahrsempfang der Kreisjugendreferentin des Hohenlohekreises, Frau Yasemin Serttürk, und dem Forum Jugend hielt ich im Hohenloher Integrationszentrum einen Vortrag zum Thema “Yourope”.

Der Neujahrsempfang war dank des Engagements von Frau Yasemin Serttürk rundum eine sehr gelungene Veranstaltung. Gerne gebe ich Interessenten die Gelegenheit, um den Vortrag nochmals nachzulesen.

„Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich sehr, heute bei Ihnen zu Gast sein und gleich dazu noch einen Vortrag halten zu dürfen.

Das „Forum Jugend“, welches zusammen mit Frau Yasemin Serttürk diesen Neujahrsempfang der Jugendarbeit im Hohenloher Integrationszentrum ausrichtet, hat mir als dem diesjährigen Vortragenden dankbarer Weise nicht nur sehr viel Spielraum eingeräumt, sondern mit dem Stichwort „Yourope“ – einem meines Erachtens äußerst gut gelungenem Wortspiels – auch dafür gesorgt, dass mein Interesse, bei Ihnen den heutigen Vortrag zu halten, sofort geweckt wurde.

Unter diesem Namen war ein Redaktionsteam von ARTE sieben Jahre lang in Europa unterwegs, um den jugendlichen Zuschauern die Vielfalt Europas einmal auf eine etwas andere Art näherzubringen.

Und noch heute gibt es eine Organisation dieses Namens, welche sich zum Ziel gesetzt hat, die unterschiedlichsten Open-Air-Konzerte und Festveranstaltungen für unsere Jugend in ganz Europa zu vernetzen.

Mein Vortragsziel ist es, zusammen mit Ihnen etwas über unser „Yourope“ und den weiteren mir gegebenen Stichworten Jugendliche & Europa, gemeinsame Werte & Solidarität sowie politische Bildung & Demokratie zu reflektieren und Ihnen dabei in den kommenden knapp 20 Minuten ein paar Gedanken mit an die Hand zu geben, die Sie gerne auch im Anschluss mit mir diskutieren können.

Ich würde mich sehr freuen, wenn mein Vortrag und die sich daran anschließende Diskussion Ihnen später noch in Erinnerung bleibt und zu weiterem Nachdenken führt.

Beginnen möchte ich mit einer kurzen Vorstellung meiner Person und der Bürgerbewegung, welche ich vertrete, um zu erklären, warum ich hier und heute zu Ihnen spreche.

Danach möchte ich darüber nachdenken, wo wir heute als Menschen und Bürger Europas stehen. In einem nächsten Schritt klären, was Europa überhaupt ist, um – last but not least – die Frage aufzuwerfen, wo wir als Menschen eigentlich hinwollen.

Warum spreche zu Ihnen?

Als überzeugter und auch bekennender Europäer bin ich seit gut 12 Jahren Vorsitzender des Kreisverbandes Heilbronn der EUROPA-UNION Deutschland und vertrete damit im Stadt- und Landkreis Heilbronn die größte Bürgerbewegung für ein Europa in Vielfalt geeint.

Aufgrund der Tatsache, dass der Kreisvorsitzende der EUROPA-UNION Main-Tauber/ Hohenlohe, Herr Dr. Ulrich Derpa, aus terminlichen Gründen verhindert ist, habe ich ganz im Sinne guter Nachbarschaft, meine Unterstützung angeboten. Sehr gerne richte ich die Grüße von Herrn Derpa, verbunden mit den besten Wünschen für das neue Jahr aus und schließe mich diesen von ganzem Herzen an.

Einige von Ihnen werden sich jetzt fragen, was ist die EUROPA-UNION überhaupt?

Die EUROPA-UNION ist der Zusammenschluss hunderter Orts- und Kreisverbände Europäischer Föderalisten, welche sich als gemeinnützige Vereine mit derzeit gut 17 000 Mitgliedern zusammengeschlossen haben und damit die Union Europäischer Föderalisten in Deutschland vertreten.

Der Name EUROPA-UNION, welcher inzwischen nur noch in Deutschland geführt wird, ist der Entstehungsgeschichte unserer Bewegung geschuldet und hat nichts mit den Unionsparteien zu tun.

Sie haben mit Sicherheit bereits von vielen Europaorganisationen gehört. Zurzeit ist „Pulse of Europe“ in aller Munde. Auch gibt es die „Freunde Europas“, „Laute Europäer“, „Europa-Clubs“ und viele andere Gruppen, die sich Europa auf die Fahnen geschrieben haben. Selbst wir Bürger, für die Europa seit Jahrzehnten ein Steckenpferd ist, haben hierbei schon lange die Übersicht verloren.

Deswegen ist es bestimmt auch für Sie von Interesse, mehr über die Entstehungsgeschichte der größten Bürgerbewegung für Europa zu erfahren. Menschen, die sich für unser Europa einsetzen und auch ein gemeinsames Europa herbeiführen möchten, gibt es nachweislich seit Jahrhunderten. Ich behaupte sogar, von Anbeginn der Menschheitsgeschichte selbst.

Mit Beginn der Erfolgsgeschichte der Vereinigten Staaten von Amerika wurde die Forderung nach einem geeinten Europa immer lauter und nach dem 1. Weltkrieg begannen sich die an einem gemeinsamen Europa interessierten Bürger immer mehr zu organisieren.

So wurde 1922 in Wien die Paneuropa-Union und gleich darauf 1923 in der Schweiz die Europa-Union als deren bürgerlicher Gegenpol gegründet. Beide Verbände wurden 1933 verboten und ihre Mitglieder gingen in die innere Emigration, ins Exil oder in den Untergrund.

Während des Krieges kam es unter der Federführung europäischer Kommunisten zu mehreren Zusammenkünften von Vertretern aller europäischen Widerstandbewegungen in der Schweiz, wobei auch Vertreter der Europäischen Föderalisten von Anfang an beteiligt waren.

Diese Treffen führten 1946 zur Verabschiedung des Hertensteiner Programmes, dem bis heute gültigen Grundsatzdokument aller Europäischen Föderalisten.

Die Europäischen Föderalisten, welche von Anfang an die Weltunion im Blick hatten und dabei einen föderalen europäischen Bundesstaat als fundamental ansehen, stießen auf sehr großes Interesse bei den Bürgern Europas, mussten sich aber von Anfang an mit den Europäern Churchills, die eher einen europäischen Staatenbund anvisierten und den Europäern de Gaulles, welche einen europäischen Zentralstaat oder alternativ ein „Europa der Vaterländer“ anstrebten, auseinandersetzen.

Im Zuge dieser bis heute geführten Auseinandersetzung kam es dann 1948 zu einem Zusammenschluss der meisten Europaverbände unter dem Dachverband der Europäischen Bewegung International. Dem Geschick Churchills ist es dabei geschuldet, dass sich bis heute weder die französischen Zentralisten noch die Anhänger eines föderalen Bundesstaates durchsetzen konnten.

Auf den Punkt gebracht, vor Ihnen steht kein Vertreter eines „Europa-Fan-Clubs“, sondern ein Befürworter eines föderalen Bundesstaates, den zukünftigen Vereinigten Staaten von Europa oder wie auch immer die Europäische Union dann auch heißen mag.

Wo stehen wir heute?

Die meisten von uns gehören nicht der Generation an, die noch in den 50er Jahren Schlagbäume weggetragen hat oder mit wehenden Europafahnen – Spötter nannten sie damals „Churchills Unterhosen“ – gegen die Nationalstaaten und für Europa zu Tausenden auf die Straße gingen.

Wir sind die Generation, die die ersten Früchte eines immer weiter zusammenwachsenden Europas ernten durfte. Schüleraustausche, Partnerstadtaufenthalte oder das Interrail-Ticket gehören zu unserer gemeinsamen Jugenderinnerung.

Unserer eigenen Jugend liegt bereits die gesamte Welt zu Füßen. Ohne Reisepass oder Geldumtausch kann man sich fast einen gesamten Kontinent erfahren oder erfliegen – Möglichkeiten von denen unsere Großeltern in ihren kühnsten Träumen nicht zu denken wagten!

Und für uns? Wirkliche Armut kennen wir nur noch aus dem Fernsehen und vielleicht von Fernreisen. Verstehen Sie mich bitte jetzt nicht falsch! Auch bei uns gibt es noch arme Menschen, aber dass jemand verhungert, ist in der Europäischen Union nur noch ein äußerst tragisches Einzelschicksal.

Auch wir Europäer sterben. Ohne jetzt die exakten Zahlen zu kennen, behaupte ich, dies eher an zu viel Nahrung und zu wenig Bewegung als an Unterernährung oder Überarbeitung. Verkehrsunfälle töten bei uns mehr Menschen als Raubüberfälle oder Streitigkeiten.

Wir Europäer haben noch nie so sicher, so komfortabel und so freizügig wie heute gelebt. Ganz zu schweigen von den Möglichkeiten, die sich uns allen erschließen.

Vielleicht weiß man das nur noch zu schätzen, wenn man eine Zeit lang in Asien oder Afrika lebt und dort sieht, wie die Menschen von der Hand in den Mund leben müssen und abends nicht wissen, wie und ob sie den nächsten Tag überleben werden.

Krieg ist für die meisten Europäer schon so lange Geschichte, dass manche schon wieder davon anfangen, über Krieg als etwas Notwendiges zu sinnieren.

Bei aller berechtigter Kritik und mit Sicherheit auch sehr gravierenden Mängeln leben wir in einer heilen Welt. Und diese haben wir den grundsätzlichen Entscheidungen überzeugter Europäer aus den Jahren 1945 bis 1950 zu verdanken: die Vereinten Nationen, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Organisation des Nordatlantikvertrags (NATO), den Europarat, die Europäischen Bürgerrechte, unser Grundgesetz und die Europäische Union sowie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.

Auch wenn diese Organisationen, Verträge und Gesetze nie ihre ursprünglich intendierte Funktion oder Tragweite erreicht haben, haben sie doch für uns das Umfeld geschaffen, in dem wir heute so gut leben.

Lassen Sie es mich noch deutlicher ausdrücken. Unsere Bundesrepublik, das „deutsche Wirtschaftswunder“, den „Exportweltmeister“ Deutschland, unseren Wohlstand, die Wiedervereinigung Deutschlands und wahrscheinlich auch alle anderen Leistungen und Verdienste auf die wir so stolz sind, hätte es ohne die „westliche Welt“ und den europäischen Einigungsprozess nie gegeben!

Und ich behaupte darüber hinaus, dass es die Probleme und Herausforderungen, welche uns derzeit immer stärker bewusstwerden – lassen Sie mich hier exemplarisch die zunehmenden Migrationsbewegungen in Europa und nach Europa hinein erwähnen – , nicht gäbe, wenn wir die europäische Idee der Weltunion und die damals getroffenen Grundsatzentscheidungen in den letzten 70 Jahren auch umgesetzt hätten, anstatt weiter in nationalen Begrenzungen zu denken und zu handeln.

Was ist Europa überhaupt?

Beginnen wir damit, was Europa nicht ist. Wahrscheinlich zum Leidwesen vieler Erdkundelehrer: Europa ist kein Kontinent. Und bestimmt zum Leidwesen der meisten Schüler: Alles was einfach ist, ist nicht Europa!

Europa ist eine Idee, die Idee von einer Weltunion in der alle Menschen friedlich miteinander leben, föderal gegliedert in Gemeinschaften, die den unterschiedlichen Lebensweltbezügen der jeweiligen Menschen besser gerecht werden.

Europa ist eine Wertegemeinschaft, eine Gemeinschaft von Menschen und Völkern, die über die vergangenen Jahrtausende gemeinsame Werte herausgebildet haben, an die sie glauben und nach denen sie ihr Leben ausrichten möchten: Frieden, Freiheit, Gleichheit, Demokratie, Menschenrechte, Subsidiarität und Solidarität.

Europa ist eine Rechtsgemeinschaft, eine Gemeinschaft in der Recht, egal auf welche Ebene, für alle gleich orientierend, integrierend und legitimierend wirkt. Das Recht ist das einigende Band Europas.

Auf einen einfachen Nenner gebracht: Europa ist Arbeit.

Zum einen kontinuierliche Überzeugungsarbeit, um die Mitbürger von der „Idee Europa“ zu begeistern und diese den Menschen dabei auch verständlich zu machen.

Zum andern aber noch viel mehr Arbeit, um unsere europäischen Werte nicht nur zu vertreten und zu vermitteln, sondern auch höchst selbst zu leben. Europa ist somit Bildungsarbeit, Jugendarbeit, Sozialarbeit und vor allem aber auch Arbeit an sich selbst, die eigene Person im Laufe des Lebens zu einem besseren Menschen zu machen.

Und noch mehr Arbeit, wenn man sowohl dem Recht als auch allen Bürgern „gerecht“ werden möchte. Die hierzu notwendigen Institutionen und Organe sind vielfältig und umfangreich und ein „Marsch durch die Instanzen“ kann Jahre dauern.

Wie schon gesagt, Europa ist nicht einfach. Und wer die Welt verändern möchte, fängt immer am besten gleich bei sich selber an.

Ich bin davon überzeugt, hier bei Ihnen auf offene Ohren zu stoßen. Viele von uns leben bereits Europa in seiner besten Form, und dies ohne sich darüber noch allzu groß den Kopf zu zerbrechen – sie erarbeiten sich Europa jeden Tag immer wieder aufs Neue.

Europa ist nicht Utopia! Europa ist eine permanente und immerwährende Baustelle.

Wir werden wahrscheinlich nie damit fertigwerden. Und das Besondere, wenn nicht gar Liebenswerte an der Baustelle Europa ist, dass die einen bereits am Dach bauen, während die anderen noch am Fundament oder am Keller werkeln. Wieder andere reißen bereits die Garagen ein, da sie diese für nicht mehr zweckmäßig erachten. Und wir Europäischen Föderalisten wundern uns von jedem Tag aufs Neue, warum unsere Rosenbeete ums Haus herum immer wieder niedergetrampelt werden.

Europa ist auch nicht der Turmbau zu Babel, welcher den Unmut Gottes hervorrief und, in Folge davon, an der Sprachenvielfalt scheiterte.

Europa baut gerade auf dieser Vielfalt auf und wenn es scheitert, dann scheitert Europa an uns Menschen! An uns Menschen dann, wenn wir der Trennung, der Diskriminierung, der Ausgrenzung, dem Neid, der Intoleranz und anderen Widerlichkeiten menschlicher Eigenarten das Wort reden, anstatt unsere Mitmenschen zu umarmen und zu versuchen, gemeinsam zum Wohle aller unsere eine Welt und damit auch uns selber besser zu machen!

Lassen Sie mich deshalb zum Schluss meines Vortrages die Frage aufwerfen:

Wo möchten wir hin?

Wollen wir eine bessere Welt? Dann sind wir bereits mit Europa auf dem richtigen Wege!

Diese bessere Welt gibt es aber nicht umsonst! Und unser Europa ist auch nur der kleinere Teil davon. In ein paar Jahren sind wir Europäer keine 5% mehr der Weltbevölkerung; bei einer Bevölkerung die bald über 10 Milliarden Menschen zählt. Und schon heute ist Deutschland in den Augen eines Chinesen, bevölkerungsmäßig betrachtet, nur noch ein Rundungsfehler.

Ohne wesentliche technologische Fortschritte und einem nachhaltigen Umgang mit den vorhandenen Ressourcen wird die Menschheit in absehbarer Zeit den Offenbarungseid leisten müssen.

Spätestens dann werden die letzten von uns erkennen müssen, dass Europa auch keine Insel ist.

Deshalb, lassen Sie uns gemeinsam den Weg, den wir vor gut 70 Jahren beschritten haben, weitergehen. Lassen Sie uns endlich das „Klein-Klein“ nationaler Betrachtungsweisen zu den Akten legen. Und lassen Sie uns zusammen einen Zahn in Richtung Europa zulegen.

Ich weiß, es ist Arbeit, viel Arbeit. Es kostet Schweiß und wird auch – ob wir es wollen oder nicht – Verzicht mit sich bringen.

Sehr geehrte Damen und Herren, „Yourope“ – das Stichwort des heutigen Vortrages –  sind wir alle! Lassen Sie uns gleich wieder an der Baustelle Europa weiterarbeiten! Ich glaube, ein Neujahrsempfang ist die passende Gelegenheit dazu.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und stehe Ihnen nun gerne für Ihre Fragen und Anmerkungen zur Verfügung.”

„Bien entendu, on peut sauter sur sa chaise comme un cabri en disant l’Europe! l’Europe! l’Europe! mais cela n’aboutit à rien et cela ne signifie rien.“

Charles de Gaulle, in einem Interview mit Michel Droit (14. Dezember 1965)

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